Brechenmacher, Josef Karlmann 

Geburtsdatum/-ort: 21.02.1877;  Oberdischingen
Sterbedatum/-ort: 08.06.1960;  Saulgau
Beruf/Funktion:
  • Pädagoge und Sprachforscher
Kurzbiografie: 1891-1895 Lehrerseminar Gmünd
1895-1900 Stellen als Lehrgehilfe und Stellvertreter
1900 Lehrer in Hundersingen
1907 Hauptlehrer in Stuttgart
1912 Seminaroberlehrer am Lehrerseminar Rottweil
1920 dort Wissenschaftlicher Hauptlehrer (Professor) für Deutsch
1928 Oberstudiendirektor am Lehrerseminar Saulgau
1934 Zwangspensionierung wegen „Bekämpfung der NSDAP“, Übersiedlung nach Stuttgart
1944 ausgebombt, Verlust der Sammlungen und Manuskripte, Rückkehr nach Saulgau
1945 Kommissarischer Leiter des Bezirksschulamts Saulgau und bis 1946 Vorsitzender der Entnazifizierungskommission
1946 Oberstudiendirektor an der neu eröffneten Lehreroberschule Saulgau
1947 Ehrensenator der Universität Tübingen
1950 Eintritt in den Ruhestand, Ehrenbürger der Stadt Saulgau, Ehrenvorsitzender des Lehrervereins Württemberg-Hohenzollern
1957 Verleihung des Titels Professor durch das Land Baden-Württemberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet: 1903 Hundersingen (Stadt Münsingen, Landkreis Reutlingen), Karoline Theresia, geb. Strub (1881-1959)
Eltern: Rupert, Volksschullehrer
Rosa, geb. Eberhard
Geschwister: 6
Kinder: Josef Karlmann (1904)
Wolfgang Kurt (1907)
Brunhilde Blanka (1909)
Isolde Maria (1921)
GND-ID: GND/116430613

Biografie: Norbert Feinäugle (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 24-26

Als Brechenmacher 1947 Ehrensenator der Universität Tübingen wird, gilt diese Ehrung laut Verleihungsurkunde „dem bedeutenden Sprachforscher und Sprachlehrer, dem hervorragenden Kenner der Mundartforschung, dem Meister der Namen- und Sippenkunde, dem großen Erzieher der Jugend, dem in der Heimat verwurzelten bescheidenen Bürger“.
Treffender läßt sich sein Lebenswerk kaum zusammenfassen, das durch Vielseitigkeit ebenso wie durch Umfang beeindruckt. Dabei ist noch nicht einmal erwähnt, daß Brechenmacher in jungen Jahren zahlreiche literaturwissenschaftliche Arbeiten veröffentlichte, 1905 bis 1914 einen „Führer durch die Jugendliteratur“ herausgab, jahrzehntelang die Reihe „Deutsche Jugendhefte“ redigierte und Mitarbeiter und verantwortlicher Redakteur des amtlichen Lesebuchwerks war, das 1908-1911 erschien – wie noch einmal bei dem 1951/52 geschaffenen Lesebuch für die Unterstufe.
Das Verbindende in dieser Vielfalt der Interessen, die treibende Kraft bei allen Forschungen Brechenmachers war zweifellos der didaktische Impuls, das Bedürfnis, an andere weiterzugeben, was er sich selbst in unstillbarem Bildungsdrang erarbeitet hatte, angetrieben von dem Anspruch, nur geprüftes und sicher gegründetes Wissen weiterzugeben. In unzähligen Aufsätzen und gewichtigen Handbüchern bot er Handreichungen für den Unterricht, 1903-1933 redigierte er das „Magazin für Pädagogik“ – bis 1917 mit einer Vierteljahresschrift –, 1920 gründete er den „Schwäbischen Schulmann“ neu, dessen 13 Jahresbände er fast allein verfaßte. Auch die „Broschüre des Katholischen Schul- und Bildungsvereins“ gab er über zwei Jahrzehnte heraus. In welch hohem Ansehen Brechenmacher stand, zeigte 1921 die Entsendung als Vertreter Württembergs zur Orthographischen Konferenz nach Berlin zusammen mit Professor Pfleiderer.
