Mendelssohn-Bartholdy, Albrecht 

Geburtsdatum/-ort: 25.10.1874;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 26.11.1936; Oxford
Beruf/Funktion:
  • Prozeß- und Auslandsrechtler
Kurzbiografie: 1892 Abitur am Großherzoglichen Gymnasium in Karlsruhe
1896 Promotion zum Doktor der Rechte in Leipzig
1897 Habilitation bei Adolf Wach in Leipzig
1900 Privatdozent
1904 außerordentlicher Prof. an der Universität Leipzig für Bürgerliches Recht und internationales Privatrecht
1905-1920 ordentlicher Prof. für internationales Recht, Zivil- und Zivilprozeßrecht an der Universität Würzburg
1919 Berater der deutschen Delegation bei den Versailler Friedensvertragsverhandlungen
1920-1933 ordentlicher Prof. für Zivilprozeß, Auslandsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Hamburg
1922 Gründung des Instituts für auswärtige Politik
1923 Mitglied der Zivilprozeßkommission des Reiches
1925 Mitglied des internationalen Schiedsgerichts zur Auslegung des Dawesplanes und des Young-Plans
1931 Deutscher Delegierter in der Bundesversammlung des Völkerbundes
1933 Emigration
1933-1936 Honorary Fellow des Balliol College, Oxford
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrendoktor der Harvard University und der Northwestern University Chicago
Geheimer Hofrat (1914, bayrische Regierung)
Verheiratet: 1905 Dorothea, geb. Wach
Eltern: Vater: Carl Mendelssohn-Bartholdy (1838-1897), Professor, Historiker
Mutter: Mathilde, geb. von Merkl
Kinder: 2 adoptierte Töchter
GND-ID: GND/116881046

Biografie: Manfred Löwisch (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 184-186

