Büchner, Karl 

Geburtsdatum/-ort: 06.08.1910; Gaschwitz (Sachsen)
Sterbedatum/-ort: 19.11.1981;  Denzlingen bei Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Klassischer Philologe
Kurzbiografie: 1930 Abitur („primus omnium“) Nikolaischule Leipzig
1930-1936 Studium der Klassischen Philologie in Leipzig
1935 Promotion bei Friedrich Klingner
1938 Habilitation in Leipzig
1939 Lehrstuhlvertretung in Göttingen
1940 Einberufung zum Militärdienst
1941/42 Teilnahme am Rußlandfeldzug
1942 Berufung nach Freiburg i. Br.
1943-1976 Professor in Freiburg i. Br.
1948/49 Dekan der Philosophischen Fakultät
1971/72 Dekan der Philosophischen Fakultät II
1976 Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch-lutherisch
Verheiratet: 1937 Johanna Susanne, geb. Rieß
Eltern: Vater: Karl Ernst Walter Büchner, Kaufmann
Mutter: Maria, geb. Weber
Geschwister: 5
Kinder: Theodor (geb. 1938)
Ulrike (geb. 1939)
Konrad (geb. 1941)
Stephan (geb. 1944)
GND-ID: GND/118664492

Biografie: Harald Merklin (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 47-50

Fast vier Jahrzehnte lang lebte und wirkte Büchner als Freiburger Professor für Klassische Philologie in der von humanistischen Traditionen geprägten Landschaft am südlichen Oberrhein. In dieser Zeit ist er als Wissenschaftler, dessen Werk in seiner schöpferischen Originalität, seiner thematischen Vielfalt und der reichen Fruchtbarkeit seiner Ergebnisse überragende Bedeutung besitzt, aber ebenso als akademischer Lehrer, der Generationen von Studenten geprägt hat, selbst ein Teil der Geistesgeschichte dieses Landes geworden.
Sein wissenschaftlicher Werdegang hatte in Leipzig begonnen, wo er 1930 das Studium der Klassischen Philologie begann und zum Schüler des Latinisten Friedrich Klingner wurde. In der universalen Weite seiner wissenschaftlichen Arbeit, die keine enge Spezialisierung kannte, und der zutiefst humanistischen Geisteshaltung, aus der sie entsprang, ist Büchner seinem Lehrmeister immer verbunden geblieben. Durch Klingner kam der junge Gelehrte auch in Berührung mit dem Kreis um den damaligen Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler, dem Büchner in seiner bedingungslosen Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes politisch sehr nahe stand.
Ohne ernstliche Behinderung durch die politischen Bedrängnisse der Zeit entwickelte sich indessen die Laufbahn des Wissenschaftlers Büchner. Seine Arbeit „Beobachtungen über Vers und Gedankengang bei Lukrez“, mit der er 1935 promovierte, erschien 1936 als erstes Heft der „Hermes-Einzelschriften“ und eröffnete damit eine der renommiertesten Publikations-Reihen der Klassischen Philologie, zu deren Herausgebern Büchner später selbst gehörte. Von der außerordentlichen Fruchtbarkeit und Schaffenskraft, mit der Büchner in diesen und den folgenden Jahren bereits auf sich aufmerksam machte, zeugen neben seiner Habilitationsschrift über „Die Andria des Terenz“ (1938) vor allem sein Beitrag zum RE-Artikel „M. Tullius Cicero“ („Briefe und Fragmente“ 1939) und sein Literaturbericht über die Forschung der Jahre 1929-1936 zu Horaz, der 1939 in Bursians Jahresberichten erschien und aufgrund seines außerordentlichen Wertes noch Jahrzehnte später (1969 und 1974) nachgedruckt wurde.
So überrascht es nicht, daß Büchner 1939 mit einer Lehrstuhlvertretung in Göttingen betraut wurde und 1942 einen Ruf an die Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg i. Br. erhielt, dem der mittlerweile zum Kriegsdienst einberufene und an der Ostfront schwer verwundete Gelehrte allerdings erst 1943 folgen konnte. Mit Büchner hatte die Freiburger Universität nicht nur einen hervorragenden Latinisten, sondern auch eine Persönlichkeit von ungewöhnlicher Ausstrahlung gewonnen. Seine von tiefer Menschlichkeit, umfassender Bildung und vielseitigen Interessen, vor allem für die Schönheit der Natur und der Musik, geprägte Person bestimmte in beglückender Weise den Charakter seines Wirkungsbereichs und führte für das Freiburger Seminar für Klassische Philologie eine goldene Zeit herauf. Wie sehr der neue Lehrstuhlinhaber binnen kurzem zum Herzen des Instituts geworden war, zeigte sich in der Schreckensnacht des 27. November 1944, als die Altstadt Freiburgs mit der Universität im Bombenhagel in Trümmer sank und die Mitarbeiter des altphilologischen Instituts spontan bei ihrem Professor in der Burgunderstraße Zuflucht suchten.
