»Pulver, Schweffel, Bley«

Wie in Bruchsal (fast) der Blitzableiter erfunden wurde

Druckschrift »Gottes wundervolle Gnadenspuren und heilige Vorsehung Bey entstehenden Donnerwettern«. Vorlage: Historische Bibliothek der Stadt Rastatt, Sign. Q* 4/17.
Druckschrift »Gottes wundervolle Gnadenspuren und heilige Vorsehung Bey entstehenden Donnerwettern«. Vorlage: Historische Bibliothek der Stadt Rastatt, Sign. Q* 4/17. Zum Vergrößern bitte klicken.

Eingebunden in eine Sammlung kleiner Schriften des 18. Jahrhunderts verwahrt die Historische Bibliothek des Ludwig-­Wilhelm-Gymnasiums in Rastatt einen nur vier Blätter umfassenden Druck, dessen Haupttitel – Gottes wundervolle Gnadenspuren und heilige Vorsehung Bey entstehenden Donnerwettern – in barocker Manier gefolgt wird von einer Kurzbeschreibung dessen, was die geneigte Leserschaft auf den folgenden Seiten erwartete: Poetische Geschichts-Erzehlung Dessen, was sich den 25. Jul. 1748 Als an St. Jacobs-Feyer Und dem Tage der eingefallenen Sonnen-Finsterniß des Nachts gegen 10. Uhr bey sich ereignetem schwehren Donnerwetter In Hoch-Fürstlich-Bischöfflich-Speyerischer Residentz-Stadt Bruchsal Merckwürdiges zugetragen. Der anonyme Verfasser des in Versform niedergeschriebenen Textes sei, so heißt es weiter, durch einen Wetterstrahl – also einen Blitzschlag – selbst betroffen gewesen.

Gewitter gehörten noch in der Frühneuzeit zu den gefährlichsten Naturgewalten überhaupt; immer wieder sind schwere Brände durch Blitzschläge ausgelöst worden. Erst zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurden diese gleißenden Lichtbögen am Himmel als das begriffen, was sie tatsächlich sind: Abbau elektrischer Hochspannung. Im amerikanischen Boston befasste sich zu dieser Zeit der Erfinder Benjamin Franklin mit Stromflüssen, Entladungen und entsprechenden Phänomenen bei Blitzschlägen, um schließlich im Juni 1752 sein berühmtes Drachenexperiment durchzuführen und daraus das Prinzip des Blitzableiters zu schlussfolgern.

Auf ähnliche Gedanken ist der Anonymus von Bruchsal schon vier Jahre zuvor gekommen. Im oberen Stock eines Gasthauses am Fenster stehend – einer der gefährlicheren Orte, an dem man sich bei Gewitter aufhalten konnte – wird er in der Nacht des 25. Juli 1748 von der elektrischen Wucht eines Blitzstrahls getroffen. Wie von einem Pistolenschuss fühlt er sich niedergestreckt, darvon mir Pulver, Schweffel, Bley, fast durch den gantzen Leib geloffen. Als der herbeigerufene fürstbischöfliche Leibarzt den Verletzten untersucht, findet er Versengungen, Brandflecken und rote Striemen auf seiner Haut sowie Risse in einigen Kleidungsstücken. Der Mann hat Glück, gehört er doch zu jener Hälfte aller Betroffenen, für die ihre Tuchfühlung mit dem Blitz nicht tödlich endet. Er wird, wieder gesundet, mit seiner außergewöhnlichen Geschichte rasch zum Tagesgespräch, ein Besuch am Ort des Geschehens zum Ereignis. O was vor [für] eine Menge Volcks war in und vor dem Hauß zu sehen, reimt das Unglücksopfer, wo dieser schwehre Wetterschlag mit solchem Donnerknall geschehen!

Bei näherem Betrachten stellt der offenkundig naturinteressierte Glückspilz etwas Interessantes fest: Der Blitz musste einen dünnen Metalldraht unter dem Verputz des Gasthauses entlanggelaufen sein und hatte diesen verzehrt, verbrandt und insgesammt mit seinem Feuer weggenommen – aber ohne andere anliegende Teile des Gebälks und Mauerwerks zu beschädigen. Das technische Prinzip des Blitzableiters, das Franklin wenige Jahre später ausarbeitet und das 1760 auf einem Hausdach seine Bewährungsprobe besteht, wird durch diese Bruchsaler Beobachtung flankiert, wenn nicht sogar ein Stück weit vorweggenommen. Überhaupt war der deutsche Süden einer der Schauplätze, wo sich der Feuerschutz durch Blitzableiter besonders früh durchsetzen konnte. Die Pfalz und Bayern, Württemberg, Baden sowie das kleine Fürstentum Ansbach gehörten mit zu den ersten, die dem innovativen Fabrikat eine Chance gaben.

Thomas Adam

Quelle: Archivnachrichten 60 (2020) S. 17.
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