Schlack, Paul Theodor 

Geburtsdatum/-ort: 22.12.1897;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 19.08.1987;  Stetten bei Leinfelden
Beruf/Funktion:
  • Chemiker, Erfinder des Perlons
Kurzbiografie: 1915 Jun. Abitur am humanistischen Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Stuttgart
1915 Okt.-1921 Jul. Chemiestudium an der Technischen Hochschule Stuttgart, Abschluss mit Diplom; 1916-1919 unterbrochen durch Militärdienst beim Württembergischen Feldartillerieregiment 65 und Flakzug 64
1921 Sep.-1922 Okt. Assistent an einem wissenschaftlichen Privatlabor in Kopenhagen
1922 Nov.-1924 Jan. Assistent an der Technischen Hochschule Stuttgart
1924 1. Feb. Dienstbeginn bei der Kunstseidenfabrik der Agfa in Wolfen
1926 1. Okt. Leiter der Laboratorien und des Versuchsbetriebs der Acetatkunstseidenfabrik Aceta GmbH der IG Farbenindustrie in Berlin-Lichtenberg
1935 Nov.-1936 Apr. Dienstreise in die USA
1938 Jan. Entdeckung der Caprolactampolymerisation; Erfindung des Polyamid-6 (= Perlon)
1945 5. Mär. Promotion: „Über lineare Polyamide mit Disulfidgruppen“ an der Universität Jena
1945 12. Apr. Flucht aus Berlin
1946 12. Mär. Fabrikleiter in der Kunstfaserfabrik der IG Farben (ab 1952 Hoechst) in Bobingen
1955 1. Aug. Abteilungsdirektor für Faserforschung bei der Hoechst AG in Frankfurt am Main
1961 22. Sep. Honorarprofessor am Institut für Textilchemie der Technischen Hochschule Stuttgart
1963 Ehrenmitglied des Britischen Textilinstituts
1968 26. Nov. Großes Bundesverdienstkreuz
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1. 1924 Sigrid Elisabeth, geb. Nielsen (1904-1970)
2. 1972 Lilly, geb. Wendt
Eltern: Vater: Theodor Gottlieb (1859-1921), Direktor beim Landesfinanzamt Stuttgart
Mutter: Johanna, geb. Herzog (gest. 1942)
Geschwister: 7: 6 jüngere Brüder und eine Schwester
Kinder: 2 aus 1. Ehe:
Niels Jürgen (geb. 1925)
Anneliese, verheiratete Lange (geb. 1927)
GND-ID: GND/128822228

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 318-320

Schlack entstammte einer Beamtenfamilie. Schon als Kind fiel er durch Einfallsreichtum und besondere Lebhaftigkeit auf. Er kam früher als üblich in die Schule, sein Abitur machte er bereits mit 17½ Jahren. Die Noten seines Reifezeugnisses sprachen für seine Neigung zu den Naturwissenschaften: Er erhielt „gut“ nur in Mathematik, Naturgeschichte und Erdkunde, in allen übrigen Fächern aber „befriedigend“. Sein Hobby, die Photographie, das Schlack „als Primaner fast wissenschaftlich betrieb“ (so er selbst), weckte sein Interesse an der Chemie. Schlack immatrikulierte sich für das Chemiestudium an der Technischen Hochschule Stuttgart. Nach dem ersten Semester wurde er aber als Soldat einberufen und 1917 schwer verwundet.
Erst 1919 konnte er sein Studium fortsetzen. „Vater Küster“, ein sehr bedeutender Organiker und Biochemiker, „begeisternder Lehrer und begnadeter Forscher“, so Schlack in seinem unveröffentlichten Vortrag „Leben und Wirken von William Küster“, 1960, prägte ihm die höchsten Standards wissenschaftlichen Arbeitens ein. Bereits im Mai 1920 bestand Schlack die Vorprüfung und im Juli 1921 die Hauptprüfung, beide mit Auszeichnung. Durch Vermittlung Küsters ging Schlack nach Kopenhagen, wo er sich als Assistent am Privatlabor von N. Troensegaard mit der Chemie der Proteine und Polypeptide beschäftigte. Die 13 Monate in Kopenhagen waren für das weitere Leben Schlacks äußerst bedeutend; er erwarb tiefe Kenntnisse auf dem Gebiet der Eiweißchemie, was für seine spätere Arbeitsrichtung grundlegend war. Gleichzeitig lernte er seine zukünftige Ehefrau kennen, die Tochter des Fabrikdirektors in Frederiksberg. Schlack sah aber bald, dass die Hypothesen, die sein Chef entwickelte, keine gute Begründung hatten. So kehrte er zu Küster zurück und wirkte zwei Jahre als dessen Privatassistent, wobei er einige interessante Resultate in der Chemie der Peptide erzielte. Nur eines davon wurde damals publiziert, nämlich ein Verfahren, das als „Thiohydantoinabbau“ bekannt wurde.
