Essen und Identität – Gemeinsamer Geschmack verbindet
Von Felicitas Wehnert
Essen verbindet. „Sage mir, was du mit wem isst und ich sage dir, wer du bist“, weiß ein altes Sprichwort. Oder anders ausgedrückt: Die Vorliebe für bestimmte Gerichte zeugt von sozialer Zugehörigkeit und kultureller Identifikation.
Die Schwaben verbindet vor allem die Vorliebe für Spätzle. Die Zubereitung ist eine Wissenschaft für sich. In Oberschwaben bereitet man sie traditionell mit Milch zu, im sparsamen Schwaben mit Wasser und nur an Sonn- und Feiertagen kommt Milch in den Teig. Sie sind so sehr zur kulinarischen Ikone geworden, dass sie den Schwaben ein weiteres Klischee verpasst haben: Spätzles-Schwab. Darüber hinaus gibt es von Apfelküchle bis Zwiebelrostbraten eine Fülle von Speisen, die mit dem Zusatz „schwäbisch“ regional verortet werden.
Die schwäbische Küche ist im Kern einfach, rustikal und bodenständig. Viele Gerichte spiegeln die Kargheit der Region, aber auch den Einfallsreichtum der Bewohner, mit wenigen Grundzutaten Abwechslung auf den Tisch zu bringen. Milch, Eier und Mehl sind der Stoff, aus dem viele schwäbische Ess-Träume zubereitet werden: Flädle und Knöpfle, Spätzle und Schupfnudeln, Dampfnudeln und Pfitzauf, das Schwaben-Souffle, für das es im Sechserpack eine eigene Steingutform gibt. Viele Speisen entspringen einer fantasievollen Resteverwertung. Aus dem Pfannkuchen vom Vortag wird – kleingeschnitten – die Flädlesuppe. Aus Brotresten und Äpfeln entsteht als Süßspeise der Scheiterhaufen. Für die Luxusvariante wird der übrig gebliebene Hefezopf von Sonntagskaffee dafür verwandt.
„Hehlinge gute“ Herrgottsbscheißerle
Mit dem Prinzip, dass man nicht protzt und auf Äußerlichkeiten wenig Wert legt, kokettiert man gerne auch beim Essen. Als Gipfel des kulinarischen Understatements gilt die Maultasche mit ihrem labbrigen Teigäußeren und ihrer würzigen Fülle aus Brät, Hack, Speck, Spinat, Petersilie und Gewürzen. Sie schmecke „hehlinge gut“ gilt als höchstes Lob. Und „hehlinge“ (= heimlich), so eine Anekdote zur Entstehung, verbirgt die Hülle das inwendige Fleisch, wodurch frommen Schwaben auch während der Fastenzeit ihr Genuss erlaubt ist. Das heimlich verborgene Fleisch gab den Maultaschen auch den Namen „Herrgottsbscheißerle“.
Zwischen den Landesteilen lassen sich einige regionale Unterschiede festmachen. In pietistisch geprägten Regionen Alt-Württembergs war das Essen deutlich karger als im katholischen Oberschwaben mit den kulinarischen Impulsen der Klöster und aus Österreich. Auf der rauen Alb mit den steinigen Äckern wuchs wenig: Kartoffeln, Linsen, Kraut und Rüben und robustes Getreide wie Dinkel und Emmer. Im milden Oberschwaben mit seinen fruchtbaren Böden gediehen vielerlei Obst- und Gemüsesorten. Dort gelang auch Rinderzucht, es wurde großzügiger mit Fleisch, Milch, Käse und Butter gekocht.
Hausmannskost und Schwabenklassiker
Die Alltagskost war eher eine Arme-Leute-Küche denn eine landsmannschaftlich geprägte Spezialitätenkulinarik. Die „Hausmannskost“ kamals Begriff erst im 19. Jahrhundert auf und meinte die schlichtere Küche des Bürgertums im Unterschied zur aufwändigen Kochkunst des Adels. Hierzu gehört auch, was als typisch schwäbische Sonntagsküche gilt: Der gemischte Braten von Rind und Schwein, das eingemachte Kalbfleisch oder der Zwiebelrostbraten. Als Beilage gibt es Spätzle mit Soß` und Kartoffelsalat, der mit Fleischbrühe angemacht so „schlonzig“ sein muss, dass er beim Vermengen „schmatzt“. Oder die Kartoffeln werden zusammen mit Ei und Mehl zu den fingerdicken Schupfnudeln verarbeitet, die ob ihrer Form leicht frivol auch „Bubenspitzle“ genannt werden. Werktags geben sie zusammen mit Sauerkraut ein üppiges Hauptgericht. Linsen mit Spätzle oder Kartoffelschnitz mit Spatzen werden ebenfalls unter der Woche aufgetischt. Und zum Sonntagskaffee wird der gedeckte Apfelkuchen oder der Hefezopf mit Rosinen serviert.
Um viele Gericht ranken sich Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt nicht so genau überprüfbar ist, die sich aber hübsch erzählen lassen. So ist ein anderer Schwabenklassiker, der Gaisburger Marsch, nach dem Stuttgarter Stadtteil Gaisburg benannt. In der dortigen Kaserne hatten die Offiziersanwärter vor dem Ersten Weltkrieg das Privileg, auswärts essen zu können. Gegen Mittag trafen sie sich regelmäßig, um geschlossen im „Gaisburger Marsch“ in das nahegelegene Traditionslokal „Bäcka-Schmiede“ zu marschieren, wo es einen nahrhaften Eintopf aus Rindfleisch, Spätzle und Kartoffelschnitz gab.
