Aschoff, Ludwig 

Geburtsdatum/-ort: 10.01.1866; Berlin
Sterbedatum/-ort: 24.06.1942;  Freiburg
Beruf/Funktion:
  • Pathologe
Kurzbiografie: 1885 Abitur in Berlin
1885-1890 Studium der Medizin in Bonn und Straßburg
1890 Militärdienst in Brandenburg und Berlin
1891-1894 Assistentenzeit in Straßburg und Göttingen
1894 Habilitation und Ernennung zum Privatdozenten in Göttingen
1901 Ernennung zum Prof.
1894-1903 Tätigkeit am Pathologischen Institut in Göttingen
1903-1906 ordentlicher Prof. in Marburg
1906-1936 ordentlicher Prof. in Freiburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1895 Clara, geb. Dieterichs
Eltern: Vater: Louis Aschoff, praktischer Arzt in Berlin
Mutter: Blanka, geb. Heinze
Geschwister: 2
Kinder: 3 Töchter (Anni, Heta, Eva)
2 Söhne (Volker, Jürgen)
GND-ID: GND/118650629

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 7-9

Dreißig Jahre lang leitete Aschoff das Pathologische Institut der Universität Freiburg. Der gewichtigste und längste Teil seines Berufslebens spielte sich somit in Baden ab. Trotzdem ist seine Lebensbeschreibung keine badische Biographie, auch keine preußische, was der Herkunft der Familie entspräche, allenfalls eine deutsche, wenn ein solcher Rahmen überhaupt gesetzt werden muß. Aschoff war ein Forscher von übernationalem Rang, dessen Arbeit auf weltweites Interesse stieß. Seine wissenschaftlichen Kontakte mit Japan, den USA und der Sowjetunion und seine ausgedehnten Vortragsreisen während der Jahre der Weimarer Republik zeugen davon.
Aschoff wurde in Berlin geboren. Auch sein Vater war Mediziner, praktischer Arzt, der – ein Zeichen seiner Reputation – den Titel Geheimer Sanitätsrat führte. Die Schulbildung erhielt Aschoff am Askanischen Gymnasium in Berlin. Obwohl ihm der Weg zum Abitur zuweilen schwer fiel, bewahrte er der Schule eine dankbare Anhänglichkeit: 1925 hielt er die Festrede zu ihrem fünfzigjährigen Bestehen. Nach dem Abitur 1885 begann Aschoff sein Medizinstudium in Bonn. Hier trat er in die Burschenschaft Alemannia ein, deren Grundsätze mit dem Nenner: Pflichterfüllung in Freiheit und Vaterlandsliebe seine Persönlichkeit prägten, nicht zuletzt durch den Gleichklang mit der Erziehung im Elternhaus. Auch der Alemannia blieb Aschoff lebenslang verbunden.
Die ergiebigsten Studienjahre waren die Straßburger bei Professor von Recklinghausen von 1887 bis 1889. Hier entschied sich Aschoff für das Spezialgebiet der Pathologie. Anschließend kehrte er nach Bonn zurück, wo er 1890 das Examen ablegte. Im gleichen Jahr leistete er den zweiten Teil seines insgesamt einjährigen Militärdienstes ab. 1891 ging er wieder nach Straßburg, da ihm von Recklinghausen eine Assistentenstelle angeboten hatte. Fachlich profitierte er hier in hohem Maße, menschlich lag ihm, als Preußen, die Atmosphäre der Metropole des Reichslandes Elsaß-Lothringen nicht. Das geht aus seinen Briefen hervor, die seit 1966 im Druck vorliegen unter dem Titel „Ein Gelehrtenleben in Briefen an die Familie“. Die Lektüre dieses Buches ermöglicht das Verständnis des ganzen Lebenslaufes. Es zeigt außerdem, daß sich Aschoff zu vielen Themen artikulieren konnte und ein Meister des Formulierens war, übrigens nicht nur schriftlich, sondern auch mündlich: Als er sich 1894 während seiner Assistentenzeit bei Professor Orth in Göttingen habilitierte, sprach er seine Probevorlesung frei und ohne Konzept.
Mit der Habilitation erhielt Aschoff den Titel Privatdozent für pathologische Anatomie. Er lehrte weiterhin in Göttingen. 1895 verheiratete er sich mit Clara Dieterichs, einer jungen Dame aus großbürgerlichem Haus. Der Vater war Finanzminister des letzten Königs von Hannover gewesen. Mit der Eheschließung kehrte Aschoff zur Religiosität zurück, nachdem er bis dahin einem unter Naturwissenschaftlern jener Zeit verbreiteten Atheismus mit Anklängen an Haeckel nahegestanden hatte. Aschoff war bis an sein Lebensende engagiertes Mitglied der protestantischen Kirche. In der badischen Landeskirche wirkte er während seiner Freiburger Zeit als Synodale.
