Hohlwegler, Ermin 

Geburtsdatum/-ort: 04.08.1900;  Neuhausen bei Engen
Sterbedatum/-ort: 31.07.1970;  Neuhausen bei Engen
Beruf/Funktion:
  • MdL-SPD, Arbeitsminister
Kurzbiografie: 1907–1914 Volksschule Neuhausen
1914–1916 Hilfsarbeiter bei d. Georg-Fischer-AG
1916–1917 Arbeit bei d. Reichspost
1918 Teilnahme am I.Weltkrieg, Kriegsmarine
1918–1922 Beschäftigung bei d. Reichspost
1920 Eintritt in die SPD
1922–1952 Tätigkeit bei d. Maggi GmbH
1923 SPD-Vorsitzender im Amt Engen
1927–1933 Betriebsratsvorsitzender bei d. Maggi GmbH
1929–1930 Studium an d. gewerkschaftl. Akademie d. Arbeit in Frankfurt am M.
1939–1943 Kriegsdienst bei einer Küstenschutzeinheit
1944–1945 Volkssturm
1945–1952 Kommissarischer Werksleiter, dann Personalchef u. Betriebsratsvorsitzender d. Maggi GmbH
1952–1960 Arbeitsminister des Landes Baden-Württemberg
1960–1964 MdL-SPD, Vorsitzender des sozialpolit. Ausschusses
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1929 (Neuhausen) Melanie, geb. Braxmaier (1907–1999)
Eltern: Vater: Theobald (1872–1936), Postagent u. Schuhmacher
Mutter: Elisabeth, geb. Schneider (1875–1929)
Geschwister: 9; Willibald (1902–1971), Mathilde (1804–1987), Luise (1906–1964), Oskar (1908–1938), Josef (1910–1989), Jakob (1912–1971), Johann (geboren/gestorben 1912), Elisabeth (1913–1988) u. Emilie (1919–1987)
Kinder: Gerda (1932–2007)
GND-ID: GND/1012274020

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 190-192

Nach Besuch der Volksschule im Heimatort ging Hohlwegler verschiedenen Tätigkeiten nach, war erst Hilfsarbeiter in einem Eisen- und Stahlwerk, dann bei der Bahnpost und schließlich bei der Reichsbahn. 1917/18 wurde er Marinesoldat. Seine berufliche Heimat fand er endlich 1922 bei den Singener Maggi-Werken, wo er bald das Vertrauen seiner Kollegen gewann. Jahrelang aktiver Gewerkschaftler wurde Hohlwegler 1927 zum Vorsitzenden des Betriebsrats von Maggi gewählt. Um sich im Arbeits- und Sozialrecht weiterzubilden, besuchte er 1929 und 1930 die gewerkschaftseigene Akademie der Arbeit in Frankfurt.
Nachdem Hohlwegler im März-Wahlkampf 1933 noch als Redner für die SPD aufgetreten war und sich dann dem Angebot verweigerte, in die Deutsche Arbeitsfront und die NSDAP einzutreten, wurde er erst als Betriebsratsvorsitzender durch einen Nationalsozialisten ersetzt und schließlich ganz aus dem Betriebsrat verdrängt und musste wieder als Hilfsarbeiter sein Leben fristen. Mit Beginn des II. Weltkrieges wurde Hohlwegler wieder zur Marine eingezogen, 1943 jedoch aus dem Kriegsdienst entlassen. Die Endphase des Krieges ab 1944 erlebte er im Volkssturm, ohne aber in Kampfeinsätze verwickelt zu werden.
