Glockner, Emil 

Geburtsdatum/-ort: 24.10.1837;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 07.07.1921;  Bad Griesbach
Beruf/Funktion:
  • Präsident der Oberrechnungskammer
Kurzbiografie: 1856 Abschluß des Lyzeums in Karlsruhe, Studium der Kameralia in Heidelberg, München und Berlin
1860 Staatsexamen, Kameral-(Finanz-) Praktikant in Tiengen, Säckingen, Kehl
1865 Sekretär bei der Steuerdirektion in Karlsruhe
1870 Finanzassessor ebda, Dezernent der deutschen Steuerverwaltung in Elsaß-Lothringen
1872 Finanzrat bei der Steuerdirektion in Karlsruhe, Berufung in die Kommission zur Vorbereitung einer Steuerreform
1874 Kollegialmitglied des Finanzministeriums
1875 Ministerialrat im Finanzministerium
1879-1910 Stadtverordneter in Karlsruhe
1882 Übernimmt neben seiner Funktion im Finanzministerium die Leitung der Steuerdirektion
1884 Abgabe der Steuerdirektion, Vorsitzender Rat (= Ministerialdirektor) im Finanzministerium, aus Gesundheitsgründen (Augenleiden) auf eigenen Wunsch dieser Stellung enthoben, Ernennung zum Steuerdirektor
1905 Mitglied der I. Kammer
1909 Präsident der Oberrechnungskammer
1912 Pensionierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1. Sophie, Tochter des Domänenrats Eberlein aus Karlsruhe (gest. 1870)
2. deren Schwester Anna (gest. 1878)
Eltern: Vater: Josef Anton Glockner, Geheimer Finanzrat, 1788 (Freiburg) - 1865 (Karlsruhe)
Mutter: Theresia Kunigunde, Tochter des Amtmanns Schmith aus Offenburg
Geschwister: 3 Schwestern
Kinder: 2 Söhne
GND-ID: GND/1012266621

Biografie: Wolfgang Leiser (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 1 (1982), 137-139

Glockner diente unter vier badischen Finanzministern (Ellstätter, Buchenberger, Becker und Honsell). Als Mann des zweiten Gliedes – ins erste zu treten lehnte er zweimal aus Gesundheitsgründen ab – stand er nie im vollen Rampenlicht. Die Leistungen der badischen Finanzverwaltung wurden den Ressortchefs zugerechnet, die sie ja auch politisch zu vertreten hatten; immerhin zählte Glockner auch für Außenstehende zu den profiliertesten Beamten des Ressorts. Die vorbildlichen badischen Steuerreformen sind im wesentlichen dem Glücksfall zu verdanken, daß hervorragend qualifizierte Finanzminister wie Ellstätter und Buchenberger in Glockner den ebenbürtigen Mitarbeiter fanden. Die Reformen sind in Band 6 der Badischen Biographien in den Artikeln Ellstätter und Buchenberger ausführlich dargestellt, so daß hier ein kurzer Überblick aus moderner Perspektive genügt.
Das Großherzogtum Baden hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Vereinheitlichung der aus dem Ancien Regime überkommenen zahlreichen direkten (Schätzung) und indirekten Abgaben (Accise, Zölle, usw.) begonnen (Gesetze von 1810, 1812, 1815). Trotz umsichtiger Führung der Staatsfinanzen, wie sie v. a. Boeckh zu danken war, blieb das Steuerwesen ohne durchgehendes System. Nach der Reichsgründung führte der wirtschaftliche Aufschwung dazu, daß das Aufkommen aus den direkten von dem der indirekten Abgaben relativ überholt wurde. Dieses nicht auf Baden beschränkte Phänomen war von politischer Brisanz. Liberale wie Konservative griffen die Unübersichtlichkeit der Besteuerung an und verlangten, wie einst die Physiokraten des 18. Jahrhunderts, die „einzige Steuer“, wobei die Liberalen eine allgemeine Einkommenssteuer befürworteten, die Konservativen zum Schutz des Besitzes eine indirekte Steuer propagierten. Die Sozialdemokraten schließlich unterstützten zunächst die Forderung der Liberalen, bis sie seit ihrem Erfurter Programm von 1891 eine Kombination von Einkommenssteuer, progressiver Vermögens- und Erbschaftssteuer verlangten.
