Schneider, Karl Ludwig 

Andere Namensformen:
  • Carl Schneider
Geburtsdatum/-ort: 27.06.1869;  Ettenheim
Sterbedatum/-ort: 05.11.1940; KZ Dachau
Beruf/Funktion:
  • Arzt, Opfer des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1876-1889 Volksschule, Höhere Bürgerschule, Gymnasium
1889-1896 (ca.) Medizinstudium in Berlin und München, Staatsexamen, Ausbildung zum Facharzt für Augenheilkunde, anschließend ärztliche Tätigkeit in Volmunster und Saargemünd
1898-1935 Augenarzt in Neunkirchen
1918 Mitglied des örtlichen Arbeiter- und Soldatenrates
1919 Gründungsmitglied der Neunkircher Ortsgruppe der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei), 1920 USPD-Gemeinderats- und Kreistagsmitglied
1920 Nach Fusion der USPD mit der KPD Austritt, Gründungsmitglied der Neunkircher Ortsgruppe der SPD
1920-1933 Neben der ärztlichen Tätigkeit ständige Mitarbeit an dem Wochenblatt „Das Andere Deutschland“, Mitglied der Liga für Menschenrechte und der Deutschen Friedensgesellschaft
1935 Praxisverbot
1940 (15. 4.) Verhaftung durch die Gestapo, Gefängnis St. Wendel, KZ Sachsenhausen, (3. 9.) KZ Dachau
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk., später Dissident
Verheiratet: ca. 1900 Emma, geb. Weyand
Eltern: Vater: Georg Jakob Schneider, Kaufmann
Mutter: Wilhelmine, geb. Bayer
Geschwister: 3
Kinder: 4 (3 Söhne, 1 Tochter)
GND-ID: GND/129585386

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 264-266

Über die Schul- und Studienjahre Schneiders ist wenig bekannt. Er selbst erwähnte gelegentlich, daß er eine lateinische Abiturrede gehalten habe. Fest steht jedenfalls, daß es den jungen Mann aus der Enge seiner Geburtsheimat am Rande des Schwarzwaldes in die Ferne zog, er studierte weder auf den Landesuniversitäten Freiburg oder Heidelberg – wie die meisten seiner badischen Kommilitonen – noch ließ er sich nach absolviertem Studium in Baden nieder. Unbekannte Umstände verschlugen ihn an die damals preußische Saar.

