Nägele, Gottlieb Eugen 

Geburtsdatum/-ort: 10.02.1856;  Murrhardt
Sterbedatum/-ort: 16.12.1937;  Tübingen
Beruf/Funktion:
  • Altphilologe, Heimatforscher, Mitbegründer des Schwäbischen Albvereins und Herausgeber der Tübinger Blätter
Kurzbiografie: 1865–1870 Lateinschule in Murrhardt; Abschluss: Landexamen
1870–1874 Ev.-theol. Seminar in Urach
1874–1878 Tübinger Ev. Stift mit den Fächern Altphilologie, Deutsche Literatur, Geschichte, Philosophie
1878 Freiwilliger Militärdienst in Schwäbisch Gmünd
1879–1880 Hilfslehrer am Oberlyzeum in Esslingen
1880–1884 Präzeptor und Vorstand der Lateinschule Waiblingen
1884–1889 Philologischer Hauptlehrer (Titel: „Professor“ und Vorstand des Pädagogikums in Geislingen a.d. Steige
1888 Mitbegründer des Schwäbischen Albvereins (seit 1888 stellvertr. Vorstand, 1913–1933 Vorstand, 1889–1930 Herausgeber der Blätter des Schwäbischen Albvereins und 1888–1929 der Tübinger Blätter)
1889–1919 Prof. der Altphilologie, Geschichte und Deutschen Sprache am Uhlandgymnasium in Tübingen
1894–1906 Vorstand der Höheren Töchterschule in Tübingen
1907–1918 zwei Mandate als Landtagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei (seit 1910 Fortschrittliche Volkspartei)
1919 Pensionierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrungen: Ehrendoktorwürde der Univ. Tübingen (1926); Ehrenbürger
von Murrhardt (1926)
Verheiratet: 1881 Louise Friederike, geb. Letsche, Tochter eines Tübinger Zimmermeisters
Eltern: Vater: Ferdinand Nägele (1808–1879), Schlossermeister, Stadtrat und Stiftungspfleger in Murrhardt, 1848–1849 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung
Mutter: Luise, geb. Kübler (1823–1901), Tochter des Gastwirts „Zum Adler“ in Murrhardt
Kinder: 3:
Gerda (geboren 6.2.1882, gestorben 28.10.1897);
Werner Ferdinand (geboren 25.5.1884, gestorben 29.3.1915);
Volkmar (geboren 2.1.1890, gestorben 19.12.1914)
GND-ID: GND/101044917

Biografie: Yvonne Nagel (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 167-169

Eugen Nägele wurde als Sohn alteingesessener Handwerker- und Gastwirtsfamilien in Murrhardt geboren. Nach Besuch der dortigen Volksschule und Lateinschule bestand er das Landexamen am „Gymnasium illustre“ in Stuttgart, das ihn zur Aufnahme ins Uracher Stift befähigte. Dort entdeckte er sein Interesse für schwäbische Heimat- und Volkskunde, Frühgeschichte, Geologie, Gesang und Wandern. Daran schloss sich ein vierjähriges Studium im Tübinger Evangelischen Stift an. Vater Ferdinand Nägele, Schlossermeister, als einziger Handwerker Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49, der in seiner Funktion als Stadtrat das Murrhardter Banken-, Spar- und Bildungs- und Eisenbahnwesen vorangetrieben hatte, konnte für seinen Sohn eine Sondergenehmigung erwirken, neben dem Pflichtfach Philosophie das Fach Klassische Philologie für den Höheren Schuldienst zu studieren. Schon zu Beginn seines Studiums trat er der Akademischen Liedertafel und der Studentenverbindung „Königsgesellschaft Roigel“ bei. Sein geselliges Wesen, seine Führungsqualitäten, seine Team- und Hilfsbereitschaft brachten ihm zahlreiche Freundschaften ein. Mit Hermann Fischer (1851 – 1920), verband ihn das Interesse an dessen schwäbischem Heimatbuch, mit Friedrich August Quenstedt (1809 – 1889), dem späteren Germanistikprofessor und Herausgeber des Schwäbischen Wörterbuchs und Pfarrer Theodor Engel (1842 – 1933) die Geologie und Erforschung des Schwäbischen Jura. Nach dem Militärdienst als „Einjährig-Freiwilliger“ in einem Gmünder Batallion und bestandener erster Lehramtsprüfung übernahm er eine Hilfslehrerstelle am Esslinger Oberlyzeum. Seine Weggefährten wurden dort der Arzt Valentin Salzmann (1821 – 1889), der