Wundervögel und Himmelserscheinungen

Die Belagerung der Stadt Konstanz 1633: Ereignis und Deutung

Ein Schwarm von Wundervöglein kündigte – so die Meinung eines unbekannten Chronisten – die Belagerung der Stadt Konstanz an, Vorlage: Landesarchiv BW, GLAK 65 Nr. 311, Bl. VIII v
Ein Schwarm von Wundervöglein kündigte – so die Meinung eines unbekannten Chronisten – die Belagerung der Stadt Konstanz an, Vorlage: Landesarchiv BW, GLAK 65 Nr. 311, Bl. VIII v

Am 8. September 1633 geschah das Unvorstellbare: Feindliche Truppen des Generalfeldmarschalls Gustav Horn, unterstützt durch württembergische Einheiten, zogen vor der vorderösterreichischen Bischofsstadt Konstanz auf. Zwar hatte man in der Stadt einen Angriff erwartet und war auf eine Belagerung vorbereitet, doch hatte die städtische Garnison ihre Kräfte an der Rheinseite, gegen die Vorstadt Petershausen und zur Seeseite hin, zusammengezogen. Im Süden schloss sich der eidgenössische Thurgau an, und die Schweiz verfolgte eine Politik der strikten Neutralität – und genau diese wurde durch die Schweden verletzt. Gustav Horn rückte mit seinen Truppen über eidgenössisches Territorium von Stein am Rhein aus gegen Konstanz vor, besetzte das unmittelbar vor den Stadtmauern gelegene Augustinerchorherrenstift Kreuzlingen und bereitete die Belagerung vor. Während auf der politischen Ebene darüber gestritten wurde, ob vielleicht die protestantischen Orte der Schweiz, allen voran Zürich und Schaffhausen, gemeinsame Sache mit den Schweden machten, begann der Beschuss der Stadtmauer, erfolgte die Mobilisierung der Bevölkerung und erhielt die Stadt durch den Zuzug von Truppen auf dem Seeweg Unterstützung.

Zahlreiche Sturmangriffe missglückten, obwohl es den Angreifern gelang, große Breschen in die Mauern zu schießen. Am 30. September versuchten die Schweden ein letztes Mal erfolglos, unter enormen Verlusten die Mauern zu überwinden: Die Verteidiger zählten am nächsten Tag mehr als 1.000 tote Angreifer, die im Stadtgraben und im Vorfeld der Verteidigungsanlagen zurückgelassen worden waren.

Während sich die österreichischen Soldaten der Habe der gefallenen Soldaten bemächtigten – und zogen sie biß auff das hembd aus, weiß eine Chronik zu berichten – begann die politische Aufarbeitung: Gab es vielleicht Kräfte in der Stadt, die immer noch mit einem Anschluss an die Eidgenossenschaft sympathisierten und deshalb mit dem Feind zusammengearbeitet hatten? Die österreichische Regierung reagierte schnell und wenig zimperlich: Schlüsselposten in der städtischen Verwaltung wurden neu besetzt, und die Erkenntnis, dass es in der Bischofsstadt fast einhundert Jahre nach der zwangsweisen Rekatholisierung im Jahr 1548 immer noch eine protestantische Minderheit gab, löste ein kleines politisches Erdbeben aus.

Die Konstanzer Stadtmauer vor und nach der Belagerung: Neben den Zerstörungen durch den feindlichen Beschuss ist rechts neben dem Kreuzlinger Turm die provisorisch verschlossene Bresche zu erkennen, Vorlage: Landesarchiv BW, GLAK H-BS-I K/23
Die Konstanzer Stadtmauer vor und nach der Belagerung: Neben den Zerstörungen durch den feindlichen Beschuss ist rechts neben dem Kreuzlinger Turm die provisorisch verschlossene Bresche zu erkennen, Vorlage: Landesarchiv BW, GLAK H-BS-I K/23

Zugleich begann der publizistische Kampf um die Deutungshoheit der Ereignisse: Während auf evangelischer Seite in einem Lied baldige Rache angekündigt wurde (O Costantz pfaffennest, / wirf uff ein Schantze vest, / du wirst ir wol bedörffen. / Eß kombt Gustavus Horn / in großem Grimmen, Zorn / will alleß zhuffen werffen), sahen katholische Gesänge in der Gottesmutter Maria ihre große Helferin: In Ehren will ich halten / Die werthe Jungfrau rein, / Die wol fürbaß mein halten / Wie unsere frommen Alten, / Wol mein Beschirmer sein. Denn schon vor der Belagerung – so weiß es eine handschriftliche Chronik, die im Generallandesarchiv in Karlsruhe aufbewahrt wird, zu berichten – hätten seltsame Vogelschwärme, die man noch nie zuvor am See gesehen habe, die Marschroute der feindlichen Angreifer vorgezeichnet, und Sterne am Himmel das drohende Unheil warnend angekündigt. Schließlich hatte sich die Stadt auch dem Schutz Mariens während der Belagerung feierlich anvertraut. Wie auch in den katholischen Reichsstädten Überlingen und Rottweil oder in der oberschwäbischen Landstadt Mengen wurde in Konstanz die Rettung der Gottesmutter Maria, der Helferin in allen Bedrohungen, zugeschrieben. Sie wurde zum Bild der ecclesia militans et triumphans, der streitenden und letztlich – über den konfessionellen Gegner, wie auch den endzeitlichen Feind, den Teufel – siegreich triumphierenden Kirche.

Das Bild von feindlicher Bedrohung und göttlicher Rettung wurde in immer neuen Formen in den Alltag übersetzt: 1637 errichteten die Jesuiten gemeinsam mit dem Konstanzer Bischof eine Loretokapelle vor den Toren der Stadt, zu der man in Erfüllung eines Gelübdes jährlich in einer Prozession hinauszog: 1662 trugen die Wallfahrer auf einem Tragegestell ein Bild der Gottesmutter mit sich, auf dem Maria die belagerte Stadt unter ihrem Mantel schützend barg. Der Kapuzinerpater Theobald von Konstanz war sich 1732 sicher, dass Maria die feindlichen Geschosse in ihr gnadenvolle Schooß aufgefangen habe. Längst war man auch fest davon überzeugt, dass Maria mehrfach den Verteidigern am Himmel erschienen sei, auch wenn davon in den zeitgenössischen Quellen nie die Rede war.

Der Traum der Rückkehr von Konstanz in die alte reichsstädtische Freiheit war endgültig ausgeträumt, die Hoffnung der kleinen protestantischen Minderheit auf ein weiteres friedliches Zusammenleben in den gemeinsamen Stadtmauern zerbrach unter dem Druck zur unbedingten politischen Loyalität, die nicht zuletzt am konfessionellen Bekenntnis festgemacht wurde. Nicht politischer Ausgleich und bürgerliche Eintracht waren die leitenden Werte des Dreißigjährigen Krieges, sondern Abgrenzung und Unterwerfung: Wer ab der Mitte des 17. Jahrhunderts von Süden aus auf Konstanz zuritt, wurde am Kreuzlinger Tor, also dort, wo man die Angriffe der Schweden abgewehrt hatte, von einem Gemälde der Gottesmutter begrüßt, dem der Schriftzug beigegeben wurde: Praesidium civibus – terror hostibus (Den Bürgern Schutz, den Feinden Schrecken).

Wolfgang Zimmermann

Quelle: Archivnachrichten 57 (2018), S. 20-21

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