Milchfälschung: Akten zur Alltagsgeschichte

Eine Kuh wird gemolken, Schweiz, Juli 1933. Vorlage: Landesarchiv StAF W 134 Nr. 006403; Aufnahme: Willy Pragher
Eine Kuh wird gemolken, Schweiz, Juli 1933. Vorlage: Landesarchiv StAF W 134 Nr. 006403; Aufnahme: Willy Pragher

Kaum ein Thema sorgt so zuverlässig für Schlagzeilen wie verunreinigte oder verfälschte Lebensmittel. Gammelfleisch, Bakterien im Käse, Salmonellen im Softeis oder angebrütete Eier in der Nudelproduktion beschäftigen die Öffentlichkeit und die Justiz. Schuld sei die moderne Massenherstellung, die nur noch auf Gewinnmaximierung ausgerichtet sei – so heißt es oft. Als Gegenentwurf dient die gute alte Zeit, in der die Lebensmittel noch von den kleinen Bauernhöfen kamen. Doch dass auch diese nicht immer unverfälschte Produkte lieferten, zeigen die überaus zahlreichen Akten von Gerichten und Gefängnissen, die unter dem einfachen Suchwort Milchfälschung in den Archivbeständen gefunden werden können.

Aus heutiger Sicht ist es kaum noch vorstellbar, dass Milch fast im gesamten 20. Jahrhundert ein verhältnismäßig teures Lebensmittel war. Dies galt vor allem für beide Weltkriegs- und Nachkriegszeiten. Was lag näher, als das teure Produkt mit Wasser zu strecken?

Wer es dabei aber übertrieb, wurde doch erwischt. Und so kamen Bäuerinnen, ländliche Hausfrauen und Milchhändlerinnen mit dem Gesetz in Konflikt. Denn in den allermeisten Fällen war für die Weiterverarbeitung und Ablieferung der Milch die Bäuerin und Hausfrau zuständig, sodass sie es auch war, die bestraft wurde, wenn die Milch aufgefallen war. Aufmerksam wurden die Behörden nicht erst dann, wenn die Farbe der Milch zu blassblau war. Im Herbst 1942 veranlasste die Gendarmerie im Kreis Ludwigsburg eine Milchprobe, weil die Beschuldigte ständig 3 Liter anlieferte. Das war verdächtig. Wie immer ermöglichen die Gerichtsakten einen umfassenden Einblick in die Lebensumstände: Die Angeklagte besaß eine Kuh, von der sie nach ihren Angaben beim morgendlichen Melken vier Liter Milch bekam, von denen sie drei zur Milchsammelstelle ablieferte. Zum Vergleich: Eine moderne Hochleistungskuh kann pro Tag bis zu 50 Liter Milch liefern! An dem Tag der Milchkontrolle hatte die Angeklagte gebacken und, so lautete der von ihr bestrittene Vorwurf, dafür einen Dreiviertelliter Milch von der Ablieferungsmenge abgezweigt und durch Wasser ersetzt. Dass an den Backtagen die Milch besonders dünn war, wird auch in anderen Akten angeführt. Der Ludwigsburger Gendarmeriewachtmeister scheint nicht nur dieses Phänomen, sondern auch den Backtag der ertappten Sünderin gut gekannt zu haben. Dies erlaubt ebenfalls einen Rückblick auf die damaligen Lebensverhältnisse.

Die Ausrede der beschuldigten Frauen war fast immer ein Versehen. Zufällig war die Milchkanne vorher zum Wassertransport benutzt worden, zufällig war beim Reinigen der Kanne Wasser zurückgeblieben. Ersttäterinnen kamen normalerweise mit einer Geldstrafe davon, die – in moderner Terminologie – im Bereich von 10–20 Tagessätzen lag. Vor allem im Nationalsozialismus wurden aber durchaus auch mehrwöchige Haftstrafen vollstreckt. In beiden Weltkriegen kam als besondere Härte noch hinzu, dass das Urteil auf Kosten der verurteilten Frauen in den lokalen Zeitungen mit voller Nennung ihres Namens veröffentlicht werden musste. Der heute wieder geforderte Lebensmittel-Pranger war also längst erfunden.

Elke Koch

Quelle: Archivnachrichten 53 (2016), S.26-27.

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