Frommel, Henriette Johanna 

Geburtsdatum/-ort: 08.11.1801; Paris
Sterbedatum/-ort: 15.02.1865;  Ispringen bei Pforzheim
Beruf/Funktion:
  • Mitgründerin des ersten Karlsruher Kindergartens und des Diakonissenmutterhauses
Kurzbiografie: bis 1806 Kindheit in Paris
1806–1814 Bremer Zeit, dann Straßburg
1837 II 18 Mitgründerin d. ersten Kleinkinderbewahranstalt in Karlsruhe
1837 VIII 14 Eröffnung d. Kleinkinderbewahranstalt mit 12 Kindern in d. Spitalstraße 48
1839 Genehmigung d. Statuten; Betreuung von 80 Kindern
1844 Erwerb des Hauses Erbprinzenstraße 12
1848 Beginn d. Ausbildung u. Aussendung von Kinderschwestern
1848 IX 15 Austritt aus dem Vorstand d. Anstalt
1851 Austritt aus d. badischen ev. Landeskirche u. Übertritt zur neuen ev.-luth. Freikirche in Baden, wie zuvor Sohn Max
1858 Übersiedlung nach Lichtental bei Baden-Baden, Mitglied d. freien luth. Gemeinde
1861 XII Übersiedlung nach Ispringen in die luth. Gemeinde
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1826 (Straßburg) Carl Ludwig Frommel (1789–1863), Künstler, 1830 Galeriedirektor
Eltern: Vater: Christian Charles Gambs (1759–1822), elsäss. ev. Pfarrer
Mutter: Anna Maria, geb. Meyer aus Colmar (1768–1836)
Geschwister: 6, darunter 2 Brüder früh verstorben
Kinder: 3;
Emil (1828–1896), ev. Pfarrer,
Max (1830–1890), ev. Pfarrer,
Otto (1835–1861), Landschaftsmaler
GND-ID: GND/1012264823

Biografie: Gerhard Schwinge (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 536-538

Frommel wurde in Paris geboren, wo ihr Vater 1784 bis 1806 schwedischer Gesandtschaftsgeistlicher und Pfarrer der lutherischen Gemeinde war. Während der Wirren der napoleonischen Zeit lebte die Familie vorübergehend in Bremen, bis sie 1814 in ihre Heimatstadt Straßburg zurückkehrte. Dort verbrachte Frommel dann ihre Jugend. Es ist anzunehmen, dass sie in dieser Zeit das sozialpädagogische Lebenswerk des elsässischen Pfarrers Johann Friedrich Oberlin (1740–1826) kennengelernt hat, der Initiator sowohl einer der ersten „Kleinkinderbewahranstalten“ als auch der Diakonissenausbildung war.
Als 24-jährige Halbwaise heiratete Frommel 1826 in Karlsruhe den zwölf Jahre älteren Professor an der großherzoglichen Malerakademie Carl Ludwig Frommel, der zwei Jahre zuvor Witwer geworden war. Er hatte sich ein paar Mal in Paris aufgehalten, war mit Straßburger Familien befreundet und Vater von zwei kleinen Kindern. Zur weit verbreiteten Familie Frommel gehörten traditionell viele evangelische Pfarrer und Künstler. 1830 wurde Carl Ludwig Frommel Galeriedirektor. Dem Paar wurden bald drei Söhne geboren. Nachdem die Familie eine geräumige Dienstwohnung über der Bildergalerie am Zirkel bezogen hatte, lebten 1836 bereits sechs Kinder zwischen einem und 14 Jahren in der Familie: die zwei aus der ersten Ehe des Mannes, drei eigene Söhne und ein angenommener Neffe. Die Familie blieb immer frankophil; beim Mittagsmahl beispielsweise wurde nur französisch gesprochen, damit die Kinder sich in dieser Sprache vervollkommneten.