1872 berief Baden eine Kommission zur Vorbereitung einer Steuerreform, der Glockner von Anbeginn angehörte. Direkte Steuern lasteten zu dieser Zeit auf dem Haus- und Grundbesitz, Grundgefällen und Dominikalrenten, sowie auf dem Gewerbebetrieb. Indirekte Abgaben waren Zölle, Konsumtionssteuern auf eine Reihe von Lebensmitteln (v. a. Zucker, Salz, Bier, Wein), Stempeltaxe und Chausseegeld. Die Kommission wandte sich den direkten Abgaben zu.
Der erste Entwurf eines allgemeinen Einkommenssteuergesetzes scheiterte 1874 in den Kammern, die zwei Jahre später jedoch ein Erwerbssteuergesetz passieren ließen, d. h. ein auf Einkommen aus Gewerbebetrieb, Arbeit, Dienstleistungen und sonstiger Berufstätigkeit beschränktes Einkommenssteuergesetz; Einkommen aus Kapitalbesitz wurden nach einem besonderen „Kapitalrentensteuergesetz“ von 1874 mit 3 % linear herangezogen. Die Erwerbssteuer war als Ertragssteuer konzipiert, d. h. Schuldzinsen durften nicht abgezogen werden. Veranlagungsverfahren und -organe wurden sorgfältig reorganisiert. Das Gesetz bewährte sich; unter veränderten politischen Verhältnissen (zunehmendes Gewicht von Zentrum und SPD) konnte 1884 die allgemeine Einkommenssteuer durchgesetzt werden. Sie erfaßte Jahreseinkommen ab 900 M. „1. aus Grundstücken, Gebäuden, Grundrechten und Grundgefällen, sowie aus dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. 2. aus dem Betrieb eines Gewerbes, einschließlich des Handels und Bergbaus. 3. aus einem öffentlichen oder privaten Dienstverhältnis, aus einem wissenschaftlichen oder künstlerischen Beruf oder irgend einer anderen ... Art von auf Gewinn gerichteter Tätigkeit. 4. aus Kapitalvermögen, Renten und anderen derartigen Bezügen“ (Art. 3 des Gesetzes). Da es sich um eine echte Einkommenssteuer handelte, wurde der Abzug von Auslagen, Lasten und Schuldzinsen jetzt unbeschränkt zugelassen (Art. 3). Die Steuer war leicht progressiv (0,61–5 %); weil auch die Steuerstufen progressiv waren (sie stiegen um 100 M bis 1000 M), ergab sich jeweils eine höhere Eingangsbelastung. „Durch das Finanzgesetz wird jeweils bestimmt, wieviele Hundertteile der in dem Tarif festgesetzten Steuersätze in jedem Jahr der Voranschlagsperiode zu erheben sind“ (Art. 21 II).
Im unmittelbaren Anschluß folgte die Reform und Zusammenfassung der verschiedenen Realsteuern zu einer Vermögenssteuer. Die Arbeiten begannen 1894, Muster war die preußische „Ergänzungssteuer“ von 1893. Zur Vorbereitung des wichtigsten Teilstücks, der Reform der Grundsteuer, wurde zwischen 1900 und 1905 eine Neueinschätzung der landwirtschaftlichen Grundstücke, der Waldungen und Gebäude durchgeführt. 1906 trat das Gesetz über die Vermögenssteuer in Kraft; es erfaßte „a. die im Großherzogtum gelegenen Grundstücke und Gebäude sowie das Bergwerkseigentum ..., b. die Betriebskapitalien der im Großherzogtum betriebenen Gewerbe ..., sowie die der Land- und Forstwirtschaft ... c. das nicht schon unter b. begriffene bewegliche Vermögen (Kapitalvermögen)“. Schuldenabzug war nur beschränkt zugelassen (§ 7). Die Vermögenssteuer wurde kumulativ (daher in Preußen „Ergänzungssteuer“ genannt) zur Einkommenssteuer erhoben (Art. 3 Ziffer 2 EStG), der Steuerfuß für jede Budgetperiode durch das Finanzgesetz bestimmt (§ 9).
