Dürr, Ludwig 

Geburtsdatum/-ort: 04.06.1878;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 11.01.1956;  Friedrichshafen
Beruf/Funktion:
  • Luftschiffkonstrukteur
Kurzbiografie: 1885-1889 Volksschule, 1889-1895 Bürgerschule in Stuttgart
1895-1898 Mechanikerlehre, gleichzeitig Studium an der Höheren Maschinenbauschule in Stuttgart, anschließend Zwischenpraxis bei der Eisenbahninspektion Aalen
1898-1899 Einjährig-Freiwilliger bei der II. Werftdivision der Kaiserlichen Marine in Wilhelmshaven, 1899 als Maschinistenmaat entlassen
1899-1901 Konstrukteur in Graf Zeppelins Gesellschaft zur Förderung der Luftfahrt, 1901 Chefkonstrukteur
1901 Liquidation der Gesellschaft, 1901-1904 im Dienst Graf Zeppelins, Entwicklung der Grundelemente des Luftschiffbaus
1904 Wiederaufnahme des Luftschiffbaus, Dürr leitender Ingenieur
1917-1945 Technischer Direktor der Zeppelinwerke in Friedrichshafen
1937 V.06. Katastrophe von Lakehurst, Ende des zivilen deutschen Luftschiffbaus
1945 Fast völlige Zerstörung der Zeppelinwerke in Friedrichshafen
1950 Mitglied des Aufsichtsrats der Metallwerke Friedrichshafen
1953 Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1923 Altensteig bei Calw, Lydia, geb. Beck
Eltern: Paul, Weingärtner (gest. 1902)
Johanna, geb. Dill
Geschwister: 7, Ludwig Dürr war das dritte Kind
Kinder: 2 Töchter, 2 Söhne
GND-ID: GND/130143030

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 53-56

Kein Ozeanriese, kein Flugzeug und keine Transsibirische Eisenbahn erregten um die Jahrhundertwende ähnliches Aufsehen in der Weltöffentlichkeit wie der Dinosaurier der Lüfte, das Zeppelin-Luftschiff. Ferdinand Graf von Zeppelin (1838-1917), der das Starrluftschiff nicht erfand, aber mit LZ 1 das erste brauchbare lenkbare Luftschiff schuf, war in der wilhelminischen Ära der populärste Deutsche, und nach dem I. Weltkrieg war der Luftschifffuhrer Hugo Eckener (1868-1954) in vielen Ländern in der gleichen Position. Daneben blieb der geniale Konstrukteur aller Luftschiffe von LZ 2 bis LZ 130, Ludwig Dürr, immer im Hintergrund. Als er gerade 21-jährig in die Dienste Graf Zeppelins trat, hatte er eine Ausbildung absolviert, die nach Maß auf seine zukünftigen Aufgaben zugeschnitten war: dem technischen Studium und der gleichzeitigen praktischen Mechanikerlehre folgten der Militärdienst auf einer Schiffswerft und eine Praxis bei einer Eisenbahninspektion. Schon am Bau des LZ 1, der erstmals am 1. Juli 1900 aufgestiegen war, war der junge Techniker beteiligt, und als Zeppelins Chefkonstrukteur Hugo Kubier wegen der finanziellen Schwierigkeiten der Luftschiffbaugesellschaft ausschied, ernannte Zeppelin Dürr zum Nachfolger und Werftleiter in Manzell bei Friedrichshafen. Dürr war viele Jahre lang Zeppelins treuester Gefolgsmann. Er blieb auch im Dienst des Grafen, als die Gesellschaft zur Förderung des Luftschiffbaus im Jahre 1901 liquidiert werden mußte, arbeitete gelegentlich auch ohne Gehalt und entwarf von 1901-1904 die Grundelemente der Luftschiffkonstruktion. Seine weitesttragende Neuerung war wohl die Verbesserung des Aluminiumgerippes im Luftschiffbau. Da sich die Gitterträger des tragenden Innengerüsts bei LZ 1 vielfach verbogen und verformten, entwarf Dürr, auf einen Vorschlag Zeppelins hin, den Gitterträger mit dreieckigem Querschnitt, die Grundlage des Leichtmetallbaus. Von dieser und von vielen anderen Erfindungen Dürrs gingen eine Reihe von Innovationsimpulsen für viele Gebiete der Technik aus, genannt seien nur die erstmalige Verwendung von Leichtmetallkarosserien für Kraftfahrzeuge und Seilbahnen, die Aluminiumverarbeitung und die Entwicklung des Leichtmotorenbaus. Pionierarbeit leistete Dürr auch auf dem Gebiet der metallurgischen Untersuchung und der Werkstofffestigkeitsprüfung. Sehr früh entwarf er zur Untersuchung der Strömungsverhältnisse eigene Windkanäle und Motorenprüfstände.
