Aichele, Hermann Alfred Otto 

Geburtsdatum/-ort: 09.05.1881;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 18.11.1940;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Präsident der württ. Landeskreditanstalt
Kurzbiografie: Karls-Gymnasium Stuttgart
Studium der Staatswiss. in Tübingen, München und Leipzig
1899 Militärdienst (1. württ. Grenadier-Regiment Königin Olga Nr. 119)
1907 Eintritt in den württ. Staatsdienst
1907–1915 Amtmann bei verschiedenen württ. Oberämtern und der Stadtdirektion Stuttgart
1911 Promotion bei Prof. Dr. Carl Friedrich Sartorius (Tübingen)
1915 Kriegsdienst (Kgl.-württ. Landwehr-Infanterie-Regiment 119)
27.11.1915 Beförderung zum Leutnant
1915–1922 Leiter der städtischen Polizei in Stuttgart
1923 Vorstand des Amtsoberamts Stuttgart
1926 Oberregierungsrat im württ. Ministerium des Innern als Hauptberichterstatter des Wohnungswesens
18.3.1926 Vorsitzender des Vorstands der württ. Wohnungskreditanstalt
1.4.1929 hauptamtlicher Vorsitzender des Vorstands der württ. Landeskreditanstalt mit der Amtsbezeichnung Präsident
1935 Berufung in den ständigen Siedlungsbeirat beim Reichsarbeitsministerium
27.7.1939 Auszeichnung mit dem „silbernen Treudienst-Ehrenzeichen“ als Anerkennung für seine 25-jährigen Dienste
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 20.10.1908 Maria, geb. Grieb
Eltern: Vater: Konrad Wilhelm Aichele, Privatier
Mutter: Katharina, geb. Gengenbach
Kinder: Hermann (geboren 28.9.1912, gestorben X.11.1943)
Ruth (geboren 20.10.1915, gestorben 20.10.2013)
GND-ID: GND/101215436X

Biografie: Frederick Bacher (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 1-2