Bald nach der Besetzung Südbadens begann der wichtigste Abschnitt in Hohlweglers Leben. Bis die vermögensrechtlichen Fragen mit den Schweizer Eigentümern geklärt waren, wurde er nämlich von den Franzosen als Leiter der Maggi-Werke eingesetzt. Danach nahm er wieder den Posten des Betriebsratsvorsitzenden ein, war aber gleichzeitig Personalchef des Werks. Ein solches Tätigkeitsfeld war in den ersten Nachkriegsjahren keineswegs ungewöhnlich, mussten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer doch oft gemeinsam gegen Demontagen der Franzosen zur Wehr setzten. Diese Position, die durchaus einem seiner Hauptanliegen entsprach, hat Hohlwegler bis 1952 innegehabt. Fraglos Höhepunkt in Hohlweglers Karriere war dann das Amt des baden-württembergischen Arbeitsministers, das ihm 1952 der SPD-Landesvorsitzende von Südbaden, Richard Jäckle (1912–1990) vermittelt hatte. Hohlwegler erfüllte nämlich alle Voraussetzungen im damaligen Proporzdenken: gesucht war ein katholischer Sozialdemokrat und langjähriger Gewerkschaftler aus Südbaden – ein „Konzessionsschulze“, wie er selbst formulierte.
Der Zuständigkeitsbereich des neuen Arbeitsministeriums umfasste neben der Arbeitspolitik das Arbeitsrecht, Lohn-, Tarif- und Schlichtungswesen, sämtliche Angelegenheiten des Arbeitsschutzes, der Sozialversicherung und der Kriegsopferfürsorge. Erste Aufgabe Hohlweglers war es, eine einheitliche Behördenorganisation im neuen Bundesland zu schaffen. 1956 wurden die vier alten Landesarbeitsgerichte zusammen mit vierzehn Arbeitsgerichten aufgehoben. An deren Stelle nun trat das Landesarbeitsgericht in Tübingen mit Außenstellen in Freiburg, Stuttgart und Mannheim.
Als charakteristisch galt bald Hohlweglers politischer Stil, der auf Bürgernähe und Transparenz in der Landespolitik ausgerichtet war. Sein jährlicher Rechenschaftsbericht im Staatsanzeiger wie ein von ihm angeregter „Behördenknigge“ gehörten dazu, der Grundsätze für die Mitarbeiter seiner Behörden im Umgang mit den Bürgern darlegte: freundlicher und entgegenkommender Umgang mit dem Rat suchenden Bürger, auch der Rat an alle, sich in die Situation des Antragstellers zu versetzen. Der Briefstil solle „bürgernah“ und damit allgemeinverständlich sein. Durchaus zeitlos aktuell mutet auch die Anregung Hohlweglers an, Vorschläge zur Vereinfachung der Verwaltung weiterzuleiten. Hohlwegler mühte sich immer um Kontaktpflege mit dem Bürger. Das war sein Beitrag zur Überwindung der Gegensätze in den Landesteilen. Schon die ersten Parlamentsferien nutzte er zur Informationsreise nach Tauberbischofsheim und solche Informationsreisen, zumal in entlegenere Landes - teile, institutionalisierte er in den kommenden Jahren, genauso wie den monatlichen „Tag der offenen Tür“, der immer an einem Freitag in seinem Ministerium stattfand. Für beide Maßnahmen erntete Hohlwegler aber auch Kritik. Viele Bürgermeister und Landräte sahen im direkten Kontakt Hohlweglers zum Bürger eine Einmischung in ihre Kompetenzen. Autorität der Gemeinden und Kreise, war die Argumentation, werde so untergraben, auch fehle dem Minister die detaillierte Kenntnis der örtlichen Verhältnisse. Obwohl diese Kritik selbst im Landtag vorgetragen wurde, wich Hohlwegler von seiner Linie nicht ab. Er zeigte Beharrlichkeit, so dass seine volkstümliche Art letztlich durchaus sein Beitrag zur Integration des neuen Landes wurde.
Im Gegensatz dazu erscheinen die konkreten sozialpolitischen Wirkungsmöglichkeiten Hohlweglers eher begrenzt, was zuerst an der Tatsache liegen mag, dass die meisten rechtlichen Kompetenzen für dieses Sachgebiet beim Bund angesiedelt waren. Umso mehr wollte der Sozialpolitiker in Arbeits- und Lebensbereiche hineinwirken: „Sozialpolitik ist Politik des Ausgleichs. Sie stützt den Schwachen, gleicht ungerechte Unterschiede aus und wirkt so an der Befriedung der Öffentlichkeit an hervorragendem Platz mit“ (Hohlwegler in: Staatsanzeiger, 31.12.1958).
