Leber, Ludwig 

Andere Namensformen:
  • eigentl. Leber, Lajos
Geburtsdatum/-ort: 06.04.1903; Grossturwal (heute: Törökbálint, Ungarn)
Sterbedatum/-ort: 17.01.1974;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Leiter d. Caritas Flüchtlingshilfe Rottenburg-Stuttgart, MdL-CDU
Kurzbiografie: 1909–1922 Volksschule Großturwal/Törökbálint bis 1914, dann Humanist. Gymnasium Budapest
1922–1929 Studium d. Rechtswissenschaften an d. Univ. Budapest, 1926 Gastsemester in Freiburg u. München
1922–1925 Mitarbeit beim Sonntagsblatt für das dt. Volk in Ungarn
1925–1933 Sekretär beim ungarländischen-dt. Volksbildungsverein, UdV
1933–1935 Rechtspraktikant bei einer Budapester Kanzlei
1935–1941 Sekretär beim UdV; danach Einstellung d. Vereinstätigkeit auf NS-Druck hin
1941–1946 Referent beim Gewerbeministerium in Budapest bis zur Vertreibung aus Ungarn
1946 Ankunft in Tauberbischofsheim, Tätigkeit beim Landratsamt, dann Mitarbeit bei d. Caritas-Flüchtlingshilfsabteilung, Herausgeber d. ungarndeutschen Heimatzeitung „Unsere Post“
1947/48 Mitbegründer d. Vertriebenenwallfahrt zum Schönenberg bei Ellwangen
1948–1974 Leiter d. Caritas Flüchtlingshilfe d. Diözese Rottenburg-Stuttgart
1949–1974 Vorsitzender d. Ungarndeutschen Landsmannschaft
1950–1968 MdL (Württemberg-Baden, dann Baden-Württemberg) –CDU
1952 Wiederaufnahme d. Wallfahrt d. Ungarndeutschen nach Mariazell
1969 Vermittlung d. Patenschaft d. Stadt Gerlingen für die Landsmannschaft d. Deutschen aus Ungarn
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Auszeichnungen: Ehrungen: Päpstl. Orden Pro Ecclesia et Pontifice (1957); Ehrenring des österr. Wallfahrtsortes Mariazell (1959); Goldener Marientaler von Mariazell (1959); Dr. Ludwig-Leber-Straße in Mariazell (1965); Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens d. Bundesrepublik Deutschland (1967); Silbernes Ehrenzeichen des DCV (1968); Goldenes Ehrenzeichen des DCV (1973); Komturkreuz des päpstl. Gregoriusordens (1973); Goldene Ehrenmedaille d. Stadt Gerlingen (1973); Goldener Ehrenring u. goldene Ehrennadel d. ungarndt. Landsmannschaft (1973); Gedenktafel auf dem Kalvarienberg in Mariazell (1974).
Verheiratet: 1927 (Törökbálint) Josefa (Jozefin), geb. Pettinger (1909–2007)
Eltern: Vater: Stephan (eigentl. István, 1880–1934), Gastwirt
Mutter: Mária, geb. Hilberth (geboren 1883)
Geschwister: nicht zu ermitteln
Kinder: keine
GND-ID: GND/1012283054

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 284-287

Leber wurde in der ungarndeutschen Gemeinde Großturwal, heute Törökbálint, geboren, wo er auch die Grundschule besuchte, bis er ins humanistische Gymnasium nach Budapest wechselte, das von den Zisterziensern geleitet wurde. Hieran schloss sich sein Jurastudium an, unterbrochen von Gastsemestern u.a. in Freiburg und München. Dann folgte die Promotion in Pécs, deren bibliographischer Nachweis trotz Mühen leider nicht gelang. Unmittelbar nach dem Abschluss seiner Studien schloss sich Leber dem Ungarländischen-deutschen Volksbildungsverein, UdV, an und trat wiederholt auf Werbeveranstaltungen dieser einzigen damals in Ungarn zugelassenen deutschen Kulturorganisation auf. Geprägt wurde das Wirken der UdV durch den ungarischen Germanisten, Literaturwissenschaftler und zeitweiligen ungarischen Minister für nationale Minderheiten, Jakob Bleyer (1874–1933), der zum persönlichen Vorbild für Leber wurde. Ziel des UdV war es, „Fördermaßnahmen hinsichtlich des sprachlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Niveaus der Ungarndeutschen“ (Georg Tafferner, 1975, 29) zu organisieren. Bei der Verwirklichung dieses Ziels sah sich die UdV jedoch immer wieder Behinderungen durch die Ungarn ausgesetzt.
