Brückner, Wilhelm Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 11.12.1884;  Baden-Baden
Sterbedatum/-ort: 20.08.1954; Nußdorf, Gemeindeteil Herbsdorf, Kreis Traunstein
Beruf/Funktion:
  • „Chefadjutant des Führers“
Kurzbiografie: ca. 1905 Abitur am Realgymnasium Baden-Baden
1905-1906 Einjährig-Freiwilliger im Königlich Sächsischen 6. Infanterieregiment Nr. 105 in Straßburg
1906-1914 Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft in Straßburg, Freiburg i. Br., Heidelberg und München
1914-1918 Kriegsdienst; Leutnant im 15. Bayerischen Landwehrinfanterieregiment, Jägerbataillon Nr. 3, 3. Bayerisches Infanterieregiment; 1914-1916 Westfront, 1918 Oberleutnant und Kompanieführer, dreimal verwundet, Eisernes Kreuz II. Klasse und andere Auszeichnungen
1919 Freikorps Epp in München, Wiederaufnahme des Studiums, gleichzeitig Aufnahmetechniker in einem Filmstudio
1922 Erster Eintritt in die NSDAP, 01.09.1930 zweiter, Mitgl.-Nr. 298623, Ende 1922 SA-Kompanieführer, 1923 Bataillons- und Regimentsführer
1923 (09.11.) Teilnahme am Hitler-Putsch in München
1924 (01.04.) Verurteilung wegen Hochverrats zu anderthalb Jahren Haft und 100 Mark Geldstrafe
1925-1928 Dritter Generalsekretär des Vereins für das Deutschtum im Ausland in München
1928-1930 Handelsvertreter für Tennisschläger
1930 Adjutant Hitlers, 1932 SA-Oberführer, 1933 Gruppenführer, 1934 Obergruppenführer, 1936 MdR
1940 Entlassung als „Chefadjutant“
1941 Oberstleutnant in der Wehrmacht, Kreiskommandant in Macon und Dijon (Frankreich)
1945 (04.05.) Amerikanische Gefangenschaft bis 23.09.1948 im Internierungslager Garmisch-Partenkirchen
1948 (14.09.) Spruch der Lagerspruchkammer Garmisch-Partenkirchen: Hauptschuldiger; (08.09.1949) Spruch der Berufungskammer München: Belasteter
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: Brückner schloß vermutlich 1931 die Ehe, die später geschieden wurde. Näheres ließ sich nicht ermitteln
Eltern: Friedrich Wilhelm Brückner, Mitglied des Städtischen Kurorchesters
Friederike Henriette, geb. von Niebecker
Geschwister: keine
Kinder: 1 Sohn
GND-ID: GND/124531237

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 72-75

Über die Jugend Brückners ist nicht viel bekannt. Nach dem Abitur an dem Realgymnasium Baden-Baden leistete er den üblichen Einjährig-Freiwilligendienst und begann dann ein von den offensichtlich großzügigen Eltern finanziertes fast achtjähriges Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an den Universitäten Straßburg, Freiburg i. Br., Heidelberg und München, das er nie abschloß. Als es im Jahre 1924 um die Ratenzahlung der ihm auferlegten Geldstrafe nach dem Novemberputsch in München ging, bezeichnete er sich, mittlerweile vierzigjährig, noch immer als „Student“. Aber in München, der späteren „Hauptstadt der Bewegung“, gefiel es ihm wohl bei seinen Studien am besten, und er verlegte nicht nur seinen ständigen Wohnsitz von Baden-Baden nach Bayern, sondern diente auch während des Ersten Weltkriegs in bayerischen Regimentern und kehrte nach dem Krieg nach München zurück. Als Offizier des Freikorps Epp war er an der Niederschlagung der Räterepublik in München beteiligt. Danach soll er sein Studium wiederaufgenommen haben, betätigte sich aber hauptamtlich als Aufnahmetechniker in einem Filmstudio, ehe er im Jahre 1922 in die SA eintrat, wo er schnell Karriere machte. Schon zu Beginn des Jahres 1923 hatte er Hitler gewarnt, daß er seine SA-Truppe nicht mehr lange beieinanderhalten könne: „Wenn jetzt nichts geschieht, wetzen die Leute weg!“ Er bedrängte Hitler, endlich den Marsch auf Berlin anzusetzen, dessen Ziel die Beseitigung der obersten Reichs- und Landesbehörden sein sollte. Aber erst Anfang November kam es zum Putsch, bei dem Brückner wichtige Funktionen als Führer des SA-Regiments München übernehmen sollte. Er stellte mit seiner Truppe am Vorabend des 9.11.1923 in der Krypta eines Münchener Klosters und in einem studentischen Verbindungshaus 3000 Infanteriegewehre sicher, die Ernst Röhm dort für den Fall eines „bolschewistischen Angriffs“ versteckt hatte, und erwarb sich weitere Verdienste bei der Vorbereitung des Putschs dadurch, daß er in der Nacht zum 