Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav 

Geburtsdatum/-ort: 07.08.1870; Den Haag (Niederlande)
Sterbedatum/-ort: 16.01.1950; Blühnbach bei Salzburg (Österreich)
Beruf/Funktion:
  • Großindustrieller
Kurzbiografie: 1889 Abitur am Gymnasium in Karlsruhe
1890-1893 Studium der Rechts- und Staatswissenschaft in Lausanne, Straßburg und Heidelberg
1893 Dr. jur. und Rechtspraktikant im badischen Staatsdienst
1897-1904 im Auswärtigen Dienst des Deutschen Reiches; seit 1899 Legationssekretär an der Botschaft in Washington, dann an der Gesandtschaft in Peking
1904-1906 Legationsrat und Sekretär an der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan
1906-1909 Mitglied des Aufsichtsrats der Friedrich Krupp AG
1909-1943 Vorsitzender des Aufsichtsrats der Friedrich Krupp AG
1910 Mitglied des Preußischen Herrenhauses
1912 Ernennung zum außerordentlichen Gesandten und Bevollmächtigten Minister
1912/14/16 Ehrendoktor in Darmstadt/Bonn/Kiel
1920-1933 Mitglied des Preußischen Staatsrats
1931-1934 Präsident des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI)
1932 Verleihung der Goethe-Medaille
1933 Kuratoriumsvorsitzender der Adolf-Hitler-Spende der Deutschen Wirtschaft
1936-1946 Ehrenbürger der Stadt Essen
1937 Ernennung zum Wehrwirtschaftsführer
1940 Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens der NSDAP
1946 Anklage als Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1906 (Villa Hügel bei Essen) Bertha, geb. Krupp (1886-1957); preußische Namensvermehrung 1906
Eltern: Vater: Gustav Halbach (1831-1890), seit 1871 badischer Adel: von Bohlen und Halbach; Dr. jur., badischer Kammerherr, Legationsrat und Gesandter in Den Haag; 1885 Erwerb von Burg und Landgut Obergrombach, später in Kruppbesitz
Mutter: Sophie, geb. Bohlen
Geschwister: 10, davon 2 im 1. Lebensjahr gestorben
Kinder: 6 Söhne und 2 Töchter
GND-ID: GND/116574216

Biografie: Willi A. Boelcke (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 172-174

Verlobung und Hochzeit eines bescheidenen, von irdischen Gütern kaum gesegneten, aber befähigten Legationsrates, des Gustav von Bohlen und Halbach, mit Bertha Krupp, der erst zwanzig Jahre alten Erbin des großen Krupp-Vermögens, im Jahre 1906 waren die große, von der Weltpresse kommentierte Sensation und das damals wohl vieldiskutierteste gesellschaftliche Ereignis. Durch seine Heirat fiel Krupp die Leitung des größten Industrieunternehmens in Deutschland zu. Es befand sich auf Expansionskurs in der schon seit Jahren andauernden Phase des europäischen Wettrüstens. Kaiser Wilhelm II., dem Hause Krupp eng verbunden, sprach in seiner Hochzeitsrede diesen militärischen Aspekt ausdrücklich an, indem er von seinem „lieben Bohlen“ erwartete, „unserem deutschen Vaterlande auch fernerhin Schutz- und Trutzwaffen zu liefern, welche in der Fabrikation sowohl wie in Leistungen nach wie vor von keiner Nation erreicht werden“. Krupp, in seinen Denk- und Verhaltensweisen ganz vom 19. Jahrhundert geprägt, wurde völlig regelwidrig aus den festen Gleisen einer mit wichtigen Verantwortungen nicht belasteten Diplomatenkarriere gerissen und übernahm die schwere Bürde des ersten Hüters der Krupp-Tradition. In sein neues Arbeitsgebiet arbeitete er sich mit bürokratischer Gründlichkeit und pedantischem Ordnungssinn ein. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben halfen ihm sein gutes Gedächtnis und eine nicht selten starrsinnige Verhandlungsführung. Krupp war aber kein Mann, der seine Zeit kritisch reflektierte oder politische Hintergründe und Zusammenhänge erkannte, sondern in der Hauptsache auf das vordergründige Tagesgeschehen ausgerichtet.
