Winterer, Otto 

Geburtsdatum/-ort: 08.01.1846;  Ettenheim
Sterbedatum/-ort: 26.02.1915;  Freiburg; beigesetzt Hauptfriedhof
Beruf/Funktion:
  • Jurist, Oberbürgermeister
Kurzbiografie: 1852-1860 Volks- und Bürgerschule Ettenheim
1860-1865 Berthold-Gymnasium Freiburg
1865-1868 Studium der Rechts- und Staatswissenschaften sowie der Nationalökonomie Freiburg und Heidelberg
1868-1871 Rechtsreferendar
1871-1874 Staatsdienst Müllheim, Freiburg, Breisach, Wolfach
1874-1876 Amtmann Mannheim
1876-1877 Oberamtmann (Amtsvorsteher) Bezirksamt Buchen
1877-1888 Oberbürgermeister Konstanz
1883-1889 Mitglied der 2. Badischen Kammer (Nationalliberale Partei)
1888 Ehrenbürger Konstanz
1888-1913 Oberbürgermeister Freiburg
1892 Dr. med. h. c. Freiburg
1892-1915 Präsident des Münsterbauvereins Freiburg
1905-1915 Mitglied der 1. Badischen Kammer
1907-1913 Vorstand des Badischen Städteverbandes (Konferenz der Oberbürgermeister)
1911-1915 Präsident des Badischen Landeswohnungsvereins
1913 Ehrenbürger Freiburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1869 Maria, geb. Gartenhauser
Eltern: Vater: Victor Winterer, Bäckermeister
Mutter: Rosalie, geb. Kollofrath
Geschwister: 1 Bruder
1 Schwester
Kinder: 10 (4 Söhne, 2 Töchter, 4 Kinder früh verstorben)
GND-ID: GND/119438909

Biografie: Clemens Siebler (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 2 (1987), 310-313

Winterers herausragende Popularität in Staat und Gesellschaft verbinden sich vornehmlich mit seiner langjährigen kommunalpolitischen Führungsaufgabe als Oberbürgermeister der Städte Konstanz und Freiburg. Sein rechts- und staatswissenschaftliches Studium und seine mehrjährige Tätigkeit im Justiz- und Verwaltungsdienst brachten sicher wichtige Voraussetzungen mit, um ein so verantwortungsvolles Amt mit Umsicht auszuüben. Doch hätte ihn wohl sein juristischer Sachverstand allein nicht dazu bewegen können, eine erfolgreich begonnene Beamtenlaufbahn mit dem Rathaus zu vertauschen, hätte Winterer nicht in gleichem Maße Bereitschaft zu politischem Engagement und selbstlose Einsatzfreude für das Gemeinwohl mitgebracht.
Bereits mit 31 Jahren zum Oberbürgermeister von Konstanz gewählt, leitete er elf Jahre lang die Geschicke der Bodenseestadt. Durch die aufwendigen Investitionen seines Amtsvorgängers zu größter Sparsamkeit gezwungen, wollte Winterer nicht nur den zerrütteten Haushalt der Stadt sanieren, sondern gleichzeitig der Bürgerschaft den Beweis erbringen, daß sich wahre Meisterschaft vorab in einer Ausgabenpolitik der Vernunft und Selbstbeschränkung zeigt. Daß er trotz der prekären Finanzlage darauf bedacht war, nicht nur den altertümlichen, historischen Charakter der uralten Bischofsstadt am See zu erhalten, sondern ihr eine solide Grundlage als moderne Fremdenstadt zu geben, hat er mit dem Ausbau des Rosgartenmuseums zu einem kulturgeschichtlichen Mittelpunkt des ganzen Seekreises sowie der Anlage des Stadtgartens jedermann eindrucksvoll vor Augen geführt. Nachdem 1888 die Stelle des Oberbürgermeisters in Freiburg freigeworden war, wurde Winterer vom Bürgerausschuß in seltener Einmütigkeit und ohne Gegenkandidaten zum neuen Stadtoberhaupt gewählt. Ein Vierteljahrhundert sollte er nun die Geschicke der rasch aufstrebenden Universitätsstadt leiten. In diesen an inneren Spannungen reichen Jahren, die in gleicher Weise vom nationalen und technischen Fortschrittsoptimismus der Deutschen, dem noch andauernden Kulturkampfklima sowie einer permanenten sozialen Krisenstimmung geprägt waren, war Winterer ein überaus vielseitiges und verantwortungsvolles Aufgabenfeld zugewiesen; vor allem vom Stadtoberhaupt war hier Bewährung und die Kunst der Erhaltung des Bürgerfriedens gefordert.
