Kraft, Sigisbert Otto Franziskus 

Geburtsdatum/-ort: 07.09.1927;  Bingen
Sterbedatum/-ort: 06.01.2006;  Waghäusel-Kirrlach
Beruf/Funktion:
  • altkatholischer Bischof, Liturgiewissenschaftler
Kurzbiografie: 1934-1938 Volksschule in Würzburg
1938-1944 Humanistisches Gymnasium Würzburg
1945-1951 Theologiestudium an der Universität Würzburg, 1946 Eintritt ins Priesterseminar
1951 Priesterweihe, danach Kaplan und Religionslehrer in Kitzingen, ab 1954 in Aschaffenburg
1961 Wechsel in das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland
1961-1963 Vikar, ab Nov. 1962 Pfarrvikar in Mannheim-Gartenstadt
1963-1986 Pfarrer in Karlsruhe
1976-1986 Dekan für Nordbaden/Württemberg
1976 Promotion zum Dr. theol. an der Christkatholisch-theologischen Fakultät, Universität Bern
1972-1982 Dozent für Pastoraltheologie am Bischöflichen Seminar Bonn
1979-1991 Dozent für Liturgiewissenschaft am Bischöflichen Seminar Bonn
1985 Bischofswahl und -weihe
1986-1995 Leitung des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk., ab 1961 altk.
Auszeichnungen: Patriarchalkreuz der rumänischen orthodoxen Kirche für Geistliche (1972), Bonifatius-Medaille der Deutschen Bischofskonferenz (1975)
Verheiratet: 1961 (Mannheim) Erentrud, geb. Sprenzel (geb. 1934), Studienrätin
Eltern: Vater: Alfons Maria (1901-1980), Volksschullehrer, Schulrat in Würzburg
Mutter: Katharina, geb. Meissner (1904-2000), Sängerin, keine Berufsausübung
Geschwister: keine
Kinder: 4
GND-ID: GND/119177765

Biografie: Angela Berlis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 187-190

Kraft wuchs als einziges Kind einer römisch-katholischen Lehrerfamilie in Würzburg auf. Beide Großeltern führten ihren Enkel früh ins kirchliche Leben ein. Ab Ostern 1934 besuchte er die Volksschule, von 1938 bis zur Einberufung zum Militär am 1. Oktober 1944 das humanistische Gymnasium.
In der Dompfarrei fand er gleichgesinnte Jugendliche unter der Führung von Kaplan Fritz Bauer und der Gruppenleiter Oskar Neisinger und Ludwig Altenhöfer. Anlass zum öffentlichen Widerstand der „Aktion Grün“ gab die Auflösung der Benediktinerabtei Münsterschwarzach durch die NSDAP am 9. Mai 1941. Am 1. Oktober 1944 erfolgte die Einberufung Krafts zur Wehrmacht, er wurde aber im Dezember bereits wieder als noch nicht wehrtauglich nach Hause geschickt. So erlebte er den schrecklichen Luftangriff auf die Stadt Würzburg vom 16. März 1945 und half nach dem Waffenstillstand bei der Beseitigung der Trümmer, beginnend im Dom.
Nach einem Vorsemester (Wintersemester 1945/46) studierte Kraft von SS 1946 bis SS 1951 an der Universität Würzburg Philosophie und Theologie und trat 1946 ins Priesterseminar ein. Er schloss sich dem Quickborn an, dessen Mittelpunkt seit 1919 Burg Rothenfels ist, geprägt von Romano Guardini und Heinrich Kahlefeld. Die geistlichen Erfahrungen auf Burg Rothenfels haben Krafts Leben bestimmt. Im Ruhestand kam er immer wieder dorthin. Am 30. Juli 1950 wurde Kraft zum Diakon, am 22. Juli 1951 vom damaligen Würzburger Diözesanbischof Julius Döpfner zum Priester geweiht. Von August 1951 bis Schuljahresende 1954 war er Kaplan an St. Johannes in Kitzingen und nebenamtlicher Religionslehrer an den drei weiterführenden Schulen. Es folgte die Versetzung an die Pfarrei St. Michael in Aschaffenburg und als Religionslehrer an die Berufs- und Handelsschule. Nach Ablegung des Pfarrkonkurses im Oktober 1955 wurde er hauptamtlicher Religionslehrer. Der Frankengau des Quickborn wählte ihn zum Gaukaplan, als Religionslehrer konnte er in den „heiligen Zeiten“ wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten auf die Burg kommen. Seit 1952 pflegte Kraft Kontakte zur Evangelischen Michaelsbruderschaft (gegründet 1931), 1969 trat er ihr bei. Dankbar sprach er immer über Wilhelm Stählin, den Mitbegründer der Bruderschaft, und Julius Döpfner, seinen Regens im Priesterseminar; ihnen beiden verdanke er seine homiletische Ausbildung.