In den 1920er Jahren wandte sich Brechenmacher zunehmend sprachwissenschaftlichen Arbeiten zu. Über viele Jahre Beiträger zum „Schwäbischen Wörterbuch“, veröffentlichte er 1924 auch eine Studie „Die Mundart des Heubergs“. Seine Forschungen machte er wiederum für den Unterricht fruchtbar. Die „Schwäbische Sprachkunde“ erschien 1925 als erster von vier Bänden seiner „Deutschen Sprachkunde“. Ein fünfter, als Manuskript abgeschlossener Band konnte während der Hitlerzeit nicht erscheinen und verbrannte 1944. Diese Handbücher waren Brechenmachers „Versuch einer bodenständigen Grundlegung des schaffenden Deutschunterrichts“. Anknüpfend an die bekannte Forderung R. Hildebrands entwickelte Brechenmacher ein überzeugendes und praktikables Konzept eines Sprachunterrichts, der von der Eigensprache der Kinder ausgeht und diese über das innere Erleben der Sprache zur Erkenntnis führen will, statt ihnen die deutsche Grammatik wie eine Fremdsprache beizubringen. Die Fülle an Beispielen und Brechenmachers Gabe, komplizierte Sachverhalte klar und anschaulich darzustellen, machten selbst die Lautgeschichte zu einem spannenden Lehrstoff und konnten Lehrer wie Schüler zu eigenem Beobachten, Sammeln und Analysieren anregen.
Auch Brechenmachers bahnbrechende Arbeiten zur Namenforschung gingen zunächst von didaktischen Überlegungen aus. Das „Deutsche Namenbuch“ von 1928 ist eine systematische Darstellung für den Schulgebrauch, erwachsen aus der Einsicht, daß sich ältere Sprachstufen und Sprachwandel an Namen besonders deutlich demonstrieren lassen. Die Zwangspensionierung 1934 unterbrach die Verbindung zur Schule abrupt. Für ein Jahrzehnt widmete sich Brechenmacher ganz der Erforschung der deutschen Sippennamen. In einer großen Zahl von thematischen Studien wie z. B. „Der heilkundliche Beruf im Spiegel deutscher Sippennamen“, in einer großen Zahl von Namenmonographien und in über 500 Zeitungsveröffentlichungen in Feuilletonform schöpfte er aus seiner einzigartigen Sammlung von Urkunden und über 100 000 Namenbelegen. Das fünfbändige Hauptwerk „Deutsche Sippennamen“, 1936, bot nicht nur Namenerklärungen, sondern schuf mit der durchgängigen Angabe des ersten nachgewiesenen Auftretens und der aktuellen Verbreitung der einzelnen Namenformen nach Brechenmachers Überzeugung erst die Voraussetzung für eine zuverlässige Deutung und damit eine ganz neue Grundlage für die weitere Forschung. Brechenmachers einzigartige Urkundensammlung, seine Spezialbibliothek und mehrere druckfertige Manuskripte fielen am 12. September 1944 den Bomben zum Opfer. Obwohl er das Manuskript für eine erweiterte 2. Auflage der „Deutschen Sippennamen“ retten konnte, entschloß er sich zu einer völligen Neubearbeitung auf der Grundlage neu gesammelten Materials. Als „Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen“ erschien diese Krönung seines Lebenswerks 1957-1963. Brechenmacher konnte das Manuskript noch abschließen; die Vollendung im Druck erlebte er nicht mehr. In der Leserfreundlichkeit der Anordnung und in der Zahl und Genauigkeit der Belege ist dieses Werk bis heute konkurrenzlos.
