„… auch in allerlei für’s Leben nützlichen Fertigkeiten zu unterrichten“. Die Industrieschulen der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins im Königreich Württemberg

Geplanter Bau des Gemeindebackhauses in Birkach: Hier war auch ein Unterrichtsraum für die Industrieschule vorgesehen (Quelle: Landesarchiv BW, StAL E 173 III Bü 6252)
Geplanter Bau des Gemeindebackhauses in Birkach: Hier war auch ein Unterrichtsraum für die Industrieschule vorgesehen (Quelle: Landesarchiv BW, StAL E 173 III Bü 6252)

Mit Unterstützung der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins etablierten sich die Industrieschulen als neues Schulkonzept im württembergischen Königreich. Besonders die Krisenjahre 1816 bis 1817, in denen Hungersnot und Armut verbreitet waren, bildeten eine wichtige Initialzündung für den Ausbau des neuen Schultypus als Programm der Armenfürsorge.

Indem Industriepädagogen einen neuen Unterrichtskatalog erstellten, basierend auf einer Verflechtung von praktischen handwerklichen Tätigkeiten und theoretischen Lerneinheiten, sollten die Kinder zu fleißigen und gottgefälligen Bürgern herangezogen werden. Im Unterricht der Industrieschule bekamen die Schüler/innen eine Arbeitsgeschicklichkeit vermittelt, indem sie in Begleitung und unter Aufsicht der Industrielehrer/innen einer ersten Erwerbstätigkeit nachgingen. Dadurch erhielten sie in jungen Jahren handwerkliche Kenntnisse und wurden so auf das zukünftige Berufsleben vorbereitet, um einer späteren Mittellosigkeit vorzubeugen. Mit Hilfe der Industrieschulen verband die Zentralleitung die Armenfürsorge mit der aufkommenden Industrialisierung und es entstand eine neue Art der Wohlfahrtspflege.

Schnittmuster der Industrieschule in Ludwigsburg, um 1865 (Quelle: Landesarchiv BW, StAL E 191 Bü 4232)
Schnittmuster der Industrieschule in Ludwigsburg, um 1865 (Quelle: Landesarchiv BW, StAL E 191 Bü 4232)

Die Zentralleitung setzte sich für die Verbreitung und den Erhalt von Industrieschulen ein, unterstützte die Ausbildungsstätten finanziell und übernahm Koordinationsaufgaben. Dabei verfolgte die staatliche Obrigkeit insbesondere die Förderung des einheimischen Gewerbes. Das politische Programm unterlag der zeitgenössischen Auffassung der „Gewerbeförderung durch Bildung“. Da der erwerbstätige Industrieunterricht auf eine gewerbliche Herstellung ausgerichtet war, wurden die Industrieschüler/innen in den industriellen Prozess eingegliedert. Sie sollten somit einen Beitrag zur Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität und zum Aufschwung des Gemeinwohls leisten. Um der Entwicklung der sich ausbreitenden Maschinenindustrie im Hinblick auf die Zurückdrängung der Industrieschulen entgegenzuwirken, schlossen sich die Industrieschulen mit industrialisierten Unternehmen zusammen, um konkurrenzfähig zu werden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts verloren die Industrieschulen jedoch an Bedeutung, da sie dem proto-industriellen System und der wachsenden Industrialisierung in Württemberg unterlagen. Das ethische volkserzieherische Element der Industriepädagogik bezüglich einer verbesserten Berufsbildung wurde den wirtschaftlichen Verhältnissen untergeordnet. Das pädagogische Konzept rückte somit früh in den Hintergrund und zurück blieb ein reiner, auf Handarbeiten ausgerichteter Arbeitsunterricht für weibliche Schüler. Eine Verbindung von Lehr- und Arbeitsunterricht gab es nur selten. Trotzdem grenzten sich die Industrieschulen vom herkömmlichen Lehrunterricht der Volksschulen ab, da sie durch den Arbeitsunterricht und die Vermittlung von hauswirtschaftlichem Wissen eine Erweiterung des Bildungskanons vornahmen.

Aus einer zeitgenössischen Quelle:

In der Praxis sah der Schulunterricht an den Industrieschulen in den 1830er Jahren wie folgt aus:

„Neben diesen Hand-Arbeiten wird übrigens in mehreren Industrie-Schulen während der Arbeit mit den Kindern gesungen und gebetet, es werden ihnen lehrreiche Geschichten erzählt, oder es wird ihnen aus der Bibel, oder aus moralischen, historischen, und anderen Jugend-Schriften vorgelesen. Man erklärt ihnen das Vorgelesene, macht sie mit den Regeln der deutschen Sprache und mit Gegenständen der Naturgeschichte bekannt, läßt sie etwas auswendig lernen, oder im Kopfe rechnen, und nimmt sonstige Denk- oder Verstands-Uebungen mit ihnen vor.“

Aus: Rechenschaft der Central-Leitung des Wohlthätigkeits-Vereins und der königlichen Armen-Commission 1832 bis 1833, S. 27.

Auch wenn die Idee der Industriebildung auf den Arbeitsunterricht reduziert wurde, legte die Zentralleitung mit der Gründung der Industrieschulen einen ersten Grundstein für die Einführung eines Arbeitsunterrichts in den Volksschulen.

Theresa Reich

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Quellen und weitere Informationen zum Thema unter

Reich, Theresa: ... auch in allerlei für’s Leben nützlichen Fertigkeiten zu unterrichten. Die Industrieschulen der Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins im Königreich Württemberg.

In: Holtz, Sabine (Hg.): Hilfe zur Selbsthilfe. 200 Jahre Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg. Baden-Baden 2016, S. 98-119.