Als 1904 der Luftschiffbau wieder aufgenommen wurde, konnte Dürr die ersten Ergebnisse seiner vierjährigen Forschungen vorführen. LZ 3 legte achtstündige Fahrten mit 350 km zurück. Aber am 5. August 1908 erlebten Zeppelin und sein Chefkonstrukteur den schwärzesten Tag der Luftschiffgeschichte der Vorkriegszeit, als LZ 4 in Echterdingen verbrannte. Mittlerweile hatte aber die Luftschiffidee in breiten Schichten der Bevölkerung unzählige begeisterte Anhänger gewonnen – die Menge vor dem zerstörten LZ 4 stimmte das Deutschlandlied an –, so daß Zeppelin zu einer „Volksspende“ aufrufen konnte, die 6 Millionen Goldmark erbrachte. Mit diesem für die damalige Zeit gewaltigen Betrag konnte der Weiterbau der Luftschiffe finanziert werden. Zeppelin gründete auf Vorschlag Colsmans die Delag (Deutsche Luftschiffahrts-AG), die erste Luftverkehrsgesellschaft der Welt, die Bestellungen akquirieren und einen Binnenluftverkehr zwischen den deutschen Großstädten verwirklichen sollte. Leider wurde auch diese neue Phase der Luftschiffahrt durch Unglücksfälle, glücklicherweise ohne Personenschäden, eröffnet; aber nach den historischen Fahrten des von Dürr konstruierten Luftschiffs „Schwaben“ in die Schweiz und nach Bielefeld konnte ein Personenluftschiffverkehr zwischen den deutschen Großstädten in Gang gesetzt werden. Mit den Luftschiffen „Schwaben“, „Viktoria Luise“, „Hanse“ und „Sachsen“ konnten bis 1914 34 028 Personen befördert werden.
So schien das Ziel der Delag, der planmäßige Luftschiffverkehr, in greifbare Nähe gerückt. Da brach der I. Weltkrieg aus. Selbstverständlich war die militärische Verwendung der Luftschiffe von vornherein von dem pensionierten General Graf Zeppelin eingeplant, auch wegen der damit möglichen Projektförderung über den Militäretat; aber im Gegensatz zu den anderen Luftschiffbau betreibenden Ländern versuchte Zeppelin, die zivile Nutzung in den Vordergrund zu stellen, jedoch schon in Friedenszeiten dienten die Luftschiffe der Ausbildung der militärischen Luftschiffbesatzungen. Alle Luftschiffe der Delag wurden 1914 dienstverpflichtet, und die Gesellschaft baute im Auftrag von Heer und Marine 86 Luftschiffe. Die im Lauf des Krieges erzielten technischen Verbesserungen waren bahnbrechend. Die Luftschiffe fuhren in Höhen bis 7 200 m, wo sie von britischen Jagdflugzeugen nicht mehr angegriffen werden konnten. Sensationell war im Jahre 1917 die Fahrt des L 59 von Bulgarien nach Afrika. Das Luftschiff legte in 95 Stunden 7 000 km zurück und sollte der schwerbedrängten Schutztruppe Lettow-Vorbecks Material zuführen. Da der General aber bereits den Rückzug nach Mozambique angetreten hatte, wurde L 59 bei Khartum über Funk zurückbefohlen. Drei Viertel der von Heer und Marine eingesetzten Luftschiffe gingen verloren; das mit Wasserstoff gefüllte Luftschiff war leicht brennbar. Die angerichteten Schäden waren relativ gering, die Bomben schlugen meist neben den Zielen ein.
