Luckner, Gertrud Jane 

Geburtsdatum/-ort: 26.09.1900; Liverpool
Sterbedatum/-ort: 31.08.1995;  Freiburg i. Br.
Beruf/Funktion:
  • Helferin Verfolgter, Verfolgte des NS-Regimes, Vorkämpferin der christlich-jüdischen Aussöhnung
Kurzbiografie: 1907 Übersiedlung nach Deutschland
1925 Abitur Königsberg und Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Königsberg, Birmingham, Frankfurt/M.
1930 „Au-pair“-Aufenthalt England
1931 Studium der Sozialwissenschaft Freiburg i. Br. Friedensbund deutscher Katholiken
1934 Übertritt vom Quäkertum zum Katholizismus
1936 X.15. Angestellte der „Freien Vereinigung für Seelsorgehilfe“ am DCV
1938 Promotion zum Dr. rer. pol. Freiburg i. Br.
1939 Mitarbeiterin der „Kirchlichen Kriegshilfestelle“ beim DCV
1941 XII.19. Beauftragung durch Erzbischof Conrad Gröber mit der „Durchführung notwendiger Aufgaben der außerordentlichen Seelsorge“
1943 III.24. Verhaftung durch die Gestapo
1943 X.15. Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück bis zur Befreiung am 3. Mai 1945
1945 VII-1968 XII.31. Aufbau und Leitung des Referates „Verfolgtenfürsorge“ beim DCV bis zum Ruhestand
1948-1986 Herausgabe und Schriftleitung der „Freiburger Rundbrief“
1951 Einladung, als 3. Deutsche, nach Israel; Israelischer Ehrentitel „Botschafterin der Menschlichkeit“
1953 Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
1960 Anpflanzung eines „Gertrud-Luckner-Hains“ bei Nazareth
1966 Israelischer Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ mit Yad-Vashem-Medaille
1968 XII.31. Ruhestand
1970 Israelischer Ehrentitel „Heldin des Jüdischen Volkes“ (im Goldenen Buch des Jüdischen Nationalfonds in Jerusalem)
1974 Großes Bundesverdienstkreuz
1975 „Silberner Brotteller“ des DCV
1977 Doctor of Humane Letters h. c. des Hebrew Union College in Cincinnati
1979 Ehrenbürgerin der Stadt Freiburg i. Br.
1980 Buber-Rosenzweig-Medaille
1987 Sir-Sigmund-Sternberg-Preis
1994 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg
Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern: Karl (1872-1927), Kaufmann aus Plauen im Vogtland
Luise, geb. Sonnenburg (1872-1928) aus Königsberg
Geschwister: keine
GND-ID: GND/119443465

Biografie: Hans-Josef Wollasch (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 227-231

In ihrer Geburtsurkunde ist Luckner mit dem Vornamen Jane als Tochter des Marine-Ingenieurs Robert Hartmann und seiner Frau Gertrude, geb. Miller, eingetragen. Die deutschen Eltern gaben aus einer Notlage heraus das Kind im Alter von wenigen Wochen einem anderen deutschen Ehepaar, den damals in Horsham/Sussex wohnenden Luckners, in Pflege. 1907 übersiedelten die ansonsten kinderlosen Pflegeeltern mit ihrer Tochter nach Deutschland, nahmen sie aber erst am 15. Dezember 1922 in Königsberg an Kindesstatt an. Außer ein paar Briefen ihrer leiblichen an die Pflegeeltern besaß Luckner, trotz intensiven eigenen Nachforschungen in England, keinerlei Wissen über ihre Herkunft. Dieses Entbehren mag ihr frühzeitiges Selbständigwerden gefördert haben.
