Waffenschmidt, Walter Georg 

Geburtsdatum/-ort: 10.02.1887; Basel
Sterbedatum/-ort: 14.10.1980;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Nationalökonom und Ingenieur
Kurzbiografie: 1906 Abitur am Humanist. Gymnasium in Freiburg
1906–1910 Studium d. techn. Wissenschaften in Karlsruhe, München, 1908, u. Danzig, 1909, Diplom in Karlsruhe
1911–1919 Ausbildung („Ingenieurpraktikant“) und anschließende Berufstätigkeit im bad. Eisenbahnwesen; zuvor bereits Immatrikulation im Fach Nationalökonomie an d. Univ. Freiburg
1912 Promotion zum Dr. rer. pol. bei Gustav Mombert in Freiburg: „Die graphische Methode in d. theoretischen Ökonomie, dargestellt in Anlehnung an das Tauschproblem“
1915 Regierungsbaumeister
1917 Versetzung zur Generaldirektion d. bad. Staatseisenbahnen nach Karlsruhe
1918 Dr. Ing. an d. TH Karlsruhe bei F. Engesser: „Zeichnerische Berechnung von Gleisplänen“
1919 Eintritt in das neugebildete bad. Arbeitsministerium u. dort von 1921 bis 1943 Gewerberat
1921 Habilitation für das Fach Staats- u. Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg bei Eberhard Gothein: „Studien zu einer quantitativen Geldtheorie“
1927 nicht beamteter ao. Professor
1939 apl. Professor
1946 Staatskommissar für die Wiedererrichtung d. Handelshochschule Mannheim, o. Professor für Volkswirtschaftslehre in Mannheim
1947–1949 erster Rektor d. neugegründeten Wirtschaftshochschule Mannheim
1956 Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: Unverheiratet
Eltern: Vater: Georg (1853–1915), Eisenbahnsekretär
Mutter: Anna Maria Magdalena, geb. Heppler (1859–1917)
Geschwister: keine
Kinder: Felicitas (geboren 1930), Adoptivtochter
GND-ID: GND/118628143

Biografie: Markus Enzenauer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 440-443

Waffenschmidt wurde in eine Familie des sich im ausgehenden 19. Jahrhunderts neubildenden unteren Mittelstandes hineingeboren. Sein Vater hatte es als Sohn eines Bauern aus dem Hanauer Land in den badischen Staatsdienst geschafft, die Mutter entstammte einer Schwetzinger Bierbrauerfamilie. Die ersten neun, ihn stark prägenden Lebensjahre verbrachte Waffenschmidt in seiner Geburtsstadt Basel, ehe der Vater nach Lauda versetzt worden war. Im nahen Tauberbischofsheim besuchte Waffenschmidt dann das Humanistische Gymnasium; nach einem neuerlichen Umzug der Familie machte er in Freiburg das Abitur.
Obgleich Waffenschmidt also eine humanistische Schulbildung hatte, war für den jungen Mann schon früh klar, „etwas mit Technik“ (Walter Georg Waffenschmidt, 1887–1980, 1987, S. 14) machen zu wollen, wie er selbst rückblickend schrieb, sehr zum Entsetzen seiner Lehrer, die darin „materialistische“ Absichten sehen wollten. Mit der Technik allein indes sollte es Waffenschmidt nicht bewenden lassen. Das beweist sein höchst ungewöhnlicher zweigleisiger Ausbildungsweg. Zunächst nahm Waffenschmidt ein Ingenieurstudium in Karlsruhe auf, vertieft durch kurze Studienaufenthalte in München und Danzig. 1911 schrieb er seine Diplomarbeit bei dem international bekannten Wasserkraftingenieur Theodor Rehbock. Nach diesem Abschluss trat er in Freiburg in den badischen Eisenbahndienst ein und begann damit der väterlichen Intention gemäß zunächst eine solide Ausbildung im Staatsdienst. Doch schon zuvor hatte er sich in der Universität zum Studium der Nationalökonomie eingeschrieben, ein Gebiet, für das er besonders unter dem Eindruck des an der TH Karlsruhe lehrenden Volkswirts und Staatsrechtlers Otto v. Zwiedineck-Sündenhorst Interesse entwickelt hatte. Dabei nutzte Waffenschmidt die Vorschrift der Karlsruher Hochschule, wonach bereits vor der Diplomprüfung die Exmatrikulation zu erfolgen hatte. Dieses Studium betrieb er also gewissermaßen nebenberuflich. Es war auch keineswegs eine Neuorientierung, sondern der von Waffenschmidt bewusst gewählte Weg, seine weitergespannten Interessen zu verknüpfen. Wie erfolgreich er dies handhabte, lässt sich an seiner schon 1912 erfolgten Promotion erkennen, die aufgrund seiner Arbeit über „Die graphische Methode in der theoretischen Ökonomie, dargestellt in Anlehnung an das Tauschproblem“ bei Gustav Mombert erfolgte.