Das erste sichere Datum in der Lebensgeschichte Schneiders – außer dem Nachweis der Taufe auf die Namen „Carl Ludwig“ in der Ettenheimer Pfarrkirche St. Bartholomäus am 12.7.1879, später nannte er sich nur „Karl“ – ist gleich an ein lebensbestimmendes Ereignis gebunden, die Begegnung Schneiders mit dem bedeutenden sozialdemokratischen Politiker August Bebel (1840-1913) in Berlin im Jahre 1894. Von diesem Zeitpunkt an war er Sozialist und blieb es bis zum Ende seiner Tage. Bebel schrieb ihm, daß er die „Schuld“, Schneider zum Sozialismus bekehrt zu haben, gerne auf sich nehme.
1898 eröffnete er seine Praxis in Neunkirchen und gründete in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts die erste Augenklinik in der Stadt. In den vier Jahrzehnten, in denen er in Neunkirchen praktizierte, galt er als ein allseits beliebter „Armenarzt“, dessen Patienten vor allem aus der örtlichen Arbeiterschaft kamen: Bergleute, Hütten- und Eisenbahnarbeiter. Es wird berichtet, daß er seine Honorare oft nach unten abgerundet habe und daß er, obwohl nicht promoviert, respektvoll von allen „Doktor Schneider“ genannt worden sei. Neben der Praxis betätigte er sich auf mehreren politischen Feldern: er wurde Mitglied der 1914 gegründeten Liga für Menschenrechte, in deren Rahmen er insbesondere für die deutsch-französische Verständigung eintrat – in Zeiten der „Erbfeindschaft“ gehörte viel Mut zu einem solchen Unterfangen –, und nach dem ersten Weltkrieg stritt er für die Anerkennung der deutschen Kriegsschuld – des „Angelpunkts der inneren Politik“ (Schneider) – und die Akzeptanz des Versailler Vertrags. So radikal er auch als aktives Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft für deren pazifistische Ziele kämpfte, stand er doch der Kriegsdienstverweigerung als Mittel zur Verhinderung eines Krieges ablehnend gegenüber und nannte diese Haltung „im Gewand des Pazifismus einherstolzierende Feigheit“. Sowohl die Friedensgesellschaft wie die Menschenrechtsliga waren damals an der Saar kleine Minderheitsgruppen, denen oft genug, vor allem unter dem Einfluß des in den zwanziger Jahren einsetzenden Rechtstrends, der Vorwurf des Landesverrats gemacht wurde: die Saar werde durch die Bestrebungen der Pazifisten „der Ausbeutung des jüdisch-französischen Verbrechergesindels“ ausgeliefert. Auch als ständiger Mitarbeiter des von Fritz Küster herausgegebenen Wochenblatts „Das Andere Deutschland“ machte sich Schneider einen Namen. Er verfügte über eine gewandt und temperamentvoll geführte Feder, war scharfzüngiger oder spöttischer Polemik keineswegs abgeneigt, und sarkastischer Mutterwitz und Humor standen ihm jederzeit zu Gebote. Mit diesen geschliffenen Waffen seines Geistes kämpfte er, hier übrigens in Gesellschaft von Autoren wie Kurt Tucholsky (1890-1935), gegen Rassenhaß, Revanchismus und Kriegstreiberei.
Politische Ämter übernahm er nur in den Jahren von 1918-1920. Er war kein „Parteisoldat“, die Unabhängigkeit des Urteils und das selbstbestimmte Handeln in eigener Verantwortung gingen ihm über alles. Wenige Wochen war er im November 1918 Mitglied des örtlichen Arbeiter- und Soldatenrates, der aber nach dem Einmarsch der französischen Truppen am 1.12.1918 aufgelöst wurde. Im Jahre 1919 war er als Mitglied der USPD Spitzenkandidat bei lokalen Wahlen und wurde auch in den Gemeinderat von Neunkirchen und den Kreistag von Ottweiler gewählt, aber als die USPD 1920 mit den Kommunisten fusionierte, trat er aus und gründete mit anderen die Neunkircher Ortsgruppe der SPD.
