Heuss-Knapp, Elly 

Andere Namensformen:
  • eigentlich: Elisabeth Eleonora Anna Justine
Geburtsdatum/-ort: 25.01.1881; Straßburg (Elsaß)
Sterbedatum/-ort: 19.07.1952; Bonn, Beisetzung 24.07.1952 auf dem Stuttgarter Waldfriedhof
Beruf/Funktion:
  • Sozialpolitikerin und Publizistin, MdL-DVP
Kurzbiografie: 1899 Lehrerinnenexamen in Straßburg, Lehrerin an einer Privatschule
1900 Lehrerin für Bürgerkunde an einer Fortbildungsschule für Mädchen in Straßburg
1905 (Sommer) Studium der Volkswirtschaft an der Universität Freiburg i.Br., 1905-1906 Fortsetzung des Studiums in Berlin
1906 Wiederaufnahme des Unterrichts in Straßburg, Beginn der Vortragstätigkeit
1907 Verlobung mit Theodor Heuss in Berlin, 1908 Heirat in Straßburg, Umsiedlung nach Berlin, schriftstellerische Tätigkeit
1911 Lehrerin an der Sozialen Frauenschule Alice Salomons
1912 Übersiedlung nach Heilbronn
1914-1918 Arbeitsvermittlung für Frauen von Soldaten im Felde in Heilbronn; Fortsetzung der Vortragstätigkeit
1918 (März) Umsiedlung nach Berlin, Lehrerin im Pestalozzi-Fröbel-Haus und in der Sozialen Frauenschule
1919 Erfolglose Kandidaturen zur Weimarer Nationalversammlung und (1920) zum Deutschen Reichstag
1923 Mitarbeit in der Evangelischen Gemeinde zum Heilsbronnen in Berlin-Schöneberg, mehrere Jahre Teilnahme an religionspädagogischen Seminaren
1926-1933 Lehrerin am Burckhardt-Haus in Berlin-Dahlem
1931-1933 (Februar) Mitglied des Kulturbeirats am Berliner Rundfunksender; Rundfunkvorträge seit 1928
1933-1942 (ca.) Werbeberaterin namhafter Firmen in Deutschland und in der Schweiz, Rundfunk- und Schallplattenwerbung, nach dem Verbot der Rundfunkwerbung ab 1935 Kinowerbefilme
1943 (November) Umsiedlung nach Heidelberg-Handschuhsheim
1945 Wiederaufnahme der publizistischen Tätigkeit, Umsiedlung nach Stuttgart
1946-1949 DVP-Mitglied des Landtags von Württemberg-Baden in Stuttgart
1949 Umsiedlung nach Bonn-Bad Godesberg, Viktorshöhe, 1950 nach Bonn, Villa Hammerschmidt
1950 Gründung der „Elly-Heuss-Knapp-Stiftung Deutsches Müttergenesungswerk“; Ehrenbürgerin von Badenweiler
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1908 (Straßburg) Dr. rer. pol. Theodor Heuss
Eltern: Vater: Georg Friedrich Knapp (1842-1926), Professor der Nationalökonomie an der Universität Straßburg
Mutter: Lydia, geb. von Karganow (1848-1925)
Geschwister: Marianne Lesser-Knapp (1879-1966)
Kinder: Dr. jur. Ernst Ludwig Heuss (1910-1967)
GND-ID: GND/118704397

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 218-223

Glückhafte, aber auch sehr unglückliche Lebensumstände bestimmten die frühen Jahre von Heuss-Knapp. Sie wuchs in der behüteten, ganz liberalen Atmosphäre eines großbürgerlichen Hauses auf, ohne finanzielle Sorgen, und konnte sich über zwei Jahrzehnte lang in der vertrauten Heimatstadt Straßburg kontinuierlich entwickeln, in jeder Weise gefördert von ihrem Vater, einem zu seiner Zeit berühmten Gelehrten. Die Mutter, aus kaukasischem Adelsgeschlecht und frühere Studentin des Vaters, erkrankte nach der Geburt Ellys schwer, blieb ständig leidend und verließ die Familie, sie lebte in einsamem Krankendasein bis ans Ende ihrer Tage. So verbrachte Heuss-Knapp die ersten Lebensjahre im Hause