Die Kurpfalz im Dreißigjährigen Krieg

von Jürgen Michael Schmidt

 Schloss Heidelberg. Kupferstich 1671 (Quelle: GLAK)
Schloss Heidelberg. Kupferstich 1671 [Quelle: Landesarchiv BW, GLAK J-B Heidelberg 65]

Die Kurpfalz kann man zunächst einmal zu den bedeutenderen Teilnehmern des Dreißigjährigen Krieges rechnen. Vor allem im Vorfeld und am Anfang des Krieges spielte sie eine wichtige Rolle, die in eine gängige Einteilung des gesamten Kriegsverlaufes in vier Phasen Eingang gefunden hat: So wird in Hinblick auf die jeweiligen Gegner des Kaisers gerne zwischen dem böhmisch-pfälzischen (1618-1623), dem niedersächsischen-dänischen (1624-1629), dem schwedischen (1630-1634) und dem schwedisch-französischen Krieg (1635-1648) unterschieden.

In dieser sich aufbauenden Reihe europäischer Mächte und Großmächte allerdings, das muss man sofort einschränkend sagen, spielte das Machtpotenzial der Kurpfalz als Territorium die bei weitem geringste Rolle – und dies, obwohl zu Kriegsbeginn noch die Kuroberpfalz um Amberg im Norden des heutigen Bundeslandes Bayern als Bestandteil des relativ zersplitterten Territoriums hinzukam. Nein, territorial, wirtschaftlich und militärisch betrachtet, war die Kurpfalz mit ihrer Residenzstadt Heidelberg am Vorabend des Krieges nur eine regionale Macht im deutschen Süden und Westen. Daran änderten auch solch repräsentative kulturelle Glanzlichter wie die Bibliotheca Palatina oder der Hortus Palatinus als achtes Weltwunder nichts.

Zu einem „European Player“ wurde die Kurpfalz allein aufgrund der politischen und dynastischen Verbindungen und Bündnisse, die sie in Deutschland und Europa aufgebaut hatte. Diese gingen auf das Ansehen ihres Herrscherhauses und dessen herausgehobene verfassungsrechtliche Stellung im Heiligen Römischen Reich zurück. Die pfälzischen Kurfürsten gehörten zum exklusiven Kreis der Kaiserwähler mit dem entsprechend hohen Rang und einem Einfluss, der sie nicht nur für deutsche, sondern auch für auswärtige Mächte als Partner attraktiv machte. Dabei waren die Pfälzer als Vertreter des Hauses Wittelsbach nicht nur Kaiserwähler und -verwandte, sondern Teil einer Dynastie, die selbst bereits einen Kaiser und einen (Gegen-)König gestellt hatte. Die Betonung einer prinzipiell königlichen Dignität und die Pflege entsprechender Ambitionen hatten in Heidelberg eine gute Tradition. Wie fast überall verbanden sie sich im konfessionellen Zeitalter mit den religiösen Auseinandersetzungen, die sich seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts immer weiter verschärften.

Nachdem die Kurpfalz in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum reformierten Glauben übergegangen war und diesem 1563 im Heidelberger Katechismus ein wichtiges Glaubensbekenntnis geschenkt hatte, erlebte das Land mit seiner reichsrechtlich bedenklichen konfessionellen Sonderrolle eine deutliche Westorientierung, die auch durch ein kurzes lutherisches Zwischenspiel nicht mehr unterbrochen werden konnte. Die Aufnahme vieler nichtdeutscher reformierter Glaubensflüchtlinge unterstützte diese Internationalisierung der Politik und der Kultur des Landes.

