Gaisert, Michael 

Geburtsdatum/-ort: 21.08.1864;  Lautenbach i. R.-Winterbach
Sterbedatum/-ort: 25.10.1933;  Trochtelfingen-Steinhilben
Beruf/Funktion:
  • rk. Geistlicher, Opfer des Nationalsozialismus
Kurzbiografie: 1871–1879 Volksschule, Lautenbach
1879–1881 eventuell Privatunterricht beim Heimatpfarrer
1881–1886 Lendersche Lehranstalt, Sasbach
1886–1888 Gymnasium, Rastatt
10.7.1888 Abitur
1888–1892 Theologiestudium, Freiburg
6.7.1892 Priesterweihe
1892 Vikar, Schönau i. W.
1894 Pfarrverweser, Nenzingen
1895 Pfarrverweser, Markelfingen
1901 Pfarrverweser, Dingelsdorf
1902 Pfarrer, Bonndorf-Gündelwangen
1908 Kaplaneiverweser, Gammertingen
1919 Pfarrer, Steinhilben
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Michael Gaisert (29.9.1819–7.3.1869), Landwirt (Taglöhner) aus Lautenbach i. R.
Mutter: Maria Anna, geb. Spitzmüller (25.3.1830–7.2.1913) aus Lautenbach i. R.
Geschwister: 2: Maria Anna (* 6.2.1866); Franz Xaver (7.11.1867–11.4.1874).
GND-ID: GND/1012265366

Biografie: Christoph Schmider (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 69-71

Das „Tausendjährige Reich“ bestand erst wenige Monate, da forderte der „Weltanschauungskampf“ zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus mit dem 69-jährigen Gaisert ein erstes Opfer aus dem Klerus der Erzdiözese Freiburg. Gaisert, obschon nicht körperlicher Gewalt zum Opfer gefallen, gilt der katholischen Kirche als Märtyrer, da er den Glauben auch um den Preis schwerer persönlicher Nachteile gegen die neuheidnische NS-Ideologie verteidigte.
Gaiserts Werdegang bis zur Ordination entspricht weitgehend dem aus zahlreichen Priesterbiographien des 19. und 20. Jahrhunderts geläufigen Muster. Seine Kindheit und Jugend als ältester Sohn einer wenig begüterten Familie waren geprägt vom frühen Tod des Vaters, der maßgeblich dazu beitrug, dass Gaisert erst in vergleichsweise fortgeschrittenem Alter höhere Schulen besuchen konnte. Waren seine schulischen Leistungen eher unterdurchschnittlich gewesen, hatte er das Theologiestudium und die praktische Priesterausbildung ohne alle Auffälligkeiten absolviert, so zeigte er als Vikar in der großen und sehr weitläufigen Schwarzwaldpfarrei Schönau i. W. eine so ausgeprägte Befähigung für die praktische Seelsorge, dass ihm schon nach zwei Jahren mit der Verwaltung der Pfarrei Nenzingen eine selbständige Aufgabe übertragen wurde. Hier wie auch anschließend in Markelfingen und Dingelsdorf, erwies er sich, einem dekanatsamtlichen Zeugnis zufolge, als „braver, sittenreiner Priester, der das Wirthshaus nicht besucht. Er pastoriert eifrig, vielleicht nicht ruhig und gemessen genug. (…) Man kommt ihm mit Vertrauen entgegen“.
Seine erste eigene Pfarrei erhielt Gaisert in Bonndorf-Gündelwangen, wo er am 15. Mai 1902 investiert wurde. Hier entwickelte er sich zum entschiedenen Verteidiger katholischer Interessen und eifrigen Kämpfer für die Politik der Zentrumspartei. Im Herbst 1905 übertrieb er im Vorfeld der Wahlen zur Zweiten Kammer der Badischen Ständeversammlung seinen Einsatz, indem er, so wurde ihm in einem erfolgreichen Einspruch gegen das Wahlergebnis vorgeworfen, von Haus zu Haus ging und den Leuten sagte: „Ein Katholik kann und darf nichts anderes wählen als Centrum“. Wegen unerlaubter Agitation und Missbrauchs der geistlichen Autorität wurde Gaisert zu einer hohen Geldstrafe verurteilt. Kurz darauf, am 20. Januar 1906 wurde er „wegen dringenden Verdachts der Verleitung zum Meineid“ verhaftet, da er einem Zeugen zu „ausweichenden“ Antworten geraten haben soll. Nach dem Freispruch in erster Instanz wurde Gaisert im Revisionsverfahren mit Urteil vom 6. Oktober 1906 für schuldig befunden. Die Strafe lautete auf ein Jahr Zuchthaus und lebenslängliche Unfähigkeit „zur öffentlichen Ausübung kirchlicher Funktionen“, was das Ende seiner geistlichen Laufbahn besiegelt hätte.