ihres Großvaters Friedrich Ludwig Knapp und seiner Frau Elise, geb. Liebig, einer Schwester Justus von Liebigs, in Braunschweig. Getauft wurde sie im Braunschweiger Dom. Zeitlebens blieb sie mit ihren Großeltern väterlicherseits in herzlicher und enger Verbindung. Die Kinderjahre waren eine Zeit fröhlichen und ungetrübten Wachsens. Der Vater erzog überhaupt nicht, sondern unterrichtete nur, berichtete sie später. Oft vertrat ihre Tante Lella Geiger, eine Zwillingsschwester des Vaters, in Basel Mutterstelle bei der Heranwachsenden; auch zu ihr bestand eine enge und dauernde Verbindung, auch brieflich; Heuss-Knapp war eine emsige Briefschreiberin. Ihr pädagogisches Talent entfaltete sich rasch, schon die Sechzehnjährige arbeitete in einer Straßburger Sonntagsschule mit. Die Gabe des freien Vortrags von Erzählungen und Geschichten war ihr in die Wiege gelegt worden, und es war keine Frage, welchem Beruf sie sich zuwenden würde. Als Neunzehnjährige bestand sie das Lehrerinnenexamen und unterrichtete in der Folge an einem „Privatschülchen“, ohne jedoch damit ausgelastet zu sein. Frühzeitig erkannte sie, daß ihr eigentlicher Lebensinhalt und ihr Lebensinteresse, wie sie sich in einem Brief an ihren späteren Mentor Friedrich Naumann ausdrückte, die sozialen Probleme waren. Sie arbeitete freiwillig in der Straßburger Armenpflege mit und ließ sich in den Armenrat der Stadt wählen, der über die Vergabe von Unterstützungen für die Armen zu entscheiden hatte. Auf ihren Vorschlag hin gründete die Stadtverwaltung eine Fortbildungsschule auf freiwilliger Basis, in der sie das Fach „Bürgerkunde“ unterrichtete – um dabei gewahr zu werden, daß ihre größtenteils auf Selbststudium beruhende Vorbildung etwas fragmentarisch war. Sie begann also, schnell entschlossen, ein volkswirtschaftliches Studium in Freiburg und setzte es in Berlin fort, ohne allerdings am Universitätsbetrieb Gefallen zu finden, sie vermißte die Praxisnähe. Erste schriftstellerische Versuche fallen in diese Jahre des beginnenden Jahrhunderts; der Zusammenarbeit mit Pierre Bucher, dem ganz in der französischen Geistigkeit wurzelnden Herausgeber der Revue Illustrée Alsacienne (Elsässische Rundschau), verdankt sie die clarté ihres Stils, ohne sich jedoch gesinnungsmäßig, wie Bucher wohl gewünscht hätte, den französisch gesinnten oberen Zehntausend in der Straßburger Gesellschaft anzuschließen.
1905, 24jährig, lernte sie im Hause Naumanns und im Kreis seiner Adepten den frischgebackenen „Hilfe“-Redakteur Theodor Heuss kennen. Der Heirat im Jahre 1908 in Straßburg ging ein intensiver Briefwechsel voraus, getraut wurden sie von dem gemeinsamen Freund Albert Schweitzer. Schon in der Verlobungszeit hatte Heuss-Knapp eine rege Vortragstätigkeit entfaltet mit Themen, die sich in ihrem ersten Buch „Bürgerkunde und Volkswirtschaftslehre für Frauen“ finden, das, vielfach umgearbeitet, bis 1929 acht Auflagen erlebte. Die sehr schwere Geburt des Sohnes im Jahre 1910 brachte Todesnähe, langes Kranksein und schließlich Genesung und Mutterglück. Im November 1911 nahm sie wieder ihre Unterrichtstätigkeit an der Sozialen Frauenschule Alice Salomons auf und setzte auch ihre Vortragstätigkeit wieder fort.