Die wenigen nicht zerstörten Luftschiffe wurden nach dem I. Weltkrieg als Reparationen verteilt, die meisten Luftschiffhallen wurden gesprengt. Für den um das Überleben kämpfenden Luftschiffbau der Zeppelin GmbH – sie produzierte nach dem Krieg Aluminiumtöpfe und -pfannen – brachen wieder bessere Zeiten an, als die USA im Jahre 1922 zu Lasten des deutschen Reparationskontos LZ 126 bestellten. Das Luftschiff, von Dürr entworfen, wurde von Eckener im Jahre 1924 im ersten deutschen Transozeanflug in die USA überführt. Bei der Rückkehr war er ein Volksheld. Er rief zu einer „Zeppelin-Eckener-Spende“ auf, um LZ 127 bauen zu können. Die Hälfte des erforderlichen Betrages kam zusammen, die Reichsregierung bezahlte die zweite Hälfte. Dürrs Meisterwerk war 236,6 m lang, 30,5 m hoch und mit einem Rauminhalt von 105 000 cbm das größte bis dahin gebaute Luftschiff. Seine Leistungen waren legendär: die erste Erdumrundung, Erforschung der Arktis, 1931 Eröffnung des transozeanischen Luftverkehrs zwischen Europa und Südamerika. Die Popularität des Luftschiffs „Graf Zeppelin“ war in den 1930er Jahren unvorstellbar. Hitler wollte nicht viel von Zeppelinen wissen, da sie nicht als Kriegswaffe eingesetzt werden konnten, aber sein Oberpropagandist Goebbels erkannte die Werbewirkung der Luftriesen. Als „Graf Zeppelin“ mit seinen mit riesigen Hakenkreuzen bemalten Heckflossen als Werbeträger des „Dritten Reiches“ über Rio de Janeiro schwebte, genehmigte das Reichsluftfahrtministerium die Mittel für den Bau von LZ 129 – „Hindenburg“ –, das Dürr nur wenig länger als den „Graf Zeppelin“ konstruierte, ihm jedoch durch einen erheblich größeren Rumpfdurchmesser wesentlich mehr Rauminhalt gab, wodurch die Tragkraft des Schiffs beträchtlich vergrößert wurde. Die erste Deutschlandfahrt des Luftschiffs im März 1936 diente denn auch prompt politischen Zwecken: es warf Flugblätter ab, mit denen die Wähler aufgefordert wurden, Hitlers Besetzung des Rheinlandes zu billigen, und im Juli 1936 schwebte „Hindenburg“, mit Hakenkreuzen verziert, während der Olympischen Spiele über dem Olympiastadion in Berlin. Im gleichen Jahr setzte der regelmäßige Passagierdienst nach Nord- und Südamerika ein. Aber die Katastrophe von Lakehurst am 6. Mai 1937 markierte das definitive Ende der Personenluftschiffahrt. Die Unglücksursache wurde niemals eindeutig geklärt. 36 Personen waren umgekommen, als das Luftschiff verbrannte, 62 überlebten. „Graf Zeppelin“ wurde außer Dienst gestellt; das Luftschiff hatte in neunjähriger Betriebszeit 1 695 272 km zurückgelegt.
Eckener und Dürr gaben auch nach der Katastrophe von Lakehurst nicht auf: LZ 130 war im Mai 1937 fast fertiggestellt. Sie drängten, in der Hoffnung, von den USA das unbrennbare Heliumgas geliefert zu bekommen, auf den Abschluß des Baus. Aber der amerikanische Innenminister weigerte sich, die Genehmigung zur Lieferung des Heliums zu erteilen, da er den Einsatz des Luftschiffs als Kriegswaffe befürchtete. LZ 130 – „Graf Zeppelin II“ – wurde im Sommer 1939 zu Spionagefahrten an der englischen Ostküste, zum Abhören des Funkverkehrs, eingesetzt. Im Jahre 1940 wurden LZ 127 und LZ 130 auf Befehl Görings abgewrackt; die Luftschiffhallen in Frankfurt/M. ließ er sprengen.
Bei Kriegsbeginn im Jahre 1939 wurde der Zeppelinluftschiffbau mit seinen Zweigwerken auf Rüstungsproduktion umgestellt. Irgendwelche selbständigen Entscheidungen konnte der technische Direktor Dürr nicht mehr treffen. In den Jahren 1943-1945 wurde fast der gesamte Konzern, der zu einer der wichtigsten Rüstungsschmieden des „Dritten Reiches“ geworden war – in Friedrichshafen und Umgebung wurden Panzer, Flugzeuge, später Düsenflugzeuge und die V 2 gebaut –, durch Luftangriffe fast völlig zerstört. Was übrig geblieben war, wurde bei Kriegsende demontiert.
„Löwen an Erfindungskraft und Leistungsvermögen“ seien Dürr und seine engsten Mitarbeiter gewesen, schreibt R. Herzfeldt. „Es waren Männer von des Grafen eigenem Zuschnitt: starke Charaktere, eigenwillige Persönlichkeiten, zielbewußt, hellsichtig, dynamisch, kompromißlos in der Sache, konziliant in der Form, aber niemals bequem“. Bei Dürr wird von allen, die ihn kannten, seine ausgeprägte Bescheidenheit gerühmt.
Er erfuhr viele Ehrungen. Schon den Fünfunddreißigjährigen promovierte die Technische Hochschule Stuttgart im Jahre 1913 zum Dr.-Ing. e.h. Die Technischen Hochschulen Graz und Karlsruhe verliehen ihm den gleichen Ehrentitel. Die Universität Tübingen, Freiburg und Heidelberg ernannten ihn zum Dr. phil. h.c. Im Jahre 1925 wurde er Ehrenbürger von Friedrichshafen.
