Paradeis, Franz Josef 

Geburtsdatum/-ort: 15.11.1860;  Stegen bei Aulendorf
Sterbedatum/-ort: 01.06.1936;  Rottenburg am Neckar
Beruf/Funktion:
  • praktischer Arzt und Heimatforscher
Kurzbiografie: Studium in Tübingen und Würzburg
1888 Promotion an der Julius-Maximilian-Universität Würzburg
1898 Arzt in Rottenburg
1899 Beginn seiner Tätigkeit als Heimatforscher
1913-1923 stellvertretender Anstaltsarzt des Landesgefängnisses in Rottenburg
1923-1932 Hausarzt im Landesgefängnis Rottenburg
1930 Aufgabe der Arztpraxis
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Verheiratet: 1887 Emilie, geb. Hoch (geb. 26.2.1859, gest. 3.9.1942)
Eltern: Vater: Franz Paradeis (1827-1903), Königseggscher Förster
Mutter: Karoline, geb. Reischle
Kinder: 2 Töchter
GND-ID: GND/1012292827

Biografie: Dieter Planck (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 199-201

Im Jahre 1898 lies sich Franz Paradeis in Rottenburg am Neckar nieder, wo er bis 1932 als praktischer Arzt wirkte. Paradeis wurde am 15. November 1860 in Stegen bei Aulendorf geboren. Der Vater, Franz Paradeis (1827-1908), war königlicher Förster. Seine Mutter Karoline, geb. Reischle. Am 6.7.1887 heiratete er Emilie, geb. Hoch (1850-1942) in Tübingen. Er studierte an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen und an der Julius-Maximilian-Universiät in Würzburg, wo er 1888 seine Promotion ablegte. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor. Neben seinem Beruf, den er mit einem stark sozialen Engagement für die Behandlung von alten Kranken und Hilfebedürftigen ausübte, widmete er sich schon ab 1899 der Frühgeschichte Rottenburgs. Daneben war er Anstaltsarzt im Bürgerhospital und im Landesgefängnis. Im Ersten Weltkrieg war er Oberstabsarzt im Operationsgebiet und später im Lazarett in Bad Niedernau. Dabei kamen ihm vor allen Dingen die anthropologischen Kenntnisse zugute, die er sich in seinem Studium erwarb. Seine erste Veröffentlichung im Jahre 1899 galt der Beschreibung eines in Rottenburg gefundenen Steinsarges und dem darin geborgenen Skelett aus dem frühmittelalterlichen Friedhof an der äußeren Jahnstraße. Dieser erste Kontakt bildete gleichzeitig den Beginn einer jahrzehntelangen Tätigkeit für die Erforschung der römischen und frühgeschichtlichen Zeit von Rottenburg und Umgebung. Alle denkbaren Erdbewegungen und Erdaufschlüsse, Wasserleitungsgräben und Baugruben wurden von ihm untersucht und alle Befunde festgehalten. Oft wurde er dabei von den Stadt- und Bezirksgeometern unterstützt, die die wichtigsten Befunde einmessen konnten, so dass sie bis heute eine brauchbare und wichtige Quelle darstellen. Er schloss die Lücke, die nach den Tode des Rottenburger Domdekans Ignaz von Jaumann im Jahre 1862 entstanden ist, bei der Beobachtung des Bodens und seiner archäologischen Aufschlüsse. Seine umfangreichen Beobachtungen und Überlegungen veröffentlichte Paradeis in den „Reutlinger Geschichtsblättern“, dem damaligen Mitteilungsblatt des Sülchgauer Altertumsvereins, ebenso in der Nachfolgepublikation „Sülchgauer Scholle“ und vereinzelt auch in den „Fundberichten aus Schwaben“. Eine Zusammenfassung seiner eigenen Beobachtungen und seiner Interpretationen legte er im Jahre 1935 in seiner Monographie „Sumelocenna-Sülchen Landskron“ (Selbstverlag, Rottenburg 1935) vor. Die einzelnen Baustellenbeobachtungen können heute, rückblickend durch die Gesamtbearbeitung der Topographie des römischen Rottenburg, genauer beurteilt werden. Durch die Fundbeobachtungen und Feststellungen von Jaumann war die ungefähre Ausdehnung der römischen Siedlung am Ende des 19. Jahrhunderts bekannt.
Die wohl bedeutendste Entdeckung von Paradeis war die im Jahre 1907 festgestellte Stadtmauer mit einem davorliegenden Spitzgraben im Bereich des heutigen Landesgefängnisses auf eine Länge von über 270 Metern. Paradeis versuchte auch die östliche Begrenzung im Jahre 1909 im Bereich der heutigen Mechthildstraße und zwischen Mechthildstraße und Seebronnerstraße zu erforschen. Auch hier ermittelte er eine 1,7 Meter breite Mauer, die nahezu in Nord-Südrichtung verlief. Sie war hier besonders gut erhalten. Im davorliegenden Spitzgraben fanden sich die für die römische Stadtmauer inzwischen charakteristischen Gesims- und Zinnsteine, ebenso große Abdeckplatten des Wehrgangs aus Stubensandstein. Damit gelang Paradeis der Nachweis einer römischen Stadtbefestigung und deren Verlauf im Westen, Norden und Osten. So konnte die Ausdehnung der römischen Kernstadt klar umrissen werden. Paradeis glaubte zunächst hier eine spätantike Befestigung gefunden zu haben. Erst später wurde sie aufgrund allgemeiner Überlegungen und durch moderne archäologische Grabungen in das späte 2. oder frühe 3. nachchristliche Jahrhundert