Nach Schulbesuch in Berlin und Potsdam arbeitete Luckner, bedingt durch Krankheit und Kriegsauswirkung, zunächst als Praktikantin in der städtischen Familienfürsorge in Königsberg. 1925 legte sie dort das Abitur ab und nahm das Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften auf, das sie auch an das von Quäkern geführte Woodbrooke-College bei Birmingham und nach Frankfurt/M. führte. 1930 betätigte sie sich in England ein Jahr lang als „mother’s help“, nachdem sie 1927 als Familienfürsorgerin (hospital almoner) am Central Hospital und in den Slums von Birmingham gearbeitet hatte. Im April 1931 schließlich kam sie nach Freiburg, angezogen durch die Existenz des Instituts für Caritaswissenschaft sowie von dem Wirtschaftswissenschaftler Gerhart von Schulze-Gävernitz, bei welchem sie mit ihrer Neigung zur englischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte gerne promoviert hätte.
Als Werkstudentin fand Luckner Kontakte zu englischen Wandervogelgruppen, die sie im Schwarzwald führte. Durch ihre Mitarbeit im Friedensbund der deutschen Katholiken entwickelte sie, ganz besonders auf einem internationalen Pfingsttreffen 1932 in Egg bei Säckingen, freundschaftliche Beziehungen zu Schweizern und Elsässern. Diese Freundschaften über Grenzen hinweg, auch die Gemeinschaft der Quäker, der die 1934 zur katholischen Kirche Konvertierte als Mitglied eng verbunden blieb, öffneten für Luckners Aktivität nach 1933 Wege der Hilfe. Hohe Bedeutung maß sie einem englischen „Discussions-Circle“ bei, den sie mit Freiburger Oberprimanern, ein jüdisches Geschwisterpaar dabei, einübte, Äußerungen und Ansichten des Nationalsozialismus analysierend: „Dieser Kreis wurde mein Schicksal“.
Am 15. Oktober 1936 eröffnete die „Freie Vereinigung für Seelsorgehilfe“ beim DCV eine „Arbeitsstelle für Seelsorgewissenschaft“ unter der Leitung von Linus Bopp für den organisatorischen Ausbau wurde Luckner halbtags eingestellt. 1938 war sie an der Caritaszentrale in der Abteilung für caritatives Anstaltswesen beschäftigt; in diesem Jahr promovierte sie bei Bernhard Pfister mit einer Dissertation „Die Selbsthilfe der Arbeitslosen in England und Wales, betrachtet auf der Grundlage der englischen Wirtschafts- und Ideengeschichte“.
1938 war Luckner aber auch Augenzeugin der Zerstörung der Freiburger Synagoge. Sie, die das Bedrohliche des Nationalsozialismus längst vor dem politischen Machtwechsel vorausgesehen hatte, die 1933 von Basel aus, da ihre Post bereits überwacht wurde, Briefe nach England und USA schickte, um jüdische Menschen außer Landes zu bringen, reagierte auch in der „Reichskristallnacht“ des 9. November 1938 sofort. Bis tief in die Nacht fuhr sie mit dem Fahrrad zu jüdischen Familien, um ihre Solidarität zu zeigen und zum Weggehen zu raten, zu helfen. Nach Kriegsausbruch wurde Luckner in die im Auftrag des deutschen Episkopats beim DCV eingerichtete „Kirchliche Kriegshilfestelle“ eingebunden. An der Seite von Generalsekretär Kuno Joerger und Elisabeth Denis vom Katholischen Mädchenschutz besorgte sie die Abteilung III „Vermißten-Nachforschung“ (in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz) und IV „Mitarbeit in der Fürsorge für Kriegs- und Zivil-Gefangene“ (zusammen mit der „Mission catholique suisse pour les prisonniers de guerre“). Ein einzelnes Zeugnis ihrer Arbeit hier ist das in englischer Sprache abgefaßte Gebetbüchlein für englische Kriegsgefangene, genehmigt vom Oberkommando der Wehrmacht. Dagegen trug ihr der Versuch, Päckchen für französische Kriegsgefangene in ein Stammlager zu vermitteln, 1940 die erste Vernehmung durch die Gestapo ein.