Bald lernte Frommel die neue badische Erweckungsbewegung kennen, deren Haupt der Landpfarrer Aloys Henhöfer aus Spöck, nördlich von Karlsruhe, war. Er verkehrte häufig in ihrem Haus. Zu dessen Freunden und Kampfgenossen in der Auseinandersetzung mit der liberalen evangelischen Landeskirche gehörte auch ein Vetter des Hausherrn, der Karlsruher Hof- und Stadtvikar Gustav Frommel (1804–1849). Für Frommel wurde zudem der rheinische Pfarrer Theodor Fliedner (1800–1864) aus Kaiserswerth zum Vorbild, der sie auch zu Hause besucht hatte. Sowohl in Baden – in Mannheim, Rastatt und Heidelberg – als auch in Kaiserswerth waren seit der Mitte der 1830er-Jahre Einrichtungen der Kleinkinderpflege entstanden.
In Karlsruhe nahm sich der evangelische Frauenverein dieser Idee an, der sonst Kranke versorgte und in dem Frommel mitarbeitete. „Frau Galeriedirektor Frommel“, die sechsfache Mutter, sammelte gleichgesinnte Damen der Gesellschaft in einem Komitee zur Gründung einer Kleinkinderschule um sich. Die Initiative war von ihren Gründerinnen konfessionsübergreifend gedacht. Nach Aufrufen in der Presse und unterstützt von zahlreichen Bürgern wurde das Vorhaben am 14. August 1837 mit 12 Arbeiterkindern und anfangs einer katholischen Kinderlehrerin in einem angemieteten Haus in der Spitalstraße verwirklicht. Dies scheint dem badischen Staat nicht genehm gewesen zu sein. Bei der Bestätigung der Statuten durch die badischen Behörden, die sich bürokratisch von April 1837 bis zum November 1838 hinzog, wurde die Überkonfessionalität ausdrücklich kritisiert.
Die Einladung zur Mitwirkung wandte sich mit deutlich anklingender christlicher Motivation „zutrauensvoll an den Wohltätigkeitssinn“ der Karlsruher, warb um jährliche Beiträge und umriss deutlich den Zweck dieses Vorhabens: Kinder zwischen zwei und sechs Jahren, die tagsüber „aufsichtslos sich selbst überlassen und […] körperlicher als geistiger Verwahrlosung ausgesetzt sind, in eine zweckmäßige Obhut zu nehmen, sie […]an Reinlichkeit und Ordnung zu gewöhnen, überhaupt Geist, Herz und Körper auf eine dem kindlichen Alter angemessene Weise zu entwickeln“. Auch der Gedanke an eine Vorbereitung auf die Schule kommt darin deutlich zum Ausdruck, wie das soziale Motiv mitschwingt, Kindern der ärmeren Bewohner der Stadt Starthilfe zu geben, sie zu verköstigen und zur Sauberkeit anzuleiten; denn „das Hauptaugenmerk des Vereins ist auf körperliche und geistige Bewahrung der Kinder, auf Errettung von vielfachem Verderben gerichtet, wozu die Entfernung von den Straßen das negative, die zweckmäßige Pflege und Bildung in der Schule selbst aber das positive Mittel bilden sollen.“ Die Initiative wollte eine Vor-Schule installieren, keine „frühreife[n] Treibhauspflanzen [heranziehen …], sondern eine Bewahranstalt soll die Klein-Kinderschule sein; kindliches Spiel und Unterhaltung soll mit angemessener Beschäftigung wechseln.“ (abgedr. in: Karlsruher Intelligenz- u. Tage-Blatt vom 21. Febr. 1837, Archiv des Ev. Diakonissenhauses Bethlehem, Karlsruhe) Zum Betrieb der Kleinkinderschule mussten ein geeignetes Lokal mit einem Garten angemietet und eingerichtet und ein Lehrer und zwei Gehilfinnen angestellt werden.
Mitstreiter Frommels waren der Karlsruher Hofdiakon Ludwig Deimling (1791–1861), der elsässische Pfarrer Franz Härter (1797–1874), Gründer des Straßburger Diakonissenhauses von 1842, und der in Rastatt amtierende Regierungsrat Joseph Freiherr Stockhorner von Starein (1794–1876), der Mitgründer der Rastatter Anstalt. Gegen dieses Vorhaben vermochten sich die Bedenken des „rationalistischen“ Karlsruher Hof- und Stadtvikars August Hausrath (1806–1847) nicht durchzusetzen.
