Guardini, Romano Michele Antonio Maria 

Geburtsdatum/-ort: 17.02.1885; Verona
Sterbedatum/-ort: 01.10.1968; München
Beruf/Funktion:
  • Theologe, Religionsphilosoph, Kulturkritiker
Kurzbiografie: 1886 Übersiedlung der Familie nach Mainz (Vater gründet eine Importgesellschaft für Geflügel und Eier, wird italienischer Konsul)
1903 Abitur am Humanistischen Gymnasium Mainz
1903/04-Sommersemester 1904 Studium der Chemie in Tübingen
1904/05-Sommersemester 1905 Studium der Nationalökonomie in München
1905/06 Studium der Nationalökonomie in Berlin
1906 Studium der Theologie in Freiburg, Wintersemester 1906/07-Wintersemester 1907/08 in Tübingen mit Wohnung im Katholischen Wilhelmsstift
1908 Oktober-Mai 1910 Bischöfliches Priesterseminar Mainz, dort 1910 Priesterweihe im Mainzer Dom durch Bischof Kirstein und bis 1912 Kaplansstellen in Heppenheim, Darmstadt, Worms, Mainz
1912/13-Wintersemester 1914/15 Promotionsstudium in Freiburg mit Dissertation über Bonaventura bei Engelbert Krebs
1915-1920 Leitung der Juventus und Kaplansstellen in Mainz
1916 Herbst-Frühjahr 1918 Krankenwärter auf dem Mainzer Festungslazarett
1920 April-Januar 1922 Habilitationsstudium in Bonn mit Habilitation über Bonaventura bei Gerhard Esser
1920-1939 Mitarbeit auf Burg Rothenfels am Main: Geistige Leitung des „Quickborn“ und Mitherausgeber von „Die Schildgenossen“ (bis 1940); beides wird durch den NS beendet
1922 Sommersemester-Wintersemester 1922/23 Privatdozentur für Dogmatik in Bonn
1923 Sommersemester-Wintersemester 1938/39 Professur für Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung an der Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin
1939-1943 Nach der Aufhebung des Lehrstuhls durch die Nationalsozialisten Arbeit in Seelsorge, Vorträgen, Büchern in Berlin
1943-1945 (1948) „Exil“ im württembergischen Mooshausen bei dem Freund Dr. Josef Weiger
1945-1948 Professur für Religionsphilosophie und christliche Weltanschauung (ad personam) an der Universität Tübingen