Auch um die Brezel, die bei keinem Empfang und in keinem Vesperkorb fehlen darf, gibt es viele Geschichten. Die meisten führen nach Urach. Und da gibt es eine mit besonders viel Lokalkolorit. So soll Frieder, der Hofbäcker von Graf Eberhard im Bart, schon im Kerker des alten Uracher Schlosses auf den Henker gewartet haben, als ihm der Graf noch eine Chance gab. Wenn ihm ein Gebäck gelänge, durch das dreimal die Sonne schiene, würde er begnadigt. Seine Frau und seine Katze retteten ihm schließlich das Leben. Ihre verschränkten Arme gaben ihm die Idee für die verschlungene Form. Die Katze stieß das Backblech um, die Teiglinge fielen in die Lauge. Das Ergebnis schmeckte dem Grafen und seither ist die Laugenbrezel aus Süddeutschland nicht mehr wegzudenken. Eine richtig schöne Brezel zu schlingen, ist auch das erste, was im Schwäbischen ein Bäckerlehrling lernt. Und sie ist, auch wenn es seit rund 20 Jahren in Großbetrieben eine Brezelschlingmaschine gibt, immer noch der Prüfstein, ob ein Bäcker sein Handwerk versteht.
Der Geschmack der Heimat
Die regionale Küche gilt als Erfindung des 19. Jahrhunderts, als eine Reaktion auf Industrialisierung und Moderne. Der Rückgriff auf bodenständige Kost hilft gegen Entwurzelung und gemeinsame Leibspeisen geben Vertrautheit und ein Zugehörigkeitsgefühl. Die Sehnsucht nach dem Geschmack der Heimat führte auch dazu, dass im fernen Amerika die „German Bakery“ mit schwäbischen Laugenbrezeln und der badische Metzger mit Schäufele ihre Stammkundschaft unter den Auswanderern hatten.
Viele der vermeintlich typisch schwäbischen oder badischen Gerichte finden sich in ähnlicher Form auch in anderen Regionen wieder. Die Trennlinie verläuft eher zwischen der bäuerlichen und der gutbürgerlichen Küche. Manche Speisen waren früher nur bestimmten Ständen vorbehalten. Wild und die edlen Fleischstücke etwa waren immer das Vorrecht des Adels. Den Ärmeren blieben die Tiere und Teile, die als minder eingeschätzt wurden. Rinderkutteln zum Beispiel fallen darunter. In Schwaben wurden die „Sauren Kutteln“ in den Klassikerkanon aufgenommen, auch wenn ihr Verzehr manchmal eher einem Initiationsritus gleichkommt, als Mutprobe dazuzugehören, wie etwa beim Riedlinger „Froschkuttelessen“ zur Fasnacht.
Andere Essgewohnheiten strukturieren das Jahr und geben Sicherheit: das Festessen mit Gans oder Karpfen zu Weihnachten, Schmalzgebackenes zur Fasnet, Maultaschen zur Fastenzeit, Lamm und Eierspeisen zu Ostern. Aber auch beim Hochzeitsmahl weiß jeder, was ihn erwartet: Hirnsuppe oder die schwäbische Hochzeitssuppe mit Grieß- und Markklößchen, Eierstich und Backerbsen, der gemischte Braten von Schwein und Rind mit Spätzle und Kartoffelsalat und die Apfelküchle mit Chaudeau-Sauce zum Nachtisch. Und beim Leichenschmaus ist der Kaffee mit Hefezopf obligatorisch.
Zugehörigkeit und Abgrenzung
Die Art des Essens dient auch dazu, sich von anderen abzugrenzen. Zwischen dem Eintopf der Arbeiter und Bauern und dem inszenierten Drei-Gänge-Menü gepflegter bürgerlicher Gastlichkeit mit Vorspeise, Hauptgericht und Nachtisch liegen soziale Welten. Ebenso bei den Regeln der Tischsitten mit Messerbänkchen und Stoffservietten. Und auch heute gehört es zum guten Ton und ist der Karriere ab einer bestimmten Stufe förderlich, sich mit Weinlagen auszukennen und zu wissen, wie Hummer und Langusten verzehrt werden.
Speisen und Getränke signalisieren die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen und Lebensstilen. Zwischen dem Leberkäswecken an der Heißtheke und der Sushi-Bar liegen Welten. Ebenso zwischen Fleischessern und Vegetariern. Wenn die Nahrungsaufnahme nicht mehr nur den Hunger stillt, dient die Art des Essens selbst der Unterscheidung und der Abgrenzung.
Literatur
- Schmoll, Friedmann, „Iß langsam und kaue tüchtig“, in: Schwabenbilder. Zur Rekonstruktion eines Nationalcharakters, hg. von Utz Jeggle (Tübinger Vereinigung für Volkskunde), Tübingen 1997, S. 149-155.
- Siart, Olaf/Régart, Miriam/Bausinger, Hermann, Die Schwaben – zwischen Mythos und Marke, Katalog zur großen Landesausstellung 2016, Stuttgart 2016.
- Teuteberg, Hans/Neumann, Gerhard/Wirlacher, Alois (Hg.), Essen und kulturelle Identität. Europäische Perspektiven, Berlin 1997.
Zitierhinweis: Felicitas Wehnert, Essen und Identität – Gemeinsamer Geschmack verbindet, in: Alltagskultur im Südwesten, URL: […], Stand: 08.08.2020