Wenn Winterer bei seinem Amtsantritt versprach, den neuzeitlichen Ansprüchen der Mitbürger und Fremden gerecht werden zu wollen, andererseits vom alten Freiburg nichts untergehen zu lassen, was erhalten zu werden verdient, bekannte er sich zu einer Maxime, nach der er bereits in Konstanz gehandelt hatte. In der Absicht, ein moderneres und größeres Freiburg zu schaffen, entfaltete er alsbald eine rege Bautätigkeit. Sein Ziel war, Freiburg nicht nur als Wohnstadt für ein gehobenes und wohlhabenderes Bürgertum attraktiv zu gestalten, sondern hier auch ein regionales Zentrum der Bildung, Kunst und Wissenschaft aufzubauen.
Hand in Hand mit der angestrebten Stadterweiterung betrieb Winterer die Eingemeindung mehrerer Nachbardörfer sowie deren allmähliche Anschließung durch den Bau eines elektrischen Straßenbahnnetzes. Kernstück seines Bauentwicklungsplanes war eine gezielte Bodenpolitik, die darin bestand, den weit größten Teil des Grundes und Bodens auf der städtischen Gemarkung in kommunales Eigentum überzuführen. Daß der stark parzellierte Privatbesitz, vor allem am unteren Schloßberg, von der Stadt käuflich erworben und so allen Bürgern zugänglich gemacht werden konnte, war dem Allgemeinwohl überaus dienlich. Schließlich erlaubte diese Bodenpolitik, Freiburg mit prachtvollen Waldfahrstraßen und Wanderwegen auszustatten. So ist hier ein Naherholungsgebiet entstanden, das in anderen Städten Deutschlands seinesgleichen sucht.
Winterers kommunalpolitisches Engagement hatte überdies eine betont soziale Komponente. Jeder einseitigen Begünstigung abhold, hatte er mit der eingegangenen Verpflichtung ernst gemacht, gegenüber jedermann Gerechtigkeit zu üben. Daher fühlte er sich für eine kontinuierliche Verbesserung zahlreicher im Dienste des Allgemeinwohls stehenden Einrichtungen verantwortlich. Die Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, der Bau von Schulen und Arbeiterwohnungen, die Neuordnung der Volksküche, eine menschenwürdige Unterbringung für Alte, Arme und Waisen stehen beispielhaft für eine zielstrebige und fortschrittliche Sozialpolitik.
Winterer war nicht nur auf das Neue bedacht; ihm lag viel daran, schon Bestehendes zu noch größerer Geltung zu bringen. Daher war es auch sein Wunsch, den erforderlichen Raumbedürfnissen der Stadtverwaltung durch einen Rathausneubau (1895/1901) Rechnung zu tragen. Dank des neuen Stadttheaters (1910) konnte sich Freiburg mehr als bisher zu einer Stätte der Kunstpflege entfalten. Aber noch nachhaltiger für die Entwicklung der Stadt war Winterers herzliches Verhältnis zur Universität. Bei der Errichtung mehrerer Institute, beim Neubau der Bibliothek und des Kollegiengebäudes (1911) zeigten sich Oberbürgermeister und Stadtrat überaus großzügig. Umgekehrt hatte die Hochschule nicht mit ihrem Lob für manche gesellschaftspolitischen und hygienischen Programme der Stadt gespart. Schon 1892 war Winterer die Würde eines medizinischen Ehrendoktors verliehen worden, nachdem nicht zuletzt durch seine Beharrlichkeit der Ausbau der Kanalisation und die Einrichtung von Rieselfeldern abgeschlossen werden konnten. Die hohe akademische Auszeichnung war nicht nur der Dank der Fakultät für eine von Experten als mustergültig anerkannte Anlage; auch Winterers unerschütterliches Vertrauen in den damaligen Stand der Heilkunst sollte gewürdigt werden: statt nach Ausbruch der Cholera in einigen norddeutschen Hafenstädten den Zuzug reicher Familien nach Süddeutschland zu verbieten, wie es mehrere Stadtverwaltungen getan hatten, war Winterer der festen Überzeugung, daß beim Auftreten eines Einzelfalles die Medizinische Fakultät in der Lage sei, geeignete Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Seuche zu treffen. Wie sehr derselbe Mann, der allem Modernen so offen begegnete, am Überlieferten hing, wird an seinem nicht minder zähen Ringen für die Erhaltung des mittelalterlichen Straßenbildes in der Freiburger Altstadt sichtbar. Immer seinem Wunschtraum verpflichtet, Freiburg zu einer der schönsten und liebenswertesten Städte Deutschlands zu machen, sah er gerade in den typischen „Straßenbächle“ und den beiden noch vorhandenen Tortürmen schützenswerte Sehenswürdigkeiten.