Ein Erbschaftssteuergesetz hatte Baden 1899 erlassen. Nachdem 1906 das Reich ein eigenes in Kraft setzte, begnügte sich das Großherzogtum damit, durch Gesetz von 1911 einen Zuschlag von 25 % zu erheben. Der Eigentumsübergang auf die Abkömmlinge blieb wie bisher steuerfrei; in den anderen Fällen bewegte sich der Steuersatz zwischen 4% und 25%, worauf dann 25% als Landessteuer hinzutraten. Diese Darstellung beruht auf der Fassung der Gesetze nach Abschluß der gesamten Steuerreform (Neues Badisches Bürgerbuch, 9. Auflage 1912); die nicht unerheblichen steuertechnischen Änderungen gegenüber den Erstfassungen der Gesetze wurden nicht berücksichtigt.
Damit hatte Baden die direkten Steuern nach einem einheitlichen System klar und im Sinne des Liberalismus politisch verantwortungsbewußt reformiert: Sie bildeten den überwiegenden Teil der Finanzeinkünfte. Hinsichtlich der indirekten Steuern blieb es im wesentlichen beim alten: Noch immer wurden Grundstücksverkehrssteuer, Weinsteuer usw. erhoben; die allgemeine Umsatzsteuer – sozial problematisch, da sie die persönliche Leistungsfähigkeit des durch die Überwälzung betroffenen Käufers nicht berücksichtigt – wurde erst während des Weltkriegs (1916) eingeführt.
Man muß den politischen Kompromiß dieses Steuersystems beachten: Die sozial Schwachen wurden von der Einkommenssteuer nicht oder nur mit einem sehr geringen Satz betroffen,Vermögenssteuer kam für sie nicht in Frage, indirekte Steuern lagen nur auf einigen Gütern. Die geringe Progression der Einkommenssteuer begünstigte das Wirtschaftsbürgertum, die Besonderheiten der Erbschaftssteuer die besitzenden Klassen allgemein. Für den Staat praktikabel war das System, weil die Staatsausgaben, mit anderen Worten die Staatsaufgaben im Sinne des Liberalismus beschränkt waren.
Daß derart tiefgreifende Gesetze bei ihrer Einführung wie Durchführung auf zahllose Widerstände trafen, versteht sich fast von selbst. Für Glockner, der die Gesetze erst als Referent im Finanzministerium konzipiert und sie dann als Steuerdirektor in Anwendung zu bringen hatte, aber auch für die Sache selbst war es günstig, daß Glockner keiner Partei angehörte, wenngleich er dem sprichwörtlichen badischen „Geheimrats-Liberalismus“ zuzurechnen ist. Er besaß das Vertrauen der beiden letzten Großherzoge; bei den Parteien und beim Publikum war seine überlegene Sachkunde und Pflichttreue anerkannt.
Glockners Arbeitskraft muß außergewöhnlich gewesen sein; vielleicht hat sich der zweimal und früh Verwitwete auch in die Arbeit geflüchtet. Auffallend ist sein kommunalpolitisches Engagement – Staatsdiener seiner Kategorie betrachteten ein solches Ehrenamt meist als nicht standesgemäß.
Von seiner Tätigkeit als Präsident der Oberrechnungskammer ist wenig zu berichten. Bei der Prüfung des Budgets und der Kontrolle seines Vollzugs kam Glockner eine genaue Kenntnis des Staatsrechnungswesens zustatten; im Übrigen war diese Stelle für ihn wie für andere der würdige Abschluß einer herausragenden Beamtenkarriere.
Glockner entstammte einer Altfreiburger Familie, die etwa 200 Jahre lang das Bäckerhandwerk betrieben hatte. Mit Glockners Vater trat eine jüngere Linie in den (badischen) Staatsdienst, dem sich auch Glockners Söhne widmeten. Die ältere Freiburger „Bäcker-Linie“ ging ein halbes Jahrhundert später denselben Weg – ihr gehört der VGH-Präsident Karl Glockner an.
Nachweis: Bildnachweise: Bad. Geschlechterbuch Bd. 2, Karlsruher Chronik 1910 nach S. 208

Literatur: Bad. Geschlechterbuch Bd. 2 (= Dt. Geschlechterbuch Bd. 101 (1938), 189; Nachruf von O. Ellstätter in: Beil. zur Karlsruher Zeitung, Bad. Staatsanzeiger, vom 10. Dez. 1921.
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