1912 zog die kleine Familie nach Heilbronn um, wo Theodor Heuss auf Anregung Naumanns die Chefredakteursstelle einer Tageszeitung übernommen hatte, das Fernziel war jedoch die Eroberung des örtlichen Reichstagsmandats in einigen Jahren. Der Umzug aus der Weltstadt Berlin in die schwäbische Enge fiel Heuss-Knapp nicht leicht, aber die unerwartete Gelegenheit zu einer einzigartigen Bewährungsprobe bot das Europa im Jahre 1914 umstülpende Ereignis: der Krieg. Von der Begeisterungswelle der ersten Wochen ließ sie sich übrigens genausowenig wie ihr Ehemann fortreißen: „Ich empfinde es als Heuchelei, wenn wir beginnen, den Krieg an sich zu loben.“ Daß ihr Vater die ominöse „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“, in der jede deutsche Schuld am Ausbruch des Krieges zurückgewiesen wurde, nicht unterschrieb, erfüllte sie mit Genugtuung. Ihre Hauptsorge galt den oft mittellosen „Kriegerfrauen“, wie sie damals genannt wurden, sie gründete eine Arbeitsvermittlungsstelle für diese Frauen – die erste in Deutschland überhaupt – und beschäftigte zeitweise an die tausend mit Näh-, Stopf-, Strick- und Flickarbeiten – in Heimarbeit –, nachdem sie bei den zuständigen Stellen in Berlin das erforderliche Material, vor allem Wolle, losgeeist hatte. Sie wurde eine „gewiegte Geschäftsfrau“ (Heuss-Knapp) und erzielte in einem Jahr einen Reingewinn von 40 000 Mark.
Im Schicksalsjahr 1918 zog die Familie nach Berlin zurück, wo Heuss-Knapp die Schriftleitung der Wochenschrift „Deutsche Politik“ übernahm. Dem Zusammenbruch des Jahres 1918 folgte der definitive Schritt Heuss-Knapps und ihres Mannes in die Politik. 1919 übertrug ihr der überparteiliche Ausschuß der deutschen Frauenverbände das Ressort „Propaganda“, und so konnte man erstmals auf Plakatsäulen, in Flugblättern und Werbeschriften die wirkungsvollen, treffsicher getexteten Werbeverse Heuss-Knapps lesen, in denen sie die Frauen zur Ausübung ihres erstmals zugestandenen Wahlrechts aufforderte. Gleichzeitig kandidierte das Ehepaar für die von Naumann – dessen Tod beide in bestürzende Trauer versetzte – neugegründete Deutsche Demokratische Partei zur Weimarer Nationalversammlung, wie auch bei der Reichstagswahl 1920 ohne Erfolg.
Die Lebensabschnitte Heuss-Knapps lassen sich klar voneinander abgrenzen. So kann man im Jahr 1923 von einem deutlichen Einschnitt sprechen. In diesem Jahr zog sie sich völlig von der seit 1919 mit Verve betriebenen Parteiarbeit zurück, sie konnte nicht verstehen, daß „ein Volk seine erschütterndsten Erlebnisse wieder vergessen kann“ und daß sich diese Erfahrungen nicht in der Alltagsarbeit der Parteien widerspiegelten. Dazu kam die in der Schulpolitik von der DDP befürwortete Simultanschule; sie selbst trat für die konfessionell gebundene Schule ein. Sie kehrte bewußt zur Religion als „Gemeinschaftssache im tiefsten Wortverstand“ – und nicht Privatsache – zurück und übernahm in der von Pfarrer (später Bischof) Otto Dibelius geleiteten Gemeinde Ämter: Sie nahm die von jeher favorisierte Lehrerinnentätigkeit wieder auf und unterrichtete am Pestalozzi-Fröbel-Haus Sozialpädagogik, Staatsbürgerkunde und Deutsch, später am Burckhardt-Haus, einer Ausbildungsstätte für Gemeindepflegerinnen. Außerdem wandte sie sich jetzt mit all ihrer Ernsthaftigkeit und ihrem Wissensdurst bibelexegetischen Fragen zu und besuchte mehrere Jahre Seminare in dem von Friedrich Delekat geleiteten Religionspädagogischen Institut. Gleichzeitig hielt sie auch wieder Vorträge über bürgerkundliche und hauswirtschaftliche Themen, auch über Ehe und Familie, und wurde dank der ihr innewohnenden Überzeugungskraft und natürlichen Beredsamkeit eine der gesuchtesten und meistbeschäftigten Rednerinnen zwischen Aachen und Königsberg und Kiel und Konstanz. Früh – 1928 – fand sie den Weg zu dem neuen Medium des Rundfunks, sie hielt auch dort Vorträge, verfaßte Buchrezensionen und „volkswirtschaftliche Plaudereien“. 1931 wurde sie Mitglied des Kulturbeirats des Berliner Senders. 1926 edierte sie, nach dem Tod des geliebten Vaters, der seit Oktober 1919 in Darmstadt lebte, ein Erinnerungsbuch „Aus der Jugend eines deutschen Gelehrten“.