1901 wurde Aschoff zum Professor ernannt; Aussicht auf einen eigenen Lehrstuhl bestand aber zunächst nicht. Aus einer gewissen Ungeduld und Unzufriedenheit entschloß er sich zu einem längeren Studienaufenthalt im Ausland: im Winter 1901/1902 in England, im Frühjahr 1902 in Frankreich, wobei ihn die wissenschaftlichen Leistungen in Paris (Pasteurinstitut) mehr beeindruckten als die in London. 1903 folgte Aschoff einem Ruf als Ordinarius nach Marburg, 1906 nach Freiburg. Auch durch verlockende Angebote (Berlin, Wien) ließ er sich später nicht mehr bewegen, von hier fortzuziehen. Vielleicht hat die Bindung an das eigene Haus zu dieser Haltung beigetragen. Er baute es einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg im Stadtteil Herdern an dem Platz, der heute Aschoff-Platz heißt, und nannte es, dem Wortgehalt seines Familiennamens entsprechend, Eschenhof. Von Freiburg aus unternahm Aschoff noch vor dem Ersten Weltkrieg zwei Reisen in die USA (1906 und 1913), wo er Kontakte knüpfen konnte, die ihm während der vom Versailler Vertrag verordneten wissenschaftlichen Isolierung Deutschlands in den Jahren nach dem Kriege hilfreich werden sollten.
Die großen wissenschaftlichen Erfolge Aschoffs haben ihren Grund zum Teil darin, daß er sich auf bestimmte Problemkreise beschränkte, diesen aber Jahrzehnte andauerndes Interesse widmete. Seine wichtigsten Forschungsgegenstände waren die Ursachen der Blinddarmentzündung, der große Komplex der Cholesterinablagerungen: Arteriosklerose, Gallensteine, außerdem das Reizleitungssystem des Herzens (Aschoff-Tawara-Knoten). Diese Stichwörter sollen hier genügen mit dem Hinweis auf die „Gedenkrede auf Ludwig Aschoff“ von Franz Büchner, Aschoffs Nachfolger auf dem Freiburger Lehrstuhl. Büchner würdigte Aschoff als den bedeutendsten Vertreter der nach-Virchow'schen Pathologie und als einen entscheidenden Wegbereiter ihrer neueren Entwicklung. Vom rein Morphologischen zu den funktionellen Fragen vorgedrungen zu sein, sei dabei das Entscheidende gewesen. Besondere Erwähnung verdient auch Aschoffs Wirken während des Ersten Weltkriegs. Es war wissenschaftlich ertragreich, und er konnte mit seinem „theoretischen Wissensschatz auch praktischen Nutzen stiften“, wie er 1915 selbst formulierte. Er war Beratender Pathologe beim Feldsanitätschef im Großen Hauptquartier. Als Ergebnis zahlreicher von ihm selbst durchgeführter oder von ihm geleiteter Sektionen baute er eine kriegspathologische Sammlung auf, die sich zunächst in Freiburg befand und später nach Berlin überführt wurde. Das Feldsanitätswesen verdankte es im wesentlichen Aschoff, daß bald nach Kriegsbeginn die prophylaktische an Stelle der therapeutischen Tetanus-Antitoxin-Injektion eingeführt wurde. „Er hat die Erforschung der Wundinfektion durch Gasbrand und die genauere bakteriologische Klassifizierung der Gasbranderreger entscheidend gefördert. Die ersten Mitteilungen über die Pathologie der Kampfgase stammen von ihm. Zusammen mit W. Koch hat er die Gelegenheit des Krieges wahrgenommen, die pathologische Anatomie des Skorbuts … monographisch zu bearbeiten. An den Sektionen junger Gefallener erarbeitete er unsere modernen Vorstellungen von der Struktur des Innenreliefs des Magens.“ (Büchner).
In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg waren die hervorstechendsten Ereignisse in Aschoffs Leben zweifellos die Vortragsreisen: 1923 in die Sowjetunion auf Einladung der russischen pathologischen Gesellschaft. Leningrad und Moskau waren die Stationen; der Rückweg führte über Finnland und Schweden. 1924 folgte dann die Reise um die Welt, die seinerzeit großes Aufsehen erregte, mit Besuchen der USA, in Japan und China, 1928 Spanien, 1930 Ungarn und noch einmal Rußland. In Moskau besuchte Aschoff damals ein mit deutschen Mitteln und unter deutscher Mitwirkung geschaffenes Institut für Hirnforschung mit einer Abteilung für allgemeine Humanpathologie (Briefe S. 390), dessen Gründung auf seine Initiative zurückging. Auf seine Weise hatte er also die Rapallopolitik mitgetragten. Die Resonanz auf Aschoffs Vorträge spiegelt sich in den Ehrungen wider, die ihm im Ausland zuteil wurden: 1906 Ehrendoktor in Toronto, 1928 Bright-Medaille in London, 1935 Ehrendoktor in Debreczin und Budapest. Aschoff selbst verstand diese zwar anregenden, aber doch recht strapaziösen Reisen als seinen Beitrag, das Ansehen Deutschlands in der Welt wiederherzustellen. Das klingt in seinen Briefen an. Verglichen mit dem nationalen Hochgefühl, das seine Haltung während der Kaiserzeit bestimmt hatte, war es jedoch ein geläuterter Vaterlandsbegriff, der seinem Handeln zugrunde lag. In seiner 1925 erschienenen Schrift „Über internationale Kultur- und Wissenschaftsbeziehungen“ schrieb er: „Es gibt keine Ausdrucksform des Lebens der Völker, welche nicht neben den nationalen auch internationale Werte besäße.“ Ein ganz handgreifliches Ergebnis der Auslandskontakte Aschoffs, die auch viele ausländische Forscher an sein Institut führten, sollte noch erwähnt werden: Sie trugen dazu bei, der chronischen Knappheit der Mittel für die Forschung in jener Zeit etwas abzuhelfen.
