Mayer, Gotthold Eugen 

Geburtsdatum/-ort: 18.05.1887;  Sprantal (Amt Bretten)
Sterbedatum/-ort: 07.02.1970;  Langensteinbach
Beruf/Funktion:
  • Gründer der Badischen Beamtenbank
Kurzbiografie: 1903 Eintritt in den Dienst der Deutschen Reichspost als Schreibgehilfe beim Postamt Flehingen
1914 f. Tätigkeit im „Reichsverband Deutscher Post- und Telegrafenbeamter“
1920 Vorsitzender der Bezirks-Postgewerkschaft für das Land Baden
1921 Mitgründer und Vorstandsvorsitzender der „Badischen Beamtenbank“
1933 politische Verfolgung und Haft, Entfernung aus dem Vorstand der Bank
1935 Nach dem Gesetz über die Wiederherstellung des Berufsbeamtentums als Oberpostinspektor in den Ruhestand versetzt. – Übersiedlung nach Berlin, dort Gründer einer bis 1945 bestehenden Beamten-Genossenschaftsbank
1946 Rehabilitierung, Wiedereintritt in den Vorstand der Badischen Beamtenbank als Vorsitzender, dann bis zu seinem Tod als Ehrenvorsitzender
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: Anna Maria Magdalena, geb. Eisert (1890-1972), Tochter des Sergeanten und späteren Oberpostsekretärs Wendelin Eisert in Karlsruhe
Eltern: Vater: Gotthilf Mayer, zuletzt Volksschulrektor in Durlach (1861-1928)
Mutter: Maria Eva, geb. Graf aus Oberjettingen, Kreis Herrenberg (geb. 1856)
Geschwister: 4
Kinder: 2 Töchter
GND-ID: GND/1012286436

Biografie: Wolfgang Leiser (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 1 (1982), 207-209