Zum 1. August 1961 wechselte Kraft gemeinsam mit der Lehrerin Erentrud Sprenzel in das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland. Sie hatten sich auf Burg Rothenfels kennengelernt und heirateten im Juli 1961 in Mannheim.
Bereits 1962 konnte in der altkatholischen Erlöserkirche in Mannheim-Gartenstadt, wo Kraft zunächst als Vikar und nach dem Kolloquium vor dem Dozentenkollegium ab 1. November 1962 als Pfarrvikar wirkte, ein zum Volk gewandter Altar konsekriert werden. Am 3. Februar 1963 wurde Kraft von der Gemeinde an der Christi Auferstehungs-Kirche in Karlsruhe zum Pfarrer gewählt. Auch hier begann er, die Gemeinde stärker in die Liturgie einzubeziehen und in kleinen Schritten Ökumene zu leben.
Am 1. Juli 1976 wurde Kraft Dekan für Nordbaden/Württemberg (einschließlich Rheinland-Pfalz ohne Mainz, Koblenz, Trier) und blieb dies bis zur Übernahme des Bischofsamtes. Während seiner Zeit in Mannheim schrieb er sich in der Heidelberger Theologischen Fakultät ein, 1962 besuchte er erstmals einen theologischen Sommerkurs in Canterbury. Am Bischöflichen Seminar in Bonn übernahm er 1972 bis 1982 die Dozentur für Pastoraltheologie, 1979 bis 1991 die für Liturgiewissenschaft. Kraft war Mitglied der Internationalen Liturgischen Kommission und Vorsitzender der Liturgischen Kommission des deutschen altkatholischen Bistums.
Nach zwei Semestern an der Christkatholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bern wurde Kraft am 7. Mai 1976 zum Dr. theol. (Liturgiewissenschaft, Hymnologie bei Herwig Aldenhoven) promoviert. Seine Dissertation hatte „Die Entwicklung des deutschen altkatholischen Kirchengesangs in den vorangegangenen hundert Jahren“ zum Thema. Dabei befasste er sich besonders mit Adolf Thürlings (1844-1915), Prof. an der Universität Bern, der das erste Missale in deutscher Sprache herausgegeben hatte.
Kraft war Mitglied der Societas Liturgica und der Internationalen Arbeitsgemeinschaft für Hymnologie. 1969 wurde er in die Arbeitsgemeinschaft für ökumenisches Liedgut berufen, ebenso in die Einheitsgesangbuch-Kommission, Subkommission für „Neue Lieder“. Nach Herausgabe des „Gotteslob“ zeichnete Kardinal Döpfner ihn und die anderen Mitglieder der Vorbereitungskommission 1975 mit der Bonifatius-Medaille der Deutschen Bischofskonferenz aus. Kraft dichtete bzw. übertrug verschiedene Lieder, die Eingang fanden in altkatholische, römisch-katholische und evangelische Gesangbücher; die bekanntesten sind „Alle Menschen höret“ und „Der Herr ist mein getreuer Hirt“. Daneben dichtete und komponierte er auch weltliche Gelegenheitslieder, wie „Ein Mann fuhr ins Chinesenland“ (erschienen in: „Der Eisbrecher“ und in der „Mundorgel“).