gesetzt. Die erste große Ausgrabung führte Paradeis im Winter 1901/02 durch, als er in der Mechthildstraße die Untersuchung des großen römischen Bades (Bad I) fortsetzte, die im Jahr zuvor von R. Herzog begonnen worden war. Die mehrfasige Badeanlage konnte in ihrer eigentlichen Raumanordnung erst durch A. Gaubatz, im Rahmen der Gesamtbearbeitung der römischen Topographie geklärt werden. Wichtig waren schließlich Baubefunde in der Eberhardstraße 27-33, wo er ausgedehnte Gebäudeteile erfassen konnte, die zu größeren Baukörpern mit städtischer Struktur gehörten. Schließlich muss ein umfangreicher Mauerbefund erwähnt werden, den Franz Paradeis 1902 beim Bau der katholischen Schule St. Klara in der Weggentalstraße, unterhalb der römischen Vicusmauer, aufdecken konnte. Auf einer Länge von 57 Metern wies er eine nordwest- bis südostverlaufende 1,26 Meter breite Mauer in mehreren Teilstücken nach, die in einem stumpfen Winkel nach Norden führte und auf einer Länge von weiteren 22 Metern erfasst werden konnte. Im Jahre 1952 konnte noch ein weiteres Stück dazu beobachtet werden. Welche Bedeutung dieser ungewöhnliche Baubefund wirklich hatte, ist bis heute nicht gesichert geklärt. Im Eckbereich wurde ein runder, aus der Mauerflucht herausragender, 2,8 Meter im Durchmesser großer turmartiger Bau festgestellt, der durchaus an spätantike Baukörper erinnert, obwohl eine sichere Datierung mangels strategraphischer Funde und Befunde bisher nicht gelungen ist.
Seiner persönlichen Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, dass Paradeis in seinen Forschungen verschiedene Theorien begründen wollte, die ihn zeitlebens bei seinen Untersuchungen begleiteten. Er postulierte am Ende der römischen Ansiedlung eine Naturkatastrophe, die er auf den 21. Juli 366 nach Christus datierte, und durch vielerlei Belege zu begründen versuchte. Die Ursache des Untergangs der römischen Stadt Sumelocenna war für ihn zentrales Thema. Neben der ersten Naturkatastrophe vermutete er eine Überschwemmung größeren Ausmaßes und eine zweite Überschwemmung vom 3. Januar 1112, die er in verschiedenen Abhandlungen genauer zu begründen versuchte. Alle seine Hinweise sind von der geologischen Wissenschaft abgelehnt. Die Überschwemmungstheorien begründete er auf Befunden von Sand- und Sandlehmaufschichtungen mit einzelnen Muschelschalen, die er immer wieder beobachtete. Wir wissen heute, dass solche Überschwemmungen oftmals, insbesondere den östlichen Teil der römischen Stadt Sumelocenna, heimsuchten. Ursachen waren vor allen Dingen regelmäßige Überschwemmungen durch den Weggentalbach. So konnten etwa bei der Untersuchung des römischen Bades, unter dem Eugen-Bolz-Gymnasium in der Mechthildstraße im Jahre 1962 (Bad II) mehr als 20 verschiedene Überschwemmungen nachgewiesen werden. Diese Überschwemmungen sind auch der Grund weshalb der östliche Teil der römischen Stadt heute tief, oftmals von jüngerer Überbauung verschont, im Boden der Stadt Rottenburg ruht. Die Datierung auf den 21. Juli 366 übernahm Franz Paradeis von Ammianus Marcellinus, der eine Naturkatastrophe vom 21. Juli 366 nach Christus erwähnte. Die Hartnäckigkeit mit der Paradeis seine Thesen formulierte und publizierte, führten zu einer – leider aus heutiger Sicht – Gegenreaktion der Fachwelt. Vieles, was aus Rottenburg gemeldet wurde, blieb von der öffentlichen Landesforschung unbeobachtet. Aus heutiger Sicht muss dies als Defizit in der Forschung betrachtet werden. In jenen Jahren wurden wichtige Teile der antiken Stadt Rottenburg, insbesondere östlich des mittelalterlichen Stadtgrabens systematisch bebaut. Hier hätten durch großflächige archäologische Untersuchungen und Aufmaße wichtige Befunde vor ihrer endgültigen Zerstörung ermittelt werden können. Neben den vielen Einzelbeobachtungen trug Franz Paradeis ab 1900 zahlreiche Fundstücke zusammen, die den Grundstock der Sammlungen des Sülchgauer Altertumsvereins bilden und heute im Sumelocenna-Museum in Rottenburg zu sehen sind. Mit Hilfe der Geländetätigkeit von Franz Paradeis konnte die Kenntnis der Topographie des römischen Rottenburg (Sumelocenna) um bedeutende Erkenntnisse erweitert werden.
Quellen: Familienakten, Privatbesitz.
Werke: Sumelocenna Sülchen Landskron (Selbstverlag), 1935; BWG 8. Bd., 1956, 516; Sülchgauer Scholle 12 (1936) Nr. 12.
Nachweis: Bildnachweise: Bildsammlung des StadtA Rottenburg am Neckar.

Literatur: Anita Gaubatz, Der Arzt Dr. F. Paradeis und die Erforschung des römischen Rottenburg. Forschungen und Funde. F. Paradeis (1860-1936) zum Gedächtnis, in: Der Sülchgau 29/30 (1985/86) 1987; Anita Gaubatz-Sattler, Sumelocenna. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 71 (1999) 26 ff.
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