Grether, Hans 

Geburtsdatum/-ort: 25.04.1880;  Lörrach
Sterbedatum/-ort: 25.10.1925; La Paz, Bolivien (aber Grabplatte: 26. 10. 1925)
Beruf/Funktion:
  • Ingenieur, Statiker, Brücken- und Bahnbauer
Kurzbiografie: 1886-1890 Volks- und Realschule Lörrach
1891-1899 Realgymnasium Lörrach und Karlsruhe
1899-1905 Studium des Maschinenwesens an der Technischen Hochschule, heute Universität Karlsruhe, anschließend einjähriges Praktikum bei der Firma Maschinenbaugesellschaft Nürnberg
1901-1902 aktiver Militärdienst
1908 Promotion zum Dr.-Ing. an der Technischen Hochschule Karlsruhe
1909-1914 Arbeit an der Neukonstruktion der Quebec-Brücke in Kanada
1914-1918 Kriegsdienst, zuletzt Hauptmann im Generalstab
1919 Auswanderung nach Südamerika (Argentinien, dann Bolivien)
1921-1925 Leitung der Eisenbahnstudien-Kommission der bolivianischen Regierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Eltern: Vater: Karl Adolf (1845-1901) Landwirt
Mutter: Christine, geb. Resch (1861-1938)
Geschwister: 6: Anna Maria Vortisch-Grether, Karl Adolf, Elisabeth Fünfgeld-Grether, Anna Christine Grether-Grether, Emma Frieda Kammüller-Grether und Hermann
GND-ID: GND/1012267717

Biografie: Fred Ludwig Sepaintner (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 106-108

Grether entstammt einer angesehenen Markgräfler Familie. Sein Ahne Johann Jakob Grether war von 1807-1810 Bürgermeister der Stadt Lörrach. Dessen jüngerer Bruder, Johann Georg – Hans Grethers Ururgroßvater –, hatte von 1814-1820 und nochmals von 1832-1835 dieses Amt inne und erhielt als erster den Titel „Oberbürgermeister“. Auch Grethers Onkel, Johann Josef Grether, war von 1872-1906 Bürgermeister von Lörrach. Grethers früh verstorbener Vater, ein origineller, weitsichtiger Landwirt, war dank seiner Tüchtigkeit zu Wohlstand gekommen. Im Elternhaus an der Basler Straße in Lörrach erlebte Grether zusammen mit sechs Geschwistern seine Jugend. Er besuchte in Lörrach die Volks- und die Realschule und danach das Realgymnasium in Karlsruhe. Dort studierte er dann auch an der Technischen Hochschule Maschinenbau. Schon bald rief ihn der in seiner Zeit berühmte Ordinarius für Theoretische Maschinenlehre, Geheimrat Ernst A. Brauer, als Assistenten an seine Seite. 1908 legte Grether seine Dissertation vor und promovierte als einer der ersten seines Faches in Deutschland summa cum laude zum Doktor der Ingenieurwissenschaft. Korreferent war der berühmte Wasserbauer Theodor Rehbock. Bald danach wurde die Technische Hochschule von der kanadischen Regierung angefragt, ob sie nicht einen fähigen Mann als Statiker benennen könne für die Neukonstruktion der 1907 unter dramatischen Umständen beim Bau eingestürzten ersten Eisenbahnbrücke über den St. Lorenz-Strom bei Quebec. Grether übernahm diese Aufgabe und vollendete die komplizierten statischen Berechnungen. Danach war er Chefingenieur beim Bau dieser Brücke, die eine Spannweite von 987 Meter hat. In jener Zeit, zuweilen als einfacher Fabrikarbeiter tätig, um die sozialen Verhältnisse in Kanada besser kennenzulernen, hielt Grether an der Universität Montreal auch Vorlesungen über Statik und Brückenbau.
Nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges schlug er sich auf abenteuerliche Weise, sich als Schweizer ausgebend, in die Heimat durch, wobei ihm seine alemannische Muttersprache sicher geholfen hat. Bald schon wurde er in die beim Großen Hauptquartier etablierte, von Geheimrat Haber geleitete Abteilung „Versuche und Erfindungen“ berufen und arbeitete, zuletzt als Hauptmann im Generalstab, an der Entwicklung der Gasmaske mit. Bei einem Versuch zog er sich damals eine schwere Gasvergiftung zu, die zu einem Herzleiden führte, was wohl seinen frühen Tod mitverursachte. Die körperliche Verfassung Grethers war schon von der Jugend her, wie man sich in seiner Familie erinnerte, eher schwächlich. Sein rasches Wachstum – er erreichte 1.88 Meter und wurde gerne „der Lange“ genannt – wurde dafür verantwortlich gemacht. Tatsächlich aber war es mit seiner Konstitution wohl nie zum besten bestellt, so daß er seine Leistungen der Natur eher abtrotzen mußte.
Mitarbeiter und Verwandte schildern die Persönlichkeit Grethers als ausnehmend freundlich und bescheiden, geprägt von außerordentlichem Arbeitsethos und einer Einsatzbereitschaft, die auch vor dem eigenen Vermögen nicht haltmachte, wenn es galt, ein Projekt zu realisieren. Anders als der erste Eindruck vermuten ließe, war Grether keineswegs Abenteurer. Seiner Liebe zur Natur – vielleicht erklärt sie sein Interesse für Indianerkulturen und das Leben der bolivianischen Ureinwohner, worüber seine reiche, nach dem Tod aber verlorene Sammlung Zeugnis ablegte – kam allenfalls die Musikbegeisterung des virtuosen Geigers gleich. Grether gründete eine Beethoven-Vereinigung in Cochabamba.
Nach Ende des Krieges erreichten ihn zwei Rufe deutscher Universitäten auf Lehrstühle für Technik und Mathematik. Diese lehnte er ab, da er ein Leben praktischer Arbeit vorzog. Grether ging 1919 wieder nach Übersee, zuerst nach Argentinien und dann 1921 endgültig nach Bolivien, wo ihm die bolivianische Regierung die Leitung der Eisenbahn-Studienkommission übertragen hatte. Am 15. Februar 1922 hatte die bolivianische Deputiertenkammer ein Gesetz über den Bau einer Bahnlinie von dem 2560 Meter über dem Meer liegenden Cochabamba nach Santa Cruz (440 Meter über dem Meer) mit einer etwa 60 km langen Anschlußbahn nach Puerto Ichilo beschlossen. Grether war vom bolivianischen Präsidenten Baudista Saavedra zum Leiter der Studienkommission berufen. Mit dem Ausbau des Schienennetzes, insbesondere dem Bau dieser Trasse, waren in Bolivien große Erwartungen verknüpft. Zum einen sollte der Anschluß an das brasilianische Netz erreicht und damit die Verbindung zum Atlantik geschaffen, zum anderen die wirtschaftliche Erschließung des bolivianischen Hochlandes gefördert werden. Dies galt für die dort betriebene Landwirtschaft – Viehzucht in erheblichem Umfang, aber auch sonst waren die landwirtschaftlichen Gegebenheiten dieser Region günstig –, neuerdings aber gerade auch für die Förderung von Erdöl. Die unlängst bei Santa Cruz entdeckten Vorkommen hatten bereits Standard Oil auf den Plan gerufen; Grether sah in der Ölfördergesellschaft einen potentiellen Geldgeber. Früh versuchte er deshalb, auch deutsche Investoren für diese Projekte zu interessieren. Die Schwierigkeiten für die vorgesehene Bahntrasse waren immens, galt es doch, die Anden mit ihren über 4000 Meter hohen Pässen zu überwinden. Grether unternahm drei mehrmonatige Erkundungsexpeditionen zur Erforschung und Vermessung des Landes. Er arbeitete in einer weitgehend unerforschten Wildnis mit gewaltigen Höhenunterschieden und mörderischem Klima. Die Überquerungen von Bergen und Flüssen (Chapare, Chimore, Ichilo u. a.) machten immer wieder gewaltige Anstrengungen erforderlich. Geradezu „nebenbei“ gelang Grether damals der Beweis, daß der Rio Ichilo auf weiten Strecken schiffbar ist, was für die Erschließung dieser Region bedeutsam werden sollte. Seine Arbeitsmethode ließ ihn zum Vorläufer und Wegbereiter für die „Unidad geografica Boliviana“ werden.