Da Schlack damals eine Familie gründen wollte, beschloss er, in die Industrie zu gehen. Küster schlug ihn für ein von Hoechst gestiftetes Stipendium vor. Wegen der damaligen französischen Okkupation des Gebietes scheiterte dieser Plan, und Anfang 1924 begann Schlack beim eben gegründeten AGFA Werk in Wolfen. Er wollte über Photochemie arbeiten. Anfangs zu seiner Enttäuschung übertrug man ihm aber die Entwicklung von Verfahren zur Herstellung von Acetatkunstseide aus Acetylzellulose, woran er aber bald Interesse fand und auch seine Chance erkannte. Seine betrieblichen Aufgaben waren mehr verfahrenstechnischer als chemischer Natur. Mit rein chemischen Forschungen beschäftigte sich Schlack nur außerhalb der Dienststunden, indem er im Labor von fünf bis zehn Uhr abends arbeitete und Ergebnisse erzielte, die zwar nicht publiziert werden konnten, ihm später aber sehr halfen.
1926 kam die Herstellung der Acetatseide in Gang in dem inzwischen von der IG-Farbenindustrie und der Vereinigten Glanzstoff-Fabrik gemeinsam gegründeten Unternehmen Aceta GmbH in Berlin-Lichtenberg. Schlack wurde Leiter der Laboratorien mit 70 Mitarbeitern und blieb auf diesem Posten fast bis zum Kriegsende. Er beschäftigte sich hier vorrangig mit Verfahren der Färbung von Zellulosefasern. Dem ist seine erste Patentanmeldung vom September 1928 gewidmet, weitere folgten. Es gelang ihm, die Zellulosefasern so mit chemischen Mitteln zu modifizieren, dass Acetatseide fast so gut wie Naturseide gefärbt werden konnte. Weiter kam er auf den Gedanken, Fasern rein chemisch herzustellen, ohne natürliche Makromoleküle zu benutzen.
Seit 1929 versuchte Schlack insbesondere spinnbare Polyamide zu erhalten, erreichte aber keine guten Resultate. Die wirtschaftlichen Bedingungen waren nicht günstig; denn niemand in der großen IG Farben zeigte Interesse für diese Untersuchungen, so dass die Arbeit verschoben wurde. Erst als 1937 Patente der amerikanischen Du Pont Corporation bezüglich des Polyamides „Nylon“ erschienen, griff Schlack auf sein altes Arbeitsfeld zurück, jetzt aber eingeschränkt durch die Unmöglichkeit, das amerikanische Verfahren zu nutzen. Man bedenke, immer außerdienstlich! Nach wenigen Monaten entdeckte er die Polymerisation des Caprolactams, die das Produkt ergab, dessen Schmelze zu einem festen Faden ausgezogen werden konnte.
Die Geschichte dieser bahnbrechenden Entdeckung und seiner weiteren Entwicklung wurde mehrmals beschrieben, insbesondere durch Schlack selbst. Es wurde aber nie deutlich, welch tiefen Einblick in das Gebiet man haben musste, um in verstreuten Beobachtungen einen unerwartet einfachen Weg zur Herstellung der polyamiden Fasern herauszufinden. Bald stellte sich heraus, dass Schlacks Verfahren nicht nur patentrechtlich unabhängig, sondern auch wirtschaftlich mit „Nylon“ konkurrenzfähig war, so dass IG Farben 1939 einen Lizenzvertrag mit Du Pont über die Interessensphären auf diesem Gebiet und über den Erfahrungsaustausch darüber schließen konnte. Die entsprechende deutsche Faser bekam zuerst die Bezeichnung „Perluran“, später „Perlon“, dessen Großproduktion fast zeitgleich mit dem Kriegsausbruch einsetzte. Erster Perlon-Konsument wurde übrigens die Luftwaffe. Schlack Hauptinteresse galt inzwischen hochfesten und besonders geschmeidigen chirurgischen Nähfäden.