1948-1962 Übernahme derselben Professur an der Universität München
1952 Friedenspreis des deutschen Buchhandels
1954 Ehrendoktor der Philosophie an der Universität Freiburg
1958 Mitglied des Ordens „Pour le Mérite“
1961 Mitglied der liturgischen Vorbereitungskommission des II. Vatikanischen Konzils
1962 Erasmus-Preis in Brüssel
1963 San Zeno Preis in Verona
1965 Ehrendoktor der Universität Padua
1965 Angebot des Kardinalshutes durch Papst Paul VI.
1969 Ehrendoktor der Universität Bologna (postum)
seit 1970 alljährlich Vergabe des Romano Guardini Preises der Katholischen Akademie in Bayern
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern: Romano Tullio Guardini (1857-1919), Kaufmann, römisch-katholisch
Paola Maria, geb. Bernardinelli (1862-1957)
Geschwister: Ferdinando (Gino), Mario, Aleardo
GND-ID: GND/118543105

Biografie: Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 171-173

Der älteste Sohn einer italienischen Kaufmannsfamilie wuchs in Mainz auf und eignete sich über Schule, Freundeskreis und Studium unverlierbar die Sprache und Geistigkeit Deutschlands an. Nach unsicheren Anfangsstudien löste sich eine tiefe Krise durch den Entschluß zum Priestertum; das Theologiestudium in Freiburg und Tübingen brachte die eigentliche, nie wieder eingebüßte Prägung von Guardinis Denken, besonders auch in Verbindung mit Beuron, wohin ihn der Freund Josef Weiger einführte, und in der Entdeckung des Gedankengutes von J. H. Newman. Nach eintrübenden Erfahrungen im Mainzer Priesterseminar und auf den ersten Kaplansstellen promoviert Guardini bei Engelbert Krebs in Freiburg über Bonaventura, der sieben Jahre später erneut zum Habilitationsthema in Bonn wird, womit Guardini die gedankliche Linie zurück zu Augustinus, Johannes und Platon wählt – in beabsichtigter Unterscheidung zur aristotelisch-scholastischen Prägung der Theologie. Erste pädagogische Erfahrungen werden 1915-1920 mit der Juventus in Mainz gesammelt, was sich 1920-1939 fortsetzt mit der Leitung des „Quickborn“ auf Burg Rothenfels. Die Verbindung zu Beuron und Maria Laach führt zu der berühmten Erstlingsschrift „Vom Geist der Liturgie“ (1918), aufgrund derer ihn Max Scheler zum Weiterstudium anregt. Nach dem Zwischenspiel in Bonn übernimmt Guardini den ad personam vom protestantischen Kultusminister Becker geschaffenen Lehrstuhl für Religionsphilosophie und Katholische Weltanschauung in Berlin, welchen Ruf er den Vorträgen „Vom Sinn der Kirche“ (1922) verdankte. Über die Methodenschrift „Der Gegensatz“ (1925) entwickelte Guardini eine Welt-Anschauung, in die er – neben Buddha – große abendländische Gestalten einbezog: Sokrates, Augustinus, Dante, Shakespeare, Pascal, Montaigne, Hölderlin, Kierkegaard, Mörike, Dostojewskij, Nietzsche, Rilke. Diese Gestaltdeutungen gipfelten in der Christusexegese „Der Herr“ (1937) und in der erkenntnistheoretischen Grundlegung „Welt und Person“ (1939). Neben der von starker studentischer, aber wenig kollegialer Resonanz erfüllten akademischen Arbeit wirkte Guardini zugleich an der Umwandlung der Katholischen Jugendbewegung in eine Kulturbewegung mit, so an den Tagungen auf Burg Rothenfels und über das bedeutende Organ „Die Schildgenossen“ (Jg. 1920-1940). Das Lehrverbot und die Enteignung von Burg Rothenfels 1939 durch die Nationalsozialisten beschränkten Guardini auf den Schreibtisch („Freiheit, Gnade, Schicksal“, 1943); der Krieg zwang ihn 1943-1945 (bzw. 1948) nach Mooshausen bei Memmingen. Von Carlo Schmid 1945 nach Tübingen berufen (den Heidegger-Lehrstuhl in Freiburg hatte Guardini abgelehnt), setzten die kulturkritischen Arbeiten ein: „Der Heilbringer in Mythos“, „Offenbarung und Politik“ (1946), „Das Ende der Neuzeit“ (1950), „Die Macht“ (1951). 1948-1962 las Guardini in München mit anhaltendem akademischem, aber auch seelsorgerlichen Erfolg (überfüllte Vorlesungen im Audimax sowie Predigten in St. Ludwig). Die letzten Themen – 1993 ediert – behandeln christliche Anthropologie und Ethik in Auseinandersetzung mit Existentialismus und Psychologie. Ab 1952 stellten sich internationale Ehrungen und letztlich auch die kirchliche Anerkennung ein. Den Kardinalshut (1965) lehnte Guardini aus Bescheidenheit ab; er starb, gezeichnet von einer Trigeminus-Neuralgie, 1968 in München und lag auf dem dortigen Priesterfriedhof des Oratoriums St. Laurentius begraben, ist aber seit 1997 nach St. Ludwig umgebettet.