Es dürften nicht nur die Sprachkenntnisse gewesen sein, die Luckner für die Arbeit in der „Kirchlichen Kriegshilfestelle“ empfahlen. Daß sie vom DCV zusätzlich mit der Auswandererberatung und seelsorglichen Betreuung der nichtarischen Katholiken betraut wurde, einschließlich der erforderlichen Reisetätigkeit, macht deutlich, daß der Caritasverband unter Präsident Kreutz die von Luckner persönlich verantwortete und entwickelte Hilfe für Juden guthieß und deckte. Luckner versuchte, „Menschen zu finden, die helfen konnten und wollten“: bei der Caritas auf allen ihren organisatorischen Ebenen, bei Bischöfen und Pfarrern, bei der Bekennenden Kirche, bei den Quäkern, unter einfachen Leuten. Es brauchte solche Vervielfältigung von Hilfe, als im Februar 1940 die Stettiner Juden ins Generalgouvernement Polen, im Oktober die badischen und Pfälzer Juden ins südfranzösische Gurs abgeschoben wurden, als im Frühjahr 1941 die Münchener Juden in den Sammellagern Berg am Laim und Milbertshofen für den Abtransport nach Theresienstadt zusammengezogen wurden, und Luckner mit Lebensmitteln, Kleidung, Decken, Paketen und Briefen menschliche Verbindung aufrecht erhielt. Immer wieder war sie zu Einzelabsprachen in Berlin (Bischof Konrad von Preysing, Margarete Sommer vom Bischöflichen Hilfswerk für kath. Nichtarier), in München (Erzbischof Michael von Faulhaber, Landescaritasverband), auch in Wien (P. Ludwig Born SJ von der Erzbischöflichen Hilfsstelle für kath. Nichtarier). Eng arbeitete sie mit der Reichsvereinigung der Juden in Berlin zusammen, besonders mit deren Präsident Leo Baeck, von dem sie persönlich Verbindungen, Adressen und das Kennwort bekam, das ihr die Türen bei den jüdischen Gemeinden aufschloß. Sie ging, als 1941 das Tragen des gelben Flecks auf die Juden angeordnet wurde, ostentativ „mit den Sternen“; sprach sie in Berlin auf der Straße an, holte sie aus den Müngersdorfer Kasematten zum Spazierengehen durch das Zentrum Kölns, begleitete sie in München zum katholischen und evangelischen Gottesdienst.
Bald lebte Luckner nur noch als Kurier zwischen zum Helfen bereiten und den auf Hilfe angewiesenen Menschen. Von Dezember 1941 an tat sie dies im Auftrag Erzbischof Gröbers, als „Durchführung notwendiger Aufgaben der außerordentlichen Seelsorge“. Tag und Nacht reiste sie mit der Bahn kreuz und quer durch das Reichsgebiet, mit Geldern von Bischöfen in der Tasche, mit Nachrichten, immer wieder nach letzten Chancen spähend, Juden in Sicherheit zu bringen. Vom Sommer 1942 an wurde Luckner in Freiburg und auf ihren Reisen von der Gestapo minutiös überwacht und, nach zusätzlicher Auswertung von Informationen einzelner Caritasangestellter in Freiburg und Düsseldorf, am 24. März 1943 auf der Reise nach Berlin im Zug zwischen Offenburg und Karlsruhe verhaftet. Nach wochenlangen Verhören in Düsseldorf über eine vermutete „Nachrichtenzentrale des Erzbischofs Gröber in Freiburg“ kam sie ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Als Häftling Nr. 24 648 mußte sie dort zeitweise in der Registratur, in der Schneiderei, im Siemens-Industriehof arbeiten, angesichts täglicher Quälereien und Vernichtung. Das Leben, berichtete sie später, retteten ihr Wiener Kommunistinnen.
Bei der Auflösung des Lagers ging sie in der Kolonne der letzten 500 am 28. April 1945 unter Bewachung auf den Fußmarsch zwischen den Fronten, durch Mecklenburg bis Schwerin (Befreiung am 3. Mai am Müritzsee), um danach in abenteuerlichen Etappen per Bahn über Lübeck, Hannover, Erfurt, Bamberg nach München zu gelangen. Nach einer Pause der Erholung, bereits mit dem Schmieden von Plänen für den Ausbau einer humanen Gesellschaft beschäftigt, reiste sie mit Hans Wollasch, Alois Eckert und dem aus Dachau befreiten Heinrich Auer über Karlsruhe nach Freiburg, wo sie am 13. Juli im Werthmannhaus eintraf.
