Kipper- und Wipperzeit

von Senta Herkle und Marius Wieandt

 Hirschgulden Herzog Johann Friedrichs von Württemberg aus der Münzstätte Stuttgart-Berg, 1623 (Quelle: Landesmuseum Württemberg)
Hirschgulden Herzog Johann Friedrichs von Württemberg aus der Münzstätte Stuttgart-Berg, 1623 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]

Als (große) „Kipper- und Wipperzeit“ wird die rasante Münzentwertung während des Dreißigjährigen Krieges – zwischen den Jahren 1619 und 1623 – bezeichnet. Die Bezeichnung geht dabei auf zu dieser Zeit weit verbreitete Schnell-Waagen zurück, mittels derer durch „Kippen“ und „Wippen“ Münzen mit hohem Anteil an Edelmetall aussortiert, eingeschmolzen und durch Zugabe von Kupfer, Blei oder Zinn zu minderwertigem „Kippergeld“ umgearbeitet wurden.

Die Hauptursache lag in verschiedenen Reichsmünzordnungen ( Esslingen 1524, Augsburg 1551 und 1559), die für die Kleinmünzen zu hohe Münzfüße, also die Menge des pro Münze zu nutzenden Edelmetalls, vorschrieben. Bei der Festlegung der Münzfüße wurde nicht einkalkuliert, dass der Prägeaufwand bei kleinen Münznominalen anteilig zum Nominalwert der Münze höher war als bei großen Nominalen. Dieser Effekt war so signifikant, dass die Prägekosten bei Goldmünzen nur etwa 0,6% des Nominalwertes ausmachten, bei kleinen Münznominalen dagegen bis zu einem Viertel des Nominalwertes. Die Prägung der Kleinmünzen war für die Münzstätten daher unrentabel und wurde vielerorts eingestellt. Zeitgleich entwickelte sich aber auch eine verstärkte Prägung minderwertiger Kleinmünzen, da diese für alltägliche Geschäfte unverzichtbar waren. So kam es mit der Zeit zu einer Verknappung der guten Münzen und einer zunehmenden Verbreitung minderwertiger Münzen. In Württemberg wurden durch Herzog Johann Friedrich neue Münzprägestätten in Berg am Neckar (heute Stuttgart-Berg) und Tübingen eingerichtet, die den hohen Bedarf an „Kippermünzen“ decken sollten, mit dem die bestehenden Prägeanstalten überfordert waren. Dieser Prozess der Münzverschlechterung hatte seinen Anfang bereits lange vor dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges genommen und verstärkte und beschleunigte sich mit der Zeit dadurch, dass viele Münzherren ihre Münzstätten zu verpachten begannen, um nicht mit den minderwertigen Münzen in Verbindung gebracht zu werden. Nach Reichsrecht war dies verboten. Die pachtenden Münzmeister, die vor allem an eigenen Gewinnen und der Zahlung der Pacht interessiert waren und für die eine nachhaltige Münzwirtschaft keine Rolle spielte, reduzierten den Feingehalt der Münzen immer weiter.

Vor dem Krieg trug die Reduktion des Feingehalts kleiner Münzen zeitweise zur Stabilisierung der Wirtschaft bei, da nur so die für den Alltag nötigen kleinen Nominale geprägt werden konnten. Als jedoch am Ende des zweiten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts immer größere Nominale der Feingehaltminderung zum Opfer fielen, wurde das System instabil.

Die angespannte Situation zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges verhinderte eine Lösung der Problematik und sorgte für eine Dynamisierung der Inflation. Den verfeindeten Reichsständen war es zunächst nicht möglich, das Münzwesen durch ein gemeinsames Vorgehen zu reformieren. Zudem verstärkten die Münzherren nochmals die Senkung des Feingehalts auch hoher Münznominale und verstärkten die Förderung in Silberminen, um die Finanzierung des Krieges aufrechterhalten zu können. Die Folgen waren Geldspekulationen, an denen sich auch der Kaiser beteiligte, und die Ausbreitung sogenannter „Heckenmünzen“, illegal geprägten und minderwertigen Münzen, in weiten Gebieten des Alten Reiches. Von der Inflation war primär die Bevölkerung betroffen, insbesondere der festbesoldete Teil; es entstand eine große Menge an Flugschriften, in denen die Währungskrise thematisiert wurde. Aber auch zeitgenössische Chroniken geben Auskunft über die Auswirkungen der Münzentwertung. So beobachtete etwa der Ulmer Schuhmacher Hans Heberle in seiner Chronik über das Jahr 1622 „es ist ein leichtes und falsches gelt gewesen, das keinen bestandt gehabt hat. Dan von anfang war es schön, als wann es lauter silber wer, aber hernach in 3, 4, 5 oder auf leng in die 8 wochen ist es abgefallen und rott worden wie das kupffer[1]. Er klagte weiter, dass der Arme „hat […] müessen hunger und kumer leiden mit weib und kind, nur von des gelts wegen, dan es war alles sehr grausam theür, waß der mensch zu seiner underhaltung und narung gebraucht[2].

In Form von Steuern und Abgaben geriet das „schlechte Geld“ allerdings zurück an die Landesherren, zudem weigerten sich etwa die Bauern, Erzeugnisse für das entwertete Geld abzugeben und die Söldner forderten, mit gutem Geld entlohnt zu werden. Die Gewinne durch die Prägung dieser Münzen wurden dadurch relativiert und es folgten in reichsweiten Gegenmaßnahmen ein gesetzlich geregelter Einzug und eine Umprägung der minderwertigen Münzen, womit der Inflation effektiv Einhalt geboten werden konnte.

Anmerkungen

[1] Heberle, Bl. 11-11 / S. 98-99.
[2] Heberle, Bl. 12 / S. 100.

Quellen in Auswahl

  • Der Dreißigjährige Krieg in zeitgenössischer Darstellung. Hans Heberles ,Zeytregister' (1618-1672). Aufzeichnungen aus dem Ulmer Territorium. Ein Beitrag zu Geschichtsschreibung und Geschichtsverständnis der Unterschichten, hg. von Gerd Zillhardt (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm, Bd. 13), Stuttgart 1975.

Literatur in Auswahl

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  • Die „Kipper- und Wipperzeit“ 1619-1623: Die größte Inflation in der Geschichte des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, hg. von der Numismatischen Kommission der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Heidelberg 2023, URL: https://doi.org/10.11588/arthistoricum.1208.
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  • Weisenstein, Karl, Die Kipper- und Wipperzeit im Kurfürstentum Trier (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Historische Hilfswissenschaften, Bd. 1) Koblenz 1991.

     

Zitierhinweis: Senta Herkle, Marius Wieand, Die Kipper- und Wipperzeit, in: Der Dreißigjährige Krieg, URL: […], Stand: 02.08.2022

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