Kuprianoff, Johann 

Andere Namensformen:
  • Eigentlicher Name: Kuprianoff, Iwan Michailowitsch
Geburtsdatum/-ort: 07.12.1904; St. Petersburg, Russland
Sterbedatum/-ort: 31.01.1971;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Kälte- und Lebensmitteltechniker
Kurzbiografie: 1922 V. Reifeprüfung an d. Annenschule in St. Petersburg, damals Petrograd, „mit Auszeichnung“
1922–1924 Studium d. Allgemeinen Ingenieurfächer am Polytechnischen Institut Petrograd
Ende 1924 Illegale Auswanderung über Finnland nach Deutschland
1925 IV.–1928 VI. Studium: Maschinen- u. Apparatebau sowie Kältetechnik an d. TH Karlsruhe
1926 I.–1934 IX. bis 1928 Hilfsassistent, dann Assistent am Kältetechnischen Institut d. TH Karlsruhe; 1928 Diplom-Ingenieur mit Auszeichnung: „Thermodynamische Untersuchung d. Kohlensäure im Bereich tiefster Temperaturen einschließlich d. Phase“
1931 VI. 3 Dr. Ing. mit Auszeichnung: „Über die Herstellung von fester Kohlensäure“
1931 VIII.–X. Studienreise in die USA zusammen mit R. Plank
1934 X.–1946 VIII. Entwicklungsingenieur, ab 1937 Oberingenieur u. Vorstand d. 31. Entwicklungs- u. Versuchsabteilung für Kühlschränke bei d. „Robert Bosch GmbH“, Stuttgart
1946 IX.–1969 XII. bis 1948 stellvertr. Direktor, dann Direktor d. Forschungsanstalt, seit 1950 Bundesforschungsanstalt für Lebensmittelfrischhaltung, Karlsruhe
1948 XII. Honorarprofessor an d. TH Karlsruhe mit Lehrauftrag für Lebensmitteltechnik
1961 VII. 1–1971 o. Professor für Technologie d. Lebensmittelverarbeitung u. Direktor des gleichnamigen Instituts in Karlsruhe
1970 XII. Dr. h.c. d. TU Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: russ. orthodox
Verheiratet: I. ca. 1939, 1948 geschieden
II. 1949 (Ettlingen) Maria (Ria) Antonia Elisabeth, geb. Müller (1917–ca. 2007)
Eltern: Vater: Michael, Kommerziencandidat, Beamter im Exportgeschäft
Mutter: Tatiana, geb. Rogozina
Geschwister: 2 Schwestern
Kinder: 3;
aus I. Michael (geboren ca. 1940) u. Tanya (geboren ca. 1943),
aus II. Peter (geboren 1952)
GND-ID: GND/1012282023

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 232-234

Kuprianoff entstammte einer wohlsituierten russischen Kaufmannsfamilie, die für seine gute Erziehung und Bildung sorgte. Er besuchte Privatschulen, wo er auch Deutsch lernte, schließlich ging er in die deutsche „Annenschule“, eine renommierte höhere Schule, die er 1922 „mit Auszeichnung“ abschloss. Der begabte Kuprianoff schwankte bei der Studienwahl zuerst zwischen Geschichte und Medizin, sein Onkel Peter Kuprianoff war ein bekannter Chirurg; Kuprianoff entschied sich aber dann für die Ingenieurswissenschaft. Um am Polytechnischen Institut in St. Petersburg angenommen zu werden, hatte er wegen des Numerus clausus eine sehr schwere Aufnahmeprüfung zu bestehen. Für ihn war das die erste große Herausforderung. Vier Semester studierte Kuprianoff allgemeine Ingenieurfächer bei ausgezeichneten Gelehrten, insbesondere Thermodynamik bei Professor A. Radzig. Ab Herbst 1924 durfte er aber als „klassenfremdes Element“ nicht mehr weiterstudieren. Er stand sogar in Gefahr, verhaftet zu werden, was ein durch seinen Onkel Peter im Krieg geretteter Soldat verriet. So entschloss Kuprianoff sich mit neunzehn Jahren, nach Deutschland zu fliehen und dort das Studium zu beenden. Die Eltern waren einverstanden, wofür ihnen Kuprianoff immer dankbar blieb und später seine Dissertation widmete. Sein Vater, damals Beamter im Exportgeschäft, half ihm, illegal die Grenze zu Finnland auf einem Dampfer zu überqueren. Die Flucht glückte. Im Frühjahr 1925 konnte Kuprianoff sich an der TH Karlsruhe immatrikulieren. Anfangs finanzierte er sein Studium durch Arbeit als Nachtwächter und in den Ferien verdiente er seinen Lebensunterhalt in Maschinenfabriken in Karlsruhe und Köln.
