Württemberg, Charlotte, Großfürstin 

Andere Namensformen:
  • geb. von Württemberg; Helena Pawlowna
Geburtsdatum/-ort: 09.01.1807;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 09.01.1873; St. Petersburg (Russland); begr. in der Kathedrale St. Peter und Paul in St. Petersburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch, russisch-orthodox
Verheiratet: 8./20.2.1824 Großfürst Michael von Russland
Eltern: Vater: Prinz Paul Friedrich Karl August von Württemberg (19.1.1785-16.4.1852)
Mutter: Charlotte Catherine, geb. Herzogin von Sachsen-Altenburg-Hildburghausen (17.6.1787-12.12.1847)
Geschwister: Friedrich (21.2.1808-9.5.1870)
Karl (7.3.1809-28.5.1810)
Pauline Friederike Marie (25.2.1810-7.7.1856)
Friedrich August Eberhard (24.1.1813-12.1.1885)
Pauline Chimenez (1818-1905)
Karoline Voß
Kinder: 5; 5 Töchter
GND-ID: GND/11901663X

Biografie: Hans-Martin Maurer (Autor)
Aus: Lexikon Haus Württemberg, S. 326-327.

Nach der Übersiedlung der Familie von Stuttgart nach Paris im Jahre 1815 kam Charlotte in das Pensionat der Madame Campan, der früheren Erzieherin der Kinder König Ludwigs XVI., wo indessen materiell bescheidene Verhältnisse herrschten. Über eine Freundin lernte Charlotte den bekannten Naturforscher George de Cuvier kennen. 1820 kehrte sie mit ihrer Schwester nach Stuttgart zurück. 1823 betrieb die Zarinmutter Maria, eine geborene Prinzessin von Württemberg, die Heirat Charlottes mit ihrem jüngsten Sohn, dem Großfürsten Michael, und gewann die Unterstützung des Zaren, des preußischen und des württembergischen Königs dafür. Michael selbst, rein militärisch erzogen, steif und ohne weitere Interessen, lehnte diese Eheschließung jedoch ab und zeigte offen seinen Unwillen. Im September reiste die Sechzehnjährige über Berlin, wo eine Begegnung mit dem Prinzen Wilhelm von Preußen, dem späteren Kaiser, Grund zu einem bleibenden Freundschaftsverhältnis legte, nach St. Petersburg. Am 5. Dezember wurde sie, nach dem Übertritt zur orthodoxen Kirche, auf den Namen Helena Pawlowna neu getauft, am Tag darauf war Verlobung, am 8./20. Februar 1824 Hochzeit. Zwischen 1825 und 1834 gebar Helene fünf Töchter, von denen drei das Kindesalter überlebten. Das Großfürstenpaar ließ sich von dem Architekten Karl Rossi das prächtige „Palais Michel“ in St. Petersburg erbauen, ein Bau, der selbst den Palast des Kaisers Nikolaus an Prunk übertraf. Die Zarinmutter Maria übertrug für den Fall ihres Todes (1828) die Leitung eines Teils ihrer Wohltätigkeitseinrichtungen an Helene, die sich in der Folgezeit dieser neuen Aufgabe mit großem Engagement widmete.
Helene, intelligent, belesen, geistig interessiert und gleichzeitig liebenwürdig, vermochte sich nach schwierigen Anfängen bei den führenden Kreisen in St. Petersburg Ansehen und Achtung zu verschaffen. Zar Nikolaus I., ihr Schwager, nannte sie einmal „le savant de notre famille“. Grundlage ihres sozialpolitischen und kulturellen Wirkens wurden die Abendgesellschaften, die sie ab 1847 regelmäßig zu sich lud. Neben arrivierten Politikern, Diplomaten, Wissenschaftlern und Künstlern zog sie auch junge, nicht hoffähige Leute hinzu, darunter Vertreter reformerischer Bestrebungen. Ihr unzeremonieller Umgang mit den Gästen und die von ihr geschaffene zwanglose Atmosphäre, die offene Gespräche auch über politisch umstrittene Fragen zuließ, machten ihren Salon zu einer einmaligen Erscheinung im damaligen Rußland. Im Krimkrieg ließ Helene junge Frauen in der Krankenpflege ausbilden, gründete 1854 rasch entschlossen einen Schwesternverband und entsandte gegen erhebliche Widerstände deren Mitglieder auf den Kriegsschauplatz – der erste organisierte Einsatz weiblichen Pflegepersonals in einem Krieg überhaupt. Kulturell interessiert unterstützte die Großfürstin auch russische Autoren, die durch die Zensur behindert waren. Sie beschäftigte Musiker und Sänger und gab Konzerte, an denen auch bekannte ausländische Künstler mitwirkten. Der Pianist und Komponist Anton Rubinstein, ab 1852 in ihrem Dienst, gründete 1862 im Palais Michel die „Russische Musikalische Gesellschaft“, eine Ausbildungseinrichtung, aus der später ebenfalls mit Unterstützung der Großfürstin das erste Konservatorium Rußlands hervorging. Berühmtester Schüler und von 1866 an auch Lehrer war Peter Tschaikowski. Die politisch folgenreichste Initiative Helenes war ihr Einsatz für die Befreiung der leibeigenen russischen Bauern. Auf ihre Einladung hin trafen sich im Juli 1857 im württembergischen Wildbad russische Reformer mit dem deutschen Agrarexperten und Rußlandkenner August von Haxthausen zu Gesprächen, aus denen umfangreiche Stellungnahmen hervorgingen. Im Mai 1859 befreite Helene, um ein Vorbild zu geben, die Bauern ihres eigenen ukrainischen Gutes Karlovka, dem zwölf Dörfer und Gutshöfe mit 15.000 Bewohnern angehörten. Im März 1861 schließlich konnte das Manifest über die allgemeine Bauernbefreiung in Rußland, um dessen Zustandekommen die Großfürstin jahrelang gerungen hatte, verkündet werden.
Helene hielt auch von St. Petersburg aus stets Kontakt zu deutschen Fürsten und Diplomaten. Insbesondere mit dem preußischen König Wilhelm, seit 1871 deutscher Kaiser, und mit Bismarck, dem ehemaligen Besucher ihres Salons, verband sie ein freundschaftliches Verhältnis.
Quellen: HStA Stuttgart, Bestände G 268, 275, 296, 298, 301, 305.
Archiv Baron Manteuffel/Baron Hahn in Wartaweil, Briefe und Berichte von Editha Baronesse Rahden.
Universitätsbibliothek Münster, Nachlaß von August Freiherr von Haxthausen.
Nachweis: Das Haus Württemberg: ein biographisches Lexikon / hrsg. von Sönke Lorenz ... In Zusammenarbeit mit Christoph Eberlein ... und dem Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Stuttgart; Berlin; Köln 1997; Bildnachweise: Landesmuseum Württemberg

Literatur: Martha Lindemann, Die Heiraten der Romanows und der deutschen Fürstenhäuser, Berlin 1935.
Martina Stoyanoff-Odoy, Die Großfürstin Helene von Rußland und August Freiherr von Haxthausen. Zwei konservative Reformer im Zeitalter der russischen Bauernbefreiung, Wiesbaden 1991.
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