Und wieder griffen die Ereignisse eines Schicksalsjahres – 1933 – tief und schmerzhaft in das Leben der Familie Heuss ein. Heuss-Knapp wurde sofort nach der „Machtübernahme“ die Mitarbeit am Berliner Sender verboten, aus dem Kulturbeirat wurde sie entlassen. Geplante Vorträge wurden polizeilich verboten. Ihre Lehrtätigkeit am Burckhardt-Haus endete, besonders schmerzlich, infolge der Denunziation durch eine Schülerin. Theodor Heuss verlor sein seit 1924 – mit Unterbrechungen – wahrgenommenes Reichstagsmandat und seinen Lehrauftrag bei der Deutschen Hochschule für Politik. Die Familie stand im Sommer 1933 praktisch mittellos da. In dieser mehr als prekären Lage ergriff Heuss-Knapp die Initiative. In wenigen Jahren wurde die „gewiegte Geschäftsfrau“ von 1914 zu einer der erfolgreichsten Werbeberaterinnen; ihr Erfindungsreichtum, ihr rasch zupackender Witz und ihre burschikose Reimkunst sicherten ihr langfristige Werbeaufträge vieler großer Firmen; um nur einige Namen zu nennen: Wybert, Henkell, Leica, Kaloderma, Hansaplast, Kaffee Haag, Persil, Knorr, Nivea, Pyramidon, Reemtsma, Osram, Bosch, Bleyle, Rotbartklingen, AEG usw. Heuss-Knapp ist die Erfinderin des akustischen Warenzeichens, d.h. der „leitmotivischen“ Verbindung eines bestimmten Produkts mit einer bestimmten Melodie. Sie erwarb sich Ansehen und Reputation in ihrem Fach und vermochte den Lebensunterhalt der Familie, einschließlich des Studiums des Sohnes, völlig sicherzustellen; im Jahre 1938 konnte das Ehepaar dank der sehr guten Einnahmen der Mutter das Haus Kamillenstraße 3 kaufen. Als 1935 die Rundfunkwerbung verboten wurde, stieg Heuss-Knapp auf Werbung durch Kinofilme um und hatte auch hier Erfolg. Theodor Heuss konnte in diesen Jahren, kaum von materiellen Sorgen bedrängt, seine großen Biographien schreiben, und Heuss-Knapp selbst publizierte im Jahre 1934, auf Einladung des Verlegers Hans Bort in Berlin, ihre Jugenderinnerungen unter dem Titel „Ausblick vom Münsterturm. Erlebtes aus dem Elsaß und dem Reich“. Alle diese Aktivitäten standen natürlich unter einem manchmal mehr, manchmal weniger fühlbaren Druck von Seiten der braunen Machthaber. „Mein Mann wurde auf eine Parteistelle gerufen und ihm mitgeteilt, daß unser Haus sich erstens nicht mit Flaggen genügend auszeichne, und zweitens, daß wir noch mit Juden verkehren“, schrieb sie einer Freundin – was gefährlich genug war, denn des öfteren wurden ihre Briefe geöffnet.