Im Herbst 1925 hatte Kuprianoff das Glück, dass der aus Russland stammende bekannte Kältetechniker Rudolf Plank nach Karlsruhe kam; er wurde ihm Lehrer und lebenslang väterlicher Freund, mit dem auch viele gemeinsame Veröffentlichungen entstanden. Neun Jahre arbeitete Kuprianoff bei Plank, zuerst als Hilfsassistent, nach Ende des Studiums als Assistent in Thermodynamik und Kältetechnik. Als Diplomarbeit fasste Kuprianoff alle Informationen über Kohlensäure in den drei Aggregatzuständen zusammen. Die durch ihn entwickelten Diagramme der thermischen Eigenschaften der Kohlensäure bewahrten für Jahrzehnte Gültigkeit. Als Diplomingenieur durfte Kuprianoff selbständige Forschung betreiben. Gründlich bearbeitete er das Thema Herstellung von „Trockeneis“, also fester Kohlensäure, und wurde damit promoviert. Später erweiterte Kuprianoff das Thema auf die Anwendungen der festen Kohlensäure und publizierte seine Ergebnisse als Buch, das für Jahre weltweit zum Standardwerk wurde. Eine Studienreise in die USA zusammen mit R. Plank brachte neue Erfahrungen. Auch die Zusammenarbeit mit Plank, sie schrieben damals ein Buch über Haushaltskältemaschinen, versprach eine erfolgreiche akademische Karriere.
Allein das „Dritte Reich“ machte das Verbleiben für den noch staatenlosen Kuprianoff an der Hochschule unmöglich; er erhielt die deutsche Staatsangehörigkeit erst um 1940. Robert Bosch aber, der dem Regime nicht geneigt war, übernahm ihn als „Entwicklungsingenieur“ in seine Firma. 1937 wurde Kuprianoff zum Oberingenieur und Abteilungsleiter befördert und erwarb bei der Firma Bosch viel Erfahrung in verschiedenen wissenschaftlich-technischen Fragen, die von der Kältetechnik über Fertigungstechnik bis zur Laboratoriumsarbeit reichten. Er bekleidete eine gute Position, war aber als Forscher nicht ganz zufrieden, weswegen Plank ihn 1946 auch wieder für die TH Karlsruhe gewinnen konnte.
Kuprianoff übernahm zuerst als stellvertretender Direktor den Wiederaufbau und die Leitung der Forschungsanstalt für Lebensmittelfrischhaltung. Bald hatte er das stark zerstörte Institut wieder aufgebaut, sogar erweitert und das Aufgabengebiet auch auf Methoden der Haltbarmachung von Lebensmitteln – Pasteurisieren, Trocknen und Bestrahlen – ausgeweitet. Von besonderer Bedeutung waren Kuprianoffs Pionierarbeiten über Strahlenbehandlung von Lebensmitteln. Das Institut wurde 1950 zur „Bundesforschungsanstalt“, die unter Kuprianoffs Leitung von rund 450 auf über 10000 Quadratmeter vergrößert wurde und deren Mitarbeiterzahl von anfangs 10 auf 160 anstieg.
1948 begann Kuprianoff auch seine Lehrtätigkeit als Honorarprofessor und schuf die neue Studienrichtung „Lebensmitteltechnik“ in Deutschland. 1961 wurde der Lehrstuhl „Technologie der Lebensmittelverarbeitung“ an der TH Karlsruhe eingerichtet mit Kuprianoff als ordentlichem Professor. Das neue Institut wurde aufgebaut und 1966 in Betrieb genommen. Kuprianoff hatte auch maßgeblichen Anteil an der wissenschaftlichen Fixierung zahlreicher Richtlinien und Vorschriften für die Lebensmittelwirtschaft. In seinen Aufsätzen – mehr als 80 Artikel und 5 Bücher, dazu zahlreiche Rezensionen und Referate, insbesondere über russische Fachliteratur – war Kuprianoff immer knapp und sachlich. Ab 1954, nachdem er die harte Aufbauarbeit in Karlsruhe abgeschlossen hatte, nahm Kuprianoff an zahlreichen Fachkonferenzen im In- und Ausland aktiv teil. Daneben unternahm er viele Vortrags- und Studienreisen. Seine Tätigkeit wurde international anerkannt; er war Mitherausgeber von sieben Zeitschriften im In- und Ausland, Vorsitzer der Fachgruppe „Lebensmitteltechnik“ des Vereins Deutscher Ingenieure, VDI, Mitglied mehrerer Ausschüsse und auch Präsident des wissenschaftlichen Rates der „Commission Internationale des Industries Agricoles et Alimentaires“, Paris.