Im März 1971 beauftragte ihn Bischof Josef Brinkhues, bei der Gründung eines Christenrats, dem Vorläufer der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK, gegründet am 7. Juli 1973) in Nordbaden und Württemberg die Interessen des altkatholischen Bistums zu vertreten, was er mit Hingabe tat. Auch in der Ökumene vor Ort engagierte er sich und wurde der erste, am 4. Dezember 1979 gewählte Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Karlsruhe. Im gleichen Jahr benannte der Stadtrat von Karlsruhe den Platz an der Hildapromenade – Standort der altkatholischen Auferstehungs-Kirche und des Pfarrhauses – „Ökumeneplatz“.
Ebenfalls wirkte Kraft mit in der Arbeitsgruppe für eine (nicht verabschiedete) Pastoralvereinbarung zwischen der Römisch-Katholischen Deutschen Bischofskonferenz und dem Katholischen Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland („Zürcher Nota“, 1972) und in der Kommission für die 1985 abgeschlossene Vereinbarung mit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Für ihn ließen sich Eucharistie und Einheit der Christen nicht trennen. „Eingeladen sind alle, die an die reale Präsenz Christi in seinem Wort und seinem Mahl glauben.“
Am 27. Mai 1985 wählte eine außerordentliche Bistumssynode in Offenburg Kraft zum Bischof, am 6. Oktober 1985 wurde er in der evangelischen Christuskirche in Karlsruhe durch Antonius Jan Glazemaker, den Erzbischof von Utrecht, zum Bischof geweiht. Sein Wahlspruch lautete „Christus Spes“ – Christus, unsere Hoffnung (1. Tim 1,1). Bis zum 21. Juni 1986 stand er seinem Vorgänger Bischof Josef Brinkhues als Coadjutor zu Seite, dann übernahm er als achter Bischof die Leitung des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland. Seine wichtigste Aufgabe sah er darin, Kontakt zu allen Gemeinden im Bistum, nicht zuletzt in der damaligen DDR, zu haben und Bindeglied der Ecclesia Catholica zu sein, der einen Kirche Christi, zunächst in der Utrechter Union und mit der Anglikanischen Kirche weltweit, dann aber auch mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften in der Ökumene. So wurde er Beauftragter der Internationalen Bischofskonferenz der Utrechter Union für die Internationale Altkatholische Liturgische Kommission, Kontaktbischof zur Anglikanischen Kirchengemeinschaft und Co-Chairman der Internationalen Anglikanisch/Alt-Katholischen Theologenkonferenz. Wiederholt nahm Kraft an anglikanischen Bischofsweihen in Großbritannien teil. Der Orthodoxie begegnete er in seiner Karlsruher Kirche, in der seit ihrem Wiederaufbau 1952 die autokephale orthodoxe Gemeinde der Ukraine Heimatrecht besitzt. Ende April 1972 besuchte er mit einer altkatholischen Delegation unter Leitung von Bischof Brinkhues den Patriarchen Justinian in Rumänien, 1991 als Bischof den neu gewählten Patriarchen Bartholomäus I. von Istanbul. Bei seinen vielen ökumenischen Kontakten wies er immer wieder hin auf die Bedeutung der altkatholischen Kirche als der „Piccolo-Flöte“ im Orchester der Ökumene.
1988 weihte Kraft in Essen die erste Diakonin. In seine Amtszeit als Bischof fiel die Entscheidung, Frauen ins Priesteramt einzubeziehen. Das geschah schrittweise auf mehreren altkatholischen Synoden ab 1989. Es kam zu einer Zerreißprobe, doch zu keinem Bruch innerhalb der Utrechter Union.