Der wirtschaftliche Erfolg mußte teuer bezahlt werden. Ein erster schwerer Herzanfall im Jahre 1933, dem 1935 ein zweiter folgte, machte regelmäßige Kuraufenthalte in Badenweiler erforderlich, während deren sich nach all dem Trubel und der Anspannung der Werbetätigkeit Erwägungen wie „halb Werbeverse, halb Gott im Herzen“ meldeten. Entspannung fand sie bei intensiver Gartenarbeit in der Kamillenstraße, Blumen waren ihre Lebensfreude.
Die Verbindung zur Kirche blieb immer bestehen, in Dahlem hörte sie Niemöller predigen und, als dieser verhaftet worden war, Gollwitzer, und in der Universität beeindruckte sie der Vortrag Guardinis. Gelegentlich kamen sogar, neben der Werbetätigkeit, noch Vorträge bei Gleichgesinnten zustande, so sprach sie auf Einladung des Geschäftsführers des Instituts für Wirtschaftsbeobachtung an der Handelshochschule Nürnberg, Dipl.-Kaufmann Dr. Ludwig Erhard, über das Thema „Wort und Werbung“. Kompromisse blieben ihr nicht erspart, sie hatte Werbetexte für das NS-Winterhilfswerk und im Januar 1940 im Auftrag des „Reichsinstituts für wirtschaftliche Aufklärung“ eine Broschüre „Kriegswaschfibel“ zu verfassen. Ein ähnlicher Auftrag kam von der „Reichsstelle für Lederwirtschaft“, die Gestaltung eines Propagandafilms „Schuhpflege“. Die Wirtschaftswerbung wurde im Lauf des Krieges mehr und mehr eingeschränkt, und da allmählich Honorare für die Bücher ihres Ehemannes eingingen, fand sie es im Jahre 1942 sehr angenehm, „daß nicht die Frau, sondern der Mann den Lebensunterhalt verdient“. Mittlerweile war die Situation in Berlin durch die ständigen Bombenangriffe und die damit verbundenen Aufregungen für die herzkranke Heuss-Knapp untragbar geworden, das Ehepaar zog im Jahre 1943 nach Handschuhsheim bei Heidelberg und fand im Hause der Schwester Heuss’ eine notdürftige Bleibe.
Nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ standen Heuss-Knapp und ihr Ehemann in der vordersten Front des geistigen Wiederaufbaus: sie als Vortragende im Rundfunk und Autorin von Zeitungsartikeln in der RNZ – Lizenzträger: Theodor Heuss –, er als Kultminister des aus zufälligen Besatzungsgrenzen hervorgegangenen Landes Württemberg-Baden. Heuss-Knapp arbeitete bei der Neufassung eines Volksschullesebuchs mit und schrieb in Form von Kurzgeschichten Reflexe persönlicher Erlebnisse aus dem „Dritten Reich“ nieder („Schmale Wege“, Tübingen 1946). Auch die praktische Sozialpolitik rückte wieder in den Vordergrund: sie übernahm das Präsidium der Hooverspeisung, der von den Amerikanern für Schulkinder und Studenten gelieferten Mahlzeiten, und als sie wie auch ihr Ehemann bei den ersten freien Wahlen im Jahre 1946 auf der DVP-(FDP)-Liste in den Landtag von Württemberg-Baden in Stuttgart gewählt wurde, galt ihre besondere Zuwendung der Wohlfahrts- und Fürsorgegesetzgebung. Indessen hatte sich ihr Herzleiden von Jahr zu Jahr verschlimmert, und die Klinik- und Sanatoriumsaufenthalte wurden immer häufiger. Aber sie kam, pflichtbewußt und diszipliniert wie immer, ihren Verpflichtungen im Landtag nach. Im Juli 1948 kam es sogar noch einmal zu einem Werbeauftrag einer Basler Firma. Im Juli 1949 machte sie eine folgenreiche Bekanntschaft: sie lernte Frau Dr. Antonie Nopitsch kennen, die Leiterin des Mütterwerks der Evangelischen Kirche Bayerns in Stein bei Nürnberg.