Mit Beginn des I. Weltkrieges wurde Waffenschmidt als Ersatzreservist einberufen, jedoch noch am gleichen Tage aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert, sodass er zu seiner Behörde zurückkehren konnte. Sein späterer Versuch, sich freiwillig zu melden, wurde ihm von einem gut meinenden Oberst ausgeredet. So wurde es möglich, dass Waffenschmidt während des Krieges ein zweites Mal promoviert werden konnte, diesmal mit einer eisenbahntechnischen Arbeit bei Friedrich Engesser zum Dr. Ing. Waffenschmidt erscheint bei der Bahn als überaus aktiver, engagierter Mitarbeiter. 1919 wählten ihn seine Kollegen zum Sprecher der neu gegründeten „Vereinigung der nicht-etatmäßigen Beamten und Anwärter“, die als Interessengemeinschaft das Ziel verfolgte, die durch die politischen Umwälzungen hervorgerufene prekäre soziale Situation dieser Berufsgruppe zu entschärfen. Die Aktion verlief erfolgreich, wie ein Sofortprogramm der badischen Regierung erkennen lässt.
Dieses standespolitische Engagement eröffnete Waffenschmidt weitere Perspektiven. Im neuen Arbeitsministerium war man auf den selbstbewusst auftretenden zweifachen Doktor aufmerksam geworden und fragte bei ihm an, ob er nicht im Bereich der Sozialpolitik arbeiten wolle. Waffenschmidt willigte ohne Zögern ein und war zunächst als Gewerbeinspektor, ab 1921 als Gewerberat, zuständig für gewerbetechnische Angelegenheiten, Arbeitsschutz- und Arbeitsrechtsfragen.
Während einer Landtagssitzung, an der Waffenschmidt den verhinderten Arbeitsminister Wilhelm Engler vertrat, wurde der DDP-Abgeordnete und Nationalökonom Eberhard Gothein auf ihn aufmerksam und fragte ihn kurzerhand, ob er sich bei ihm in Heidelberg habilitieren wolle. Das Ministerium förderte Waffenschmidt dabei und ermöglichte ihm die Arbeitsteilung zwischen dem Karlsruher Dienst und der Lehre an der Universität in Heidelberg. Die Habilitation bei Gothein, dessen letzter Schüler Waffenschmidt war, erfolgte im November 1921, Waffenschmidts Venia legendi lautete auf Nationalökonomie. Als seine Anstellung als Assistent 1924 endete, konnte er weiter lehren und nach der vorgeschriebenen Mindestwartefrist von zwölf Semestern wurde er 1927 zum nichtbeamteten außerordentlichen Professor ernannt.
Die Vorlesungen und Seminare, die Waffenschmidt in Heidelberg hielt, behandelten sehr häufig die Verknüpfung von wirtschaftswissenschaftlichen und technischen Fragestellungen, die er keineswegs auf die deutsche Perspektive beschränkt sah. Dabei konnte er sich wiederum auf seine praktische Erfahrung stützen; denn schon als Schüler, mehr noch als junger Wissenschaftler hatte Waffenschmidt zahlreiche Studienreisen unternommen, die ihn in mehr als ein Dutzend Länder führten, u. a. nach England, Skandinavien, Italien, in zahlreiche Nachfolgestaaten der k. und k. Monarchie, bis in die Türkei und nach Tunesien.