Im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges ging die Kurpfalz zur präventiven Abwehr eines von vielen protestantischen Politikern für die nahe Zukunft befürchteten gewaltsamen Schlages der katholischen Habsburgermächte gegen den Protestantismus zunehmend aktiv zu einer politischen Netzwerkbildung über. Wichtigste auswärtige Eckpfeiler waren die Niederlande, die französischen Hugenotten und England sowie innerdeutsch ein Schutzbündnis der protestantischen Stände. Ein zentraler Protagonist war dabei Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg (1568-1630), der als Leiter der pfälzischen Politik 1608 die Gründung der protestantischen Union in Auhausen unter kurpfälzischer Führung zustande brachte und erste Bündnisse mit England und den Generalstaaten schloss. Die Vereinigung der deutschen protestantischen Stände sollte sich freilich letztendlich nicht als tragend erweisen. Insbesondere Vorbehalte gegen die reformierte Konfession sowie die Ablehnung der pfälzischen Aktivitäten und deren antikaiserliche Stoßrichtung durch das lutherische Kursachsen behinderten die Sammlung der protestantischen Kräfte.

Der zweite wichtige Protagonist auf pfälzischer Seite, aber deutlich jünger als Christian von Anhalt, war Kurfürst Friedrich V. (1596-1632), der 1610 die Regierung antrat. Brachte er bereits enge verwandtschaftliche Beziehungen zum niederländischen Statthalterhaus der Oranier mit, so erreichte die dynastische Vernetzung 1613 einen Höhepunkt: Durch seine Heirat mit Elisabeth Stuart (1596-1662) wurde er zum Schwiegersohn des englischen Königs. Nicht zu Unrecht also konnte man Friedrich am Vorabend des Krieges als einen der zentralen Exponenten des europäischen Protestantismus betrachten.

Auf diese Vernetzung setzten die revoltierenden Stände in Prag, als sie 1619 den pfälzischen Kurfürsten zum böhmischen König wählten, nachdem sie 1618 den Habsburger Ferdinand abgesetzt und damit den Dreißigjährigen Krieg ausgelöst hatten. Friedrich nahm die Wahl nach kontroversen Beratungen mit seinen Räten und trotz Warnungen aus England an und ging in sein neues Königreich. Im Großen und Ganzen hatten die landfremden europäisch orientierten Ratgeber, insbesondere Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg, für das Unternehmen gestimmt. Die südwestdeutschen Räte hatten das Risiko für das kleine Land als zu hoch eingeschätzt und zur Vorsicht geraten. Sie sollten Recht behalten. Die erhoffte Unterstützung durch seine Verbündeten fiel viel zu gering aus.

Bis heute wird immer wieder die Frage nach einer maßgeblichen pfälzischen Mitschuld am Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und der schnellen Entgrenzung des böhmischen Konflikts zu einem europäischen Krieg aufgeworfen. Diese Frage scheint nahe zu liegen, da die pfälzische Politik schon länger von der Annahme einer wachsenden Bedrohung des protestantischen Glaubens geleitet worden war, dessen Verteidigung ihrer Meinung nach nur durch einen gemeinsamen Kampf auf der gesamteuropäischen Bühne zu gewährleisten war. Diesen hatte sie versucht mit vorzubereiten. Doch wird man mit einer besonderen Schuldzuweisung an die Adresse einiger weniger pfälzischer Akteure, die ja zwingend mit einer Entschuldigung der anderen Kriegsteilnehmer einhergehen müsste, den tieferen Ursachen dieses großen Krieges, den verschiedenen Faktoren, die zu seinem Ausbruch geführt haben, den vielen anderen Akteuren und ihren divergierenden Interessen sicher nicht gerecht. Es handelte sich um einen Krieg, der schon mehrere Jahre vor dem Regierungsantritt Friedrichs um ein Haar begonnen hätte, der schon ein Jahr vor seiner Annahme der böhmischen Krone de facto bereits begonnen hatte und in den seine europäischen Verbündeten eben gerade nicht im erhofften Maße eingriffen.

Nach der verlorenen Schlacht gegen die kaiserlichen und ligistischen Heere am Weißen Berg vor den Toren Prags 1620, musste Friedrich ins niederländische Exil gehen, wo er fortan seine Ansprüche mit einer eigenen Hofhaltung symbolisch unterstrich – als Winterkönig in der gegnerischen Publizistik heftig verspottet. Im Januar 1621 wurden er und Fürst Christian vom Kaiser in die Reichsacht erklärt.