Mit dem Neubeginn von 1945 mobilisierte Luckner all ihre Energie für die Unterstützung der Opfer des NS-Systems und für den Gedanken der Aussöhnung. Dafür arbeitete sie mit ihrem an der Caritaszentrale neu geschaffenen Referat „Verfolgtenfürsorge“, dem diente der von ihr 1948 im Anschluß an den Mainzer Katholikentag ins Leben gerufene „Rundbrief zur Förderung der Freundschaft zwischen dem Alten und dem Neuen Gottesvolk – im Geiste beider Testamente“ (später nach dem Haupttitel als „Freiburger Rundbrief zum festen Begriff geworden), den sie bis zum letzten Jahrgang in dieser Form 1985/86 besorgte. Ihr Mitwirken in Institutionen wie der „Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ oder dem „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“, auf den deutschen Katholikentagen, als Beobachterin des II. Vaticanums ist von diesem Anliegen geprägt. Ihr überreicher und weitverästelter Briefwechsel trug ihre Gedanken und Anstöße in die Welt.
Für das Judentum, für die jüdischen Menschen empfand sie eine tiefe Verbundenheit und Freundschaft. Noch in den 1920er Jahren war es ihr „nie wichtig, zwischen Juden und Christen zu unterscheiden“, galt ihr Interesse doch grundsätzlich dem „anderen“, dem einzelnen, der Minderheit. Erst die Begegnungen und Erlebnisse während der 12 Jahre Nationalsozialismus hatten diese Nähe und Achtung bei ihr wachsen lassen. Bis hin zu der Konsequenz, das Schicksal „KZ“ bewußt als letztmöglichen Beweis der Solidarität anzunehmen. „Das einzige, was noch zu tun war“, beschrieb sie dies 1985, „da ich nicht mehr helfen konnte, war eben, diesen Weg zu gehen. Aber es war schrecklich“.
1949 konnte sie, da sie einen deutschen und einen englischen Paß (Beruf: „Social worker“) besaß, zu einer Begegnung mit der Association of Jewish Refugees nach London reisen, rückblickend auf die Unbekannten, „die damals dem bis dahin unbekannten Nächsten zeigen wollten, daß es in der Zeit der Unmenschlichkeit noch Menschen gab“. Rabbiner Leo Baeck, aus Theresienstadt zurückgekommen, vermittelte Luckner, die ihm hohe Verehrung entgegenbrachte, in Erfüllung ihres Wunsches zum ersten Mal eine Reise nach Israel. Als dritte Deutsche überhaupt erlebte Luckner 1951 dieses Kennenlernen des neugegründeten Staates, das sie in der Folgezeit fast jährlich vertiefte. Sie fühlte sich gedrängt, auch weiterhin zu helfen. So organisierte sie finanzielle Unterstützung für nichtjüdische Opfer der Nürnberger Rassegesetze und ermöglichte 1975 die Errichtung eines Altenwohnheims in Nahariya/Israel (unter der Leitung von Elisabeth Hemker), das ihren Namen trug. Während des Jom-Kippur-Krieges im Oktober 1973 fuhr sie schnell entschlossen nach Israel, wo sie in einem Rehabilitationszentrum für verwundete israelische Soldaten auf dem Karmel spontan eine physio-therapeutische Station einrichtete.
Vom Staat Israel hat sie denn auch die meisten Dankesbezeugungen und Ehrungen, einschließlich der höchsten zu vergebenden, erhalten. 1000 Bäume wurden auf ihren Namen gepflanzt und ein Gedenkstein beigegeben, als „Heldin des jüdischen Volkes“ steht sie im Goldenen Buch des jüdischen Nationalfonds in Jerusalem, mit nur drei weiteren Deutschen wurde sie in die Reihe der „Gerechten unter den Völkern“ aufgenommen.
