Sicherheit und Ordnung

Florian Brückner, Universität Stuttgart

Landespolizeiamt und Polizeipräsidium Stuttgart Abt. IV über den Stand der kommunistischen Bewegung: Übersichtstafel zur kommunistischen Parteiorganisation in Württemberg, (Quelle: Landesarchiv BW, StAL F 215 Bü 640)
Landespolizeiamt und Polizeipräsidium Stuttgart Abt. IV über den Stand der kommunistischen Bewegung: Übersichtstafel zur kommunistischen Parteiorganisation in Württemberg, (Quelle: Landesarchiv BW, StAL F 215 Bü 640)

Bedrohung durch Kommunisten 1919 bis 1923

Sicherheit und Ordnung waren in Württemberg von 1918 bis 1923 wesentlich von zwei politischen Gruppen bedroht: zum einen von nationalistischen und zum anderen von kommunistischen Kreisen. Erstere wollten an einer autoritären Ordnung festhalten und lehnten die sich anbahnende Einführung egalitär-demokratischer Verhältnisse als Oktroyierung eines fremden politischen Systems ab. Die Kommunisten kämpften zu Beginn der Weimarer Republik für die Errichtung einer Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Während rechtsgesinnte Kreise in Württemberg selbst während des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 kaum in Erscheinung traten, bildete die kommunistische Bedrohung bis 1924 einen ständigen Krisenherd im Volksstaat.

Kommunisten hatten bereits im Spartakusbund zu den fundamentaloppositionellen Kräften der neu entstandenen Republik gezählt. Sie organisierten in Zeiten politischer Krisen Streiks und Proteste zur Verwirklichung ihrer Zielvorstellungen. Führende KPD-Funktionäre in Württemberg waren 1919 bis 1920 Edwin Hoernle (1883-1952) und ab 1924 Johannes Stetter (1885-1963). Zentrales Presseorgan der Württemberg KPD war die Süddeutsche Arbeiterzeitung.

So war es bereits im Januar 1919 anlässlich der Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung zu gewalttätigen Protesten des Spartakusbundes in Stuttgart gekommen, die vom Militär blutig niedergeschlagen wurden. Vom 31. März bis zum 10. April 1919 erfolgte ein weiterer, vom Militär niedergeschlagener Putschversuch des Spartakusbundes in Stuttgart. Bei der Niederschlagung starben 16 Menschen. Vom 26. August bis zum 4. September 1920 kam es aufgrund von Steuererhöhungen zu einem Generalstreik in den Betrieben, anlässlich dessen die Regierung erneut das Militär entsandte. Eine weitere Zuspitzung erfuhr der Konflikt durch das kurzzeitige, reichsweit durchgesetzte Verbot der KPD vom 20. November 1923 bis März 1924. In der Folge wurden in Hamburg, Sachsen und Thüringen Putschpläne gegen die Reichsregierung ausgearbeitet. Auch in Stuttgart hatten Kommunisten unter der Führung von Johannes Stetter Umsturzszenarien vorbereitet.

Nachverfolgung der kommunistischen Bewegung

Der Bericht mit dem Titel „Der derzeitige Stand der kommunistischen Bewegung“ wurde vom Polizeipräsidium Stuttgart anlässlich einer Tagung von Richtern, Staatsanwälten und Polizeibeamten aus Baden und Württemberg 1923/24 erstellt. Damit fällt die Schrift in die Zeit des reichsweiten KPD-Verbots. Er beschäftigt sich im Allgemeinen mit der deutschen und auch internationalen Entwicklung sowie den gängigen Zielvorstellungen, Taktiken und Strategien kommunistischer Organisationen. Zudem liefert er mit Informationen zu einem Prozess des Staatsgerichtshofs im Besonderen Inneneinsichten in die Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Württemberg durch umsturzbereite Kommunisten.

So hatten sechs württembergische Kommunisten – der Schneider Lambert, der Eisendreher Häussler, der Flaschnermeister Brecht, der Mechaniker Bayer, der Revolverdreher Rall und der Eisengießer Gläser – im Herbst 1923 Waffen- und Munitionsdepots angelegt und insbesondere Handgranaten bauen lassen. Wegen dieser Taten wurden sie 1924 vom Staatsgerichtshof angeklagt und anschließend verurteilt.