Friedrichs verbliebene Truppen und Verbündete konnten die pfälzische Heimat nicht lange schützen, die sich schon seit 1620 gegen das aus dem Westen angreifende spanische Heer unter General Spinola verteidigen musste. Nach der Niederwerfung Böhmens und der Oberpfalz eröffneten die ligistischen Truppen unter General Tilly 1622 eine zweite Front, was die Situation unhaltbar machte. Ein militärisches Beharrungsvermögen besaßen noch die Residenzstadt Heidelberg, die Festung Mannheim sowie die Exulantenstadt Frankenthal bis 1623. Dann war diese erste Kriegsphase zu Ende und damit eigentlich auch weitgehend die aktive Rolle der Kurpfalz im Dreißigjährigen Krieg.

Der Gewinner aus kurpfälzischer Sicht war an erster Stelle der wittelsbachische Vetter und Führer der katholischen Liga, Herzog Maximilian von Bayern. Die Untere Kurpfalz wurde (verabredungswidrig und sehr zum Unwillen Spaniens, das die ganze Herrschaft beanspruchte) zwischen Bayern und Spanien aufgeteilt, in Kreuznach eine spanische, in Heidelberg eine bayerische Regierung installiert, die Bibliotheca Palatina an den Papst verschenkt. Kurmainz löste die einstmals an die Kurpfalz verpfändete Bergstraße wieder aus. Von größerer Wirkung waren freilich zwei weitere Maßnahmen, mit denen sich Maximilian vom Kaiser für seine militärische Hilfe belohnen ließ: Der Kaiser übertrug ihm die pfälzische Kurwürde und das Territorium der Oberpfalz, das ins bayerische Territorium eingegliedert wurde. Beide Übertragungen sollten über den Krieg hinaus bis ins Jahr 1777 Bestand haben. Sie wurden erst hinfällig, als die pfälzischen Wittelsbacher die zwischenzeitlich ausgestorbene bayerische Linie beerbten.

Anders verhielt es sich mit der Unteren Kurpfalz, wo nach ein paar stabilen, allerdings von Rekatholisierungsmaßnahmen begleiteten Jahren bereits Ende 1631 die Schweden ihren Einmarsch begannen, der 1634 mit dem Fall der letzten besetzten Festung endete. Eine Restitution Friedrichs V. scheiterte an Gustav Adolfs Bedingungen, die Friedrich bis zu seinem Tod in Mainz 1632 nicht akzeptieren wollte. Erst 1633 einigte sich sein Bruder Ludwig Philipp als Vormund für den unmündigen Karl I. Ludwig (1617-1680) mit den Schweden und übernahm kurzzeitig die Herrschaft in der Kurpfalz – kurzzeitig deswegen, weil sich nach der Schlacht bei Nördlingen 1634 das Blatt erneut wendete. Die Schweden wurden aus ihren süddeutschen Positionen verdrängt, die Kurpfalz fiel erneut in die Hand Spaniens und Bayerns.

Die Lage veränderte sich nach 1634 jedoch insofern nachhaltig, als vor allem die Spanier und der Kaiser auf der linksrheinischen Seite, aber auch die Bayern auf der rechtsrheinischen Seite im Folgenden kaum mehr stabile Verhältnisse herstellen konnten. Von größter Bedeutung wurde der Umstand, dass nun Frankreich auf der Seite Schwedens in den Krieg eingriff und von da ab und für die weitere Zukunft im kurpfälzischen Raum präsent blieb. Das Land wurde bis zum Ende des Krieges zum dauerhaften Kriegsschauplatz, seine Bewohner wurden in der Folge weit stärker noch als zu Kriegsbeginn zu Opfern all jener furchtbaren Verheerungen und Gräueltaten, Hunger und Seuchen, wie sie auch für die anderen zentralen Kriegsregionen des Reiches typisch waren. Je nach Kriegsglück zogen verbündete oder gegnerische Heere durch das Land, wobei die Zugehörigkeit der jeweiligen Truppen für die in der Bevölkerung angerichtete Not häufig keinen großen Unterschied machte. Zu Ende des Krieges erscheint die Kurpfalz als ein weitgehend zerstörtes und entvölkertes Land. Man kann die Bevölkerungsverluste auf 75-80 Prozent oder partiell sogar noch höher schätzen. Es war fast eine „Stunde null“.