Es war wohl einer der erfülltesten Augenblicke ihres Lebens, als der zum Bundespräsidenten gewählte Ehemann am 12.9.1949 in Bonn seine Antrittsrede vor der Bundesversammlung hielt und ein Bekenntnis zu dem dem Ehepaar gemeinsamen Vorbild Friedrich Naumann ablegte, von dem er gelernt habe, „daß die soziale Sicherung mit die Voraussetzung für die politische Sicherung ist“. Nur wenige von Heuss’ Hörern werden damals etwas von Naumann gewußt haben. „Wir werden Chefredakteur“, hatte Heuss-Knapp im Jahre 1912 einer Freundin geschrieben, und so trat sie im Bewußtsein, „wir werden Bundespräsident“, mit der partnerschaftlichen Selbstverständlichkeit, die diese Ehe auszeichnete, das hohe Amt der First Lady der Bundesrepublik Deutschland an, ein Amt, das zwar im Grundgesetz nicht vorkommt, das aber aus der deutschen Verfassungswirklichkeit dank der Ausprägung, die es bei Heuss-Knapp und ihren Nachfolgerinnen fand, nicht wegzudenken ist. Dabei waren ihr nur wenige Jahre des „Amtierens“ vergönnt, in denen sie trotz der schweren Behinderung durch die Herzkrankheit – die ihr z.B. Treppensteigen so gut wie unmöglich machte – Erstaunliches zustande brachte: die Blumenfreundin ließ es sich nicht nehmen, die Bundesgartenschauen in Stuttgart (1950) und Hannover (1951) zu eröffnen, und sie nahm an mehreren der von Theodor Heuss eingeführten Antrittsbesuche des Bundespräsidenten in den Bundesländern teil. Sogar eine Wiedersehensreise nach Berlin ließ sich noch einschieben, und als Albert Schweitzer im Jahre 1951 in Frankfurt/Main der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen wurde, konnte das Ehepaar Heuss-Knapp den alten Freund noch einmal begrüßen. Die letzten Heuss-Knapp verbliebenen Kräfte konzentrierte sie auf ein ebenso schwieriges wie risikoreiches Projekt: das Müttergenesungswerk, dessen Gründung sie am 31.1.1950 im Rundfunk verkündete und bei dem es ihr gelungen war, Frauenorganisationen verschiedener weltanschaulicher und politischer Provenienz zu einem Organismus eigenständiger Funktion zusammenzuschließen; dies war für sie „eine wirkliche Krönung meines Lebens“, sagte sie noch in den letzten Lebensmonaten, fügte aber hinzu, „ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich als Stifterin genannt werde“, dies sei eigentlich Frau Nopitsch. Aber ohne das Organisationstalent, das diplomatische Geschick und die Zielbewußtheit Heuss-Knapps wäre das segensreiche Werk, dessen Entstehen sie mit ihrer schnell gewachsenen landesmütterlichen Autorität begleitete, wohl kaum verwirklicht worden.
Friedrich Naumann schrieb der jungen Ehefrau im Jahre 1912, als es um die Rückkehr von Theodor Heuss in die schwäbische Heimat ging, daß der Heimatboden für ihn die rechte Stelle sei, um „von Stuttgart aus ein eigener Mann im deutschen Volke (zu) sein“. Aber nicht nur aus dem späteren Bundespräsidenten ist ein „eigener Mann“ geworden, aus Heuss-Knapp wurde um nichts weniger eine „eigene Frau“. „Die innere Sicherheit, mit der Elly uns allen überlegen war, war das Geschenk ihres väterlichen Hauses“, schrieb Theodor Heuss später, und diese Sicherheit, die sich von den Zwanziger Jahren an mit auf ihre religiöse Überzeugung gründete, hat sie auch in den dunkeln Stunden ihres Lebens nie verlassen. Mit dem stets zur Vermittlung geneigten, aber auch streitbaren Demokraten Theodor Heuss kam eine Partnerschaft zwischen zwei völlig gleichgewichtigen Persönlichkeiten zustande, die sich in seltener Weise ergänzten. Dieser Partnerschaft ist mit zuzuschreiben, daß der Bundespräsident Heuss in kürzester Zeit einen Popularitätsgrad erwarb, der ihn in einer für alle Nachfolger beispielhaften Form zum Symbol der neuen Staatlichkeit werden ließ. Gewiß war Heuss-Knapp der Frauenbewegung verbunden und brach geradezu mit Vergnügen aus dem den Frauen zu Beginn des Jahrhunderts zugewiesenen Rollenschema aus – „ich habe mit einem jungen Mädchen Freundschaft geschlossen, die starr ist über meine Selbständigkeit“ –, aber wichtigster Inhalt ihres Lebens war die praktische Befassung mit der sozialen Frage auf der beschriebenen religiösen Grundlage, und dieses umfassende Engagement, das sie unbeirrbar von frühen Jugendtagen an bis zum Ausklang ihres Lebens in Bonn vertrat, ließ keine verengte, partiell feministische Betrachtungs- und Handlungsweise zu.