Schlack war ein ausgesprochen unpolitischer Mensch; Parteimitglied wurde er nie. Stattdessen nutzte er seine Zeit, mit einer Arbeit über Polyamide zu promovieren, wozu er sich in Jena eingeschrieben hatte. Am 21. Februar 1945 legte Schlack seine Doktorarbeit vor; die Prüfung bestand er am 5. März 1945 in den Fächern Chemie, Physik und Geologie mit dem Gesamturteil „sehr gut“.
In seinem Berliner Labor ging die Arbeit indes bis Anfang April 1945 weiter. Dann sollte das Labor nach Bobingen bei Augsburg verlagert werden. Unmittelbar vor dem Zusammenbruch gelang es Schlack, aus Berlin fliehend, alleine und auf abenteuerliche Weise, neun Kisten Perlon-Know-how zu retten, nach Wolfen zu schaffen und schließlich nach Bobingen, wo er selbst Anfang Juli 1945 als Abteilungsleiter eingesetzt wurde. Dies ermöglichte ihm, eine neue Produktion von Perlonfasern in Gang zu bringen – diesmal für friedliche Zwecke. Bald wurde Perlon zu einem Synonym des Wirtschaftswunders der 1950er Jahre.
Als das Werk Bobingen durch die Hoechst AG erworben wurde, bekam Schlack wieder die Möglichkeit, sich ausschließlich der Forschung in einem neuen Labor zu widmen. Er begleitete die Produktion von Perlon wissenschaftlich und arbeitete, wie seine Patente zeigen, auch über weitere makromolekulare Produkte wie Polyakrylonitrile („organisches Glas“), Polyester und Polyvinyle. 1961 bekam Schlack einen Ruf an die Technische Hochschule Stuttgart, wo makromolekulare Chemie schon seit Jahren zu einem Schwerpunkt geworden war. Als Honorarprofessor las er dort über Chemie und Technologie der Chemiefasern und leitete das Chemiefasernpraktikum. Ein Jahr später, mit 65 Jahren, übernahm Schlack den Aufbau einer Abteilung für Chemiefasern an der Technischen Hochschule Stuttgart, eine Aufgabe, die er „mit einer seltenen jugendlichen Aktivität“ erfüllte. Schlack zog eigens dafür nach Echterdingen um. Er hatte auch einige Doktoranden, die erfolgreich promovierten, besonders über Polyamide. In den Ruhestand ging er nach Vollendung des 70. Lebensjahres.
Schlack lebte lang genug, um Ruhm und Ehre für sein Lebenswerk zu ernten. In den 1950er Jahren publizierte Schlack mehrmals über die Entwicklungsgeschichte und den gegenwärtigen Zustand der Chemiefaser. Er hielt auch zahlreiche Vorträge zu diesem Thema bei deutschen und internationalen Tagungen, seinen letzten Vortrag, unter dem Titel „Die Polyamide – ein Erlebnis“, mit fast 88 Jahren im Oktober 1985 an der Technischen Universität Berlin.
Wer ihn kannte, würdigte seine bescheidene, liebenswerte, eher zurückhaltende Persönlichkeit, seinen arbeitsamen Geist, die „Klarheit und Kürze der Satzbildung“. Schlack war aber alles andere als „Standardmanager“, sondern Forscher, Besessener seiner Ideen, die er konsequent und sehr diplomatisch verfolgte, besonders gegenüber der U.S. Administration nach 1945. Er war nicht nur ein geschickter Experimentator und ausgezeichneter Kenner der Literatur, sondern einer der ideenreichsten Chemiker Deutschlands: 270 Erfindungen, die sich in wenigstens 750 deutschen und ausländischen Patenten niederschlugen, zeigen dies, darunter übrigens auch das älteste Patent bei Epoxidharzen. Das berühmteste aber ist die „Herstellung von Polyamiden“, des Perlons, womit er in die Geschichte einging. Als DRP 748253 wurde Perlon am 11. Juni 1938 angemeldet, ausgestellt am 23. März 1944; das amerikanische Analog für Nylon, USP 2241321, kam einen knappen Monat später. Es wurde am 20. Juli 1938 angemeldet, aber bereits am 6. 5. 1941 ausgestellt.
