»Wir haben Angst. Angst vor dem Atomkrieg…«

Protestaktion gegen die Stationierung von Atomsprengköpfen im Sommer 1982

Der Blockadeaktion des Sommers 1982 folgten weitere. Auch die Aktivitäten der Aktionsgruppen und Vereine nahmen zu, der Reutlinger »Verein für friedenspolitische Bildungsarbeit« etwa gründete sich im November 1982. Vorlage: Landesarchiv BW, StAS Wü 100 T 1­2 Nr. 528. Zum Vergrößern bitte klicken.
Der Blockadeaktion des Sommers 1982 folgten weitere in Großengstingen und an anderen Bundeswehrstandorten in Baden­-Württemberg. Auch die Aktivitäten der Aktionsgruppen und Vereine nahmen zu, der Reutlinger »Verein für friedenspolitische Bildungsarbeit« etwa gründete sich im November 1982. Vorlage: Landesarchiv BW, StAS Wü 100 T 1­2 Nr. 528. Zum Vergrößern bitte klicken.

mit der 16. raeumung der zufahrtsstrasze zu dem munitionslager der bundeswehr ging am 8.8.1982 die blockadeaktion der atomwaffengegner, die seit dem 1.8.1982 andauerte, zu ende. ziel der bisher in der bundesrepublik deutschland einmaligen aktion war es, ueber die massenmedien eine breite oeffentlichkeit zu erreichen, um so die bevoelkerung bundesweit auf die gefahr eines atom- krieges hinzuweisen. Knapp fasst ein Schreiben der Polizeidirektion Reutlingen das Ende der insgesamt 16-tägigen Protestaktion Schwerter zu Pflugscharen im Sommer 1982 zusammen.

Schauplatz der Blockade war die Zufahrt zum Sondermunitionslager Golf bei Großengstingen auf der Schwäbischen Alb, in dem seit den 1970er Jahren sechs Atomsprengköpfe für Lance-Kurzstreckenraketen lagerten. Im Ernstfall sollten die Kurzstreckenraketen, die eine Reichweite bis 120 Kilometer hatten, von Bundeswehrsoldaten mit den Atomsprengköpfen bestückt werden. Die Abschussfreigabe oblag den ebenfalls dort stationierten US-Militärs.

Ca. 750 Frauen, Männer und Kinder waren dem Aufruf der Friedensbewegung zum Protest gegen die Stationierung von Atomwaffen auf der Schwäbischen Alb gefolgt. Die Aktion richtete sich nicht nur an die breite Öffentlichkeit, auch der Friedensbewegung selbst sollten Ansätze für gewaltfreie Aktionen aufgezeigt und den verantwortlichen Politikern verdeutlicht werden, dass viele Menschen nicht mehr bereit waren, die atomare Aufrüstung mitzutragen.

Die Initiatoren der Blockade hatten schon im Vorfeld die Bildung fest organisierter Gruppen sowie die verpflichtende Teilnahme an einem Training in gewaltfreier Aktion vorgegeben. In sich abwechselnden Blockadeschichten, bestehend jeweils aus ca. 40 bis 50 Personen, wurde die Zufahrt zum Munitionslager besetzt. Bei den wiederholten Räumungen durch die Polizei wurde gewaltfreier und passiver Widerstand geübt, Anzeigen wegen Nötigung nahmen die Sitzblockierer in Kauf. Als Begleitprogramm fand eine Friedenswoche mit Gesprächs- und Arbeitskreisen, Musik- und Theaterdarbietungen sowie Tanzveranstaltungen statt. Auch das Dorf Großengstingen wurde mit Gottesdiensten, Konzerten und Ausstellungen einbezogen. Die Presse meldete, hier seien nicht militante Radikale, sondern die Mitte der Gesellschaft versammelt – Familienväter und -mütter mit Einfamilienhaus, bürgerlichen Berufen und Wähler der etablierten Parteien, geeint durch die Angst vor einem Atomkrieg mitten in Europa.

Kurzfristig konnten die Atomwaffengegner zwar keinen Abzug der Sprengköpfe erwirken, doch nach dem Ende des Kalten Krieges wurde der Bundeswehrstandort Engstingen 1993 als einer der ersten geschlossen, nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Protestaktionen in den Jahren zuvor. Bereits im Herbst 1991 waren die atomaren Sprengköpfe abtransportiert worden.

In der im Staatsarchiv Sigmaringen verwahrten Überlieferung der Landespolizeidirektion Tübingen finden sich neben detaillierten polizeilichen Einsatz- und Lageberichten zahlreiche Hintergrundinformationen zur Arbeit der Friedensbewegung, Pressespiegel, Lageeinschätzungen, Berichte zu anderen Blockadeaktionen bis hin zu den täglichen Wetterberichten. Die Akten zeichnen ein genaues Bild der Augusttage 1982 um und in Großengstingen aus staatlicher Sicht und lassen deutlich werden, wie erleichtert auch die Staatsmacht letztendlich über den gewaltfreien Ablauf der Protestaktion war.

Sabine Hennig

Quelle: Archivnachrichten 63 (2021), Seite 39.

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