Nachdem Aichele in seinem Stuttgarter Elternhaus erzogen und unterrichtet worden war, absolvierte er am Stuttgarter Karls-Gymnasium sein Abitur. Wie die meisten württembergischen Verwaltungsbeamten wurde Aichele an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen als Staatswissenschaftler ausgebildet. In der schwäbischen Universitätsstadt war Aichele zudem in der freischlagenden Verbindung „Alte Turnerschaft Palatia“ aktiv. Nach dem Militärdienst promovierte Aichele im Jahre 1911 mit einer Arbeit über „Die Zigeunerfrage mit besonderer Berücksichtigung Württembergs“ bei dem prominenten Juristen Carl Friedrich Sartorius (DDP). In seiner Doktorarbeit hatte sich Aichele unter anderem für die Errichtung einer Stuttgarter Zigeunerzentrale ausgesprochen, um das sogenannte ‚Zigeunerproblem‘ durch staatliches Verwaltungshandeln in den Griff zu bekommen. In seiner antiziganistischen Abhandlung plädierte er für Fürsorge, Zwangserziehung und Polizeiarbeit.
Bereits 1907 wurde Aichele in den württembergischen Staatsdienst (Innenverwaltung) übernommen. Als Amtmann war Aichele alsdann in diversen Oberämtern tätig. Im Ersten Weltkrieg war Aichele an Stellungskämpfen im Oberelsaß beteiligt, bis er schließlich im Jahre 1915 die städtische Polizei der Stadt Stuttgart leitete. Da sich Aichele als Verwaltungsbeamter bereits einen Namen gemacht hatte, wurde er von dem damaligen Innenminister Eugen Bolz (Zentrum) im Jahre 1926 zum Oberregierungsrat befördert und zum Hauptberichterstatter des Wohnungs- und Siedlungswesens in Württemberg ernannt. Zudem löste Aichele den bisherigen Vorsitzenden des Vorstands Alfred Neuschler in der 1924 errichteten württembergischen Wohnungskreditanstalt ab, deren Hauptaufgabe es war, den Kleinwohnungsbau durch die Hingabe von nachstelligen Darlehen anzukurbeln. Unter seiner Führung wurde die rechtsfähige gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts in eine Hypothekenbank ausgebaut. Mit Aichele erweiterte sich zudem der Aufgabenkreis der nunmehr unter dem Namen Württembergische Landeskreditanstalt agierenden staatlichen Institution kontinuierlich weiter.
Aichele war ein Vertreter der dezentralen Wohnungsbau- und Siedlungspolitik. So sprach sich Aichele nicht nur für die Entballung der Großstädte aus, sondern unterstrich zugleich die bevölkerungspolitische Bedeutung der Kleinstadt als Industriestandort. Sein immer wieder propagiertes Diktum lautete: „Weg von der Masse zur Persönlichkeit, weg vom Zug zur Großstadt aufs Land und weg vom Kollektiv zum Kleineigentum vieler ist ein Grundsatz unseres Wesens.“ In seiner Landeskreditanstalt erblickte er das geeignete Instrument, die Sesshaftmachung der finanzschwachen Bevölkerung durch Neubauten von bezahlbaren Eigenheimen auf dem flachen Land voranzutreiben.
Aichele konnte mit seiner bevölkerungspolitischen und sozialen Handschrift an ideologische Kernziele der nationalsozialistischen Wohnungsbau- und Siedlungspolitik anknüpfen, die bereits in den frühen 30er Jahren en vogue waren. Sowohl die Beheimatung von sozial schwachen Menschen auf dem Land als auch die Großstadtfeindschaft war ein wichtiger Bestandteil der staatlichen Wohnungsbau- und Siedlungspolitik; namentlich in der Form der Kleinsiedlung. So konnte Aichele nach der Gleichschaltung Württembergs die Geschäfte der württembergischen Landeskreditanstalt weiterführen, obwohl er niemals das Parteibuch der Nationalsozialisten besessen hatte. Zudem wurde Aichele sowohl von dem kurzzeitigen Reichskommissar für das Wohnungs- und Siedlungswesen Gottfried Feder (NSDAP) als auch von den Beamten des Reichsarbeitsministeriums und des württembergischen Innenministeriums auf Grund seiner Expertise auf dem Gebiet der Wohnungsbau- und Siedlungspolitik geschätzt. Aichele hatte folgende Nebenämter inne: Er war Aufsichtsratsmitglied der „Deutschen Wohnstättenbank A. G.“ in Berlin, ordentliches Mitglied des Verwaltungsrats der „Nordsiedlung GmbH Berlin“, erster ständiger Stellvertreter des Vorsitzenden des Verwaltungsrats der „Württembergischen Landsiedlung GmbH.“, Vorsitzender des „Württembergischen Landesbürgschaftsausschusses für Kleinwohnungen“, zweiter Stellvertreter des Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Württembergischen „Heimstätte GmbH“ und Verwaltungsratsmitglied des „Deutschen Vereins für Wohnungsreform“. Darüber hinaus war Aichele seit 1935 Teil des ständigen Siedlungsbeirats beim Reichsarbeitsministerium. Im selben Jahr war Aichele im Gespräch, die Spitze der Siedlungsabteilung des Reichsarbeitsministeriums in Berlin zu übernehmen. Da Aichele dem System der Reichsbürgschaften jedoch ablehnend gegenüberstand, verzichtete er auf das hochdotierte Amt freiwillig.
Obwohl sich Achele nicht zu schade dafür war, in manchen Propagandareden gegen die Großstadt zu wettern, war er kein Vertreter der von Walther Darré und anderen propagierten rassistisch aufgeladenen Blut-und-Boden-Ideologie. In erster Linie verfolgte Aichele bevölkerungspolitische Ziele, die schon in der Weimarer Republik hoch im Kurs standen. Aichele war ein im Königreich Württemberg sozialisierter Verwaltungsbeamter, der selbst dann nicht davor zurückschreckte, seinem Förderer Eugen Bolz am 11. März 1933 öffentlich zu danken, als es zeitlich nicht mehr opportun war. Alles in allem war Aichele über die Epochengrenze hinweg ein deutschlandweit gefragter Experte auf dem weiten Feld der Wohnungsbau- und Siedlungspolitik, wovon nicht nur seine zahlreichen Schriften und Vorträge zeugen.
Quellen: Personalakte zu Aichele: StAL E 180 b I Bü 7; Landeskreditbank Baden-Württemberg, Förderbank, Historisches Archiv, A 02/01/008; HStAS M 430/3 Bü 58; Propagandarede Aicheles: HStAS E 151/05 Bü 1130; Förderung Aicheles durch Bolz: HStAS E 151/01 Bü 161; belastendes Material gegen Aichele (1935): HStAS E 140 Bü 72.
Werke: Hermann Aichele, Die Zigeunerfrage mit besonderer Berücksichtigung Württembergs (zugl. Diss. 1911), 1911; Unsere Zigeuner, in: Der schwäbische Bund. Eine Monatsschrift aus Oberdeutschland, 2. Bd. (April 1920 bis September 1920), 448–477; Württembergische Wohnungspolitik, in: Württ. Jbb., 1927, 1928, 1–21; Wohnungsbau und Geldbeschaffung in Württemberg. Praktische Winke, 1929; Ostpreußen und Württemberg, in: Siedlung und Wirtschaft 15 (1933), 378–380; Senkung der Hauszinssteuer, Mieten und Zinsen. Zweckbindung der Steuersenkung? in: Der Deutsche Oekonomist. Wochenschrift für Wirtschafts- und Finanzfragen, Geld- und Realkreditwesen 53 (1935), 101–102; Die Kleinstadt als Industriestandort, in: Siedlung und Wirtschaft 17 (1935), 16–21; Kapitallenkung im Wohnungs- und Siedlungsbau, in: Siedlung und Wirtschaft 18 (1936), 243–245; Erfahrungen der Württembergischen Landeskreditanstalt in der Siedlungsfinanzierung, in: Siedlung und Wirtschaft 18 (1936), 428–432; Die Württembergische Landeskreditanstalt, in: Siedlung und Wirtschaft 19 (1937), 771-775; Finanzierungsfragen im Arbeiterwohnstättenbau, in: Siedlung und Wirtschaft 21 (1939), 324–327.

Literatur: Michael Ruck, Hermann Aichele, in: Die Amtsvorsteher der Oberämter, Bezirksämter und Landratsämter in Baden-Württemberg, hg. von der Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchive beim Landkreistag Baden-Württemberg, 1996, 150–151.
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