Im Einklang mit den maßgeblichen Kreisen der Stadt wollte er die Pflege des Münsters nach Kräften fördern. Der Tatsache eingedenk, daß es nahezu ausschließlich die Freiburger Bürgerschaft war, die das Münster erbaut und der Nachwelt in vorbildlichem Zustand überlassen hatte, nahm sich der Stadtrat dieser wichtigen Aufgabe an. Aus dieser Idee ist der Freiburger Münsterbauverein gegründet worden (1890). Zunächst zu dessen stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, bekleidete Winterer, der der eigentliche Initiator des Vereins war, seit 1892 das Amt des Präsidenten, das er bis zu seinem Tode innehatte. Angesichts der geographischen und sozialen Herkunft Winterers wird man verwundert sein, ihn parteipolitisch im Lager der Nationalliberalen anzutreffen; waren es doch gerade sie, die den Geist des Kulturkampfes mit großer Leidenschaft entfacht und durch die ersten Jahrzehnte des Deutschen Reiches weitergetragen hatten. Winterer jedoch begriff den Liberalismus in erster Linie als Konfrontation und Abrechnung mit einem System der Unfreiheit, der Unterdrückung und der polizeistaatlichen Methoden. Daher stand er dem intoleranten und bisweilen kleinlichen Vorgehen seiner Parteifreunde gegen politisch und religiös Andersdenkende gänzlich ablehnend gegenüber.
Seit 1883 Mitglied der 2. Badischen Kammer, wo er den städtischen Wahlkreis Konstanz vertrat, hatte ihm weit mehr an der verständnisvollen Einigung als am Sieg einer politischen Partei über die andere gelegen. Stets von seinem Gerechtigkeitssinn, seinem religiösen und wahrhaft toleranten Wesen bestimmt, mißbilligte er auch das in Baden geltende Verbot der Niederlassung männlicher Ordensgemeinschaften. Als sich aber die Nationalliberalen anschickten, der Kirchenbehörde auch die aushilfsweise Übertragung seelsorgerlicher Aufgaben an einzelne Ordensgeistliche zu verweigern, war Winterer nicht länger willens, dieses unwürdige Spiel seiner Parteifreunde mitzumachen. Da er in den geplanten Maßnahmen eine offenkundige Verletzung des katholischen Bevölkerungsteiles sah, ergriff er Partei zugunsten des Regierungsentwurfes; unter Berücksichtigung des fortdauernden Priestermangels sah dieser vor, dem Ersuchen des Erzbischofs, wenn auch in stets widerruflicher Weise, stattzugeben. Obwohl es Winterer gelungen war, zehn Gleichgesinnte um sich zu scharen, vermochte er den Beschluß der Fraktionsmehrheit nicht zu Fall zu bringen.
Daß Winterer seit 1889 dem Landtag nicht mehr angehörte, muß nicht unbedingt, wie gelegentlich behauptet, in ursächlichen Zusammenhang mit seinem parteipolitischen Alleingang gebracht werden. Es ist überdies kaum anzunehmen, daß die Nationalliberale Partei auf ihr damals schon so profiliertes und erfolgreiches Mitglied verzichten wollte. Näher liegt der Gedanke, daß er selbst frühzeitig die Unvereinbarkeit seiner kommunal- mit den landespolitischen Aufgaben erkannt hatte und daraus die Konsequenzen zog. Um die Militärvorlage des Reichskanzlers von Caprivi moralisch zu unterstützen, bewarb sich Winterer 1893 ein einziges Mal, wenn auch erfolglos, um ein Reichstagsmandat. Wie sehr ihn sein Amt als Oberbürgermeister ausfüllte, wurde in späteren Jahren abermals sichtbar. Mehrmals hatte sich Großherzog Friedrich I. vergeblich bemüht, Winterer als Finanzminister zu gewinnen. Auch als er aufgrund einer Verfassungsreform (1904) Mitglied der 1. Kammer geworden war, konnte er für diese neue Aufgabe nur wenig Zeit bereitstellen.