Leben und Leistung dieses Postbeamten des mittleren Dienstes sprengen scheinbar vorgegebene feste Grenzen; hier wurde eine erstaunliche Leistung vollbracht, die heute und wohl noch lange Zeit unvermindert nachwirkt. Ungewöhnliche Talente der Organisation und Menschenführung wiesen den Postsekretär Mayer zunächst auf die Bahn gewerkschaftlicher Betätigung, worüber sich freilich nichts Näheres mehr feststellen läßt. Die zur großen Inflation führende Not nach dem ersten Weltkrieg brachte die Beamten, nachdem Landwirtschaft (Raiffeisen) und gewerblicher Mittelstand (Schulze-Delitzsch) schon längst vorangegangen waren, dazu, eigene genossenschaftliche Kreditinstitute zu gründen, wobei die seinerzeitige Beamtenorganisation den Anstoß gegeben hatte. Ähnliches wurde vielerorts unternommen, die badische blieb nicht die einzige Beamtenbank, schob sich aber sehr rasch an die Spitze und stellt nach einer Reihe von Fusionen heute die größte deutsche Kreditgenossenschaft überhaupt dar, neben der andere Beamtenbanken ein bescheidenes regionales Dasein führen. Die Anfänge waren sehr klein, fast improvisiert: Beamte vor allem des Postscheckdienstes führten am Feierabend die Konten, der Publikumsverkehr wickelte sich an zunächst wenigen Wochenstunden in einigen Räumen des Badischen Beamtenbundes im Hause Karlsruhe, Nowack-Anlage 19, ab. Die weitere Entwicklung ergibt sich aus einer Statistik, die keines Kommentars bedarf: Am 1. 1. 1922 hatte die Genossenschaft mit 33 Gründungsmitgliedern begonnen, bereits im Sommer war die Zahl 3000 überschritten, am Jahresende zählte man 7799 Mitglieder; das Geschäftsjahr 1923 schloß mit 20204 Mitgliedern, 1930 betrug die Zahl 58541, 1940: 60645, 1950: 63500, 1960: 101805, und im Todesjahr Mayers zählte die Bank mehr als 137000 Mitglieder. 1923 schloß die Bilanz mit 2427684 RM, 1930 mit 39686945,46 RM, 1940 mit 49047699,14 RM, 1950 mit 36089702,51 DM, 1960 mit 195 825211 DM, im Todesjahr Mayers näherte sich die Bilanzsumme der halben Milliarde. Die Entwicklung läßt sich auch an den Gebäuden der Karlsruher Zentrale des Instituts veranschaulichen, wo man in einigen gemieteten Zimmern begonnen hatte, nach und nach mehrere bestehende repräsentative Häuser erwarb, die bald wieder zu klein wurden, und schließlich noch unter Mayer einen stattlichen Neubaukomplex in der Herrenstraße erstellte. – Wie so oft, war auch in diesem Falle der Grundgedanke so einfach, daß es einer besonderen Genialität bedurfte, ihn zu fassen und zu verwirklichen: Zu Ultimo haben andere Geldinstitute wegen der Lohnzahlungen ihrer Kunden die geringste Liquidität, auf den Konten der Beamten hingegen trifft zur selben Zeit das Gehalt ein und wird dort nicht sofort abgerufen – für eine berufsständische Selbsthilfeeinrichtung eine Masse, mit der sich gewinnbringend wirtschaften läßt. 1920/21 hatten kontaktierte Geschäftsbanken Annäherungsversuche der Beamtenfunktionäre noch abgewiesen ... Die Gründung war zwar aus dem Beamtenbund heraus kollektiv angeregt worden, doch trat von Anfang an und auf Jahrzehnte hinaus Mayer selbst als die treibende Kraft und leitende Persönlichkeit auf: Der kleine Postbeamte, der nur die Oberrealschule Bruchsal besucht hatte, entpuppte sich als hochbegabter Bankier.
1933 wurde Mayer umgehend ein Opfer der neuen Machthaber, wobei nicht klar ist, ob seine wichtige Position für einen Parteigenossen freigemacht werden sollte, oder ob er sich, der als Funktionär der alten Beamtenorganisation dem NS-Beamtenbund scharf entgegengetreten war, die persönliche Feindschaft des Gauleiters zugezogen hatte – vielleicht traf beides zusammen. Jedenfalls wurde zu Ostern 1933 durch reißerische Extrablätter die Aufdeckung einer angeblichen „Millionenunterschlagung bei der Beamtenbank“ bekanntgegeben, Mayer verhaftet und im Vorstand der Bank durch zwei Kommissare ersetzt. Die Justiz war in dieser Zeit noch so intakt, daß sich die Haltlosigkeit der Beschuldigung schnell herausstellte. Durch allerlei Winkelzüge gelang es der Partei, den mißliebigen Mann dennoch sechs Monate in Haft halten zu lassen. Nachdem auch der Untersuchungsrichter beim Landgericht Karlsruhe durch Beschluß vom 5. 1. 1934 die völlige Unschuld Mayers festgestellt hatte, mußte die Staatsanwaltschaft trotzdem ihre Ermittlungen weiterführen, bis man unterm 8. 10. 1934 das Verfahren aufgrund der sogenannten Hindenburg-Amnestie „großzügig“ niederschlagen und dem Beschuldigten damit die formelle Rehabilitation verweigern konnte. Inzwischen hatte Mayer bei Neuwahlen seine Stellung in der Bank verloren, sah einem beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren entgegen und besorgte wohl nicht ohne Grund in Baden weitere Unannehmlichkeiten. So verzog er mit seiner Familie nach Berlin, wo er durch persönliche Vorsprache beim Reichspostministerium das ungewisse Disziplinarverfahren gegen die Demütigung einer vorzeitigen Zurruhesetzung eintauschen konnte. – Erstaunlicherweise gelang es ihm, der nur noch eine untergeordnete Funktion bei der ebenfalls von ihm gegründeten Reichszentralkasse der Beamtenbanken behalten hatte, in Berlin neuerlich eine lokale Beamtenbank zu gründen, die nach dem Krieg mit der Volksbank Berlin-Friedrichsstadt verschmolz.
1945 kehrte Mayer, ausgebombt und mittellos, von Berlin nach Karlsruhe zurück, wo er als „Gebietsfremder“ zunächst nicht einmal Pensionsansprüche hatte. Nicht ohne Befremden liest man heute in den Akten, wie bürokratisch zäh auch nur die beamtenrechtliche Wiedergutmachung geleistet wurde. Zum Jahresbeginn 1946 trat Mayer wieder in die Leitung der Badischen Beamtenbank ein und führte das Institut über die Schwierigkeiten von Nachkriegszeit und Währungsreform hinweg zu einem nicht für möglich gehaltenen Aufstieg. Als Mayer, der sich bis wenige Tage vor seinem Tod noch an den Geschäften beteiligte, starb, trat der letzte Angehörige der Gründergeneration ab. Was vor Jahrzehnten von begabten Außenseitern nebenamtlich aufgebaut wurde, wird heute von einem hochqualifizierten hauptberuflichen Management geführt. Ein faszinierendes Kapitel deutscher Bankgeschichte war damit beendet.
Das Wirken Mayers fand die verdiente öffentliche Anerkennung; er war u. a. Inhaber des Verdienstkreuzes I. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, sowie der Schulze-Delitzsch-Gedenkmedaille in Gold. Persönlich war der kleine, behende Mann völlig unauffällig. Auch als Bankdirektor hatte er seinen ursprünglichen Lebenskreis nicht verlassen; er konnte seiner Leistung gewiß sein und empfand nicht das Bedürfnis, sie hervorzukehren.
Nachweis: Bildnachweise: Foto, in Lit. S. 7.

Literatur: 40 Jahre Badische Beamtenbank eGmbH. Ihre Entwicklung in dieser Zeit. Dargestellt von H. Lamprecht. Karlsruhe 1962.
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