Metallfabrikant und nationalliberale Politiker Carl Ludwig Deffner (1817 – 1877) und Theodor Georgii (1826 – 1892), Leiter der schwäbischen und gesamtdeutschen Turnerschaft. In der nächsten Etappe nach bestandener zweiter Dienstprüfung 1880 wurde Nägele Präzeptor und Schulvorstand an der Lateinschule Waiblingen. Im November 1884 erhielt er die Stelle des Vorstands und philologischen Hauptlehrers mit Professorentitel am Pädagogium in Geislingen an der Steige. Dort schloss er sich dem Verschönerungsverein an, dessen Ziel es war, Wanderwege, Sitzbänke sowie Schutzhütten für Wanderer zu erschließen und zu verbessern. Beim Novembertreffen der Vertreter aller Verschönerungsvereine des Albtraufs 1888 wurde auf Nägeles Vorschlag hin der „Schwäbische Albverein“ gegründet, dessen Wirkungsbereich das gesamte Albgebiet einschloss. Den Vorsitz übernahm Salzmann, nach dessen Tod Ernst Camerer (1836 – 1919). Ab 1913 übernahm Nägele den Vorsitz. Von 1889 bis 1930 war er Herausgeber des monatlich erscheinenden Vereinsorgans „Blätter des Schwäbischen Albvereins“, die eine Auflage von fast 100 000 erreichten. Selbst veröffentlichte er dort zahlreiche Beiträge zu allen Belangen der Schwäbischen Alb. Neue Wanderwegsbeschreibungen, Wanderkarten, Sehenswürdigkeiten, Naturdenkmäler, Ausgrabungen römischer Straßen, Kastelle und Siedlungsreste, Paläontologisches, Geologisches, Botanisches, Flurnamenforschung, Volkskundliches, Sagen und Gebräuche. Alle Beiträge mussten in fremdwortfreiem Deutsch verfasst sein. Schließlich erhielt Nägele als Mitglied der Reichslimeskommission den Titel eines „Streckenkommissars“. Neben den Beiträgen für die Albvereinsblätter schrieb er eine kleine Biografie über den sozialkritisch eingestellten Geislinger Dichter und Musiker Christian Schubart (1730 – 1791).
33jährig zog Nägele mit Familie nach Tübingen, der Heimatstadt seiner Frau, wo er von 1889 – 1919 am Tübinger Gymnasium, dem späteren Keplergymnasium, Hebräisch, Griechisch, Latein, Deutsch, Geschichte und Turnen unterrichtete. Seit 1894 lehrte er zusätzlich an der Tübinger Höheren Töchterschule, deren ehrenamtlicher Vorstand er zehn Jahre lang war. 1876 verfasste er den heimatkundlichen Führer, „Tübingen und seine Umgebung, geschildert für Freunde und Einheimische. Mit einem Plan der Stadt und einer Karte der Umgebung“. Der Titel verrät, dass es Nägele zunächst mehr um die gemeinschaftsstiftende als um eine touristisch-kommerzielle Idee ging. Von 1898 bis 1927/28 rief er die stadtgeschichtliche Zeitschrift „Tübinger Blätter“ ins Leben, deren gleichzeitiger Herausgeber und Redakteur er war. Mittlerweile wird diese vom Tübinger Bürger- und Verkehrsverein herausgegeben. Die Lieblingsthemen seiner eigenen Beiträge waren Limes und Römerstraßen, weitere paläontologische und archäologische Ausgrabungsfelder (Heidengraben, Kastell Grinario, Heuneburg, Viereckschanzen u. a.), Berge und Burgen (Hohenstaufen, Hohenneuffen, Schülzburg, Neckarburg, Hohenzollern u. a.) oder Klöster (Bebenhausen, Kartause Güterstein). Daneben verfasste er zu besonderen Anlässen zahlreiche Mundartgedichte und die 1906 uraufgeführte dramatische Heimatdichtung „Wintersonnenwende“. Den Ersten Weltkrieg befürwortete Nägele und stellte die Albvereinsblätter in den Dienst Deutschlands. Nach dem Tod seiner drei Kinder, die Tochter starb an einer Krankheit, beide Söhne fielen im Krieg, stürzte Nägele sich neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit in eine große Zahl ehrenamtlicher Aktivitäten. Besonders engagierte er sich für die Jugend. In seiner Funktion als Vorsitzender der 1919 gegründeten Landesvereinigung „Schwäbischer Jugendherbergen“ baute er u. a. aus Albvereinsmitteln