So erscheint es nur folgerichtig, wenn Hohlwegler die von den Amerikanern initiierte „Arbeitsgemeinschaft für Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen“ fortgesetzt hat. Doch er nuancierte den Ansatz, ließ daraus eine Art „Konzertierter Aktion“ werden, wie sie später Karl Schiller (1911–1994) auf Bundesebene praktizierte. Der Arbeitsgemeinschaft wies er die Vermittlerrolle zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite zu, sie sollte das Arbeitsklima verbessern und Gegensätze zwischen den Tarifparteien überbrücken. Diese Maßnahme stieß damals auf erstaunlichen Widerstand der Gewerkschaften, es wurde sogar der Vorwurf laut, Hohlwegler wolle bestehende Differenzen verschleiern.
Erfolg war dem zweiten Projekt beschieden, einer Art „Vor-Lehre“, um Jugendlichen den Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern. Aufgrund der verhältnismäßig hohen Jugendarbeitslosigkeit wurden um 1952 besonders in strukturschwachen Regionen, etwa Hohenlohe, Vor-Lehr-Werkstätten für Jugendliche eingerichtet, wo sie in Hauswirtschaft und Bürotechnik und im Umgang mit verschiedenen Werkstoffen unterrichtet wurden. Die Kosten teilten sich eine amerikanische Stiftung, Gemeinden, Land und Bund. Die Vor-Lehrzeit konnte auf die weitere Ausbildung angerechnet werden, zumal ab 1954 ohnehin wegen der geburtenschwachen Kriegsjahrgänge ein Mangel an jugendlichen Arbeitskräften zu erwarten stand.
Hohlwegler musste sich in den Gründungsjahren des Landes vor allem in Nordbaden mit einer relativ hohen Arbeitslosigkeit auseinandersetzen. Darum bemühte er sich um ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, wodurch gleichzeitig die Infrastruktur des Landes gestärkt werden sollte, etwa durch den Ausbau der Elektrizitätsversorgung, der Wasserwege, Industrieansiedelung und schließlich den Wiederaufbau der noch kriegszerstörten Städte. Dieses von Hohlwegler initiierte Programm wurde interministeriell verwirklicht; Aufgabe des Arbeitsministeriums war es, die Förderung der Notstandsarbeiten zu gewährleisten und den Gemeinden zinsgünstige Darlehen dafür zu gewähren.
Förderbedürftig erschienen Hohlwegler auch die Kriegsheimkehrer, Spätheimkehrer zumal, die nach dem 26. September 1953 zurückkamen. Auch sie erhielten auf seine Anregung zinslose Darlehen. Für damalige Zeiten beachtliche Summen bis zu 10000 DM wurden eingesetzt.
Eine Initiative startete Hohlwegler schließlich auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes. Mitte der 1950er-Jahre war die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle sprunghaft angestiegen, was Handlungsbedarf signalisierte. Hohlwegler organisierte eine Ausstellung zu Fragen des Arbeitsschutzes und warb in Berufsschulen und bei Lehrlingen intensiv für deren Besuch. Diese Ausstellung, die 1958 von Gebhard Müller in Anwesenheit von Bundesarbeitsminister Theodor Blank (1905–1972) eröffnet wurde, fand lange Zeit ein recht breites Interesse. Hohlwegler wandelte sie schließlich in eine Wanderausstellung um und initiierte auch noch einen Aufsatzwettbewerb zur Prävention von Unfällen am Arbeitsplatz. Tatsächlich ging die Zahl der Arbeitsunfälle bis zum Ende der 1950er-Jahre deutlich zurück.
Der bundesdeutschen Öffentlichkeit wurde Hohlwegler bekannt, als er sich für die Schaffung eines „Gesundheitsbuches“ einsetzte. Alle relevanten Erkrankungen eines Arbeitnehmers sollten darin verzeichnet sein, um etwa bei Unfällen effektivere medizinische Soforthilfe leisten zu können. Erst 1974 wurde der bundeseinheitliche Notfallausweis eingeführt.