Möglicherweise war es gerade jene Weltläufigkeit gepaart mit Jugendprägungen im liberalen Basel, die Waffenschmidt, der innerlich eher zur Sozialdemokratie neigte, dem Chauvinismus gegenüber immunisierten. Bis auf die obligatorischen berufsständischen Mitgliedschaften, etwa im Reichsbund deutscher Technik oder dem Beamtenbund entzog er sich dem Drängen der Nationalsozialisten. Er wurde nie Parteigenosse, auch weil der Antisemitismus ihn abstieß. Sich dergestalt abseits haltend gelang es ihm sogar, im Oktober 1939 zum außerplanmäßigen Professor ernannt zu werden. Nützlich war dabei gewiss der bei seiner Tätigkeit als Gewerberat entstandene Kontakt zum badischen Ministerpräsidenten und Wirtschaftsminister Walter Köhler, der Waffenschmidts fachliche Qualitäten offenbar schätzte. Das schützte ihn so lange, bis seine immer offensichtlicher werdende ablehnende Haltung dem Regime gegenüber ihn als politisch untragbar erscheinen ließ. 1943 schied er auf Drängen Köhlers aus dem Gewerbeaufsichtsamt aus, das sich wie viele andere badische Dienststellen mittlerweile in Straßburg befand. Sein Heidelberger Lehrauftrag indes blieb ihm erhalten, wohl weniger der von ihm vermuteten „Schlampereien“ des hiesigen NS-Dozentenbundes als der Tatsache wegen, dass mittlerweile eine gravierende Personalnot herrschte und man auf Waffenschmidts Lehrveranstaltungen nicht verzichten wollte.
Wie bedeutend seine Stellung im Gefüge der Ruperto Carola geworden war, offenbarte sich nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945, als er mit Alfred Weber fast im Alleingang die wirtschaftswissenschaftliche Lehre der Universität auf ein völlig neues Fundament stellte, indem er die volkswirtschaftliche Abteilung aufbaute. Die Heidelberger Universität dankte ihm dieses Eintreten mit der Verleihung einer Honorarprofessur Anfang 1947.
Mit Waffenschmidts Namen bleibt aber gleichermaßen verbunden, dass er gemeinsam mit dem ihm seit 1919 befreundeten Mannheimer Historiker Franz Schnabel, der nach dem Krieg von den Amerikanern als „Landesdirektor für Unterricht und Kultus“ eingesetzt damit de facto-Kultusminister von Nordbaden war, die Wiedererrichtung der 1933 vom NS-Oberbürgermeister Renninger aufgelösten Mannheimer Handelshochschule als „Staatliche Wirtschaftshochschule“ organisierte. Hier wirkten zwei aus der NS-Zeit unbelastet hervorgegangene Wissenschaftler kongenial zusammen und schufen die Voraussetzungen für die heutige Mannheimer Universität. Angesichts der vielen Schwierigkeiten der frühen Nachkriegsjahre und den auch Waffenschmidt bedrängenden existentiellen Nöten war dies vielleicht seine nachhaltigste Tat.
Waffenschmidt war mit seiner großen organisatorischen Erfahrung, seinen Kenntnissen der Ministerialbürokratie und seinem fachlichen Überblick auch der richtige Mann, Interessenkollisionen der nun wieder benachbarten kurpfälzischen Hochschulstandorte zu vermeiden. Von April 1946 bis Juni 1947 übernahm er als Staatskommissar die Geschicke der im Wiederaufbau begriffenen Mannheimer Hochschule. So knüpfte der Schüler da an, woran sein Lehrer beinahe vier Jahrzehnte zuvor gewirkt hatte: Waffenschmidt wurde der Mannheimer Wirtschaftshochschule das, was Gothein für ihre Vorgängerin, die städtische Handelshochschule, gewesen war. Unterstützt wurde der Neuaufbau durch die „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ in Bonn, zu der Waffenschmidt persönliche Kontakte unterhielt. Es ist im Wesentlichen auch seinem Einsatz geschuldet, dass die Universität Heidelberg in diesen schwierigen Jahren des Neubeginns großzügige Anschubhilfe gewährte und mit Lehrkräften in Mannheim aushalf. Inzwischen beim 60. Lebensjahr angelangt erhielt Waffenschmidt in Mannheim eine ordentliche Professur für Volkswirtschaftslehre und wurde im September 1948 vom Senat zum ersten Rektor der WH gewählt.