Am 24. Oktober 1925, nach knapp vierjähriger Arbeit, konnte Grether seinen umfangreichen Schlußbericht dem bolivianischen Nationalkongreß präsentieren. Zuvor hatte er selbst sogar für die Finanzierung der Projekte gesorgt und aus den USA beachtliche Anleihen beschafft. Im Sommer 1925 war er von London aus ein letztes Mal nach Lörrach zum Besuch seiner Mutter gekommen.
Das reich dokumentierte Ergebnis der Arbeit Grethers stellt weit mehr dar als Vorschläge zur Verwirklichung einer Bahntrasse. Es war eine Bestandsaufnahme von natürlichen Voraussetzungen und daraus sich ergebenden Entwicklungsalternativen für den Verkehrsausbau und die ganze Wirtschaft des Landes: eine Art „Generalerschließungsplan“ für Bolivien durch Bahn-, Straßen- und Wasserwegebau. Ein „Ferrocaril Transcontinental“, der die Anden in drei möglichen Parallellinien (Nord-, Zentral- und Südroute) durchquert, sollte dem Binnenland Bolivien Anschlüsse zum Pazifik einerseits, u. a. an den peruanischen Hafen Ilo, und an den Rio Paraguay andererseits bringen. Grether dachte dabei immer an die Landeserschließung. So wollte er auch Neusiedler durch die Bahn versorgt wissen und empfahl, besondere Dienste hierfür einzurichten. Sein zweiter Schwerpunkt betraf den Ausbau des Straßennetzes, das er parallel zur Bahnlinie orientieren wollte. Den dritten Bereich sollte die Flußregulierung darstellen, wobei es sein Leitgedanke war, die Voraussetzungen für den Handel dadurch zu verbessern. Zur Gesamtkoordination und Überwachung schlug Grether eine zentrale Leitungsstelle beim Verteidigungsministerium vor, das „Kommando Handel und Schiffahrt“.
Am 25. (oder 26.?) Oktober 1925 starb Grether. Die Regierung Boliviens ehrte den Toten in großartiger Weise. Staatstrauer herrschte. Ein schlichter Granitstein mit der Inschrift „H. Grether. 26. OCT 1925“ auf dem Friedhof von La Paz erinnert an den Toten. Doch nicht allein der 1922 am Rio Ichilo, dort, wo der Fluß schiffbar zu werden beginnt, angelegte und 1929 offiziell nach ihm benannte Puerto Grether erinnert heute noch in Bolivien an sein Werk. Grethers großartiger Plan, der nach seinem jähen Tod zunächst in Vergessenheit geraten war, wurde durch einen seiner Schüler, José González Arce, wieder zutage gefordert und bildete schließlich eine wichtige Grundlage für den Landesausbau Boliviens, machte Grether so zum Vordenker für die Entwicklung einer ganzen Nation.
Quellen: Auswärtiges Amt, III E 2, Bolivien: Akten betr. Eisenbahnwesen Bolivien Bd. 1 (19.9.1920-20.10.1926).
Werke: Über Potentialbewegung tropfbarer Flüssigkeiten in gekrümmten Kanälen. Diss. TH Karlsruhe 1908, Berlin 1909.
Nachweis: Bildnachweise: Foto in: Unser Lörrach 13, 1982, (vgl. Lit.).

Literatur: Hermann Vortisch, Zum Gedächtnis an Dr. H. Grether, Morstadt, Kehl, 1926; Dr. R. Mayer, Ein Ingenieurschicksal, in: V. D. I. Nachr. 11 VIII 1926; Hermann Vortisch, H. Grether Ein dt. Kulturpionier in Bolivien 1880-1925, in: Mein Heimatland 22, 1935, 213 f.; Fritz Herbster, Puerto Grether. Bolivien ehrt einen Markgräfler, in: BZ vom 8./9.12.1951; Alois Stiefvater, Bad. Landsleute, 2. Aufl. 1968, 32 f.; Julio Días Arguedas, H. Grether, in: Expedicionarios y Exploradores del Suelo Boliviano, Bd. 2, 1971, S. 63-69; José Luis Roca, Fisonomía del Regionalismo Boliviano, 1980, 188 ff.; Sophie Grether-Grether, H. Grether, in: Unser Lörrach 13, 1982, 134-145; Jose Roberto Arze, H. Grether, in: Geografos, Exploradores y Figuras en la Ciencia. Dic. Biogr. Boliviano 3, 1987, 90.
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