In Krafts Amtszeit fiel auch die innerdeutsche Grenzöffnung. Von März 1986 bis Oktober 1989 hatte er mehrfach die Gemeinden in der DDR besucht. Im Oktober 1986 musste er beim dafür zuständigen Staatssekretär für Kirchenfragen in Ostberlin, Klaus Gysi, um die Erlaubnis bitten, das neu erschienene Gesangbuch des Bistums in den Gemeinden der DDR einführen zu dürfen. Gysi hatte am Psalmvers 18,30 Anstoß genommen, wo es heißt. „Mit meinem Gott überspringe ich Mauern!“
Kraft war ein gefragter Prediger, Redner und Publizist. Er besuchte nach Möglichkeit alle Katholiken- und Kirchentage, die altkatholischen Theologenkonferenzen und die Alt-Katholikenkongresse der Utrechter Union. In seine Amtszeit als Bischof fielen die Herausgabe des Gesangbuches „Lobt Gott ihr Christen“ (Bonn 1986) und des Altarbuches „Die Feier der Eucharistie im Katholischen Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland“ 11995. Es folgten (unter ihm als kommissarischem Vorsitzendem der Liturgischen Kommission, 1999-2004) Ritualia für Taufe, Firmung und Trauung und für die kirchliche Bestattung. Nach dem Ausscheiden aus dem Lehramt 1989 half Erentrud Kraft ihrem Mann auf vielerlei Art. Kraft war der erste altkatholische Bischof, der sich nicht nur auf die Arbeitskraft seiner Frau stützen, sondern mit ihr als Theologenpaar auftreten und die theologisch geschulte, schriftstellerische Eloquenz seiner Ehefrau nutzen konnte.
Als Alterswohnsitz wählte das Ehepaar Kirrlach-Waghäusel. Auch im Ruhestand, der am 25. März 1995 begann, war Kraft unermüdlich: kaum ein Sonntag ohne Eucharistie mit einer Gemeinde, die sonst allein gewesen wäre. Er war oft auf Tagungen in Burg Rothenfels, 1998 übernahm er dort mit seiner Frau die Liturgietagung „Lobpreis von Generation zu Generation – Liturgische Sprache heute“, sein „Grundkurs Liturgie“ erschien in erweiterter Form. Kraft wandte sich der Entwicklung der Liturgie im evangelischen Bereich zu, Martin Bucer und Philipp Melanchthon. Seine letzte Amtshandlung war die Taufe des vierten Enkelkindes im Juli 2005. Kraft starb im Alter von 78 Jahren; sein Grab befindet sich auf dem Würzburger Hauptfriedhof.
Quellen: Personalakte S. Kraft im altkath. BistumsA Bonn; Nachlass im Familienbesitz.
Werke: Verz. bis 1994 in: Angela Berlis/Klaus-Dieter Gerth (Hgg.), Christus spes (vgl. L), XIII-XXVI, dann bis 2005 in: Internationale Kirchliche Zs. 97, 2007. – (Auswahl) Der dt. Gemeindegesang in d. altkath. Kirche, (Diss. theol. Bern) 1976; Adolf Thürlings – ein Wegbereiter d. Liturgiewissenschaft u. d. Erneuerung des Gemeindegottesdienstes, in: Internationale Kirchliche Zs. 75, 1985, 193-236; Die Erneuerung d. Liturgie in den altkath. u. anglikanischen Kirchen, in: Karl Schlemmer (Hg.), Gemeinsame Liturgie in getrennten Kirchen, 1991, 11-28; (zus. mit Erentrud Kraft), Grundkurs Liturgie, 1998; (zus. mit Erentrud Kraft), Lobpreis von Generation zu Generation. Liturgische Sprache heute, Rothenfelser Schriften 9, 1999.
Nachweis: Bildnachweise: FS, 1994, u. in: Christen heute 50, 2006, 25 (vgl. Lit.).

Literatur: Angela Berlis/Klaus-Dieter Gerth (Hgg.), Christus spes. Liturgie u. Glaube im ökumenischen Kontext. FS für Bischof Dr. S. Kraft, 1994 (Kurzbiographie: XI-XII); Nachruf von J. Vobbe in: Christen heute 50, 2006, 29-31; ebd., Würdigungen aus d. Ökumene, 52 f.; Christ in d. Gegenwart 58, 2006, 32; Internationale Kirchliche Zs. 96, 2006, 54 f.; J. Vobbe, Nachruf, in: Amtl. Kirchblatt des Kath. Bistums d. Alt-Katholiken in Deutschland N.F. 21, 1/2006, 1.
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