Aschoff, Eva 

Geburtsdatum/-ort: 06.04.1900; Göttingen
Sterbedatum/-ort: 20.09.1969;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Buch- und Schriftkünstlerin
Kurzbiografie: 1906–1916 Höhere Mädchenschule Freiburg
1919 Abitur am Realgymnasium
1920 Verlobung gelöst
1921–1924 Kunstgewerbeschule Stuttgart, Kalligraphie bei Prof. F. H. Ernst Schneidler, Buchbinderei bei Wilhelm Schlemmer
1924–1925 Lehre bei Buchbinder Wilhelm Liehl, Freiburg
1925–1926 Landeskunstschule Hamburg bei Prof. Weiße mit Gesellenprüfung als Buchbinderin
1926–1927 Volontärin in d. Leipziger Großbuchbinderei Fritsche& Hager, danach in England
1927/28 WS bei Schneidler in Stuttgart
1928 eigene Buchbinderwerkstatt in Freiburg
1933 Praktikum bei Frieda Thiersch in München, danach Meisterprüfung
1963/64 Schließung d. Buchbinderei, danach freischaffende Künstlerin
1968 Klingspor-Museum Offenbach kauft großes Konvolut an Buntpapieren
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Eltern: Vater: Ludwig (1866–1942), Pathologe
Mutter: Clara, geb. Dieterichs (1876–1950)
Geschwister: 4; Anni, verh. Horch (1896–1986), Heta, verh. Gräff (1898–1984), Volker (1907–1996) u. Jürgen (1913–1998)
Kinder: keine
GND-ID: GND/116360895

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 6-8

Wo Buch- und Schriftkunst gepflegt wird, so in Leipzig und Offenbach, ist Aschoff unvergessen und postume Ausstellungen zeigen bis heute immer wieder neue Facetten ihres zwischen Handwerk und Kunst sich bewegenden Werkes. Aschoffs Arbeiten entstanden in einem Zeitraum von mehr als 40 Jahren in ihrem 1912 erbauten Elternhaus in Freiburg. Die stabilitas loci, das lebenslange Verbleiben im Familienverbund, die Persönlichkeit ihres prominenten Vaters, des Pathologen Ludwig Aschoff, und dessen weitreichende Kontakte prägten ihre Biographie. Aschoffs Buntpapiere und Schriftblätter sind unverwechselbar und ausdrucksstark. Ihre Kreativität und Gestaltungsfreude zeigten sich früh, entwickelten sich jedoch erst allmählich in die künstlerische Richtung.
Nach dem Abitur an einer vorwiegend von Knaben besuchten Oberrealschule wollte Aschoff Tanzlehrerin werden. Der Vater schlug zunächst „etwas Haushaltung“ vor (Gelehrtenleben, 1966, S. 446), was zu ihren damaligen Heiratsplänen passte. Diese realisierte sie jedoch nicht. Mutig einen Eklat riskierend sagte sie die Hochzeit am Vorabend des Termins ab. Die Frage nach Ausbildung und Beruf stellte sich neu.
Mit dem Ziel, Buchbinderin zu werden, studierte sie dann Buch- und Schriftgestaltung an der Stuttgarter Kunstgewerbeschule bei dem renommierten, strengen und eigenwilligen Kalligraphen F. H. Ernst Schneidler, mit dem sie über die Studienzeit hinaus in Verbindung blieb. Fachunterricht in Buchbinderei erteilte Meister Wilhelm Schlemmer. Am Ende der zweigleisigen Ausbildung zögerte sie, den Schritt in die Praxis zu tun. Ihr Vater äußerte in einem Brief vom 5. Juli 1924 (Gelehrtenleben, 1966, S. 448), verfasst auf der Seereise in die USA, Verständnis und bot ihr an, sich „noch etwas theoretisch fortzubilden“. Er hoffe aber, dass sie sich in die Buchbinderei einlebe, und stellte in Aussicht, die Werkstatt auszustatten. Vier Jahre später, nach einer Lehre bei Wilhelm Liehl in Freiburg, einem Jahr Kunstschule in Hamburg, dem Volontariat in einer Großbuchbinderei in Leipzig und technischer Vervollkommnung in einer englischen Werkstatt, war sie dafür bereit. Außerdem studierte sie ein weiteres Semester in Stuttgart bei Schneidler, der laut Gerhard Bonhoff für Aschoff bestimmend geworden und geblieben sei. Aschoffs Vater fürchtete schon, sie könne sich durch Schneidlers Postulat nach der „absoluten Ehrlichkeit des Anfangens“ (Bonhoff, 1960, S. 19) aufhalten lassen: „Alle Welt wartet auf die Eröffnung Deiner Werkstatt“ (Gelehrtenleben, 1966, S. 451).
Diese befand sich in den Kellerräumen der elterlichen Villa in der Jacobistraße. Aschoffs Hauptauftraggeber waren Universitätsinstitute, die Zeitschriften binden ließen, und auch zu den Privatkunden zählten viele Professoren. Aschoff beschäftigte meist drei bis vier Mitarbeiter und bildete auch aus.