Neben seiner Tätigkeit im UdV war Leber in Redaktionen der von Bleyer gegründeten Zeitschriften, vor allem dem „Sonntagsblatt für das deutsche Volk in Ungarn“, engagiert. 1938 bis 1940, Bleyer war damals bereits tot, trat Leber an die Spitze des UdV. Die Arbeit der Organisation wurde jedoch durch interne Richtungskämpfe erschwert und musste 1940 auf NS-Druck hin eingestellt werden. Die Kriegszeit über kam Leber beim ungarischen Handelsministerium unter.
Nach der Vertreibung aus Ungarn 1946 fand Leber in Tauberbischofsheim eine neue Heimat. Dort war er zunächst beim Landratsamt tätig, bevor er noch im gleichen Jahr von Konrad Theiss für die Mitarbeit in der Caritas Flüchtlingshilfe gewonnen werden konnte, die sich bei 430 000 Vertriebenen in der Diözese Rottenburg vor eine fast übermenschliche Herausforderung gestellt sah. 300 000 bis 350 000 Flüchtlinge waren katholisch und bei einem Katholikenanteil von gerade 23 Prozent in Württemberg überwiegend in Diasporagebieten angesiedelt. Zur Betreuung der Flüchtlinge wurden 31 Kreis-Caritasstellen eingerichtet. In Stuttgart entstanden die Hilfsstelle für Sudeten- und Karpatendeutsche sowie die Hilfsstelle Donauschwaben, woraus die Caritas Flüchtlingshilfe hervorging. Nach dem Wechsel von Konrad Theiss nach Aalen als Herausgeber der Schwäbischen Post übernahm Leber 1947 die Leitung der Caritas Flüchtlingshilfe. Theiss’ Arbeit fortsetzend war er den Flüchtlingen bei vielfältigen Schreib- und Übersetzungsarbeiten behilflich und organisierte Tagungen für Berufsarbeitskreise. Während der ersten drei Monate 1947 wurden neun Facharbeitskreise ins Leben gerufen.
Einen großen Einschnitt in die Tätigkeit der Caritas Flüchtlingshilfe bedeutete die Währungsreform. Nun standen Fragen der Rechtsberatung im Mittelpunkt, Beratung in Fragen des Lastenausgleichs, der Wohnungs-, Umsiedlungs-, Existenz- und Aufbauleistungen. Schließlich ging es darum, die Ansprüche auf eine möglichst baldige Auszahlung der den Heimatvertriebenen aus dem Lastenausgleich zustehenden Gelder zu bewirken. Kleinbetrieben, die um ihr wirtschaftliches Überleben kämpften, musste vor allem Roh- und Brennstoffe zugeteilt werden.
Bei immer besser werdender ökonomischer Situation geschah in den 1950er-Jahren ein neuerlicher Wandel der Aufgabenbereiche der Caritas Flüchtlingshilfe. Fragen der Kulturpflege traten in den Vordergrund, Pflege der Vertriebenen-Kultur in der neuen Heimat. Daneben musste sich Leber bei wiederholten Gesetzesnovellierungen unvermindert mit Fragen zum Lastenausgleich und der Sozialversicherung beschäftigen.
Zu den bleibenden Verdiensten Lebers gehört die Einführung der Heimatortskartei, mit deren Hilfe zwischen 1945 und 1969 ein Beitrag zur Familien-Zusammenführung in der Bundesrepublik geleistet werden konnte. Insgesamt wurden damals 11,6 Mio. Anfragen mit dieser Kartei beantwortet, mehr als zwei Drittel positiv.