Mendelssohn-Bartholdy, der Enkel des berühmten Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, wuchs, da sein Vater seit 1874 in einer psychiatrischen Anstalt war, in einem reinen Frauenhaushalt in Karlsruhe auf. Dort besuchte er auch eine Privatvorschule. Am 15. 7. 1892 bestand er die Abiturprüfung am Großherzoglichen Gymnasium in Karlsruhe.
Mendelssohn-Bartholdy studierte Jura in Leipzig, Heidelberg, München und wieder Leipzig. Dort promovierte er 1896 über das Thema „Zur Auslegung des § 72 der Civilprozeßordnung“. 1900 folgte die Habilitation mit einer Arbeit über „Grenzen der Rechtskraft“. In Leipzig erhielt Mendelssohn-Bartholdy eine außerordentliche Professur für Bürgerliches Recht und internationales Privatrecht. Am 1. 10. 1905 wurde er Ordinarius für internationales Recht, Zivil- und Zivilprozeßrecht an der Universität Würzburg. Am 1. 8. 1920 wurde Mendelssohn-Bartholdy, der inzwischen ein vorzüglicher Kenner des anglo-amerikanischen Rechtssystems war, zum ordentlichen Professor für Zivilprozeß, Auslandsrecht und Rechtsvergleichung in Hamburg berufen. Dort gründete er 1922 als erste deutsche politikwissenschaftliche Forschungseinrichtung das Institut für auswärtige Politik und baute das Amerika-Institut auf. Mendelssohn-Bartholdy gab die Zeitschriften „Europäische Gespräche“ (1923-1933) und „Amerika-Post“ mit heraus. In Hamburg arbeitete er 6 Jahre gemeinsam mit Friedrich Thimme an der „Großen Politik der europäischen Kabinette – 1871-1914“ (40 Bände). Im September 1933 wurde Mendelssohn-Bartholdy wegen seiner jüdischen Herkunft amtsenthoben. Im September 1934 emigrierte er nach England und wurde als Honorary Fellow in das Balliol College in Oxford aufgenommen.
Seit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges wandte Mendelssohn-Bartholdy sich immer mehr politischen und historischen Themen zu. Er war von der Unschuld der Deutschen am Ausbruch des 1. Weltkrieges überzeugt und ein Kritiker des Versailler Vertrages. Die politische Einstellung von Mendelssohn-Bartholdy war sozial-liberal. Ohne ihr anzugehören, bezeichnete er die SPD als „einzige Partei des Friedens“. Als die DDP ihm Ende der 20er Jahre ein Reichstagsmandat anbot, tat er sie als „Kommerzienratspartei“ ab. Aus einer ähnlichen Einstellung heraus lehnte er 1922 einen Ruf nach Berlin mit der Begründung ab: „Berlin verdirbt den Charakter“. Mendelssohn-Bartholdy war Demokrat und Pazifist. Vergeltung als Mittel der Politik lehnte er ab. Krieg war für ihn eine Niederlage der Staatskunst. Bedenkt man, daß er das Institut für auswärtige Politik zunächst als „Forschungsstelle für die Kriegsursachen“ bezeichnen wollte, kann man in Mendelssohn-Bartholdy geradezu einen Vordenker der heutigen Friedensforschung sehen. Engagiert setzte er sich für den deutsch-englisch-amerikanischen Schüler- und Studentenaustausch ein. Er war der Mitgründer der „Hamburger Gesellschaft der Freunde der Vereinigten Staaten“, für die er, der als brillanter Redner galt, mehrere Vortragsreisen in die USA unternahm. Mendelssohn-Bartholdy war nicht nur Jurist, Historiker und Politikwissenschaftler, sondern auch Literat und Musiker. Bereits als Schüler erhielt er 1891 den Fichte-Preis. Später schrieb er ein Opernlibretto (Simpliziustext für Hans Huber) und gab einen Gedichtband mit heraus. Vor allem aber war Mendelssohn-Bartholdy, der als Kind immer Kapellmeister werden wollte, ein subtiler Kenner der Musik und ein Klaviervirtuose. Seine besondere Vorliebe galt Bach, Haydn, Brahms und Reger. Seit 1916 organisierte er die Reger-Festspiele in Würzburg.
Bei aller Weitläufigkeit blieb Mendelssohn-Bartholdy seinem Herkunftsland eng verbunden: seine älteste Tochter gab er in die Schwarzwaldschule Königsfeld, „damit sie badisch lerne ...“ und bei einem Besuch der Geburtsstadt (1929) charakterisierte er die Politik als Gewissenssache jeden Bürgers mit dem Vers von ,unserem Johann Peter Hebel: „Halt still! un frog' di G'wisse z'erscht – s'cha dütsch, gottlob, un folg sim Rot.“
Seinen Nachlaß, enthaltend u. a. 20000 an ihn gerichtete Briefe, verwahrt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin.
Werke: (in Auswahl) Das Imperium des Richters (1908); Englisches Richtertum (1909); Internationales Strafrecht (1910); Die Rechtswirkung des Schiedsspruchs (1914); Der Kriegsbegriff des englischen Rechts (1915); Bürgertugenden in Krieg und Frieden (1915); Wirtschaft und Recht in der englischen Kriegsjustiz (1916); Irland, ein Beispiel der Machtpolitik (1918); Der Völkerbund als Arbeitsgemeinschaft (1918); Der Volkswille – Grundzüge einer Verfassung (1919); Die Sanktionen des Vertrages von Versailles (1920); Die neue Regierungsform im englischen Weltreiche (1921); Die Prozeßordnungen der gemischten Schiedsgerichte des Versailler Vertrages (1922); Die große Politik der europäischen Kabinette – 1871-1914 (1922-1927, mit Fr. Thimme); Beiläufige Bemerkungen zur Zivilprozeßreform (1926); Vom Völkerbund und der öffentlichen Meinung (1926); The European Situation (1927); Diplomatie (1921); Die auswärtige Politik des deutschen Reiches 1871-1914 (mit Fr. Thimme, 1928, 4 Bände); The War and German Society – The Testament of a Liberal (1937). Herausgeber von: Handbuch des Abrüstungsproblems (1927); Teubners Handbuch der Staats- und Wirtschaftskunde (1924); Archiv für öffentliches Recht; Archiv für Friedenverträge; Monatshefte für auswärtige Politik; Europäische Gespräche (1922); Amerika-Post; Politische Wissenschaft (Schriftenreihe); Handbuch für Politik; Urkunden und Forschungen zum internationalen Recht; Forschungsinstitute, ihre Geschichte, Organisation und Ziele (1930, mit L. Brauer); Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht (1907-1926); Carnegie-Reihe zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 1. Weltkrieges (1922).
Nachweis: Bildnachweise: Foto in: F. M. Marx, Lebensbilder (vgl. Lit.) und StAF, Bildnissammlung.

Literatur: Fritz Morstein Marx, A. Mendelssohn-Bartholdy, in: Lebensbilder Hamburgischer Rechtslehrer, 1969, 53 ff.; Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender (1931, 1935); Who ist who, 1922; Geheimrat Dr. A. Mendelssohn-Bartholdy, in: Karlsruher Tagblatt (Pfingstbeilage, 1929); Strauss/Röder, International Biographical Dictionary of Central European Emigres 1933-1945, 803; Weber, Von A. Mendelssohn-Bartholdy zu Ernst Forsthoff – die Hamburger Rechtsfakultät im Zeitpunkt des Machtübergangs 1933-1935, in: Gantzel (Hg.), Internationale Angelegenheiten, Baden-Baden, 1983, 159 ff.; Alfred Vagts, A. Mendelssohn-Bartholdy – Ein Lebensbild, in: Mendelssohn-Studien, Bd. 3, 1979, 201 ff.; Gisela Gantzel-Kress, Noblesse oblige – ein Beitrag zur Nobilitierung der Mendelssohns, in: Mendelssohn-Studien, Bd. 6, 1986, S. 163 ff.; dies. A. Mendelssohn-Bartholdy – Ein Bürgerhumanist und Versöhnungsdiplomat im Aufbruch der Demokratie in Deutschland, in: Zs. des Vereins für Hamburgische Geschichte, 1983, Bd. 71, 127 ff.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)