9. eine Blechkapelle auftrieb, die die übermüdeten SA-Leute im Bürgerbräukeller – die während des Wirrwarrs in der Nacht zum 9. dort Posten bezogen hatten – aufmuntern sollte. Die nervöse Spannung am Morgen des 9.11., die stellenweise Siedehitzegrade erreichte, hielt Brückner jedoch nicht davon ab – hier wird einer seiner wesentlichen Charakterzüge sichtbar –, sich zunächst mit seinen Genossen Julius Streicher und Hans Frank zu einer ausgiebigen Brotzeit am Gärtnerplatz zu treffen, bevor sich endlich gegen 12 Uhr der bis an die Zähne bewaffnete Marschzug auf Befehl Ludendorffs und Hitlers in Bewegung setzte. Brückner, dessen SA-Regiment an der Spitze des Demonstrationszugs postiert wurde, marschierte mit Ludendorff, Hitler, Streicher, Göring und anderen in der ersten Reihe. Als gegen 12.45 Uhr die Salven der bayrischen Landespolizei an der Feldherrnhalle krachten, blieb Brückner unverletzt und schleppte den schwerverwundeten Göring in ein Geschäft in der benachbarten Residenzstraße.
In der Folge teilte Brückner mit Hitler und den anderen Verschwörern die Festungshaft in Landsberg bis zum Beginn des Prozesses vor dem Bayerischen Volksgerichtshof. Am 1.4.1924 wurde er wegen Beihilfe zum Hochverrat zu einem Jahr und drei Monaten Festungshaft sowie einer Geldstrafe von 100 Mark verurteilt. Die Haftanordnung wurde jedoch mit der Verkündung des Urteils aufgehoben, und Brückner wurde Bewährungsfrist zugebilligt. Das hielt ihn nicht davon ab, zweimal laut „Nun erst recht!“ zu rufen, als die Richter den Sitzungssaal verließen.
Brückner war nun 41 Jahre alt und unternahm halbherzige Versuche, sich in einem bürgerlichen Beruf zu etablieren. Die Position als dritter Generalsekretär des VDA verlor er jedoch nach drei Jahren, nach seinen Angaben auf Grund von „Intrigen“, und fristete als Handelsvertreter für Tennisschläger ein nicht sehr lukratives Dasein. Da trat jene Wende ein, die ihn in das helle Rampenlicht der Zeitgeschichte stellte und ihn an die Ufer der „Côte d’or“ spülte (aus dem Spruchkammerspruch 1949): er wurde „Chefadjutant des Führers“, zu dem natürlich die Verbindung seit 1923 nie abgebrochen war. Zwischen 1930 und 1940 war Brückner einer der meistphotographierten Männer des „Dritten Reiches“; wo immer Hitler auftrat, dahinter stand die massige Zweimetergestalt Brückners, der dem „Führer“ in allen organisatorischen und persönlichen Angelegenheiten den Rücken freihielt. Seine Aufgabe war, wie er vor der Spruchkammer aussagte, die Regelung der Reisevorbereitungen, die Festlegung der Programme, die Weiterleitung der Hitler-Post an die Reichs- und Parteidienststellen und die Aufsicht über den Autopark, den Sonderzug und das Flugzeug Hitlers. Hier engagierte er sich total, was zu seiner Lebensmaxime Laissez faire, laissez passer in auffallendem Gegensatz stand. Als Albert Speer über den Kopf Brückners hinweg ein Besichtigungsprogramm für Hitler festlegte, fauchte ihn Brückner am Telephon an: „Sie soll der Teufel holen mit Ihrem Plan! Können Sie denn nicht warten? Der Führer hat die letzte Nacht kein Auge zugetan, so hat er sich aufgeregt. Das nächste Mal fragen Sie gefälligst vorher mich!“ Einem Journalisten, der sich nach einer Brandrede Hitlers – während deren dieser mehrere Pfund Gewicht verlor – zu dem „Führer“ vordrängen wollte, der völlig erschöpft und mit glasigen Augen vor sich hinstierte, versperrte Brückner den Weg: „Lassen Sie ihn doch in Ruhe, der Mann ist fertig!“ Brückner war überall dabei, wo sein „Führer“ gerade weilte: in der Reichskanzlei, im „Braunen Haus“ in München, auf dem Obersalzberg, in Nürnberg selbstverständlich bei den Parteitagen, in der Loge in Bayreuth, und natürlich war er, mit einigen wenigen Auserwählten, auch dabei, als Hitler in der Nacht zum 30.6.1934 vom Flughafen Hangelar bei Bonn aus zu der blutigen Strafaktion dieses Tages – erst in München, dann in Bad Wiessee – startete. Brückner hatte sich auf seine Weise an der Vorbereitung dieser Morde beteiligt, indem er Hitler „Speisekarten von Gastgelagen der ausschweifenden Kumpanei“ vorlegte, und die Umgebung des „Führers“ hatte dafür gesorgt, daß ihm Details aus dem Intimleben Röhms berichtet wurden.