Nach Kriegsende wurde Brechenmacher aber zunächst aus dem Gelehrtendasein noch einmal auf sein angestammtes Feld der Lehrerbildung zurückgeholt. Mit ungebrochener Tatkraft brachte er als kommissarischer Leiter des Bezirksschulamts Saulgau den Neuaufbau des Schulwesens in Gang, dann wurde ihm die Leitung der Lehreroberschule Saulgau, der Nachfolge-Institution seines Lehrerseminars, übertragen. Hier kümmerte sich der Siebzigjährige mit seinem ausgeprägten Verantwortungsgefühl nicht nur um die neu zu erstellenden Lehrpläne, sondern auch um so profane Dinge wie Brennholz, Putzeimer und Mantelhaken. Als vorbildlicher und mitreißender Lehrer ist er seinen Schülern in Erinnerung geblieben, väterlich in Güte und Fürsorge, aber unerbittlich in den Anforderungen, ein Lehrerbildner von prägender Wirkung, von manchen respektvoll als „Praeceptor Sueviae“ bezeichnet. Im hohen Alter wurden ihm viele Ehrungen zuteil. Ohne je an einer Hochschule studiert zu haben, hatte Brechenmacher sich durch unermüdliches Selbststudium neben voller Berufstätigkeit in oft 16- und 20stündigem Arbeitstag zum anerkannten und hochgeachteten Wissenschaftler ausgebildet. In seinen Publikationen orientierte er sich immer an den Bedürfnissen der Abnehmer, denen er die Möglichkeit eröffnen wollte, mit dem von ihm Bereitgestellten selbst weiterzuarbeiten. In seinen Forschungen selbst höchst methodenbewußt und auf äußerste philologische Genauigkeit und Nachprüfbarkeit bedacht, war er an theoretischen Diskussionen über Forschungsmethoden wenig interessiert und hielt sich außerhalb des akademischen Wissenschaftsbetriebs. Nie Hochschullehrer, hatte er keinen Schülerkreis, der seine wissenschaftlichen Arbeiten angemessen gewürdigt und weitergeführt hätte. Sein Beitrag zur Entwicklung der Fachdidaktik Deutsch wäre im einzelnen ebenfalls noch aufzuarbeiten. Mit dem Versuch einer fachwissenschaftlichen Grundlegung auch für den Volksschulunterricht und mit Ansätzen zu schülerorientiertem Unterricht war er zukunftsweisend.
Quellen: Stadtarchiv Saulgau, B XVI/442 c: Dokumentation, 1971 zusammengestellt von G. Hämmerle, Konrektor und Stadtarchivar (enthält neben wenigen amtlichen Dokumenten von eigener Hand Brechenmachers Lebenslauf und Schriftenverzeichnis, ferner Reden und Schriften über ihn); StAS, Wü 82 Oberschulamt Tübingen Bd. 10 Nr. 12 (Personalakte Josef Karlmann Brechenmacher aus der Zeit 1945-1960); Frau Brunhilde Drescher (Tochter), Lerchenweg 9, 88348 Saulgau, und Frau Susanne Rudolph-Drescher (Enkelin), Neideggweg 57, 89134 Blaustein
Werke: Von der jüngeren Romantik bis zur Literaturrevolution 1882/83, 1913 (= Johann Meyers Literaturwerk, Bd. 6); Schwäbische Sprachkunde in ausgeführten Lehrbeispielen, 1925; Deutsche Sprachkunde auf der Grundlage der Heimatsprache, 1927; Deutsches Namenbuch, 1928; Deutsche Lautgeschichten auf der Grundlage der Heimatsprache, 1934; Deutsche Sippennamen, 5 Bde., 1936; Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen, 2 Bde., 1957-1963; Auswahlbibliographie: Willi Müller siehe unten

Literatur: Stefan Ott: Die Leistung des Sprachforschers Josef Karlmann Brechenmacher im Dienst der Wissenschaft und der Schule, in: Lehrerzeitung 4, 1960, Nr. 7, 77-84; Oberschulrat Schick, Nachruf bei der Beerdigung, in: ebd., 84; Benedikt Welser, Der Sprachforscher Josef Karlmann Brechenmacher aus Oberdischingen, in: (Hg.): Lebensbilder bedeutender Oberschwaben, Ehingen o. J., 272-280; Willi Müller, Josef Karlmann Brechenmacher, in: Zur Geschichte von Volkskunde und Mundartforschung in Württemberg, 1964, 264-276; Georg Hämmerle: Josef Karlmann Brechenmacher 1877-1960, in: Ein Jahrhundert Bildungstradition. Festschrift zur Hundertjahrfeier ??? (bricht ab)
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