Als Heldin indes hat sich Luckner gerade nicht gesehen. Sie wußte sich im Widerstand gegen die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit, welche das nationalsozialistische Regime verbreitete. Diesen Widerstand in Gruppen zu tun, gar offen zu protestieren, erkannte sie als unrealistisch, „dann wären wir alle weg gewesen“. Der persönlichen, schnellen und stillen Hilfe von Mensch zu Mensch hatte sie sich verschrieben und suchte sie zu vervielfältigen durch Gewinnung möglichst vieler Gleichgesinnter, wobei Begriffe wie „Kreise“ oder „Netz“ schon zu weit reichen dürften. Tatsächlich forschte die Gestapo nach Luckners Verhaftung fieberhaft nach der – nicht existierenden – institutionalisierten Verschwörung, da sich diese unmittelbare menschliche Solidarität ihrer Vorstellungswelt entzog. In vielen Interviews, um die Luckner nach dem Kriege angegangen wurde und die sie bis in ihre hohen achtziger Jahre gegeben hat, ist sie immer neu nach ihrer Motivation gefragt worden, ob sie nicht Furcht empfunden und wie sie den Mut zum Handeln aufgebracht habe. Ihre Begründung: „Das war doch selbstverständlich. Ich mußte das tun“. Wer ihr Helfen schützte und mittrug, dem bewahrte sie Achtung und Dankbarkeit ihr Leben lang. Vergeltungsbedürfnis oder Haßgefühle gegenüber denen, die sie preisgegeben oder gepeinigt hatten, brachte sie nicht auf. So bedeutete sie 1947 anläßlich der Durchsicht ihrer Gestapo-Vernehmungsakten dem Freiburger Generalstaatsanwalt Karl Siegfried Bader, ihrem Mitverschworenen in schwerer Zeit, wiederholt, daß es ihr schmerzlich wäre, Anlaß zu werden, wenn andere leiden müßten: „abgesehen davon, daß ich diese Zeit als eine besondere Gnade für mich selber verbuche“. Das Nichtsehen oder Nichtbegreifenwollen der Entwicklung hin zur Katastrophe, verborgenes Weiterglimmen von Antisemitismus nach 1945, antijüdische Schmierereien in Deutschland, neue Ausdrucksformen von Gewalt in politischen und gesellschaftlichen Konflikten vor allem im Nahen Osten registrierte sie mit höchster Sensibilität und Besorgtheit. Um so entschlossener trieb sie in ihrer Öffentlichkeitsarbeit und in dem dichten Geflecht ihrer persönlichen Beziehungen zu Juden und Nichtjuden in aller Welt das Mühen um Ausgleich voran, um Koexistenz der Nationen und das Gemeinsame der Religionen. Was sie selbst lebte, mahnte sie an als Aufgabe für ein Miteinander von Christen und Juden, nämlich alles dareinzugeben, „damit das geschändete Bild des Menschen wieder geheilt wird“ (1949).
In diesen Jahrzehnten rastloser Aufmerksamkeit, die jeden Tag füllte, auch die Nacht einbezog und nur auf das Ziel ausgerichtet war, konnte Luckner manchen Mitmenschen, von der Mitarbeiterin bis zum Politiker oder Bischof, ein unbequemes und streitbares Gegenüber sein. Sie verkörperte ein Individuum, das sich der Zuordnung in gängige Schablonen verweigerte, und vielleicht war dieses Eigen-Sein im Geistigen und im Tun Voraussetzung dafür, daß sie vor und nach 1945 ein derart personal verwirklichtes „testimonium caritatis“ (K. S. Bader) zu erbringen imstande war. Wo immer sie Begegnung hatte, war sie hereingenommen als bedankte, geschätzte Persönlichkeit und von vielen geliebter Mensch. Und selbst in der Schrulligkeit, die biblischem Alter zusteht, ist der von den Vinzentinerinnen im St. Carolushaus in Freiburg betreuten Frau nie vergessen worden, daß sie zeitlebens praktiziert hatte, was der ihr 1951 verliehene israelische Ehrentitel mit Worten ausdrückt: eine „Botschafterin der Menschlichkeit“ zu sein.
