Poetisches Unwetter

Wetterbericht der anderen Art: Ein Gedicht zur Erinnerung an das Unwetter im Schüpfergrund 1701

Titelblatt der zweiten Auflage des Gedichtes von Kaplan Krauß, 1887. Vorlage LABW (StAWt S-V 10 I 93).
Titelblatt der zweiten Auflage des Gedichtes von Kaplan Krauß, 1887. Vorlage LABW (StAWt S-V 10 I 93). Zum Vergrößern bitte klicken.

Berichte über Unwetter – sofern sie überhaupt erstellt werden – beschränken sich oft auf mehr oder weniger sachliche und eher kurze Beiträge über betroffene Gebiete, Verlauf, Schäden und Folgen. In dieser Art hätte auch das Unwetter, das am 18. Juni 1701 über dem Schüpfergrund, einem Landstrich, der heute überwiegend auf dem Gebiet der Stadt Boxberg im Main-Tauber-Kreis liegt, niederging, überliefert werden können. Die Stärke und die verheerenden Folgen des Unwetters führten allerdings zu einer umfassenden Erinnerung daran.

Bereits ein Bericht des damaligen evangelischen Unterschüpfer Pfarrers Johann Georg Grabner beschreibt mehr als nur Verlauf, Schäden und Folgen: Topisch verwendet er den Gedanken einer Strafe Gottes als Grund des Unwetters, dessen Verlauf er ausführlich schildert und feststellt: und weiß ich […] fürwahr nicht, […] wie ich mich […] hinbringen und erhalten soll. So bat er dann auch um Unterstützung zur Bestreitung des Lebensunterhaltes. Ähnlich wird es auch den weiteren Bewohnern der betroffenen Orte Epplingen, Kupprichhausen, Lengenrieden, Oberschüpf, Schweigern, Uiffingen und Unterschüpf, heute alle Teil der Stadt Boxberg, sowie Sachsenflur, heute Teil der Stadt Lauda-Königshofen, ergangen sein.

Die Erinnerung an das Unwetter blieb deutlich im Bewusstsein der Ortsbewohner: In einigen Orten wurde ein sogen. Gewitterfeiertag mit Gottesdienst an den Jahrestagen eingerichtet, wie der Unterschüpfer Pfarrer Schenck 1887 im Vorwort zur zweiten Auflage des Gedichts schreibt, das sich das Unwetter – zur Erinnerung und zum Gedenken – zum Gegenstand gemacht hat.

Dieses Gedicht, 1811 vom damaligen Unterschüpfer Kaplan Christoph Friedrich Krauß verfasst, greift den Bericht Grabners auf und beschreibt in umarmenden Reimen in 56 vierversigen Strophen den Ablauf und die Auswirkungen, die von der Zerstörung von Häusern, der Vernichtung eingelagerter Lebensmittel und der bevorstehenden aussichtsreichen Ernte über die Überschwemmung ganzer Ortschaften bis hin zu Todesfällen bei Tier und Mensch alles umfassen. So müssen mittags gegen zwei Uhr an besagtem 18. Juni Gewitterwolken und ein starker Wind aufgezogen sein, sodass anscheinend wie von selbst die Glocken auf dem Kirchturm zu läuten anfingen. Nur wenig später trifft den Schüpfergrund ein erster Schlag: Ein kurzes, aber heftiges Gewitter, das schwere Schlossen (Hagelkörner) mit sich bringt, die Menschen wie Tiere verletzen und Blüten und Früchte an Bäumen und Büschen zerstören:

Anderthalben Ellen hoch
Lagen sie, die Kieselstücke, –
Jammervolle Augenblicke –
Mancher einen Vierling wog

So verheeret die Natur; –
Nach dem schreckensvollen Wetter
Fand man noch zwei grüne Blätter
Auf der Oberschüpfer Flur!

Doch diesem ersten Unglück folgt ein zweites: Die fürchterliche [n] Wasserfluten des Wolkenbruchs fließen von den Höhen in die Täler, bringen Kies und Treibholz mit, überfluten Keller und Straßen und schwemmen Häuser und Vorräte sammt dem guten roten Wein davon. In diesen Fluten ertrinken ein Vater bei der Rettung seines Sohnes und eine junge Frau. Die Schuld für das Unwetter wird von den Betroffenen – wohl auch schon in Grabners Bericht – einer Prophetin, voll von Bosheit, Haß und Neide, zugeschoben, Krauß grenzt sich allerdings davon ab:

Aber ferne sei’s von mir
Aberglauben zu verbreiten,
Der vielleicht in jenen Zeiten
Seine Wohnung hatte hier.

Er appelliert lieber an das Mitgefühl seiner Mitmenschen und hofft auf Gottes Gnade:

Strafe du uns nimmermehr,
Schütze uns vor Hagelregen;
Gieb uns deinen Vatersegen,
Schaue gnädig auf uns her!

Diese Bitte und Hoffnung war für eine durch Landwirtschaft geprägte Gegend sicher existenziell, von guter Ernte hing das Überleben ab. Bis heute werden zur Erinnerung an das Unwetter Gedenkgottesdienste am oder um den Jahrestag gehalten. Und vermarkten konnte man das Unwetter auch: 1887 verkaufte der genannte Pfarrer Schenck die Neuauflage des Gedichtes für 20 Pfennig, zum Besten des Baues eines evangel. Kirchleins in Lengenrieden, wie er schreibt.

Vera Kreutzmann

Quelle: Archivnachrichten 60 (2020) S. 16.
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