Die Faszination der Luftschiffe ist niemals erloschen, ihr Nachruhm drang zum Beispiel bis ins Innere Schwarzafrikas: 1976 gab die Regierung von Obervolta einen Briefmarkenblock mit Porträts von Zeppelin, Eckener und Dürr heraus. In Friedrichshafen baute Mitte der 1990er Jahre die Zeppelin Luftschifftechnik GmbH wieder Zeppeline, viel kleiner freilich als die früheren Luftriesen, aber gefüllt mit nicht brennbarem Helium, und der Vorsitzende des Fördervereins Zeppelin-Tourismus e. V. heißt Wolfgang von Zeppelin.
Quellen: Mitteilungen von Bernhard A. Probst in Friedrichshafen und Herrn Dr. Wolfgang Meighörner, Direktor des Zeppelinmuseums Friedrichshafen. Prof. Dr. Peter Kleinheins, Das Werk des Grafen Zeppelin, Ansprache bei der öffentlichen Feier zum Gedenken des 75. Todestages von Ferdinand Graf Zeppelin, Ludwig-Dürr-Saal des Graf-Zeppelin-Hauses Friedrichshafen, 08.03.1992 (Manuskript)
Werke: Fünfundzwanzig Jahre Zeppelin-Luftschiffbau, 1925; Vom Bau des ersten Zeppelin-Luftschiffes, in: Werkzeitschrift der Zeppelin-Betriebe 1. Jg. 1936 Nrn. 2, 3 und 4, 2. Jg. 1937 Nr. 1; Nachdruck in H. Knäusel, LZ 1, Der erste Zeppelin (Literatur), 252-259
Nachweis: Bildnachweise: in: D. Botting, Die Luftschiffe (Literatur) 34

Literatur: Das Werk Zeppelins, eine Festgabe zu seinem 75. Geburtstag vom Luftschiffbau Zeppelin, 1913; H. Hildebrandt (Hg.), Zeppelin-Denkmal für das deutsche Volk, 1925; A. Colsman, Luftschiff voraus!, 1933; G. Hacker, Die Männer von Manzell, 1936; M. Losch, Aus den Anfängen des Luftschiffbaus, in: Werkzeitschrift der Zeppelin-Betriebe, 2. Jg. 1937, Nr. 11, Nachdruck in: H. Knäusel, LZ 1, 1985, 260-262; H. Eckener, Graf Zeppelin, 1938; P. Mayer, Das große Luftschiffbuch, 1976; P. Schmalenbach, Die deutschen Marineluftschiffe, 1977; K. Clausberg, Zeppelin: Die Geschichte eines unwahrscheinlichen Erfolges, 1979; A. Sammt, Mein Leben für den Zeppelin, bearb. und mit Ergänzungen von W. von Zeppelin und P. Kleinheins, 1980; H. Knäusel, Zeppelin and the United States of America, 2. Aufl. 1981; D. Botting, Die Luftschiffe, 1982 (aus dem Amerikanischen); R. L. Rimell, Zeppelin! A battle for air supremacy in World War 1, 1984; H. Knäusel, Der erste Zeppelin, 1985; Die großen Zeppeline. Die Geschichte des Luftschiffbaus, hg. von P. Kleinheins, 1985; F. Gütschow, Das Luftschiff. Geschichte, Technik, Zukunft, 1985; H. von Schiller, Zeppelin. Aufbruch ins 20. Jahrhundert, 1988; L. Toland, Die große Zeit der Luftschiffe (aus dem Amerikanischen), 1989; W. Meighörner, „... der Welt die Wundergabe der Beherrschung des Luftmeeres schenken“, 1991; R. Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, o. J.; R. Archbold/K. Marschall, Luftschiff Hindenburg und die große Zeit der Zeppeline, 1994; J. T. Rufus, Vorstoß in einen neue Dimension der Weltkulturgeschichte – In Friedrichshafen, wo Graf Zeppelins Luftschiffe gebaut wurden, entsteht ein einzigartiges Zeppelin-Museum, in: Welt am Sonntag vom 25.12.1994; Mutiger Start mit Nachwuchs-Zeppelin – In Friedrichshafen beginnt die Montage eines neuen Starrluftschiffs, in: Welt am Sonntag vom 19.05.1994; Dieter Vogt, Der Luftschiffer, der ein ganzes Volk verzauberte – Einiger deutscher Seelen/Willkommen im fliegenden Ozeanriesen/Das neue Zeppelin-Museum am Bodensee, in: FAZ vom 29.06.1996; Heyd Bd. 10, 9840, 9841; Munzinger Archiv 8/56; K. Stahl, Ludwig Dürr, in: NDB Bd. 4.
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