Die Unternehmung gedieh wohl; zwei Jahre später wurden bereits 80 Kinder zwischen zwei und sechs Jahren betreut. Nach der endlich eingegangenen amtlichen Genehmigung der Vereinsstatuten fand 1839 eine erste Generalversammlung der derzeit 275 Vereinsmitglieder statt. Sie wählte ein Komitee aus je sechs oder sieben Damen und Herren, worin mehrere Ehefrauen von evangelischen Geistlichen mitwirkten, zudem der katholische Stadtdekan, ab 1843 auch ein Gemeinderat als Vertreter der Stadt Karlsruhe. Im Jahresbericht von 1842 sind etwa 420 Mitglieder namentlich aufgeführt. Etwa 30 Frauen betreuten ehrenamtlich die überkonfessionelle Anstalt und übernahmen je zwei Patronate für einzelne Familien der aufgenommenen Kinder. Ab 1842 wurde die Kinderlehrerin durch eine Hausmutter unterstützt. 1844 erwarb der Verein dann ein eigenes Haus. 1848, inzwischen waren 200 Kinder aufgenommen, setzte die Ausbildung und Entsendung von Kinderschwestern ein. Das war der Ursprung des bis heute bestehenden Diakonissenhauses Bethlehem in Karlsruhe. Frommel war diejenige, welche ab 1837 die Initiative ergriffen hatte, die Werbung für das Vorhaben organisierte, den Verkehr mit den Behörden und die Regelung der Immobilienangelegenheiten übernahm. Im Jahresbericht von 1843 wird sie „Vorsteherin der Anstalt“ genannt. Die Oberaufsicht über die Kleinkinderbewahr-Anstalt lag laut den Statuten bei dem „Vorstand“ der sechs bis sieben Frauen, „welche die Geschäfte der Verwaltung unter sich teilen, unter Zuratziehung und Beistand sachkundiger Männer“. Angestellte sollten eine Aufseherin, eine Lehrerin oder ein Lehrer und eine Aufwärterin sein.
Nach über zehn Jahren leitender ehrenamtlicher Tätigkeit zog sich Frommel 1848 aus dem Verein zurück. In einem Schreiben „an den verehrlichen provisorischen Präsidenten“ bat sie darum, aller „Verpflichtungen gegen die Anstalt“ entbunden zu werden. Grund dafür war zunächst der Beschluss der Generalversammlung des Vereins vom 13. September 1848, dass der Verein künftig nicht mehr durch einen kollegialen Vorstand, sondern durch einen gewählten Präsidenten geführt werden solle. Sie monierte aber auch, „dass von nun an nach andern Grundsätzen als bisher die Anstalt geleitet werden soll“ (Archiv des Diakonissenhauses Bethlehem, Karlsruhe, Brief vom 15. Sept. 1848), und sich zu sehr von seinem Ursprung entfernt hatte. Das Ganze aber war ihr wohl zu liberal geworden. Denn bereits ein Jahr danach gehörte Frommel zu einem neuen, pietistisch geprägten Komitee, welches das Ziel hatte, eine Diakonisseneinrichtung mit „Heilanstalt“, einem Krankenhaus also, zu gründen. Daraus wurde 1851 in Karlsruhe-Rüppurr die noch bestehende Diakonissenanstalt samt Diakonissenkrankenhaus.
Schon 1851 verließen Frommel und nach seiner Pensionierung 1858 auch ihr Mann die von beiden als zu liberal empfundene unierte badische Landeskirche. Beide folgten ihrem Sohn, dem Pfarrkandidaten Max Frommel, in die lutherische Separation. Nachdem sie vorübergehend in Lichtental bei Baden-Baden gelebt hatten, verbrachten die Eheleute ihren Lebensabend nahe beim Sohn in der lutherisch-freikirchlichen Gemeinde Ispringen bei Pforzheim.