Nach der Pensionierung hoffte Kuprianoff, seine Lehr- und Forschungstätigkeit noch fortsetzen zu können. Das war ihm nicht vergönnt; nach langem, schwerem Leiden starb er kurz nach seinem 66. Geburtstag an Lungenkrebs.
Im Alter gab Kuprianoff zu: „ zu einem wesentlichen Teil [haben] außerhalb meiner selbst liegende Kräfte mein Leben und meine Entwicklung entscheidend gestaltet“. Er hatte wohl recht, und das ist das eigentlich Typische für die Ära der Revolutionen und Kriege. Sein persönliches Drama aber war, dass er seine Eltern und Schwestern nie sehen, nicht einmal mit ihnen in Briefwechsel treten durfte, auch als er im September 1958 aus Anlass einer Tagung des Internationalen Kälte-Instituts nach Moskau reisen durfte: das wäre für die Familie zu gefährlich geworden. Nachdem Plank 1929 Kuprianoffs Eltern in Leningrad besucht hatte, wurde Kuprianoffs Vater in den Norden verbannt. Trotz des harten Emigrantenschicksals gelang Kuprianoff dennoch ein beachtliches Lebenswerk. „Er war wirklich von seiner Arbeit besessen“, erinnerte sich seine Frau. Als herausragender Experte der Kälte- und Lebensmitteltechnik wurde er zum wesentlichen Teil der Geschichte dieses Fachbereichs.
Quellen: UA Karlsruhe 8/72, Biogr. Sammlung u. Nachlass R. Plank; A d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften 1.11, Kuprianoff; Auskünfte des BA Koblenz, des StadtA Karlsruhe, des UA Karlsruhe, des UnternehmensA d. Robert Bosch GmbH u. d. Witwe Ria Kuprianoff.
Werke: (mit R. Plank) Die thermischen Eigenschaften d. Kohlensäure im gasförmigen, flüssigen u. festen Zustand, Beihefte zur Zs. für die ges. Kälte-Industrie Reihe 1, Heft 1, 1929 (65 S.); Erweiterung d. Dampftabellen u. Diagramme für Ammoniak bis – 76oC, in: Zs. für die gesamte Kälte-Industrie 37, 1930, 1-6; Das schnelle Gefrieren von Fleisch, ebd. 39, 1932, 213f.; (mit R. Plank) Haushaltskältemaschinen u. kleingewerbliche Kühlanlagen, 1934; Die feste Kohlensäure (Trockeneis), 1939, 2. Aufl. 1953; (mit R. Plank) Die Kleinkältemaschine, 1948, 2. Aufl. 1960; Forschung u. Lehre auf dem Gebiet d. Lebensmitteltechnik, in: Zs. des VDI 92, 1950, 977-980; (mit R. Plank und H. Steinle) Die Kältemittel, 1956 (= Hb. d. Kältetechnik Bd. 4); Techn. Probleme beim Gefrieren von Fischen, in: Kältetechnik 7,1955, 215-223; Der Einfluss d. Temperatur u. Lagerdauer auf die Gefrierveränderungen von Lebensmitteln, ebd. 8, 1956, 102-107; (mit K. Lang) Strahlenkonservierung u. Kontamination von Lebensmitteln, 1960; (=Antrittsrede), in: Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften, Jahresh. 1961/62, 20-25; Probleme d. Strahlenkonservierung von Lebensmitteln, in: Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften, Math.-nat. Klasse, Abh. 5, 1962/64.
Nachweis: Bildnachweise: UA Karlsruhe, Nachlass R. Plank; Fridericiana, Zs. für die Freunde d. TH Karlsruhe, 4, 1956, 9; Kältetechnik 16, 1964, 331, 17, 1965, 63, 388, 19, 1967, 83, 364; BNN vom 3.2. 1971.

Literatur: Poggendorffs Biogr.-lit. Handwörterb. Bd. VIIa T. 2, 1958, 970, Bd. VIII T. 3, 2004, 1749; DBE 2.Aufl., Bd. 6, 2006, 166f.; R. Thévènot, Adress an Johann Kuprianoff, in: Kältetechnik 16, 1964, 333; R. Plank, Johann Kuprianoff 60 Jahre, ebd. 331f.; ders., Johann Kuprianoff 65 Jahre, ebd. 21,1969, 313f.; ders., Johann Kuprianoff †, ebd. 23,1971, 37; K. Schäfer, Johann Kuprianoff †, in Jb. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. 1972, 53-55.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)