Sie wurde jedoch nicht nur als Buchbinderin wahrgenommen: 1933 stand sie auch auf der Liste von 17 Künstlern, die Oberbaurat Joseph Schlippe um Entwürfe bat für den Ehrenbürgerbrief des als Emeritus in Freiburg lebenden Rassentheoretikers Ludwig Schemann (1852–1938). Ob sich Aschoff mit der politischen Dimension von Schemanns Auftrag nicht auseinandersetzte? Sie scheint dem Nationalsozialismus nämlich mit kritischer Distanz begegnet zu sein. Das berichten nicht nur ihre Nachfahren. Der jüdische Wissenschaftler Hans Adolf Krebs, Nobelpreisträger von 1953, sprach davon 1955 in Freiburg bei der Ludwig-Aschoff-Gedächtnis-Vorlesung und erzählte, dass ihn Aschoff am Vorabend des 1. Mai 1933 angerufen habe und anbot, während des Aufmarsches, von dem Krebs ausgeschlossen war, mit ihr spazieren zu gehen. „Mir war natürlich sofort klar, was sie zum Ausdruck bringen wollte“ (Chemie in unserer Zeit 42, 2008, S. 351).
Wirtschaftlich schien sie mit der Werkstatt schon zufrieden, wenn es für den „Broterwerb“ reichte. Im Kreis der rund 20 Freiburger Buchbinder, die wie sie von der Universität profitierten, galt sie als faire Kollegin; in fachlichen Handwerksorganisationen tat sie sich nicht hervor. Einer amerikanischen Quelle ist zu entnehmen, dass Aschoff sich bereits um 1935 um gestalterische Aufträge bemühte und Entwürfe für die Tapetenfabrik Erismann& Co in Breisach fertigte und sich auch an Ausstellungen beteiligte: 1936 beim Kunstverein Frankfurt am Main. So konnte sie dem Alltag entfliehen und reisen. Schon vor dem Krieg besaß sie ein eigenes Auto, mit dem sie 1938 einen Unfall erlitt, wobei ihr Gesicht dauernden Schaden nahm. Georg Kurt Schauer zählt sie zu den „Bedeutenden in Schneidlers Strahlenbereich“ und erwähnt, dass die unregelmäßigen Gesichtszüge Aschoffs ihn bei der ersten Begegnung betroffen machten (Aus dem Antiquariat 12, 1979, S. 449).
„Es war eine schwierige Zeit“ (Chemie in unserer Zeit 42, 2008, S. 351), hatte Aschoff 1955 zu Hans Adolf Krebs im Rückblick auf die NS-Zeit gesagt. Dazu zog der Tod des Vaters 1942 einschneidende Veränderungen nach sich, auch geschäftlich, da der direkte Kontakt zu seinem Institut wegfiel. Schwierig waren auch die Nachkriegsjahre. Nach dem Tod der Mutter war sie der Familienmittelpunkt, trug Verantwortung für das Haus. Die Zeiten, das geräumige Gebäude als Einfamilienhaus zu bewohnen, waren vorüber; es galt, Mieter und Mieter zu integrieren. Auch die Werkstatt musste laufen, mit immer wechselnden Mitarbeitern, wofür Aschoff warb. In der reichlich zerstörten Innenstadt war sie damals mit einem Schaukasten präsent.
Ausgleich zur handwerklichen Strenge, die ihr hoher Qualitätsanspruch forderte, fand sie in der Gestaltung ihrer Buntpapiere. Da wirkte ihre Kreativität. Sie erprobte alle erdenklichen Techniken. Virtuos war ihr Umgang mit dem Umdruckverfahren, wodurch einzigartige Monotypien entstanden. Bekannte Verlage arbeiteten in den 1950er-Jahren mit Aschoff zusammen: Insel in Wiesbaden, Carl Hanser in München und S. Fischer in Frankfurt. Die Pappbändchen aus dem Inselverlag schmückten sich mit Buntpapier nach ihren Entwürfen, so Stefan Zweigs „Mit den Augen des Bruders“, 1957, oder Rilkes, „Briefe über Cezanne“, 1962. Das Gesamterscheinungsbild mit dem rechteckigen Titelschild lag hier allerdings fest. Der S. Fischer Verlag vertraute Aschoff die komplette Einbandgestaltung an. Eindrucksvoll gelang ihr „Liebe, Tod und Vollmondnächte“, eine Sammlung japanischer Gedichte, übersetzt von Manfred Hausmann, erschienen 1956. Der Titel läuft über Vor- und Rückseite des Einbands. Zu ihrem selbstbestimmten Pflichtenkodex gehörte, sich jeweils mit dem Inhalt der von ihr äußerlich zu gestaltenden Bücher auseinanderzusetzen. Fernöstliche Kultur war ihr seit den frühen 1920er-Jahren vertraut durch die intensiven Kontakte ihres Vaters nach Japan.