Immer wieder ist Leber publizistisch und auch als CDU-Landtagsabgeordneter für die Interessen der Vertriebenen in Südwestdeutschland eingetreten. Seit 1946 gab er die ungarndeutsche Zeitschrift „Unsere Post“ heraus, zu der 1949 noch „Unser Hauskalender“ als ungarndeutsches. Jahrbuch kam, worin Leber sich vor allem auch um die Integration der Vertriebenen mühte. Wichtig schien ihm damals, dass Begriffe wie „Flüchtling“, „Ostvertriebener“ oder „Neubürger“ verschwanden: „Ich bin der Meinung, es wäre hoch an der Zeit, wenn diese Bezeichnungen baldigst außer Kurs kämen und wir im Lande nur mehr gleichberechtigte Bürger hätten“ (Unsere Post Nr. 3, 1951, 3). Schwierigkeiten der Vertriebenen waren für ihn die Probleme aller Deutschen, mussten also gemeinsam bewältigt werden. Leber wollte, dass die Neubürger sozial gänzlich gleichgestellt an ihren Bräuchen aus der alten Heimat festhalten konnten. Er war überzeugt, dass Neubürger so auch einen wichtigen Beitrag zur Aussöhnung und Verständigung innerhalb Europas leisteten.
Im Landtag sprach Leber wiederholt zu Themen wie sozialer Wohnungsbau und des Lastenausgleichs. Oft beschäftigte er sich zudem mit den Zuständen in den Flüchtlingslagern, die seit den 1950er-Jahren durch die nun dazugekommenen Ostzonenflüchtlinge deutlich überbelegt waren. Lebers Sorge galt auch den vielen Landwirten unter den Vertriebenen, die es schwer hatten, beruflich in der neuen Heimat eingegliedert zu werden, zumal wenn sie in ihrer alten Heimat nicht sozialversichert waren und darum nur geringe Unterstützung erhielten.
Viele der Initiativen Lebers waren erfolgreich. Am Beginn der 1960er-Jahre wurde der Eingliederungsplan aufgestellt, der spürbare Verbesserungen in den Flüchtlingslagern brachte. Sie wurden nicht nur umgebaut und renoviert, es entstanden auch eigene Wohneinheiten für Familien. Nun griff Leber vor allem Interessen von Spätaussiedlern aus Jugoslawien auf, oft die Frage der Entschädigung für verlorenen Hausrat. Er kämpfte auch dafür, dass das Land für die Kulturpflege, in der es auf dem letzten Platz in der Bundesrepublik stand, mehr Mittel bereitstellte.
Als Landtagsabgeordneter, Vorsitzender der „Union der Vertriebenen“ in Nordwürttemberg und dank vieler Kontakte nach Ungarn konnte Leber 1953 die Freilassung von 1000 deutsche Kriegsgefangenen und deren Familienzusammenführung erwirken. Nach dreijährigem Ringen erreichte er in einem Ferngespräch vom damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy (1896–1958), dass die Kriegsgefangenen ausreisen durften. Auch später hat Leber die Kontakte nach Ungarn weiter gepflegt. Er initiierte eine großangelegte Spendenaktion für die Opfer des Aufstandes gegen die kommunistische Herrschaft, organisierte Hilfsgüter, deren Transporte und Verteilung und bemühte sich um die Aufnahme von Flüchtlingen. Regelmäßige Sammelaktionen, die immer wieder besondere bürokratische Hürden überwinden mussten, galten katholischen Geistlichen in Ungarn und Jugoslawien.
Neben die Vertretung der materiellen Interessen der Heimatvertriebenen trat bei Leber Sorge um die geistliche Betreuung. Wie sie den Flüchtlingen in einer Situation existentieller Not neuen Halt geben sollte, lässt sich darin erkennen wie der Vertreter der Caritas Flüchtlingshilfe den Katholikentag der Vertriebenen vom 15. Oktober 1947 in Schwäbisch Gmünd mit organisierte. Auch die jährlichen großen Vertriebenenwallfahrten auf den Schönenberg bei Ellwangen seit 1947 sind hier zu nennen. Ab 1952 konnte Leber dann an die Tradition der Ungarn-Deutschen aus der Zeit vor dem II. Weltkrieg anknüpfen. Es wurden wieder regelmäßig Wallfahrten nach Mariazell in Österreich organisiert. Die daraus entstandenen Bindungen gerieten besonders eng, was darin sichtbar wird, dass 1965 eine Straße in Mariazell nach Leber benannt wurde und eine Gedenktafel an ihn erinnert.
Bemerkenswert ist schließlich die Rolle, die Leber bei der Gründung des St. Gerhardswerkes übernahm, das die materiellen, vor allem aber die geistig-kulturellen Belange der „Donauschwaben“, d.h. der Deutschen aus Ungarn, Jugoslawien und Rumänien in ihrer neuen Heimat vertreten und deren kirchliche Integration erleichtern wollte. Ursprünglich wurde das St. Gerhardswerk am 29. April 1952 als „Arbeitskreis südostdeutscher Katholiken“ in München gegründet. Leber hatte bis 1963 den Gründungsvorsitz inne. Drei Jahre später wurde der Name St. Gerhardswerk eingeführt, das 1961 in Stuttgart seinen neuen Sitz fand.