Zu Guardinis kaum abzuschätzender Bedeutung für mindestens zwei Generationen des christlichen Deutschland ist zu sagen, daß er die gedankliche Blockade des Modernismusstreites löste: Er blieb der Offenbarung und der Kirche uneingeschränkt verantwortlich, bezog aber dennoch kulturelle und geschichtliche Erfahrungswerte, auch die Leiblichkeit und Sinne sowie die psychischen Gegebenheiten, kurz „Welt“ in die Glaubensauslegung ein. Zugleich leistete er der „Welt“ gegenüber eine Kritik der Selbstsetzung, der kantisch-aufklärerischen Autonomie. Für Guardini galt es, eine theologische Anthropologie aus dem Gehorsam zu entwickeln: Die Person lebt aus der Spannung von innen nach oben, ist Antwort auf den Anruf Gottes. Beseligender Sinn der Offenbarung ist es, entgegen dem Autonomiedenken der Neuzeit die Endlichkeit des Geschöpfes anzunehmen und in ihr Vollendung zu leisten. Dies entlastet von der Überanstrengung neuzeitlicher Selbstbehauptung (Nietzsche!), fordert vielmehr die der Wahrheit gemäßere Anstrengung der Selbstlosigkeit. Guardini nimmt die Offenbarung absolut, ja bis zur Revolte reizend: als Ärgernis für nur historisches, psychologisches oder nur vernunftmäßiges Denken. Von der Entscheidung zu diesem Ärgernis hängt ab, ob die natürliche Vernunft christlich wird. Dann käme – gegen Kant und Nietzsche – die Polarität von Gehorsam und Selbstwerden, von Treue und Freisein ins Spiel. Mit dieser Grundeinsicht will Guardini Philosophie, Mythos und Psychologie durch die Offenbarung provoziert wissen: Diese wirft Un-Denkliches, Un-Erfahrbares und Mehr-als-Seelisches in die Erkenntnis. Die Arbeiten zusammenfassend läßt sich sagen, daß Guardini in seinem Werk von der Liturgie übergeht zu Ekklesiologie, Existenzdeutungen, Christologie, Kulturkritik, Anthropologie und der dazugehörigen Gottesfrage.
Von Guardini und seinem Freundeskreis (nicht zuletzt Mooshausen!) gingen eine Fülle spiritueller und theologischer Anregungen aus, die ohne Zweifel eine Vordenkerschaft für das II. Vatikanische Konzil besaßen. Es ist wohl nicht zu hoch gegriffen, Guardini als einen „Kirchenlehrer des 20. Jahrhunderts“ zu bezeichnen. Der immer noch existente Lehrstuhl in München weist als Nachfolger Karl Rahner, Eugen Biser und bis 1999 Hans Maier auf.
Quellen: Nachlaß: teils auf Burg Rothenfels am Main, teils bei der Katholischen Akademie in Bayern und in der Bayerischen Staatsbibliothek, beide München
Werke: Vom Geist der Liturgie, 1918; Vom Sinn der Kirche, 1922; Der Gegensatz, 1925; Briefe vom Comer See, 1927; Vom Sinn der Schwermut, 1927; In Spiegel und Gleichnis, 1932; Wille und Wahrheit, 1933; Christliches Bewußtsein, 1935; Der Herr, 1937; Das Wesen des Christentums, 1938; Welt und Person, 1939; Der Tod des Sokrates, 1943; Freiheit, Gnade, Schicksal, 1943; Das Ende der Neuzeit, 1950; Die Macht, 1951; Grundlegung der Bildungslehre, 1953; Gegenwart und Geheimnis (Mörike), 1957; Religion und Offenbarung, 1958; Die Sinne und die religiöse Erkenntnis, 1958; Sorge um den Menschen, 1962; Die Existenz des Christen, 1976; Theologische Briefe an einen Freund, 1976; Wahrheit des Denkens und Wahrheit des Tuns, 1980; Berichte über mein Leben, 1984; Ethik, 1993
Nachweis: Bildnachweise: Photoarchiv D-97851 Burg Rothenfels am Main und Katholische Akademie in Bayern, München

Literatur: Bibliographie von H. Mercker, 1978; H. U. von Balthasar, Reform aus dem Ursprung. Romano Guardini, 1971; E. Biser, Interpretation und Veränderung. Werk und Wirkung Romano Guardinis, 1979; H.-B. Gerl-Falkovitz, Romano Guardini (1885-1968). Leben und Werk, 4. Aufl. 1995; J. Ratzinger (Hg.), Wege zur Wahrheit. Die bleibende Bedeutung von Romano Guardini, 1985; H.-B. Gerl/E. Pregardier/A. Wolf (Hgg.), Begegnungen in Mooshausen, Weißenhorn 1989
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