Daß Aschoff die Rolle des akademischen Lehrers in sehr weitem Sinne verstand, ging aus dem Gesagten schon hervor. Der universell-idealistische Gelehrte entsprach seiner Zielvorstellung, nicht der technische Spezialist, obwohl auch er in seinen Forschungen durchaus zutage tritt. In seinen Augen sollte der Professor über den akademischen Bereich hinaus in die Öffentlichkeit wirken. Aschoff tat das in Festvorträgen, zum Beispiel 1915 bei einer Bismarckfeier, 1916 anläßlich des Geburtstages von Kaiser Wilhelm, in anderer Weise durch sein Engagement für die Turnbewegung. Von 1913 bis 1919 war er Vorsitzender des Freiburger Turnerbundes, von 1919 (nach dem Zusammenschluß aller drei Freiburger Turnvereine) bis 1924 Präsident der Freiburger Turnerschaft 1844. Zusammenfassend ließe sich Aschoffs weltanschaulich-politische Einstellung dahingehend charakterisieren: Vor dem Ersten Weltkrieg war er Nationalliberaler und begeisterter Monarchist. Der Umsturz 1918 bedeutete für ihn eine Erschütterung und zugleich die Erkenntnis, daß tiefgreifende Veränderungen, vor allem auf gesellschaftlichem und sozialem Gebiet nötig seien. Er bewahrte sich sein konservatives Denken, ohne sich Neuem gegenüber zu verschließen. Während der Weimarer Republik neigte er zu den Liberalen im Sinne der Stresemannpartei mit einer Tendenz zu den Deutschnationalen, wobei es ihm erklärtermaßen fernlang, anderen politischen Gruppierungen das Deutschtum anzusprechen. Hinsichtlich der Entwicklung von 1933 teilte er den verbreiteten Irrtum, die konservativ-bürgerlichen Kreise könnten die Hitlerpartei in Schranken weisen. Die Aufhebung der Selbstverwaltung der Universitäten war ein erster Schreckschuß für ihn. 1936 zog sich Aschoff von seinem Lehrstuhl und von der Leitung des Pathologischen Instituts in Freiburg zurück.
Aschoff verkörpert ein halbes Jahrhundert deutscher Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte und hat Generationen von Medizinern geprägt. Das ehrende Andenken verdankt er nicht allein seinen wissenschaftlichen Erfolgen, sondern auch seiner Menschlichkeit. „In Bezug auf den Charakter kann man nicht lehren, sondern nur als Vorbild wirken“, sagte er bei seinem Abschied. Das ist ihm gelungen, beruflich und privat.
Werke: Bibliographie in: Franz Büchner, L. Aschoff – zum Gedenken an seinen 100. Geburtstag, in: Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Pathologie. 50, 1966, 475-489.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos in: L. Aschoff, Ein Gelehrtenleben in Briefen, vgl. Lit.

Literatur: Franz Büchner, L. Aschoff, in: Johannes Vincke (Hg.), Freiburger Professoren des 19. und 20. Jahrhunderts. Freiburg 1957; ders., Gedenkrede auf L. Aschoff Freiburg 1946; ders., Pläne und Fügungen. München/Berlin 1965; L. Aschoff, Ein Gelehrtenleben in Briefen an die Familie. Hg. v. d. Familie im Freiburger Hans Ferdinand Schulz Verlag 1966; Dorothea Buscher, Die wissenschaftstheoretischen, medizin-historischen und zeitkritischen Arbeiten von L. Aschoff, Diss. med. Freiburg 1980. (Darin auch ergänzende Angaben zur Bibliographie.); Bernd Ottnad, Beziehungen zwischen dem deutschen Südwesten und Japan, in: Neues aus Japan. Hg. v. d. Japanischen Botschaft u. d. Japanischen Generalkonsulaten in der Bundesrepublik Deutschland, Nr. 205-209, 1974, Nr. 208, 7 f.
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