Von 1949 bis zu seinem Tod war Leber auch Vorsitzender der Ungarndeutschen Landsmannschaft, heute: Landmannschaft der Deutschen aus Ungarn. In dieser Funktion konnte er Bürgermeister und Gemeinderat der Stadt Gerlingen 1969 dazu gewinnen, die Patenschaft für die Landsmannschaft zu übernehmen. Heute befindet sich u.a. das Museum der Ungarndeutschen im Gerlinger Stadtmuseum.
Über zahlreiche Ehrungen hinaus hat Leber auch in seiner ungarischen Heimat nach dem Zusammenbruch des Ostblocks Anerkennung gefunden, u.a. durch eine 1996 an seinem Elternhaus angebrachte Gedenktafel. Zahlreiche Nachrufe in ungarndeutschen Publikationen erschienen nach Lebers Tod und würdigten den „Vater der Ungarndeutschen“ (Tafferner, 1975, 30).
Quellen: StAW K LRA 11, Spruchkammerakte u. Personalbogen Ludwig Leber; Sterberegister StadtA Stuttgart-Mitte, 202/1974; Standesamt Fellbach, Familienregister Oeffingen, Bd. 4, Bl. 272; A des Landtags von B-W, Personengesch. Sammlung; Verhandll. des Landtags von Württ.-Baden 1950–1952; Verhandll. d. Verfassunggeb. Landesversammlung von B-W, 1952–1953; Verhandll. des Landtags von B-W1953–1968.
Werke: [Diss.: bibliogr. Nachweis leider nicht gelungen]; Sonntagsblatt für das dt. Volk in Ungarn, 1939/40; Unsere Post: Die Heimatzeitung d. Deutschen aus Ungarn, 1946ff.; Unser Hauskalender, 1949ff.
Nachweis: Bildnachweise: Tafferner, in: Hauskalender, 1975, 30 (vgl. Literatur).

Literatur: Handbuch des Landtags von Baden-Württemberg, 1956; Franz Riedel, Zwei Jahrzehnte Parlamentarier d. Vertriebenen – Zur polit. Laufbahn Dr. Ludwig Lebers, in: Archiv d. Suevia-Pannonica 6, 1969/70, 87-91; Georg Tafferner, Dr. Ludwig Leber, 1903–1974, in: Unser Hauskalender, Das Jb. d. Deutschen aus Ungarn 27, 1975, 30; Franz Riedel, Von unserem unvergessenen, lieben Lajos. Heimatliche Erinnerungen an Dr. Ludwig Leber, 1975; Martin Steer, Zwei Begegnungen mit Dr. Ludwig Leber, in: Unser Hauskalender, Das Jb. d. Deutschen aus Ungarn 27, 1975, 31-33; Hans Steinfelder, Meine erste Begegnung mit Dr. Ludwig Leber, ebd. 41-45; Anton Laubacher, Gelebte Caritas, 1982; ders., Ludwig Leber, in: Joachim Köhler (Hg.), Katholiken in Stuttgart – u. ihre Geschichte, 1990, 197; Immo Eberl (Bearb.), Flucht – Vertreibung – Eingliederung. Baden-Württemberg als neue Heimat. Begleitband zur Ausstellung, 1993; Georg Tafferner, Dr. Ludwig Leber (1903–1974), Erster Vorsitzender des St. Gerhardswerkes, in: Rudolf Fath (Red.), 50 Jahre St. Gerhardswerk e.V., 2002, 28-32; Rainer Bendel, Mit neuen Hoffnungen ins neue Jahr. Lassen sich aus den Neujahrsartikeln Lebers Etappen d. Integration d. Vertriebenen ablesen?, in: Archiv für schles. Kirchengeschichte 62, 2004, 233-242; Rainer Bendel (Hg.), Die Fremde wird zur Heimat, Integration d. Vertriebenen in d. Diözese Rottenburg-Stuttgart, 2008; Rainer Bendel/Abraham Peter Kustermann (Hgg.), Die kirchliche Integration d. Vertriebenen im Südwesten nach 1945, 2010.
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