Parlament - Flucht der Reichsregierung nach Stuttgart

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Mitglieder der Reichsregierung und des Reichstags auf dem Schlossplatz in Stuttgart: Philipp Scheidemann, Karl Sperka, Otto Braun, 18. März 1920, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS P2 BÜ 77)
Mitglieder der Reichsregierung und des Reichstags auf dem Schlossplatz in Stuttgart: Philipp Scheidemann, Karl Sperka, Otto Braun, 18. März 1920, (Quelle: Landesarchiv BW, HStAS P2 Bü 77)

Landtag in Württemberg

Die Wahlen zur Verfassungsgebenden Landesversammlung vom 12. Januar 1919 führten zur Bildung einer Weimarer Koalition aus MSPD (52 Mandate), DDP (38 Mandate) und Zentrum (51 Mandate). Die von der württembergischen Bevölkerung bestätigte Regierung Wilhelm Blos‘ war fortan keine provisorische mehr, sondern bezeichnete sich als Staatsregierung. Der von der Landesversammlung gewählte Staatspräsident ernannte die Minister. Die Regierung war vom Vertrauen der Landesversammlung abhängig und ihr gegenüber rechenschaftspflichtig.

Die Landesversammlung konstituierte sich am 28. Mai 1919 als Landtag. Das Parlament, das in repräsentativen Gebäuden der Stuttgarter Kronprinzenstraße tagte, wurde auf vier Jahre gewählt, zeichnete sich für die Legislative verantwortlich und bestellte und kontrollierte die aus ihm hervorgehende Regierung. Die Termine seiner Konstituierung beraumte der Landtag selbst an, alternativ konnte auch die Regierung sowie der Landtagspräsident diesen einberufen. Der Landtag musste mindestens einmal im Jahr zusammentreten. Per Volksentscheid konnte der Landtag zudem aufgelöst werden. Voraussetzung dafür war seine Ansetzung durch das Staatsministerium oder wenn ein solcher von einem Fünftel der Wähler der letzten Landtagswahlen verlangt worden war. Da sich das Volk durch Referenden und Initiativen an der Legislative beteiligen konnte, war das plebiszitäre Element in der Württembergischen Landesverfassung fest verankert.

Landtagswahlen fanden alle vier Jahre 1920, 1924, 1928 und 1932 statt. Zu den wichtigsten Parteien bis 1923 gehörten SPD, DDP, Zentrum, Bürgerpartei, Württembergischer Bauernbund, USPD sowie der Kleinbauern- und Weingärtnerbund. Konstitutiv für die Regierungsbildung in Württemberg war die Weimarer Koalition aus SPD, DDP und Zentrum. Die politisch dominanten Parteien waren das Zentrum und die SPD, die bei den Wahlen jeweils um 20 % erhielten.

Nationalversammlung in Stuttgart

Im März 1920 fand in den Räumen des württembergischen Landtages ein besonderes Ereignis statt. Am 13. März 1920 putschte die deutschnationale Marinebrigade Ehrhardt unter dem Kommando von General Walther von Lüttwitz (1859-1942) gegen die Reichsregierung. Zum neuen Reichskanzler ernannten die Putschisten Wolfgang Kapp (1858-1922), einen der Initiatoren der Deutschen Vaterlandspartei (DVLP). Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925, SPD), Reichsregierung und Nationalversammlung flohen ab dem 15. März nacheinander aus Berlin nach Stuttgart. Sie riefen im Verbund mit den Gewerkschaften zum Generalstreik gegen die Putschisten auf, der den Kapp-Lüttwitz-Putsch schon nach wenigen Tagen beendete. Unterschlupf fanden Kabinettsmitglieder und Reichstagsmitglieder im Hotel Marquardt und im Alten Schloss. Sitzungen der Nationalversammlung fanden vor allem im Stuttgarter Landestheater sowie im Kunstgebäude statt.

Reichspräsident, Reichsregierung und Nationalversammlung hatten folgende Gründe, nach Stuttgart zu fliehen: Blos‘ Landesregierung stellte sich gleich zu Beginn des Putsches auf die Seite der Reichsregierung. Zudem unterstützten die überwiegenden Teile der Reichswehr, die sich in anderen Teilen des Reiches abwartend bis positiv gegenüber dem Putsch verhielt, in Württemberg ebenfalls die amtierende Reichsregierung. Schließlich hatte die den Putschisten nahestehende konservative Bürgerpartei auf den Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung 1919 in Württemberg gerade einmal 7,4 % erreicht, sodass kaum mit einer Unterstützung des Putsches durch die Bevölkerung zu rechnen war.

Aber auch in Württemberg gab es Bestrebungen, dem Putsch zum Erfolg zu verhelfen. So sprach sich trotz der Unterstützung der überwiegenden Teile der in Württemberg stationierten Reichswehr beispielsweise die zu den württembergischen Sicherheitstruppen zählende Reichswehrbrigade 13 für eine Unterstützung des Putsches aus. In Stuttgart ließ die konservative Bürgerpartei Flugblätter drucken. So berichtete die Polizeidirektion der Stadt Stuttgart (HStAS, E 131 Bü 131) am 14. März 1920, dass in der Buchdruckerei J. Fink Flugblätter hergestellt wurden, die im Sinne des Kapp-Lüttwitz-Putsches argumentierten. In den Flugblättern wurde propagiert, dass der Regierungswechsel in Berlin zu großem „Jubel“ geführt habe und der Putsch von der Reichswehr unterstützt werde. Ostpreußische Grundbesitzer würden den Regierungswechsel wirtschaftlich durch Lebensmittelbeschaffung unterstützen, die neue Regierung sorge für wirtschaftlichen Aufschwung. Die zweite Flugschrift warf der Regierung Blos im Wesentlichen Fehlinformationen über die neue Berliner Regierung vor. Die Bürgerpartei unter Julius Glatz war bereits im Besitz dieser Flugblätter und bereit, sie in Umlauf zu bringen. Die Polizei kam jedoch der Verteilung mit der Beschlagnahmung der Blätter zuvor.

Im Alten Schloss konnte daher am 16. März ungestört eine erste Kabinettssitzung der Reichsregierung stattfinden. Um die sich während des Putsches als unzuverlässig erwiesene Reichswehr auf die eigene Seite zu ziehen, beschloss die Regierung Lohnerhöhungen für das Militär – dies nicht zuletzt, weil auch Kapp eine solche Maßnahme verkündet hatte. Gleichzeitig wurde auf einer weiteren Sitzung beschlossen, keinerlei Verhandlungen mit den Putschisten aufzunehmen.

Am selben Tag wurde auch in Esslingen, Leonberg, Heilbronn und Göppingen der Generalstreik ausgerufen. Der reichsweit ausgeübte Generalstreik zwang die Regierung Kapp bereits am 17. März zur Aufgabe. Dennoch flohen weitere Abgeordnete der Nationalversammlung bis zum 18. März nach Stuttgart. Am selben Tag tagten im Kunstgebäude 200 Abgeordnete, die aufgrund des gescheiterten Putsches mehrheitlich die Beendigung des Generalstreiks forderten. Vor Streikende sollte die Reichsregierung jedoch nach Berlin zurückkehren. Während die Reichsregierung am 19. März die Heimreise nach Berlin antrat, tagten Reichspräsident und Nationalversammlung noch bis zum 20. März in Stuttgart.

GND-Verknüpfung: Parlament [4044685-2]

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Philipp Scheidemann, Karl Sperka und Otto Braun vor dem Neuen Schloss in Stuttgart, 18.3.1920