Am 7. September 1995 wurde Luckner, die am 31. August, wenige Wochen vor ihrem 95. Geburtstag, gestorben war, von Erzbischof Oskar Saier mit einem Pontifikalrequiem im überfüllten Freiburger Münster verabschiedet und anschließend auf dem Caritasfeld des Hauptfriedhofs beerdigt.
Quellen: Nachlaß im ADCV; StAF, Bestand Staatsanwaltschaft Freiburg, Zg. 1982/74 P. 5, Nr. 1 Js 71/46; Bibliothek Luckners in der UB Freiburg i. Br.
Werke: Prayer book for Christian soldiers, hg. Catholic Mission of Fribourg for prisoners of war, 1941; Lebenszeichen aus Piaski. Briefe Deportierter aus dem Distrikt Lublin 1940-1943, hg. E. Rosenfeld/Gertrud Luckner, 1968; Zahlreiche Beiträge in dem von ihr herausgegebenen „Freiburger Rundbrief“ I (1948/49)-XXXVII/XXXVIII (1985/86); (Hg.) Beiträge zur christlichen Betrachtung der Judenfrage, 1951; Der Katholizismus und die Juden. Rückblick und Ausblick nach dem Konzil, in: Auf Dein Wort hin, 81. Deutscher Katholikentag vom 13. bis 17.7.1966 in Bamberg, hg. vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken, 1966, 282-300
Nachweis: Bildnachweise: B Fotos im ADCV

Literatur: Zum 60. Geburtstag von Gertrud Luckner, in: Freiburger Rundbrief XII (1960/61), 29-44; N. P. Levinson, Gertrud Luckner, in: Juden in Baden 1809-1984. 175 Jahre Oberrat der Israeliten Badens, hg. Oberrat der Israeliten Badens, 1984, 209-212; Th. Schnabel, Gertrud Luckner, Mitarbeiterin der Caritas in Freiburg, in: Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933-1945, hg. M. Bosch/W. Niess (= Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, Bd. 10), 1984, 117-128; Festakademie für Dr. Gertrud Luckner, in: Freiburger Rundbrief XXXVII/XXXVIII (1985/86), 34-48; B. Oleschinski, „... daß das Menschen waren, nicht Steine“. Hilfsnetze katholischer Frauen für verfolgte Juden im Dritten Reich, in: Zeitgeschichte 17 (1990), H. 9/10, 395-416; G. Block/M. Drucker, Rescuers. Portraits of moral courage in the Holocaust, 1992, 146 ff.; B. Heidtke/Chr. Rössler, Margarethas Töchter. Stadtgeschichte der Frauen von 1800 bis 1950 am Beispiel Freiburgs, 1995, 418-465; G. Hüssler, Gertrud Luckner gestorben, in: Caritas 96 (1995), 519 f.; H. Freiin von Gumppenberg, Erinnerungen an Dr. Gertrud Luckner, 26.9.1900-31.8.1995, in: Caritasdienst München H. 4, 1995, 70; J. Ilsar, Zerbrechlich, aber mutig. Ein Nachruf auf Dr. Gertrud Luckner, in: Haarets vom 24.01.1996; Freiburger Rundbrief, NF 3 (1996), 1-10; A. Borgstedt, „... zu dem Volk Israel in einer geheimnisvollen Weise hingezogen“. Der Einsatz von Hermann Maas und Gertrud Luckner für verfolgte Juden, in: M. Kißener (Hg.), Widerstand gegen die Judenverfolgung, 1996, 227-259; Ein Leben im 20. Jahrhundert, Gertrud Luckner, (Kassette) Vertonung von Ursi Aeschbacher u. a., 1998; „Betrifft: Nachrichtenzentrale des Erzbischofs Gröber in Freiburg“. Die Ermittlungsakten der Gestapo gegen Gertrud Luckner 1942-1944, bearb. und erläutert von H.-J. Wollasch (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 4) 1999; H.-J. Wollasch, Gertrud Luckner (1900-1995), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern, hg. von J. Aretz, R. Morsey, A. Rauscher, Bd. 9, 1999, 261-275, 349 f.; Freiburger Rundbrief, N.F. H. 4, 7. Jg., 2000 (= Themenheft zum 100. Geburtstag von Gertrud Luckner)
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