Um nach der teilweisen Zerstörung des Universitätsgebäudes dem Seminar die Weiterarbeit und vor allem seinen Studenten ihren Studienabschluß zu sichern, machte sich Büchner auf die Suche nach einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit und fand sie nach ausgedehnten Fahrrad-Exkursionen im Donautal auf der Burg Wildenstein nahe dem Benediktinerkloster Beuron. Tatsächlich gelang es, auch Teile der Seminarbibliothek dorthin zu schaffen und vom Dezember 1944 bis Mai 1945 in der Agonie des Dritten Reiches in gewissem Umfang den Lehrbetrieb aufrecht zu erhalten und Prüfungen abzunehmen.
Der Neubeginn nach 1945 brachte für Büchner nicht nur reiche Entfaltungsmöglichkeiten in Forschung und Lehre, sondern im politischen Bereich auch eine überaus harmonische Zusammenarbeit mit dem Humanisten und späteren südbadischen Staatspräsidenten Leo Wohleb, der sich, etwa bei Kontakten mit der französischen Besatzungsmacht, dankbar der Unterstützung des angesehenen Gelehrten versicherte. Inzwischen wuchs die Zahl der Studierenden, die in immer größeren Scharen zu dem prominenten Professor drängten, die aber für ihn, auch als ihre Zahl auf mehrere hundert angestiegen war, nicht in einer anonymen Masse versanken, sondern dank seines phänomenalen Personengedächtnisses persönlicher Beachtung und Betreuung sicher sein konnten. In fruchtbarer Wechselwirkung mit dieser intensiven und ausgedehnten Lehrtätigkeit, die bei manch anderem bereits die volle Arbeitskraft beansprucht hätte, entstand in diesen Jahren eine Fülle von Werken, mit denen Büchner nicht nur die Aufmerksamkeit der Fachwelt, sondern in zunehmendem Maße auch das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit erweckte. So erschienen in den fünfziger Jahren neben dem großangelegten Forschungsbericht „Lateinische Literatur und Sprache in der Forschung seit 1937“ (gemeinsam mit J. B. Hofmann, 1951) und dem wegweisenden RE-Artikel „P. Vergilius Maro“ (1955) Übersetzungen von Werken Ciceros („Vom Gemeinwesen“ und „Gespräche in Tusculum“ 1952, „Vom rechten Handeln“ 1953), der kleinen Schriften des Tacitus („Die historischen Versuche“ 1956) und des Lukrez („Welt aus Atomen“ 1956), die exemplarische Aufsatzsammlung „Humanitas Romana“ (1957), vor allem aber die inzwischen mehrfach neu aufgelegte und in andere Sprachen übersetzte „Römische Literaturgeschichte“ (1957).
Neben seiner Lehrtätigkeit und der fast unerschöpflich scheinenden wissenschaftlichen Produktivität widmete sich Büchner mit profunder Sachkenntnis und sicherem Urteil auch umfangreichen Aufgaben als Prüfer, Gutachter, Herausgeber von Zeitschriften und Reihen („Hermes“, „Hermes-Einzelschriften“, „Zetemata“), als Institutsdirektor – im Wechsel mit seinem gräzistischen Kollegen Hermann Gundert – und Dekan (1948/49 und 1971/72). Auf Fortbildungstagungen für Gymnasiallehrer und in Publikumsvorträgen, besonders der von ihm selbst maßgeblich geprägten „Freiburger Vereinigung der Freunde des humanistischen Gymnasiums“ (später: „... Freunde der Antike“), aber auch auf nationalen und internationalen Kongressen war er als Redner hochgeschätzt. Gemeinsam mit seinem Straßburger Kollegen Robert Schilling begründete er 1960 die Tradition jährlicher badisch-elsässischer Latinistentreffen, die als „Colloquium Rhenanum“ zu einer dauerhaften, noch heute bestehenden Einrichtung geworden sind. Die weit über die Grenzen Deutschlands hinausreichende Anerkennung für das Werk und die Person Büchners fand ihren äußeren Ausdruck in der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universitäten von Salamanca, Glasgow und Straßburg.