Auch nach der „Machtübernahme“ im Reich konnte sich Schneider in dem noch dem Völkerbundsmandat unterliegenden Saargebiet in der Emigrantenhilfe der Liga für Menschenrechte und in einem Komitee für den Kampf um den Frieden engagieren. Aber am 13.1.1935 stimmten 90 % der Saarländer für die Rückkehr in das Deutsche Reich, und die für den Status quo eintretenden Linksparteien erhielten nur wenige Prozent der Wählerstimmen. Von diesem Tag an richteten sich der ungebremste Haß und Zorn der NS-Machthaber gegen den linksintellektuellen Pazifisten. Aufgehetzte Jugendliche brüllten Sprechchöre vor seinem Haus und bestellte Aufpasser notierten die Namen von Patienten. 1935 wurde ihm verboten, die Praxis weiterzuführen. Obwohl er von seinen Angehörigen immer wieder vor unvorsichtigen Äußerungen gewarnt wurde, sagte er – auch im Glauben, daß man wegen seines Alters nicht gegen ihn vorgehen werde – nach wie vor unverblümt seine Meinung. Als ihm 1934 ein mit „Heil Hitler!“ unterschriebener Brief der Ärztekasse Leipzig zuging, antwortete er, das „Heil“ als Imperativ von „heilen“ interpretierend: „Ich bin zwar kein Nervenarzt und kann deshalb euern Hitler nicht ,heilen', (aber) ich bin Augenarzt und steche den Star.“
Das Maß war für die Nationalsozialisten voll, als Schneider im Jahre 1940 bei der Gestapo anfragte, ob das Gerücht zutreffe, daß Gestapohäftlinge gefoltert würden. Auf persönlichen Befehl Reinhard Heydrichs (1904-1942), eines der obersten SS-Henker und Chefs des Reichssicherheitshauptamtes, wurde er verhaftet mit der Begründung: Schneider „gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates.“ Er betätige sich aus seiner marxistischen und separatistischen Einstellung heraus fortgesetzt in staatsfeindlichem Sinne und stelle einen ständigen Unruheherd in der Bevölkerung dar. Nach schlimmen, die Gesundheit des 71jährigen erschütternden Monaten im Gefängnis St. Wendel und dem KZ Sachsenhausen wurde er schließlich nach Dachau verbracht. Seinem Freund Fritz Wilke soll er vor der Verhaftung gesagt haben, „sollte ich einmal verhaftet werden, und eines Tages kommt die Nachricht von meinem Tode – glaubt nicht an Selbstmord oder eine natürliche Todesart!“ Die Todesursache ist bis heute unbekannt. Der Familie wurde eine Urne mit den sterblichen Überresten zugesandt, und nach einigen Wochen schickten die entmenschten SS-Buchhalter eine zweite, versehentlich. Schneiders Ehefrau starb vor Kummer, das Familienhaus und die Klinik fielen in einer Bombennacht in Schutt und Asche.
Schon 1948 benannte die Stadt Neunkirchen eine Straße nach Schneider. Am 20.1.1993 enthüllte der Neunkircher Oberbürgermeister Friedrich Decker auf dem Scheiber Hauptfriedhof ein dem Streiter „gegen Nationalsozialismus und Gewalt, für Freiheit und Gerechtigkeit“ gewidmetes Ehrenmal.
Quellen: Mitteilungen von Frau Johanna Schneider, Aschaffenburg.
Nachweis: Bildnachweise: Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul, Das zersplitterte Nein: Saarländer gegen Hitler, in: Widerstand u. Verweigerung im Saarland 1935-1945, hg. von Hans Herrmann, 1989; Ein Kämpfer f. d. Frieden, in: Saarbrücker Zt. Vom 22. 1. 1993; Die Erinnerung bleibt wach! Die Stadt Neunkirchen errichtete auf d. Hauptfriedhofe. Gedenkstein für Dr. K. Schneider, in: Neunkircher Stadtrundschau vom 27./28. 1. 1993; Mut u. Entschlossenheit gewürdigt, in: Neunkircher Stadtanzeiger vom 27.1.1993; Kompromißlos gegen Rassismus. Aus d. Leben d. Augenarztes Dr. K. Schneider, in: Saarbrücker Zt. vom 28.1.1993; Neunkirchen ehrt einen Ettenheimer Sohn, in: Ettenheimer Stadt Anzeiger vom 11.2.1993.

Literatur: Klaus-Michael Mallmann/Gerhard Paul, Das zersplitterte Nein: Saarländer gegen Hitler, in: Widerstand u. Verweigerung im Saarland 1935-1945, hg. von Hans Herrmann, 1989; Ein Kämpfer f. d. Frieden, in: Saarbrücker Zt. Vom 22. 1. 1993; Die Erinnerung bleibt wach! Die Stadt Neunkirchen errichtete auf d. Hauptfriedhof. Gedenkstein für Dr. K. Schneider, in: Neunkircher Stadtrundschau vom 27./28.1.1993; Mut u. Entschlossenheit gewürdigt, in: Neunkircher Stadtanzeiger vom 27.1.1993; Kompromißlos gegen Rassismus. Aus d. Leben d. Augenarztes Dr. K. Schneider, in: Saarbrücker Zt. vom 28.1.1993; Neunkirchen ehrt einen Ettenheimer Sohn, in: Ettenheimer Stadt Anzeiger vom 11.2.1993.
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