Die Erhaltung des inneren Friedens hatte Winterer über alles gestellt. Als im Jahre seines Amtsantritts (1888) die Nationalliberalen auf den nach Freiburg einberufenen Deutschen Katholikentag mit einer Protestversammlung reagierten, bekundete der Oberbürgermeister strikte Unparteilichkeit, indem er beiden Veranstaltungen fernblieb. Zu den verschiedenen Religionsgemeinschaften suchte er ein gutes und vertrauensvolles Verhältnis. Es gelang ihm auch, in einem Vertrag zwischen der Stadt Freiburg und der katholischen Kirchenbehörde eine Einigung über die Besitzverhältnisse sowie einige Nutzungsrechte am Münster herbeizuführen (1901).
Zu den herausragenden Eigenschaften dieses ungewöhnlichen Mannes gehörte seine Rednergabe. Bei ungezählten öffentlichen und festlichen Anlässen wußte er sie immer in den Dienst einer großen und bedeutenden Sache zu stellen. Was ihm vor allem aus seiner Tätigkeit im Stadtrat nachgerühmt wurde, war die bewundernswerte Beherrschung der Materie, die glänzende Meisterung der ihm vorgelegten Aufgaben, die verblüffende Schlagfertigkeit und das immer treffsichere Urteil. Selbst zu raschen Entschlüssen neigend, besaß er die besondere Gabe, auf den Gegner belehrend und überzeugend einzuwirken.
Es liegt nahe, daß die Öffentlichkeit ihre Anerkennung für seine außergewöhnlichen Verdienste in zahlreichen Ehrungen zum Ausdruck brachte. So hatten ihn seine badischen Amtskollegen 1907 zum ständigen Vorsitzenden ihrer Oberbürgermeisterkonferenz gewählt. Die badischen Städte mit Städteordnung übertrugen ihm die Vertretung in der 1. Kammer. Schon beim Weggang aus Konstanz zum Ehrenbürger ernannt, wurde ihm diese Auszeichnung auch in Freiburg zuteil, als er 1913 von seinem Amt zurücktrat.
Nur ein kurzer Ruhestand war dem stets Rastlosen beschieden, der sich als Stadtoberhaupt nur wenig Muße gegönnt und oft bis tief in die Nacht für das Wohl seiner Mitbürger verzehrt hatte. Es liegt in der Natur der menschlichen Unvollkommenheit, daß auch seiner Willenskraft und seinen guten Absichten Grenzen gesetzt waren. Sein Wunsch, die Oberrheinkanalisierung durchzuführen, ein Rheinkraftwerk zu errichten und bei Breisach einen Hafen zu bauen, erfüllte sich nicht. Der schon von ihm erwogene Bau einer Schauinsland- und Schloßbergschwebebahn blieb späteren Generationen vorbehalten.
Kurz nach Kriegsausbruch legte er noch in einer vaterländischen Versammlung ein unüberhörbares Bekenntnis seiner patriotischen Gesinnung ab. An den Folgen einer schweren Krankheit starb er bald danach im Freiburger St. Josefskrankenhaus. Die Feierlichkeit der Beisetzung, zu der sich neben zahlreichen Trauergästen aus Stadt und Land eine gewaltige Menschenmenge eingefunden hatte, bestärkte die Zeitgenossen in der oft geäußerten Meinung, daß man mit Winterer den „Großherzog von Freiburg“ zu Grabe tragen würde.
Nachweis: Bildnachweise: Fotos StAF, Bildnissammlung; Büste Rathaus Freiburg, Kopie Privatbesitz Landrat Dr. Mayer, Emmendingen; Gedenktafeln Freiburger Münster, südliches Chorportal innen (1916), Ettenheim Geburtshaus (1950).

Literatur: H. Müller, Oberbürgermeister Dr. O. Winterer, Freiburg 1916; A. Müller, Dr. O. Winterer, Oberbürgermeister der Stadt Freiburg; zu seinem 50. Todestag, in: Ekkhart 1965, 161-173; 75 Jahre Münsterpflege, Freiburger Münsterbauverein (1890-1965), hg. v. P. Booz, Freiburg 1965.
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