Die starke Resonanz seines Wirkens innerhalb und außerhalb der Fachwelt ließ den Wunsch nach einer Sammlung auch seiner verstreuten, teilweise an entlegener Stelle publizierten Aufsätze immer stärker werden. Ihm entsprach die Veröffentlichung der zehn stattlichen Bände „Studien zur römischen Literatur“ in den Jahren 1962-1979, in denen viele seiner früheren Untersuchungen, durch Neuveröffentlichungen ergänzt, nach Themengruppen geordnet zusammengestellt sind. Zusammenfassenden Charakter hatten auch die Werke über „Sallust“ (1960), „Cicero – Bestand und Wandel seiner geistigen Welt“ (1962) und „Das Theater des Terenz“ (1974), in denen Büchner, an frühere Arbeiten anknüpfend, die Summe seiner Erkenntnisse über die betreffenden Autoren vorlegte, sowie die Sammelwerke „Die römische Lyrik“ (1976) und „Latein und Europa“ (mit Beiträgen von Golo Mann u. a., 1978). Sie zeugen ebenso wie der 1984 postum herausgegebene Kommentar zu Ciceros „De re publica“ von einer trotz zunehmender Behinderung durch Krankheit nicht erlahmenden Schaffenskraft, mit der Büchner auch nach seiner Emeritierung 1976 der selbstgestellten Aufgabe treu blieb, das literarische Erbe der klassischen, besonders der römischen Antike dem Verständnis der Gegenwart zu erschließen und für das eigene Leben wie für das seiner Schüler, Hörer und Leser fruchtbar zu machen. Es ist neben der überragenden fachlichen Meisterschaft wohl vor allem dieser existentielle Bezug seines philologischen Forschens und Lehrens, in dem das Geheimnis seiner außerordentlichen Wirkung beschlossen liegt.
Werke: (in Auswahl) Bibliographie in Eckart Schäfer, vgl. Literatur; Latein. Literatur und Sprache in der Forschung seit 1937 (mit J. B. Hofmann), Bern 1951; Publius Vergilius Maro. Der Dichter der Römer, Stuttgart 1955, 3. Aufl. 1978; Humanitas Romana. Studien über Werke und Wesen der Römer, Heidelberg 1957; Römische Literaturgeschichte. Ihre Grundzüge in interpretierender Darstellung, Stuttgart 1957, 5. Aufl. 1980; Sallust, Heidelberg 1960, 2. Aufl. 1982; Studien zur römischen Literatur, 10 Bände, Wiesbaden 1962-1979; Cicero. Bestand und Wandel seiner geistigen Welt, Heidelberg 1964; Das Theater des Terenz, Heidelberg 1974; Die römische Lyrik. Texte, Übersetzungen, Interpretationen, Geschichte, Stuttgart 1976; Latein und Europa. Traditionen und Renaissancen (mit Golo Mann u. a.), Stuttgart 1978; M. Tullius Cicero, De re publica. Kommentar, Heidelberg 1984
Nachweis: Bildnachweise: Foto in Forschungen zur römischen Literatur 1970 (siehe oben) und Gnomon 54, 1982, 379

Literatur: Bibliographisches Verzeichnis der wissenschaftlichen Publikationen Karl Büchners (1936-1970) von Eckart Schäfer, in: Forschungen zur römischen Literatur. Festschrift zum 60. Geburtstag von Karl Büchner, hg. von Walter Wimmel, Wiesbaden 1970; Walter Wimmel, Der Philologe Karl Büchner. Versuch einer Würdigung aus Anlaß seines fünfundsechzigsten Geburtstags, mit einem Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen Karl Büchners von Eckart Schäfer (1936-1970) und Konrad Heldmann (1970-1975), Marburg/Lahn 1975; Eckard Lefèvre, Karl Büchner zum 70. Geburtstag, in: Freiburger Universitätsblätter, 19. Jg., Heft 69/70, Dezember 1980, 9 f.; ders., Karl Büchner zum Gedenken, in: Freiburger Universitätsblätter, 21. Jg., Heft 75, April 1982, 5; Jürgen Blänsdorf, Nachruf auf Karl Büchner, in: Gnomon 54, 1982, 378-382
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