Als die SPD 1960 von Kurt Georg Kiesinger aus der Regierung gedrängt wurde, musste Hohlwegler sein Amt aufgeben. Hohlwegler war noch vier Jahre Abgeordneter im Landtag, wo er sich vor allem als Fachmann seiner Fraktion für Sozialpolitik, als Vorsitzender des sozialpolitischen Ausschusses und in der Landwirtschaftspolitik engagierte.
Der bekennende Katholik war bei seinen Mitarbeitern geschätzt, auch wenn der „Hegauwind“ im Ministerium gefürchtet war, weil Hohlwegler teilweise durchaus auch mit kräftigen Worten vorging. Seine Begeisterungsfähigkeit, sein Mutterwitz und seine gute Beobachtungsgabe, genauso seine Toleranz gegenüber Andersdenkenden und seine Gesinnungstreue wurden gelobt.
Wegen gesundheitlicher Beschwerden musste sich Hohlwegler 1964 aus der Politik zurückziehen. Sechs Jahre später verstarb er in seinem Heimatort, wo eine nach ihm benannte Straße noch an ihn erinnert.
Quellen: A des Landtages von B-W, Personengeschichtl. Dokumentation über die Abgeordneten; StadtA Singen, NL Herbert Berner, Gespräch Berners mit Ermin Hohlwegler am 16.5.1967 im Krankenhaus zu Singen am Hohentwiel; StA Ludwigsburg PL 421, „Mensch u. Arbeit“; Die Vorlehre: Eine d. Möglichkeiten zur Neugestaltung des Übergangs von d. Schule in das Berufsleben, 1952; Die Vorlehre: Bericht über d. im Arbeitsamtsbezirk Schwäbisch Hall durchgeführte Vorlehre als eine der Möglichkeiten zur Linderung der Berufsnot d. Jugend u. zur Neugestaltung von d. Schule in das Berufsleben, 1953; Verhandlungen d. Verfassungsgebenden Landesversammlung u. des Landtags von BW, I.–III. Legislaturperiode, 1952–1964.
Werke: Bewegung auf allen Gebieten d. Sozialpolitik, in: Staatsanzeiger vom 5.1.1957; Sozialpolitik kennt keinen Stillstand, in: Staatsanzeiger vom 31.12.1958; Aufgaben d. Sozialpolitik, in: Staatsanzeiger vom 13.1.1960; Sozialdemokratische Agrarpolitik in B-W, 1964.
Nachweis: Bildnachweise: Buschak, 1989, 147 (vgl. Literatur).

Literatur: „Die Zeit“ vom 1.4.1954 (zum Behördenknigge); „Der Spiegel“ 45, 1959, 94; Handb. des Landtags von B-W, 3. Wahlperiode, hg. vom Landtag von B-W, 1960; Schwäb. Tagblatt vom 4.8.1965; Ermin Hohlwegler zum 70., in: Arbeits- u. Sozialrecht 19, 1970, 125-126; Jörg Schadt/Wolfgang Schmierer (Hgg.), Die SPD in B-W u. ihre Geschichte, 1979; Arbeits- u Sozialrecht 26, 1977, 197-200; Kurt Schlagenhauf, Erinnerungen an Ermin Hohlwegler, in: Arbeits- u. Sozialrecht 29, 1980, 152-154; Gert Zang (Hg.), Arbeiterleben in einer Randregion, 1987; Willy Buschak, Die Geschichte d. Maggi-Arbeiterschaft 1887–1950, 1989 (mit Bildnachweis); Gert Zang (Hg.), Arbeiterprovinz, 1989; Herbert Berner (Hg), Engen im Hegau: Mittelpunkt u. Amtsstadt d. Herrschaft Hewen, Bd. 3, 2000, 399f. u. 418; Singener Wochenblatt vom 20.4.2002.
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