Waffenschmidts Verdiensten auf dem Gebiet des badischen Hochschulwesens stehen seine wissenschaftlichen Leistungen in nichts nach. Prädestiniert durch seine sowohl technische wie wirtschaftswissenschaftliche Bildung und seinen Erfahrungsschatz erkannte und praktizierte Waffenschmidt schon früh die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wirtschaftswissenschaftlern, Technikern und Mathematikern. Er war einer der ersten Ökonomen überhaupt, die zur Beschreibung und Analyse wirtschaftswissenschaftlicher Problemstellungen mathematische Methoden benutzten. Waffenschmidt mag deshalb als Nestor der ökonometrischen Forschung gelten. Seine 1959 in Mannheim entstandene Studie über die „Deutsche volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und ihre Lenkungsmodelle“ gilt als Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Besondere wissenschaftliche Akzente setzte Waffenschmidt auch in den Bereichen Produktions-, Kreislauf-, Geld- und Preistheorie, und nicht minder beachtenswert waren seine Arbeiten über Analogien zwischen Regelungsvorgängen in Technik und Wirtschaft sowie auf dem Gebiet der Unternehmensforschung.
Anlässlich seines 75. Geburtstages 1962 haben einige seiner Schüler eine Festschrift mit seinen wichtigsten Aufsätzen zusammengestellt, die die wissenschaftlichen Stationen Waffenschmidts nachzeichnen. Dieser Band enthält auch ein Verzeichnis seiner bis dahin entstandenen Schriften und Vorlesungsskripte. Die Ehrendoktorwürden der Universitäten Göttingen, Karlsruhe, Tübingen und schließlich jene Heidelbergs sind Bestätigungen für Waffenschmidts Reputation.
Quellen: HStA Stuttgart EA 3/150 Bü. 2408, Personalakte Walter Waffenschmidt; UA Heidelberg PA 290 u. PA 6197.
Werke: Werkverzeichnis in: Angermann u.a., 1962 (vgl. Literatur). –Auswahl: Die graphische Methode in d. theoretischen Ökonomie, dargest. in Anlehnung an das Tauschproblem, Diss. rer. pol. Freiburg 1915; Zeichnerische Berechnung von Gleisplänen, Diss. Ing. Karlsruhe 1921; Wasserkraft u. Dampfkraft im wirtschaftlichen Wettbewerb. Eine Einführung in das technisch-wirtschaftliche Denken, 1923; Studien zu einer quantitativen Geldtheorie, Habil. Heidelberg 1924; Einleitung u. Übersetzung von: Augustin Cournot, Untersuchungen über die mathematischen Grundlagen d. Theorie des Reichtums, 1924; Das Wirtschaftssystem Fords, 1926; Technik u. Wirtschaft, 1928; Technik u. Wirtschaft d. Gegenwart, 1952; Produktion, 1955; Wirtschaftsmechanik, 1957; Dt. volkswirtschaftliche Gesamtrechnung u. ihre Lenkungsmodelle 1949–1955, 1959; Denkformen u. Denktechnik, 1961; Automation. Stand u. Entwicklungstendenzen im wirtschaftl. Prozeß, 1964; Mathematik, Elektronik, Wirtschaft, 1967; Autobiographische Skizzen in: (ohne Hg.) Walter Georg Waffenschmidt, 1887–1980, Leben u. Wirken, 1987 (vgl. Literatur).
Nachweis: Bildnachweise: Angermann, 1962, u. Waffenschmidt, 1987, jew. auf Frontispiz (vgl. Literatur).

Literatur: A. Angermann u.a., Technik – Wirtschaft – Politik. Prof. Dr. Dr. Dr. h. c. Walter Georg Waffenschmidt zum 75. Geburtstag, 1962; (o. Hg.), Walter Georg Waffenschmidt, 1887–1980. Leben u. Wirken, 1987.
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