Quellen: UnternehmensA d. BASF, W2, Schlack; UA Stuttgart, SM 29, Nachlass Schlack, 57/111 u. SA2/2144; 57/204.
Werke: (mit W. Küster), Über die Bildung von Pyrrol-Derivaten aus Amiden von β-Diketonsäureestern, in: Berr. d. Dt. Chem. Ges. 57, 1924, 409-413; (mit W. Kumpf), Über eine neue Methode zur Ermittlung d. Konstitution von Peptiden, in: Zs. für physiol. Chemie 154, 1926, 125-170; (mit K. Kunz), Fasern aus Polyamiden, in: R. Pummerer (Hg.), Chemische Textilfasern, Filme u. Folien: Grundlagen u. Technologie, 1953, 629-717; Die Entwicklung d. Polyamid-Faserstoffe in histor. Sicht, in: Zs. für die gesamte Textilindustrie 56, 1954, 823-825; Die Polyamidfasern vom Standpunkt des Chemikers, Vortrag in Helsinki, Oktober 1955, in: Finska kemists medd. 67 No. 1, 1958, 1-35; Stand d. Technik auf dem Gebiet d. Chemiefasern, Tendenzen u. Ziele in Forschung u. Entwicklung, in: Melliand Textilberichte 43, 1962, 543-548, 681-684, 802-807; Neue Carbodiimid-Synthesen, in: Liebigs Ann. d. Chem. 661, 1963, 164-172; Zur Polymerisation von ω-Aminocarbosäurelactamen, in: Abh. d. Dt. Akad. d. Wiss. zu Berlin, Kl. für Chemie, Geologie u. Biologie, Nr. 3, 2; Int. Chemiefaser-Symposium 1965, 9-17; Die Polyamide mit besonderer Berücksichtigung von Nylon 6 u. 66 sowie deren Anwendung, in: Melliand Textilberichte 47, 1966, 1175-1182; Oxidationserscheinungen an Polyamiden, in: Zs. für angew. Chemie 80, 1968, 761; (mit G. Zuber), Hochtemperaturbeständige Polyheterocyclen: Poly-(benz3,1-oxazione-(4) u. Poly-(chinazolone-(4), in: Die angewandte Makromolekulare Chemie 15, 1971, 25-36; (mit J. Rieker), Möglichkeit zum Nachweis semicyclischer Amidinendgruppen in Polycaprolactam durch Abspaltung des Amidinheterocyclus, ebd., 203-217.
Nachweis: Bildnachweise: UA Stuttgart; Zs. f. die ges. Textilindustrie 56, 1954, 823; Künstliche Versuchung. Nylon – Perlon – Dederon. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus d. Geschichte Bonn, 1999, 35 u. 69; Stuttg. Nachrichten vom 26.10.1985, 27; Stuttg. Ztg. vom 22.12.1982, 16 u. vom 20.12.1997, 30 (vgl. Quellen u. Lit.).

Literatur: Robert Bauer, Unternehmen Chemiefaser bei d. dt. Farbenindustrie, 1962 (mit Bild); Hermann Klare, Geschichte d. Chemiefaserforschung, 1985 (mit Bild); Lexikon bedeutender Chemiker, 1989, 381 f.; Stefan Winneke, P. Schlack (1897-1987), in: Schwäb. Forscher u. Gelehrte, Lebensbilder aus sechs Jahrhunderten, 1992, 121-127 (mit Bild); Anna Döpfner, Textiltechnik: Zwei „Karrieren“?, in: Ich diente nur d. Technik. Sieben Karrieren zwischen 1940 u. 1950, 1995, 99-114 (mit Bild).
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