Auch an der Pflege des „Führerkults“ nahm Brückner teil, indem er in einer Serie „Adolf Hitler“ in einem „Cigaretten-Bilderdienst“ (sie waren seinerzeit weit verbreitet) eine Folge „Der Führer in seinem Privatleben“ publizierte – ausgerechnet auf Zigarettenbildchen; der „Führer“ war ja ein penibler Nichtraucher. Auch hier wußte Brückner das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden: mit dem Ertrag aus dieser Serie besserte er sein nicht gerade üppiges, aber auch nicht karges Gehalt – bis 1933 700 Mark, danach 1400 – auf, so daß er gelegentlich einen „Schaufler in der Schorfheide“ schießen konnte, leider lange Zeit nur einen einzigen, wie er seinem SS-Freund Kurt Daluege mitteilte; der aufreibende Alltag in der unmittelbaren Umgebung des „Führers“ ließ ein öfteres Jagdvergnügen nicht zu.
Brückner war, wie Robert Wistrich (Literatur) berichtet, „wegen seiner Unkompliziertheit und Leutseligkeit bei den Bittstellern und Alltagsbesuchern der Reichskanzlei recht beliebt“, und in der Spruchkammerverhandlung kam zur Sprache, daß er sich „anständig verhalten“ habe und sich gelegentlich auch für KZ-Häftlinge und politisch Verfolgte eingesetzt habe. Ab und zu konnte er aber auch, wie Eva Braun ihrem Tagebuch anvertraute, „recht grob“ sein. So viel läßt sich über Brückner sicher sagen, daß er kein Fanatiker wie sein Landsmann und Putschfreund von 1923, Robert Wagner, oder ein Verbrecher wie Heydrich oder Himmler war.
Der letztere hatte, mit zunehmendem Argwohn, zusammen mit Bormann, die Aktivitäten Brückners in der unmittelbaren Umgebung Hitlers beobachtet. Beide gingen darauf aus, den in der NSDAP sehr angesehenen Chefadjutanten von seinem einflußreichen Platz zu verdrängen und ihn mit einem Mann ihres Vertrauens zu besetzen. Über die Gründe der überraschenden Entlassung Brückners im Herbst 1940 gibt es mehrere Versionen. Brückner selbst war der Meinung, er sei wegen seines Eintretens für einen zu hart gemaßregelten Offizier entlassen worden – es gab darüber eine Meinungsverschiedenheit mit Hitler –; Himmler und Bormann hätten seine Absetzung im Hintergrund betrieben. Version 2: Es habe Unstimmigkeiten mit Eva Braun wegen der Haushaltsführung auf dem Berghof gegeben. Dritte Version: die Entlassung sei auf eine Auseinandersetzung Brückners mit Hitlers Hausintendanten Kannenberg zurückzuführen. Die „Geheimsekretärin“ Hitlers (Literatur) weiß schließlich, daß der „Führer“ die Manie gehabt habe, Ehen zu stiften, und als Brückner nicht die ihm von Hitler zugedachte junge Dame, sondern die Tochter einer Frau ehelichte, deretwegen die erste Ehe von Frau Goebbels geschieden worden sei, sei Brückner in Ungnade gefallen. Diese Eigenmächtigkeit habe Hitler seinem „Chefadjutanten“ nie verziehen. Wie auch immer, die Entlassung wirbelte innerhalb der geschlossenen Zirkel der Partei allerhand Staub auf, der sich nur langsam setzte.