das schwäbische Jugendherbergswesen aus. Nägele, den Theodor Heuss in einem Zeitungsbericht »in memoriam« als „volkstümlichste Erscheinung in Württemberg“. bezeichnete, war Mitglied in zahlreichen weiteren Vereinen, darunter der Württembergische Geschichts- und Altertumsverein, der Verein für Vaterländische Naturkunde, der Verein für Volkskunde, der Verein der Naturfreunde, der Tübinger Bürgerverein, der Deutsche und Österreichische Alpenverein, der Deutsche Sprachverein, der Schwäbische Schillerverein u. a. Von 1907 bis 1912 und von 1913 bis 1918 war Nägele Landtagsabgeordneter der Deutschen Volkspartei, wo er sich für Naturschutz, Schule und soziale Sicherheit einsetzte. In der Hauptversammlung des Schwäbischen Albvereins im Oktober 1933 in Rottweil sah Nägele sich gezwungen, wie alle mit der Ideologie des Nationalsozialismus nicht systemkonformen Vorstände bürgerlicher Vereine, seinen Vorsitz niederzulegen. Die Gleichschaltung vollzog Oberregierungsrat Hermann Cuhorst, der den Nationalsozialisten und „alten Kämpfer“ Rudolf Höllwarth als neuen Vorsitzenden einsetzte. Albverein und Jugendherbergswesen wurden getrennt. Aus Angst vor weiterer Zerschlagung der Vereinsziele und Vereinsverbot nahmen Nägele und die übrigen Vereinsmitglieder in der Hoffnung, dass man „im alten Geist am neuen Reich“ weiterarbeiten sollte, die Bestimmungen der Nationalsozialisten protestlos hin. Die Gleichschaltung beinhaltete die Einführung des Führerprinzips, Abschaffung der beschlussfassenden Mitgliederversammlung und Verhütung von Überfremdung. So sollte die Zahl ehemaliger Mitglieder marxistischer Vereinigungen 20 Prozent nicht übersteigen und jüdische Mitglieder durften, analog des Beamtengesetzes von April 1933, vorerst nur noch in Ausnahmefällen aufgenommen werden. Nägele wurde zum Ehrenvorsitzenden ernannt, ohne dass er, wie Peter Goessler in seiner Nägele-Biografie schreibt „sich mit dem Neuen der Gedanken und der Organisation irgendwie identifiziert hätte“. 1937 starb Nägele an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs in Tübingen.
Quellen: StadtA Tübingen, Albverein Stuttgart.
Werke: (Auswahl) Tübingen und seine Umgebung, geschildert für Freunde und Einheimische. Mit einem Plan der Stadt und einer Karte der Umgebung“, 1876; Geschichte der Tübinger Liedertafel, 1879; Aus Schubarts Leben und Wirken. Mit einem Anhang: Schubarts Erstlingswerke und Schuldiktate, 1888; Stadtchronik 1891 – 1927 und Fremdenführer 1894, 1927, in: Adressbuch Tübingen; Die Schwäbische Alb. 12 Quartbilder mit Text, 1895; Das Römerkastell bei Altenburg OA Tübingen, in: Schwäbischer Merkur 1896; Römerstraßen in: OAB Rottenburg 1899, Bd. 1.; Wilhelm Hauff und Tübingen in: Tübinger Blätter 5/6 (1902/1903); Zur Erinnerung an F. Nägele, 1908; Johann Georg Fischer. Kurzer Abriss über sein Leben und seine Dichtungen, 1913; Geschichte des Schwäbischen Albvereins 1888 – 1913, in: Blätter des Schwäbischen Albvereins 25,8 (1913); Die Schwäbische Alb, in: Schwabenalb in Wort und Bild, 1914; Ein Besuch bei Hölderlin in Tübingen, 1933.

Literatur: Württ. Studien. FS zum 70. Geburtstag von Prof. Eugen Nägele, hg. von Peter Goeßler, 1926; ders., Prof. Eugen Nägele, sein Leben und Wirken. Mit 73 Abbildungen, 1947; Theodor Heuss, Eugen Nägele zum 10. Todestag, in: Stuttgarter Zeitung 3, 1947, 104, 3; Hans Widmann, Zum 100. Geburtstag von Eugen Nägele, in: Tübinger Blätter 43 (1956); Arnold Vatter, Eugen Nägele. Altphilologe, Heimatforscher. Mitbegründer des Schwäbischen Albvereins, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. 16, 1986, 292-307; Franz Menges, Nägele, Eugen, Heimatforscher, in: NDB 17, 1993.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)