Quellen: A des Ev. Diakonissenmutterhauses Bethlehem, Karlsruhe, Statuten d. Kleinkinderbewahr-Anstalt, 1839 (Druckschr., 8 S., auch in: Bad. Landesbibliothek, Karlsruhe) u. einzelne Jahresberichte ab 1842 (ohne Signaturen); GLA Karlsruhe 357/4283 u. 4297; Karlsruher Tageblatt u. Karlsruher Zeitung, Jg. 1837.
Nachweis: Bildnachweise: Henriette Frommel um 1830, Zeichnung mit farbigen Kreiden von Marie Ellenrieder, in: Museum für Literatur am Oberrhein; Scheffel-A, Gemäldesammlung Inv.-Nr. 57, abgedr. in: Schwinge, 1996, 153; Frau Galeriedirektor Frommel, Holzschnitt; A des Ev. Diakonissenhauses Bethlehem, Karlsruhe; gedr. bei Meerwein 1927, 5 u. ö. (vgl. Quellen u. Literatur).

Literatur: Emil Frommel, Aus d. Chronik eines geistlichen Herrn. Erzählungen, 4. Aufl. 1898, bes. 52-55 (Charakterisierung des Vaters Carl Ludwig u. von Henriette Frommel) sowie 186-199 u. 336-343 (Anekdoten über den Vater); G. Meerwein, Diakonissen-Mutterhaus Bethlehem, 1927, bes. 1-23 (über die Anfänge d. Karlsruher Kindergartenarbeit u. Mutterhausdiakonie); A. Katterfeld, Die Frau Galeriedirektor. Aus d. Leben d. Frau Henriette Frommel, o. J. [1951]; M. Gerhardt, Theodor Fliedner. Ein Lebensbild, T. 1-2, 1933–1937, Bd. 2, 1937, 344-346; J. Rott, Christian Charles (Carl) Gambs, in: Nouveau dictionnaire de biographie alsacienne, 10 Bde, 1984–2007, Bd. 3, 1988, 1107 f.; B. Vogler, François Henri Haerter, ebd., 1371f.; R. Theilmann, Carl Ludwig Frommel, eine Lebenschronik, in: Carl Ludwig Frommel (1789–1863) zum 200. Geburtstag. Ausstellung d. Staatl. Kunsthalle Karlsruhe, 1989, 7-56; G. Schwinge, Henriette Frommel geb. Gambs (1801–1865). Die Initiatorin am Anfang d. Karlsruher Kindergarten- und Diakonissenmutterhaus- Geschichte, in: Protestantismus u. Politik. Zum polit. Handeln ev. Männer u. Frauen für Baden zwischen 1819 u. 1933, eine Ausstellung d. Bad. Landesbibliothek Karlsruhe, 1996, 151-166; G.A. Benrath, Die Verbreitung u. Entfaltung d. Erweckungsbewegung in Baden 1840–1860, in: U. Wennemuth (Hg.), Mission u. Diakonie, Kultur u. Politik. Vereinswesen u. Gemeinschaften in d. ev. Kirche in Baden im 19. Jh., 2004, 1-71; G. Schwinge, Emil Frommel (1828–1896). Menschenfreundlicher Pfarrer u. künstlerisch veranlagter Volksschriftsteller, in: G. Schwinge (Hg.), Lebensbilder aus d. ev. Kirche in Baden im 19. u. 20. Jh., hgg. vom Verein für Kirchengeschichte in d. Ev. Landeskirche in Baden, Bd. V, 2007, bes. 76-99; ders., Johanna Henriette Frommel geb. Gambs, Initiatorin d. Karlsruher Kindergarten- u. Diakonissenmutterhaus-Geschichte, in: Biogr.-Bibliograph. Kirchenlexikon Bd. 35, 2014, 44-448; ders., Henriette Frommel geb. Gambs (1801–1865). Eine d. beiden großen Frauengestalten d. bad. Diakoniegeschichte im 19. Jh., ebd. Bd. 4, 2015, in Vorbereitung.
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