Erzbischof Thomas Nörber erreichte jedoch durch eine Eingabe an den Badischen Großherzog, dass das Urteil auf dem Gnadenweg abgemildert wurde. Die Haft wurde in eine Gefängnisstrafe umgewandelt und teilweise zur Bewährung ausgesetzt, und das „Berufsverbot“ auf Baden beschränkt, wodurch sich die Perspektive auf einen Einsatz im „preußischen Ausland“, also in Hohenzollern, ergab. Eine Schamfrist war gleichwohl vonnöten, denn das Verfahren hatte ein großes, für die katholische Kirche unerfreuliches öffentliches Interesse erfahren, was Gaisert wenige Tage nach der Verurteilung zu einem sarkastischen Kommentar veranlasste: „Die gegnerische Presse mokiert sich ganz gewaltig darüber, dass der ergebenst unterzeichnete Pfarrer (…) von der Hochwürdigsten Kirchenbehörde noch nicht geköpft oder wenigstens gehängt worden ist“.
Ab dem Frühjahr 1908 wirkte Gaisert, zunächst in einer unselbständigen Position, in Gammertingen. Nachdem er sich jahrelang in der Seelsorge bewährt hatte, wurde er am 14. Dezember 1919 als Pfarrer von Steinhilben investiert und erwies sich als ernster, freundlicher und würdevoller, zugleich aber „ein wenig zur Strenge geneigt[er]“ Geistlicher, der jederzeit „standesgemäß“ lebte und bei den Gläubigen seiner Pfarrei beliebt war. Dem Nationalsozialismus und seinem unchristlichen und kirchenfeindlichen Gedankengut stand Gaisert von Anfang an kritisch gegenüber und beobachtete insbesondere sehr aufmerksam die Publizistik, wusste er doch aus eigener Erfahrung, welche Wirkung die Presse entfalten konnte. Nach der sogenannten „Machtergreifung“ am 30. Januar 1933 nahm die nationalsozialistische Pressearbeit noch einmal erheblich an Aggressivität zu. Insbesondere wurde gerade auf dem Land mit teilweise rüden Methoden versucht, den Menschen die „richtigen“ Zeitungen aufzudrängen, was Gaisert schließlich dazu bewog, am 17. September 1933 öffentlich von der Kanzel zum Vorgehen eines Zeitungswerbers Stellung zu nehmen:
„Der Agent tritt gewalttätig auf in den Häusern und will den Leuten das Blatt aufzwingen. Unsere altbewährten guten katholischen Blätter sollen dadurch verdrängt werden. Dagegen erhebe ich als Pfarrer und Seelsorger entschieden Protest. (…) Bewahren wir unserer bewährten katholischen Presse die Treue. In eine katholische Familie gehört eine katholische Zeitung, die uns nicht nur unterrichtet über alles Wissenswerte im öffentlichen Leben, sondern die auch unsere katholischen Belange jederzeit mutvoll verteidigt und schützt“.