Brückner versuchte, aus der nun einmal entstandenen Situation das Beste zu machen, indem er sich reaktivieren ließ und auch eine ihm genehme Sinekure fand: als Kreiskommandant im besetzten Frankreich war er den Dauerstreß seiner bisherigen Adjutantentätigkeit los, und überdies wurden an diesem Platz keine Heldentaten gefordert.
Die Lagerspruchkammer in Garmisch-Partenkirchen, vor der er sich am 14.9.1948 zu verantworten hatte, hatte schon aus rein formalen Gründen keine andere Wahl, als den Leiter der Adjutantur Hitlers, den Uralt-Pg., den SA-Obergruppenführer, das Mitglied des Reichstags, den Blutordensträger und Inhaber des Goldenen Parteiabzeichens in die Gruppe der Hauptschuldigen einzureihen. Dafür sprach aber auch der durch seine hohen Ämter im NS-Staat gegebene Grad der individuellen Verantwortlichkeit. Der strenge Spruch, der u. a. die dauernde Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter, den Verlust des Wahlrechts, des Rechts der Ausübung bestimmter Berufe, des Rechts der politischen Betätigung und des Rechts zur Haltung eines Kraftwagens vorsah – neben einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe, die durch die politische Haft von 1945-1948 als abgegolten galt –, außerdem einschneidende Vermögens-, Wohn- und Aufenthaltsbeschränkungen, wurde durch den Spruch der Berufungskammer vom 8.9.1949 nur geringfügig gemildert. Brückner schilderte sich selbst während des Prozesses als „Phlegmatiker“, der „keinen Wind gemacht habe“, und die Kammer beschloß, seine „geistige Trägheit, seine Unentschlossenheit und seine politische Stumpfheit als Produkt dieser Indolenz“ bei der Festlegung des Sühnemaßes als mildernde Umstände in Betracht zu ziehen. Brückner wurde in der Berufung als „Belasteter“ eingestuft. Im übrigen tat sich die Kammer schwer, ihm neben der Belastung durch seine hohen Parteiämter konkrete Verfehlungen nachzuweisen. Der Göring-Protégé Rudolf Diels, Erfinder der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und deren erster Chef, sagte als Zeuge der Anklage aus, Hitler habe im Herbst 1933 die Erschießung von 1000 Kommunisten als Geiseln befohlen, und Brückner habe ihm, Diels, diesen Befehl übermittelt und ihm gleichzeitig mitgeteilt, daß Diels beauftragt sei, diesen Befehl auszuführen. Diels habe aber nach Rücksprache mit Göring und Hitler die Rücknahme des Befehls erreicht. Die Kammer glaubte, daß Brückner genauso wie Diels die Möglichkeit gehabt hätte, diesen verbrecherischen Befehl zu inhibieren, und legte ihm die Weitergabe an Diels zur Last.
Die wenigen Jahre, die Brückner nach der Haftentlassung noch verblieben, verbrachte er in völliger Zurückgezogenheit in einem Dorf am Chiemsee.
Quellen: Personal-Akten BDC; BA Koblenz, NS 10; Entnazifizierungs-Akten im Amtsgericht München
Nachweis: Bildnachweise: in: Espe, Das Buch der N.S.D.A.P. (Literatur), 184; Fest, Hitler (Literatur) (Brückner mit Pernet, Röhm und Wagner beim Hitlerprozeß 1923), 177

Literatur: (Auswahl) Walter M. Espe, Das Buch der N.S.D.A.P., Werden, Kampf und Ziel der N.S.D.A.P., 1934; Albert Zoller, Hitler privat, Erlebnisbericht seiner Geheimsekretärin, 1949; Hugh H. Trevor-Roper, Hitlers letzte Tage, 1965; Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, 1967/94; Albert Speer, Erinnerungen, 1969; Joachim C. Fest, Hitler, 4. Aufl. 1973; Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, 1977; Joachim C. Fest, Das Gesicht des Dritten Reiches, 6. Aufl. 1977; John Dornberg, Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle, München, 8. und 9. November 1923, 1983; Robert Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich, 1983; Ralf Georg Reuth, Goebbels, 1990; Otto Gritschneder, Bewährungsfrist für den Terroristen Adolf Hitler, der Hitler-Putsch und die bayrische Justiz, 1990; Werner Maser, Adolf Hitler, Legende, Mythos, Wirklichkeit, 13. Aufl. 1993
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