Urbare als Quellen zur mittelalterlichen
Umweltgeschichte

Kloster Bebenhausen bei Tübingen von Nordwesten aus dem Forstlagerbuch, kolorierte Zeichnung von Andreas Kieser, 1583. Quelle LABW (HStAS H 107/18 Nr. 52 Bl. 17)
Kloster Bebenhausen bei Tübingen von Nordwesten aus dem Forstlagerbuch, kolorierte Zeichnung von Andreas Kieser, 1583. Quelle LABW (HStAS H 107/18 Nr. 52 Bl. 17)

Als Urbare bezeichnet man ein breites und vielgestaltiges Spektrum schriftlicher Dokumente, die den Grundbesitz und die Rechte einer Herrschaft beschreiben. Die zeitgenössischen Bezeichnungen sind ebenso mannigfaltig und reichen im deutschen Südwesten etwa von Zinsrodel oder Register, Gült-, Haisch- oder Lagerbuch bis zu Berain und Inventar. Urbar bedeutet im Mittelhochdeutschen den Ertrag eines Grundstücks, und entsprechend verbindet diese Quellenart ihre ökonomische Funktion mit der Schriftform. Urbare zeigen die Sicht des Herrn auf seine Grundherrschaft, wobei natürlich der Einnahmeaspekt im Vordergrund steht. Sie sind die wichtigste Quellengruppe, die aus dem Bereich der mittelalterlichen Agrarwirtschaft überliefert ist.

Die Urbare bieten damit vor allem einschlägige Informationen für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte bis hin zu aktuellen umweltgeschichtlichen Fragestellungen um Landnutzung, Umweltgestaltung und Alltagsgeschichte. Sie sind im deutschen Südwesten seit dem 14. Jahrhundert als serielle Quellen überliefert, das heißt es fanden nach gewissen Zeitabständen Erneuerungen oder Renovationen der Daten statt, neue Bände wurden angelegt und aktualisierten den Besitzstand. Als ein relativ umfassend erhaltenes Klosterarchiv bietet etwa die schriftliche Überlieferung des ehemaligen Zisterzienserklosters Bebenhausen bei Tübingen einen guten Eindruck von ihrem einstigen Reichtum. Neben über 2400 Urkunden beginnt die Urbarserie Bebenhausens bereits 1304 und umfasst bis zur Reformation im 16. Jahrhundert rund 100 Bände.

Wie in anderen Klöstern, vor allem des Zisterzienserordens, wurde um die Mitte des 14. Jahrhunderts auch in Bebenhausen ein Gesamturbar angelegt, ein repräsentativer Kodex als Übersicht über Besitz und Einkünfte des Klosters. Er wurde zusammengestellt aus einer Reihe weiterer Dokumente, vor allem kleineren Zinsrodeln, die jeweils für einzelne Teile der Grundherrschaft angelegt worden waren, sowie aus Urkunden aus dem Klosterarchiv. Entsprechend wurde dieses Bebenhäuser Urbar 1356 systematisch strukturiert: nach den Verwaltungsbezirken, den einzelnen Klosterpflegen und Grangien. Der Kodex, der in einer wenig späteren Abschrift erhalten ist, diente primär zur rechtsverbindlichen Sicherung der Informationen über die Besitzverhältnisse, ebenso als Instrument zur zentralen Steuerung von Wirtschaft und Verwaltung.

Der Text des Urbars, das hier als Registrum bezeichnet wird, bietet eine Übersicht über die Einnahmen des Klosters aus seinem Grundbesitz in über 150 Orten; bei einigen werden auch die dortigen Leibeigenen genannt. Als Abgaben der Bauern und Bürger erscheinen feste Geldzinsen aus Häusern, Gärten und Wiesen, Getreideabgaben, Hühner und Gänse, Eier und Käse, Erbsen, Bohnen, Öl, Pfeffer oder Wachs. Sie stehen neben ertragsabhängigen Anteilen aus der Getreideernte oder Weinlese, wie etwa den Zehntleistungen. Diese Abgaben bieten einen konkreten, vielgestaltigen und lebensnahen Eindruck von der bäuerlichen Welt des Mittelalters, von der Landnutzung und der agrarischen Produktion über die Tier- und Viehzucht bis hin zur Vermarktung und Ernährung.

Die mehr oder weniger umfassenden und systematisch fortgeführten Beschreibungen des Grundbesitzes einer Herrschaft, der Höfe, Äcker, Weinberge, Wiesen und Wald mitsamt ihren Erträgen und Abgaben, machen die Urbare zu einer herausragenden Quellengattung für die mittelalterliche Umwelt- und Wirtschaftsgeschichte. Ihre Informationen erlauben eine intensive Annäherung an die zeitgenössische Kulturlandschaft und deren historische Entwicklung. Gerade für die aktuell brisanten umweltgeschichtlichen Fragestellungen stellen die Urbare eine Informationsdichte bereit, deren Aussagekraft es noch weitgehend
aufzudecken gilt.

 Peter Rückert

Quelle: Archivnachrichten 42 (2011), S. 9.
 

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