Und dennoch blieb das territorial verkleinerte und ruinierte Land über sein vertriebenes Herrscherhaus politisch von Bedeutung und seine Zukunft in den Friedensverhandlungen kein völlig marginaler Streitpunkt. Denn trotz mitunter schwerer Differenzen zwischen Friedrich V. beziehungsweise seinen Nachfolgern und ihren Verbündeten, wie die Zukunft des Hauses und des Landes aussehen sollte, blieben die Verpflichtungen aus der protestantischen, dynastischen und reichsfürstlichen Solidarität für die protestantischen Verhandlungsführer virulent, blieb das Territorium auch strategisch interessant. 2017 hat der Schriftsteller Daniel Kehlmann in seinem Bestsellerroman ‚Tyll‘ das Schicksal der Familie des Winterkönigs im Exil und die Durchsetzung der pfälzischen Position in den Friedensverhandlungen aufgegriffen, allerdings ohne historischen Wahrheitsanspruch. Gleichwohl ist damit die Geschichte des Herrscherhauses einer breiteren deutschen Öffentlichkeit des 21. Jahrhunderts plötzlich wieder ins Bewusstsein gerückt worden, insbesondere der weit in die Zukunft blickende Umstand, dass die Tochter des Winterkönigspaares über den britischen Act von 1701 zur Stammmutter des heutigen englischen Königshauses werden sollte. Jenseits der gut geschriebenen Fiktion des Romans bleibt als Endergebnis der westfälischen Friedensverhandlungen historisch festzuhalten, dass im Friedensvertrag von 1648 tatsächlich die Restitution des pfälzischen Kurfürsten erreicht werden konnte. Er erhielt die Herrschaft über die Rheinische (Untere) Kurpfalz zurück. Das Normaljahr 1624, das für die Wiederherstellung der Religionsverhältnisse eigentlich vorgesehen war, wurde auf das pfälzische Territorium nicht angewendet, damit es die erstmals reichsrechtlich akzeptierte reformierte Konfession wieder einführen konnte. Als Ersatz für die an Bayern verlorene Kurwürde schließlich wurde für die Pfälzer eine neue achte Kur geschaffen. Als zentrale Aufgabe galt es nun aber, das zerstörte Land wiederaufzubauen.

Literatur (in Auswahl)

  • Maier, Franz, Die bayerische Unterpfalz im Dreißigjährigen Krieg. Besetzung, Verwaltung und Rekatholisierung der rechtsrheinischen Pfalz durch Bayern 1621 bis 1649 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, Bd. 428), Frankfurt/M. 1990.
  • Press, Volker, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619 (Kieler Historische Studien, Bd.7), Stuttgart 1970.
  • Schaab, Meinrad, Geschichte der Kurpfalz, Bd. 2, Stuttgart/Berlin/Köln 1992.
  • Schaab, Meinrad Kurpfalz, in: Handbuch der Baden-Württembergischen Geschichte, Bd. 2: Die Territorien im Alten Reich, hg. von Meinrad Schaab/Hansmartin Schwarzmaier, Stuttgart 1995, S. 247–333.
  • Schindling, Anton/Ziegler, Walter, Kurpfalz, Rheinische Pfalz und Oberpfalz, in: Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 5: Südwesten, hg. von Anton Schindling/Walter Ziegler (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 53), Münster 1993, S. 8–49.

 

Zitierhinweis: Jürgen Michael Schmidt, Die Kurpfalz im Dreißigjährigen Krieg, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 08.08.2022

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