Den Kern der Krupp AG bildete die Gußstahlfabrik in Essen. Der Krupp-Konzern wuchs über sie hinaus und gliederte sich eine Reihe von „Filialen“ (Außenwerke) an, so u. a. die Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen, das Magdeburger Gruson-Werk, Stahl- und Hüttenwerke, die Germania-Werft in Kiel, Kohlenzechen und Eisenbergwerke. Die Belegschaft der Krupp AG stieg infolge des internen und externen Wachstums von 42 300 (1903) auf 80 300 Mitarbeiter im August 1914, der Gesamtumsatz von 91,4 Millionen Mark (1902/03) auf 463,4 Millionen Mark (1912/13). Knapp die Hälfte des Umsatzes machte die Gußstahlfabrik, wobei fast 65 Prozent der Sparte „Kriegsmaterial“ entstammten. Etwa seit 1906 „wurden alle verfügbaren Mittel der Firma durch die stark steigenden Rüstungsbedürfnisse des Reiches immer wieder für den Ausbau der Kriegsmaterialwerkstätten in Anspruch genommen“ (Krupp-Direktorium). Zuvor nie erlebte, gewaltige Kapazitätserweiterungen setzten sich im Ersten Weltkrieg fort und hoben die Produktionskapazität auf das Dreifache des Friedensstandes.
Krupp war der weitaus größte und unentbehrlichste deutsche Rüstungslieferant mit einer Gesamtbeschäftigung Anfang November 1918 von 168 000 Mitarbeitern. Der Krieg unterwarf die Firma verschiedenen Zwängen, die für sie vordergründigen Nutzen und längerfristige Nachteile bedeuteten. „Unter innerem Widerstreben mußte die Firma insbesondere zur Durchführung des Hindenburgprogramms ohne Rücksicht auf eine spätere Zukunft außerordentlich umfangreiche Anlagen errichten, die ihre finanzielle Leistungsfähigkeit überstiegen und überdies das bisherige Gefüge der Fabrik zerstörten“ (Krupp-Direktorium).
Die im Krieg erzielten Erträge genügten nicht, um seit Ende 1918 aus eigener Kraft die notwendige Umstellung auf die Friedensproduktion (u. a. Maschinenbau und Weiterverarbeitung von hochwertigem Stahl wie „Nirosta“ und „Widia“) zu bewältigen. Weder Massenentlassungen (Beschäftigte 1926: 46 200) noch im Krieg gebildete Reserven und die Verlustdeckung durch einen Teil des Aktienkapitals vermochten die drohende Illiquidität des Unternehmens abzuwenden. Bei der Deckung des akuten Finanzbedarfs halfen 1924/25 eine amerikanische 10 Millionen-Dollar-Anleihe, Bankkredite und die Zahlung von Abrüstungsentschädigungen durch das Reich. Die Finanzlage des Unternehmens besserte sich nicht, da bis etwa 1926/27 die völlig unrentable Gußstahlfabrik (etwa 20 000 Beschäftigte), deren Stillegung in Erwägung gezogen wurde, von den Überschüssen der wettbewerbsfähigen Außenwerke finanziert wurde. Wegen eines Sanierungs- und Investitionsbedarfs von etwa 50 Millionen Reichsmark bei einem Gesamtgrundkapital von rund 150 Millionen Reichsmarkt beantragte daher Krupp, um fremde Beteiligungen an der Firma auszuschließen, im Jahre 1926 einen zinsgünstigen Reichskredit in Höhe von 60 Millionen Reichsmark. „Wenn auch das Betriebsinteresse bisher jederzeit Krupp'schen Familieninteressen vorangegangen sei, so müsse doch andererseits beachtet werden, daß die Familie Krupp nicht ohne zwingende Gründe die Stellung als alleiniger Unternehmer aufgeben könne“ (Besprechungsprotokoll, Dezember 1926).