Die NS-Presse schlachtete den Fall umgehend propagandistisch aus. Am 23. September 1933 veröffentlichten die „Hohenzollerischen Blätter“ unverhohlene Drohungen gegen Gaisert: „Verschiedene Geistliche können es anscheinend nicht übers Herz bringen, den Abmachungen des Konkordates zu folgen und sich der Politik zu enthalten. Hier kann nur mit eisernem Besen ausgekehrt und Ordnung geschaffen werden. Man hat schon an verschiedenen Plätzen sich gezwungen gesehen, Geistliche in ein Konzentrationslager zu bringen“. Der Sigmaringer Regierungspräsident beschwerte sich beim Erzbischöflichen Ordinariat in Freiburg über Gaisert und forderte seine Versetzung. Die Kirchenbehörde verteidigte ihn nur halbherzig, indem sie dem Regierungspräsidenten mitteilte, dass Gaisert „seine seelsorgerliche Pflicht erfüllt hat, wenn er die Gläubigen von der Kanzel aus grundsätzlich aufforderte, nur katholische bzw. in katholischem Geiste redigierte Zeitungen zu halten. Die bedauerliche Entgleisung, die ihm in der Form unterlaufen ist, missbilligen auch wir“. Gaisert erhielt vom Erzbischöflichen Ordinariat am 13. Oktober 1933 eine Abschrift der Beschwerde des Regierungspräsidenten mit dem Zusatz, er werde unter diesen Umständen bedauerlicherweise „nicht mehr länger mit Erfolg in Steinhilben seelsorgerlich wirken können“, sondern „vielmehr den Herrn Erzbischof in Bälde um Versetzung in den Ruhestand bitten müssen.“
Am 23. Oktober 1933 wurde Gaisert zum Regierungspräsidenten zitiert. Die in rüdem Ton vorgetragene Zurechtweisung gipfelte in der Drohung, man werde mit Enthüllungen über Gaiserts frühere Verfehlungen an die Öffentlichkeit gehen, wenn er nicht schnellstens von seinem Amt zurücktrete. Gaisert, der schon in den zurückliegenden Jahren wiederholt an nervöser Erschöpfung und Herzbeschwerden gelitten hatte, war nachhaltig verstört. Er suchte auf dem Rückweg in Sigmaringen-Gorheim das Franziskanerkloster auf, betete lange in der Klosterkirche und legte schließlich die Beichte ab. In Steinhilben angekommen verabschiedete er sich von seiner Schwester, die ihm den Haushalt führte, und ging dann sehr früh zu Bett. Am nächsten Morgen fand sie ihn mit zum Gebet gefalteten Händen tot im Bett liegend. Der sofort herbeigerufene Arzt diagnostizierte als Todesursache einen gegen etwa sechs Uhr morgens eingetretenen „Herzschlag“.
An Allerheiligen 1933 hielt P. Elzear Wangler OFM aus Gorheim in Steinhilben eine Predigt zum Thema Tod und Gericht. Darin ging er auf das Leben des wenige Tage zuvor beerdigten Gaisert ein, denn für ihn war klar, dass er „als heiliger Märtyrer des katholischen Presseapostolates, wofür er sein Blut und Leben hingegeben, ins ewige Paradies aufgenommen worden“ ist und „öffentlich und feierlich gewürdigt werden muss“. Mit der Verewigung von Gaiserts Namen auf der Gedenktafel in der Wallfahrtskirche Maria Lindenberg und der Aufnahme ins „Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ schloss sich die Erzdiözese Freiburg dieser Ansicht an.
Quellen: EAF: PA Michael Gaisert, † 1933; B4/14882 (Pfarrbenefizium Steinhilben).
Nachweis: Bildnachweise: Siehe Zahlten.

Literatur: Augustin Kast, Die badischen Martyrerpriester. Lebensbilder badischer Priester aus der Zeit des Dritten Reiches, 1947; Johann Adam Kraus, Zwei vergessene „Märtyrer des Dritten Reiches“, in: Hohenzollerische Heimat (Gammertingen) 1963, 59–61 (speziell: 59–60); Necrologium Friburgense 1931–1935, in: FDA 64 (1936) 33; Priester unter Hitlers Terror. Unter Mitwirkung der Diözesanarchive bearb. von Ulrich von Hehl 3., wesentlich veränderte und erweiterte Aufl., 1996 (VdKfZ / A, 37), Bd. 1, 613; Christoph Schmider, Art. „Gaisert“, in: Helmut Moll (Hg.), Zeugen für Christus. Das Deutsche Martyrologium des 20. Jhs., 4. Aufl., 2006, 198–202. Richard Zahlten, Die Ermordeten. Die Gedenktafel der Erzdiözese Freiburg für die verfolgten Priester (1933 bis 1945) in „Maria Lindenberg“, nahe St. Peter/Schwarzwald, 1998.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)