In der frühen Nachkriegszeit stellte sie mehrfach aus, 1951 und 1954 auf der Triennale in Mailand und 1958 bei der Brüsseler Weltausstellung. Nun war sie bereit, die Grenze zur Kunst zu überschreiten, die Zweckbindung zu vergessen im „freien malerischen oder kalligraphischen Spiel auf der Papierfläche“ (Hans Adolf Halbey, in: Börsenblatt für den Dt. Buchhandel vom 3.2.1970, S. 164). Mit den „Schriftblättern“ gelang ihr, etwas ganz Individuelles zu schaffen: Gemälde und Graphik in einem. Sie hat sie mit Passepartouts versehen und Freunden und Sammlern gezeigt, wie sich der Freiburger Josef Lienhart erinnert. Um größere Öffentlichkeit zu kämpfen, war sie zu bescheiden; vielleicht reichte ihr auch die verbleibende Zeit als freischaffende Künstlerin nicht aus. Schon fünf Jahre nach Schließung der Werkstatt starb sie an einem Schlaganfall.
Bald nach ihrem Tod wurde deutlich, dass Aschoff etwas Eigenes, Bleibendes geschaffen hatte. Gedächtnisausstellungen fanden statt: 1976 in Horben, organisiert von Dr. Ulrich Bork, mehrfach im Klingspor-Museum, zuletzt 2014 zur Präsentation umfangreicher Neuzugänge. 1960 hatte Aschoff noch zur Würdigung des 1947 in der Kriegsgefangenschaft verstorbenen Kalligraphen Rudo Spemann beigetragen (Augustinermuseum Freiburg). Der fünf Jahre jüngere Spemann war ein Weggenosse und Freund, Schneidler-Schüler und Nachkomme eines bekannten Freiburger Professors wie sie. Noch manches Blatt von Aschoff ruht im Verborgenen; die in Halbeys Nachruf erhoffte Gesamtschau gibt es noch nicht.
Quellen: Klingspor-Museum Offenbach, Korrespondenz zum Nachlass, Dokumente zu Ausstellungen, Fotos; StadtAF C4/II/23/9, Ehrenbürger Prof. Dr. Ludwig Schemann u. Auszüge aus den Meldeunterlagen; UA Freiburg PA Hans Adolf Krebs B 24, Nr. 1922; www.germandesigners.net. – Beratung zum Forschungsstand Eva Aschoff durch Helma Schaefer u. Julia Rinck, Dt. Nationalbibliothek/Buch- u. Schriftmuseum, Leipzig; Auskünfte von Josef Lienhart, Buchkünstlerin Friederike von Hellermann, Halle/Saale, Buchbinder Stefan Bock, u. Michael Steiert, Jutta Lell, alle Freiburg, Nichten Dr. Christiane Aschoff- Ghyczy, Köln, Hilde Lüddeckens, Würzburg, Neffe Dipl. Ing. Dr. Roderich Gräff, Burgberg, Großneffe Andreas Aschoff, Jena, u. Großnichte Ulrike Gerhards, Kirchzarten.
Werke: Einbände, Buntpapier u. Schriftblätter in: Klingspor-Museum, Offenbach; Schriftblätter u. Entwurf Ehrenbürger-Urkunde Schemann in: Augustinermuseum Freiburg; 3 Buntpapiere in: Dt. Buch- u. Schriftmuseum d. Dt. Nationalbibliothek Leipzig; Einbände in: Württ. Landesbibliothek, Stuttgart; 2 Blätter (1961 u. 1965) in: National Art Library, London.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (ca. 1950), Baden-Württembergische Biographien Bd. 6, S. 3; Klingspor-Museum (vgl. Quellen).

Literatur: Gerhard Bonhoff, Eva Aschoff, Buchbindekunst – gebundene Kunst, in: Imprimatur. Ein Jb. für Bücherfreunde, NF Bd. II., MCMLVII – MCMLIX, 1960, 18-26; Eva Aschoff in Freiburg, in: Allgem. Anzeiger für Buchbindereien Nr. 4, April 1964, 243; Hans Adolf Halbey, Nachruf auf Eva Aschoff, in: Börsenbl. für den Dt. Buchhandel, Frankfurter Ausg., vom 3.2.1970, 164f.; Siegfried Reinhard Büge, Der Pappband. Ein Brevier für Buchbinder u. Bücherfreunde mit acht Buchabb. u. 16 Zeichnungen von Andreas Brylka, o. J. [1973], 5, 17, 33, 66; Georg Kurt Schauer, Dämonie des Schreibens. Aus d. Welt F. H. Schneidlers u. seiner Stuttgarter Schule, in: Karl H. Pressler (Hg.), Aus dem Antiquariat 12, 1979, 449; Ludwig Aschoff. Ein Gelehrtenleben in Biefen an die Familie, 1966; Viviane Engelmann, Eva Aschoff, Einführung in das künstl. Werk u. Hinführung zu den Schriftbll., ungedr. Mag. Arbeit Freiburg 1993; Die Rupprechtpresse zu München, 57 Drucke mit einem Aufsatz von F. H. Ehmcke, 2001 (mit 15 Abb. von Aschoff); Bildhaft ohne Bild zu sein – das Buntpapier in d. Einbandkunst, in: Buntpapiere aus dem Buchgebiet, 2006, 9; Klaus Roth, Sir Hans Adolf Krebs (1900–1981), in: Chemie in unserer Zeit, 42, 2008, 351.
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