Inkognito zum Thron: Ein Hohenzollernprinz in Rumänien

König Carol I. (Karl I.) von Rumänien in Uniform mit Schärpe und Orden, Quelle: Landesarchiv BW, HStAS M 703 R1813N1
König Carol I. (Karl I.) von Rumänien in Uniform mit Schärpe und Orden, Quelle: Landesarchiv BW, HStAS M 703 R1813N1

Alter 26 Jahre
Größe 5 Fuß 7 ¼ Zoll
Statur schlank
Haare und Augenbrauen schwarz
Augen grau
Nase spitzig
Mund mittler
Kinn rund Bart braun
Gesicht länglich
Kennzeichen: trägt eine Brille.

So lautet das Signalement des am 15. Mai 1866 in der Schweiz auf den Namen Carl Hettingen, Partikulier von Thal, Bez. Unterheinthal, zur Reise nach Odessa ausgestellten Passes. Tatsächlich jedoch war dieser Pass für den Prinzen Karl von Hohenzollern-Sigmaringen bestimmt. Hettingen ist eine kleine Stadt im ehemaligen Fürstentum Hohenzollern- Sigmaringen und das dortige Schloss befand sich im Eigentum der Familie des Prinzen. Dieser war jedoch nicht auf dem Weg nach Odessa, sondern nach Rumänien, wo er per Volksabstimmung zum Fürsten gewählt worden war. Die beiden Donaufürstentümer Moldau und Walachei waren 1859 von dem rumänischen Fürsten Alexandru Ioan Cuza vereinigt, Cuza jedoch bereits im Frühjahr 1866 gestürzt worden. Um internen Machtkämpfen und Separationstendenzen vorzubeugen, sollte der nächste Fürst ein aus dem Ausland stammender Prinz sein. Die Wahl des Prinzen Karl von Hohenzollern war von Napoleon III., Kaiser der Franzosen, unterstützt worden, nachdem Graf Philipp von Flandern die rumänische Fürstenkrone abgelehnt hatte.

Prinz Karl suchte als preußischer Offizier um Urlaub von der Truppe nach und begab sich mit Duldung des preußischen Königs Wilhelms I., des Oberhaupts des Gesamthauses Hohenzollern, auf die Reise. Dabei musste er alle, seine wahre Identität verratenden Dokumente zurücklassen und selbst sein Monogramm aus den Accessoires entfernen, um bei seiner Reise durch Österreich und Ungarn nicht enttarnt zu werden. Denn Österreich hatte sich gegen die Wahl des hohenzollerischen Prinzen zum rumänischen Staatsoberhaupt ausgesprochen.

Um die Annahme der Wahl durch den Prinzen zu verhindern, wurde jeder seiner Schritte bereits auf deutschem Boden argwöhnisch überwacht. Selbst von seinen Eltern musste er heimlich Abschied nehmen. Er vertauschte seine Uniform mit Zivilkleidung und reiste zunächst in die Schweiz und von dort per Bahn und Schiff nach Rumänien. Um diese Reise ranken sich einige Anekdoten.

So war Prinz Karl in Österreich, wo sich am Vorabend des Deutsch-Deutschen Krieges die Mobilmachung bereits durch erhöhte Militärpräsenz abzeichnete, in ernsthafter Gefahr entdeckt und arretiert zu werden. Am Salzburger Bahnhof soll er von einem Beamten nach seinem Namen gefragt worden sein. Aber gerade in diesem Augenblick war dem Prinzen das Pseudonym entfallen. Sein geistesgegenwärtiger Begleiter drängte sich in eigener Angelegenheit dazwischen, so dass der Inkognito-Reisende genügend Zeit hatte, seinen Pass herauszusuchen.

Die Reise ging per Schiff weiter über die Donau und bei Turnu Severin betrat Karl zum ersten Mal rumänischen Boden. Dort wurde er vom liberalen Politiker Joan C. Bratianu, der ihm den Fürstenthron angeboten hatte, am 20. Mai 1866 empfangen. Begeistert begrüßte die Bevölkerung den Prinzen in Bukarest. Karl leistete als Fürst Carol von Rumänien seinen Eid auf die neu erlassene rumänische Verfassung und begann sich den Problemen seines neuen Heimatlandes zu stellen. Eines davon war die Suzeränität des Osmanischen Reiches über Rumänien. Deren Folgen waren zwar nicht drückend, bedeuteten jedoch für den jungen Staat einen Prestigeverlust. Bei seinem Antrittsbesuch in Konstantinopel meisterte der junge Fürst die Situation souverän: Der Sultan empfing den Gast in einem Raum seines Palastes, indem er ihm bis zur Tür entgegenging. Für den Sultan stand in dem Raum ein Diwan bereit, daneben ein Sessel für den Gast, den Vasallen. Carol setzte sich aber nicht auf diesen, sondern direkt neben den Sultan, um seine Gleichrangigkeit zu demonstrieren.

Die ersten Regierungsjahre waren geprägt von Versuchen zur Modernisierung des Landes und der Stärkung der eigenen Machtposition. Als Carol schließlich eine autoritäre Verfassung gegen die politischen Kräfte von Konservativen und Radikalliberalen durchzusetzen suchte, scheiterte er. Äußerst kritisch beäugte die frankophile Oberschicht Rumäniens ihren Herrscher während der französisch-preußischen Auseinandersetzungen. Aufgrund zunehmender innenpolitischer Probleme und des Verlusts der fürstlichen Autorität, nicht zuletzt wegen der Affäre um die rumänische Eisenbahn, trug sich Carol zu Beginn des Jahres 1871 mit Abdankungsgedanken.

Nach dieser Krise änderte der Fürst seine Amtsauffassung. Er lernte die ihm per Verfassung zugewiesene Rolle auszufüllen. Von seiner bisherigen autoritären Haltung abgekommen, suchte er nun häufiger den Konsens mit Parlament und Regierung und war notfalls auch bereit nachzugeben. Bei nationalen Problemen wie der Lage der Bauern oder der Judenemanzipation hielt er sich zurück. Durch seine veränderte innenpolitische Haltung und sein außenpolitisches Ansehen festigte sich seine Position erheblich.

Infolge des Russisch-Türkischen Krieges (1877–1878) gelang es Rumänien seine volle Souveränität zu gewinnen. Bei der Schlacht von Plewen waren rumänische Truppen an der Seite Russlands beteiligt. Dank der Neuorganisation der Armee durch Carol und seines militärisch-strategischen Talents waren die rumänischen Truppen erfolgreich. Infolge dieses Krieges erlangte Rumänien seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich und erklärte sich 1881 zum Königreich. Die rumänische Königskrone wurde aus einer vom osmanischen Heer in der Schlacht von Plewen erbeuteten Gussstahlkanone hergestellt.

Mit der Erlangung der Unabhängigkeit seines Landes erreichte Carol sicherlich seinen politischen Zenit. Eine der dunkelsten Stunden erlebte er bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Er selbst, im Herzen immer noch preußischer Offizier, votierte im Kronrat für einen Kriegseintritt an der Seite der Mittelmächte. Er wurde jedoch überstimmt und das Land blieb neutral. Am 10. Oktober 1914 verstarb der erste König von Rumänien. Zwei Jahre später trat Rumänien unter seinem Nachfolger König Ferdinand an der Seite der Entente in den Ersten Weltkrieg ein.

 Birgit Meyenberg

Quelle: Archivnachrichten 52 (2016), S. 6-8.

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