Quellen: BA Koblenz: Nachlaß NL 73 und im Bestand „Tonträger aus der Zeit nach 1945“: Bundespräsidialamt.
Werke: Die wichtigsten Werke sind im Text genannt; im übrigen vgl. Margret Boveri, Theodor Heuss. Die literarische Gestalt; Walter Prinzing, Bibliographie der Schriften und Reden von Theodor Heuss und Elly Heuss-Knapp. Hg. von der Württembergischen Bibliotheksgesellschaft, 1954. Ferner: Elly Heuss-Knapp, Zeugnisse ihres Wirkens. Auswahl und Einleitung von Anna Paulsen, 1959; Elly Heuss-Knapp, Rat und Tat. Nachklang eines Lebens. Hg. von Friedrich Kaufmann, 1964; Theodor Heuss und Elly Heuss-Knapp, So bist Du mir Heimat geworden. Eine Liebesgeschichte in Briefen aus dem Anfang des Jahrhunderts. Hg. von Hermann Rudolph, 1986.
Nachweis: Bildnachweise: in: Elly Heuss-Knapp, Bürgerin zweier Welten (Literatur).

Literatur: (Auswahl) Elly Heuss-Knapp, in: Martin Haug, Sie fanden den Weg. 9 Frauenschicksale, 1960; Elly Heuss-Knapp, Bürgerin zweier Welten. Ein Leben in Briefen und Aufzeichnungen, hg. von Margarethe Vater, 1961; Elisabeth Blochmann, Elly Heuss-Knapp. Zum Problem weiblicher Größe, in: Neue Sammlung, 1961; Fritz Ernst, Deutsche Briefe aus sechs Jahrzehnten (Zu den Briefen von Elly Heuss-Knapp), 1962; Elly Heuss-Knapp, in: Deutsche Demokratie von Bebel bis Heuss in Lebensbildern. Hg. von Friedrich Andrae und Sybil Gräfin Schönfeldt, 1964; Max Schulze-Vorberg, Elly Heuss-Knapp, Gärtnerin meines Lebens, in: Glück gehabt mit Präsidenten, Kanzlern und den Frauen, hg. von Werner Höfer, 1976; Elly Heuss-Knapp, in: Ursula Foertsch, Nächstenliebe war ihr Werk. Bedeutende Frauen in der sozialen Arbeit. Mit einem Geleitwort von Hans Achinger, 1975; Ursula Salentin, Elly Heuss-Knapp (1881-1952), „Frauen werbt und wählt, Frauenwille siegt!“, in: Frei sein, um andere frei zu machen, 1984; dies., Elly Heuss-Knapp, in: Fünf Wege in die Villa Hammerschmidt, 14. Aufl. 1989; Ursula Salentin/Liselotte Hammerschmidt, Chronik der Villa Hammerschmidt und ihrer Bewohner, 1991; Elly Heuss-Knapp, in: Ina Hochreuther, Frauen im Parlament, Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, hg. vom Landtag Baden-Württemberg und der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, 1992, 105ff.; Hd 10, 11; LB 1-7, 13; NDB 9.
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