Als einer der führenden Köpfe dieses Unternehmens galt zudem Erich Wollenberger (1892-1973), Journalist, Publizist und Angehöriger der KPD, der in den Akten unter dem Decknamen „Walter“ mit den Verurteilten konspirierte. Wollenberger gehörte reichsweit zu den zentralen Initiatoren kommunistischer Umsturzversuche. Seit 1918 engagierte er sich in der USPD und im Spartakusbund. Ein möglicher Grund, warum Wollenberger seine Umsturzaktivitäten nach Württemberg verlagerte, ist sicherlich darin zu sehen, dass württembergische Truppen wesentlich bei der Niederschlagung der bayerischen Räterepublik 1919 mitgeholfen hatten. Wollenberger hatte in München Medizin studiert und als Kommandeur der Infanterie und Stellvertretender Oberkommandierender der bayerischen Roten Nordarmee bei Dachau zu den obersten Befehlshabern der bayerischen Räterepublik gezählt. Nach der Niederschlagung der Räterepublik wurde Wollenberger zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt, aus der er im Januar 1922 entlassen wurde. Er setzte als Redakteur der „Roten Fahne des Ostens“ sein Engagement für die KPD ungebrochen fort. Ab August 1923 fungierte Wollenberger zudem als sogenannter Militär-Oberleiter Süd-West der KPD. Unter dieser Bezeichnung unternahm Wollenberger 'operative', terroristische Umsturzversuche in Württemberg, Baden, Hessen und Bayern. Nach dem Verbot der KPD floh er in die Sowjetunion.

Lambert wurde vorgeworfen, sich mit Wollenberger im Heslacher Wald in Stuttgart getroffen zu haben. Wollenberger habe Lambert unter Aushändigung eines Handgranatenzünders den Auftrag erteilt, eine Fabrik mit der Herstellung weiterer Handgranatenzünder dieses Typs zu beauftragen. In Feuerbach wurde Lambert dank der Vermittlung der Angehörigen seines Gewerkschaftshauses fündig, wo er in einer Metallwarenfabrik einen Interessenten fand. Am 12. November 1923 begann die Herstellung von zunächst zehn, dann 150 und nochmals 850 Handgranatenzündern. Bezahlt wurde in Goldmark und amerikanischen Dollar. Am 6. Dezember durchsuchte die Kriminalpolizei die Fabrik und beschlagnahmte die im Prozess als Beweismaterial dienenden Handgranatenzünder.

Darüber hinaus versuchte sich die handwerklich überaus versierte Gruppe darin, Granaten in Eigenbau anzufertigen. So habe Wollenberger Lambert den zusätzlichen Auftrag erteilt, Handgranatenköpfe herzustellen. Hierfür wurden in der ersten Novemberhälfte 1923 Blechbüchsen angekauft und Deckelverschraubungen angefertigt, in die die Zünder eingelötet wurden. Nach eigenen Angaben wurde jedoch nur eine Handgranate fertiggestellt. Untergebracht wurden die Bestandteile in der Wohnung eines Bekannten. Als die Polizei die Wohnung durchsuchte, fand sie 144 Blechdosen vor, die zu weiteren Granaten umfunktioniert werden sollten. Und noch im März 1924 fand die Polizei weitere 191 Handgranaten der Gruppe, die in einem Gartenhäuschen deponiert worden waren.

Der Staatsgerichtshof verurteilte die Angeklagten auf der Grundlage des „Gesetzes zum Schutze der Republik sowie des Sprengstoffgesetzes“ zu insgesamt 30 Jahren „Zuchthaus“. Hintergrund dieser hohen Strafe war, dass der Einsatz von Handgranaten als gemeingefährlich galt. Zudem führte das politische Klima, das zum Parteiverbot der KPD vom 20. November geführt hatte, zu einer Verschärfung der Strafe durch den Staatsgerichtshof.

GND-Verknüpfung: Sicherheit und Ordnung [4128511-6]

Suche