Der Neckarhafen Plochingen – das Tor zu den Weltmeeren

Plochingen mit Neckarhafen
Plochingen mit Neckarhafen. Copyright: LABW

Jahrhundertelang diente der Neckar als billiger Verkehrsweg, bis ihm die Eisenbahn ab der Mitte des 19. Jh. diese Rolle streitig machte. Die Vorteile des Reisens und des Warentransports per Bahn lagen auf der Hand: Die Eisenbahn machte das Reisen berechenbar, der Zug fuhr nach Fahrplan und mit festen Tarifen, die zwar höher waren als die Kosten einer Schiffsreise, aber zu Wasser reisen bedeutete zuweilen warten. Denn selten erlaubte der Wasserstand des Neckars ein zügiges Fortkommen. Hinzukamen Schifffahrtsprivilegien, Stapelzwänge und Zölle, die erst die Schlussakte des Wiener Kongresses 1815 beseitigte. Trotz neuer technischer Möglichkeiten (Dampfschiff und Kettenschleppschifffahrt) blieb Heilbronn wegen der schwierigen hydrologischen Verhältnisse weiterhin Endpunkt der Neckarschifffahrt.

Letztlich gab die Sorge der Industrie im mittleren Neckarraum, sie könnte durch die hohen Kosten für den Bahntransport von Kohle und Stahl gegenüber anderen Regionen ins Hintertreffen geraten, den Ausschlag den Fluss zur Schifffahrtsstraße auszubauen. Um 1883 wurden diesbezüglich erste Forderungen laut, aber wegen der Interessengegensätze von Baden, Hessen und Württemberg unterblieb die Realisierung. Erst nach dem Ersten Weltkrieg, unter dem Druck der Massenarbeitslosigkeit und des hohen Energiebedarfs, einigten sich die Anrainerstaaten und das Deutsche Reich 1919 darauf, den Neckar-Donau-Kanal (MannheimHeilbronnStuttgart Plochingen Ulm) für Lastkähne von 1200 t Tragfähigkeit zusammen mit Kraftwerken an den Staustufen zu bauen. Wegen der wirtschaftlichen und finanziellen Turbulenzen zu Beginn der 1920er Jahre stockte der Kanalbau mehrmals. Von 1925 an war der Weiterbau finanziell soweit gesichert, dass tatsächlich 1935 die Motorschifffahrt auf dem Neckarkanal bis Heilbronn aufgenommen werden konnte. Indes wurden in der NS-Zeit die Prioritäten zugunsten des Autobahnbaus und der Rüstungspolitik geändert und der Kanalbau nach und nach eingestellt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg griff man die alten Pläne wieder auf und setzte ab 1949 die Bauarbeiten fort. 1956 erreichte der Neckarkanal Stuttgart, der Endhafen Plochingen an der 203 km langen Bundeswasserstraße wurde schließlich am 12. Juli 1968 eingeweiht. Die angepeilte Gütermenge von 3,6 Mio. t (davon 2,6 Mio. t bis Stuttgart), die einst als Hauptargument für den Bau des Neckarkanals galt, ist nach schwierigen Jahren inzwischen überschritten. 2005 wurden im Neckarhafen Plochingen insgesamt 1,26 Mio. t Schiffsgüter umgeschlagen, hauptsächlich Massengüter wie Kohle, Schrott, Düngemittel, Heizöl und Treibstoffe, Eisen und Stahl, Steine, Sand und Kies sowie Futtermittel. Sie kamen zu zwei Dritteln von den Nordseehäfen Rotterdam, Amsterdam und Antwerpen. Durch die Verknüpfung der Hafeneinrichtungen mit Bahn und Straße werden derzeit rund 1/2 Mio. t Güter in das Hinterland versandt bzw. über den Neckarhafen per Binnenschiff flussabwärts weiter transportiert. Als besondere Hafeneinrichtungen sind Mehrzwecklagerhäuser, ein Getreidesilo mit rund 30 000 t und ein Tanklager mit 85 000 cbm Fassungsvermögen sowie ein Schwerlastkai vorhanden. Träger des Neckarhafens Plochingen ist eine GmbH, der als Gesellschafter u.a. die Landkreise Esslingen und Göppingen, die Stadt Plochingen sowie bedeutende Industrie- und Handelsfirmen angehören.

Rainer Loose

Veröffentlicht in: Der Landkreis Esslingen. Hg. v. der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg in Verbindung mit dem Landkreis Esslingen (Kreisbeschreibungen des Landes Baden-Württemberg). Ostfildern 2009, Bd. 2, S. 388. 

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