Die kurze Wachstumsphase der Krupp AG in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre (1928: 92 300 Beschäftigte; 1928/29: 577,5 Millionen Reichsmark Umsatz) wurde von den einschneidenden Absatzstockungen in der Folge der Weltwirtschaftskrise jäh unterbrochen, die die Beschäftigung und die Umsätze mehr als halbierte (1932: 46 100 Beschäftigte; 1931/32: 240 Millionen Reichsmark Umsatz, davon 4,2 % Rüstungsmaterial). Mit der Machtübernahme Hitlers war das Unternehmen seit 1933 in die Autarkie- und Rüstungspolitik des NS-Regimes eingebunden und erlebte im Zuge des Zweiten Weltkriegs einen beispiellosen Kriegsboom (Gesamtumsatz 1937/38: 809,6 Millionen Reichsmark, davon ca. 6,5 % Rüstungsmaterial; 1942/43: 1,1 Milliarden Reichsmark Umsatz und 235 300 Beschäftigte).
Krupp, der die Krupp-Tradition auch in ihrer Sozialverantwortung für die Arbeiterschaft fortgeführt hatte, übergab aus Alters- und Gesundheitsgründen Ende 1943 die Leitung des zentral dirigierten, selbständigen Familienunternehmens seinem ältesten Sohn Alfried. Krupp verstand sich nicht als „Befehlsempfänger“ und hat seit den Zeiten der Monarchie bis in die Hitler-Epoche auf die hohe Politik (nicht die Parteienpolitik) und wirtschaftspolitische Entscheidungen der Reichsregierung immer wieder aufgrund der herausragenden Stellung der Firma Krupp in der deutschen Wirtschaft Einfluß zu nehmen versucht. Während der Weimarer Zeit stand er der Deutschen Volkspartei nahe und verhielt sich bis 1933 Hitlers Machtübernahme gegenüber reserviert. Danach erschien er als beredter Befürworter des „Dritten Reiches“. Erst im Verlaufe des Krieges hielt er zunehmend Abstand zu Hitler. Durch Verleihung des goldenen Parteiabzeichens im Jahre 1940 war er automatisch Mitglied der NSDAP geworden. Vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg, der ihn als Hauptkriegsverbrecher anklagte, war er wegen der Folgen eines Autounfalls und mehrerer Schlaganfälle nicht verhandlungsunfähig. Schwer von Krankheit gezeichnet, nahm er die Ereignisse bis zu seinem Tode im Jahre 1950 nicht mehr bewußt war. Im Krupp-Prozeß wurden 12 Angeklagte beschuldigt, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben.
Quellen: Eigene Archivstudien im ehemaligen zentralen Staatsarchiv der sogen. DDR in Potsdam, versch. Bestände u. a. Reichskanzlei u. Reichsrechnungshof.
Werke: Die Dissertation von Krupp im Hochschulschriftenverzeichnis nicht feststellbar; einige Zeitschriftenaufsätze in: Krupp-Mitteilungen, Werkzeitschrift der Friedrich Krupp AG/GmbH; Objectives of German Policy, in: Review of Reviews, Nov. 1932; Works Leader and Armaments Works, Essen 1941; Plant Leaders and Armaments Leaders, Nürnberg 1942.
Nachweis: Bildnachweise: Gemälde in der Villa Hügel, Essen; Fotos Krupp-Firmenarchiv u. Presse-Bildarchive.

Literatur: W. Berdrow: Die Familie v. Bohlen u. Halbach. 1921; W. A. Boelcke (Hg.): Krupp u. d. Hohenzollern in Dokumenten. 1970 2. Aufl.; L. Burchardt: Zwischen Kriegsgewinnen u. Kriegskosten: Krupp im Ersten Weltkrieg, in: Zs. f. Unternehmensgesch. H. 2/1987, 71-123; D. Haek: Die Krupp-Werke. 1906; O. Heinemann: Kronenorden Vierter Klasse. Das Leben d. Prokuristen Heinemann (1864-1944). 1969; G. v. Klass: Die Drei Ringe. Lebensgeschichte e. Industrieunternehmens. 1953; W. Manchester: Krupp. Zwölf Generationen. 1968; H. M. Maschke: Das Krupp-Urteil u. d. Problem d. „Plünderung“. 1951; T. v. Wilmowsky: Warum wurde Krupp verurteilt? Legende u. Justizirrtum. 1962 3. Aufl.; Renate Köhne-Lindenlaub, G. Krupp v. B. u. H., in: NDB 13 (1982), 138-143.
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