Reinert, Eugen Karl 

Geburtsdatum/-ort: 15.02.1885;  Ludwigsburg
Sterbedatum/-ort: 06.05.1950;  Ludwigstal bei Tuttlingen
Beruf/Funktion:
  • Hüttenwerksleiter und Heimatforscher
Kurzbiografie: 1903 Reifeprüfung an der Friedrich-Eugens-Realschule in Stuttgart
1903–1907 Studium der technischen Chemie an der TH Stuttgart
1908–1909 Assistent im Labor von Prof. Hell in Stuttgart
1909–1911 Ernennung zum Chemiker im Hüttenwerk Wasseralfingen
1910 Promotion zum Dr. ing.
1911 Ernennung zum Betriebsassistenten in der Gießerei Wasseralfingen
1913 Ernennung zum Betriebsingenieur
1914–1916 Fronteinsatz
1918 Ernennung zum leitenden Gießereiingenieur
1919 Ernennung zum Hütteninspektor
1921 Diensteintritt bei der SHW GmbH als Werksvorstand in Ludwigstal
1921–1950 Bezirksausschuss für Denkmalpflege und Heimatkunde in Tuttlingen
1933 Beitritt zur SA
1937 Beitritt zur NSDAP
1947 Pensionierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Verleihung des Ritterkreuzes des Friedrichsordens II. Kl. (1915); Eisernes Kreuz II. Kl. (1917)
Verheiratet: 1911 Margarethe Elisabeth, geb. Hopfner
Eltern: Vater: Karl Josef Reinert (1847–1927), Lederhändler
Mutter: Katharina, geb. Fritz (1848–1921)
Kinder: Walter Fritz
GND-ID: GND/1012296059

Biografie: Uwe Fliegauf (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 220-223

Das besondere Verdienst Reinerts liegt nicht allein darin, das 1696 gegründete Hüttenwerk Ludwigstal in wirtschaftlich unruhiger Zeit ein Vierteljahrhundert erfolgreich geleitet zu haben, vielmehr hat er sich um die Erforschung der Geschichte des Berg- und Hüttenwesens seiner Heimat verdient gemacht und die Erträge seiner jahrelangen Studien in einer größeren Zahl informativer und bis heute lesenswerter Arbeiten über die Regional- und Wirtschaftsgeschichte publiziert.
Der bescheidene, hart erarbeitete Wohlstand seiner Eltern ermöglichte Reinert – im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Altersgenossen – nicht nur den Erwerb des Reifezeugnisses, sondern auch die Aufnahme eines naturwissenschaftlichen Studiums an der TH Stuttgart im Wintersemester 1903/04. Schon damals zeigte sich der Student als disziplinierter und fleißiger Arbeiter, der sich trotz materiell gesicherter Lebensverhältnisse und der aktiven Mitgliedschaft in der Stuttgarter Burschenschaft Hilaritas, dem müßigen Studentenleben versagte und bereits am 23.10.1907 mit gutem Erfolg den Grad eines Diplomingenieurs in technischer Chemie erwarb. Die folgende Assistenzzeit am Laboratorium für reine und pharmazeutische Chemie bei Prof. Dr. C. von Hell krönte eine wissenschaftlich solide Untersuchung „Über das 1 Methyl-3-Cyclohexanon und Deriwate desselben“, mit der er am 13.1.1910 zum Dr. ing. promoviert wurde.
Vor die Wahl gestellt, entweder eine wissenschaftliche Laufbahn einzuschlagen oder in die berufliche Praxis zu wechseln, entschied er sich für letzteres und erhielt 1909 beim größten königlich-württembergischen Hüttenwerk in Wasseralfingen eine Stelle als beamteter Hüttenchemiker. Dank enger Kontakte zu den Facharbeitern, tagtäglicher Einblicke in den Gießerei- und Walzwerksbetrieb sowie „aufwendiger Privatstudien“ wandelte sich Reinert in der Folgezeit vom fachfremden Theoretiker zu einem fähigen Gießereifachmann und verbesserte damit seine Aufstiegschancen. Diese wurden für Reinert nicht zuletzt deshalb bedeutsam, weil er 1911 in Aalen eine Familie gegründet hatte. Im selben Jahr setzte man Reinert bereits zur Unterstützung des leitenden Gießereibeamten ein. Dieser erfolgreichen Bewährung verdankte er seine Ernennung zum Betriebsingenieur, die ihm zwar keine großen finanziellen Vorteile, dafür aber die Aussicht auf eine leitende Funktion verschaffte. Allerdings vereitelte zunächst der Weltkriegsbeginn die weitere Karriere, denn unmittelbar nach der deutschen Mobilmachung wurde Reinert zur Landwehr eingezogen. Ab März 1915 war er als Leutnant bei technischen Einheiten an der Westfront eingesetzt und überstand dort die verlustreichen Kampfhandlungen ohne Schaden. Im Herbst 1916 wurde der zwischenzeitlich hochdekorierte Reinert zunächst vorläufig, dann bis Kriegsende freigestellt, um in Wasseralfingen bei der Produktion von Graugussgranaten für das deutsche Heer eingesetzt zu werden. Obwohl er bereits damals im Vergleich zur Privatwirtschaft deutlich weniger verdiente, ließ er sich nicht abwerben und erhielt endlich die angestrebte Führungsaufgabe zugewiesen: 1918 wurde er zum leitenden Gießereiingenieur und damit zum Chef der größten Gießerei des Königreichs ernannt. Nach der Überführung des staatlichen Hüttenbesitzes in die vom württembergischen Staat und der Gutehoffnungshütte gegründete SHW GmbH, trat Reinert im Mai 1921 in die Dienste des neuen Unternehmens ein und wurde als Leiter des kleinsten Werks Ludwigstal angestellt. Dort arbeitete seit 1911 eine Kundengießerei, die vorwiegend Kolben und Motorteile für die expandierende schwäbische Automobilindustrie lieferte, jedoch seit Kriegsende kaum noch Gewinne erwirtschaftete. Zudem befanden sich die dortigen Gebäude und maschinelle Einrichtungen in einem schlechten Zustand, waren abgenutzt und veraltet. Im Dezember 1921 begann Reinert deshalb mit der überfälligen Instandsetzung des Werks: Zunächst entstand 1922 eine größere Kupolofenanlage zur Erhöhung der Menge an eingeschmolzenem Gusseisen. Der Einbau einer neuen Hängebahnanlage in der Gießhalle, einer Anlage zur Formsandaufbereitung sowie einer Trockenkammer trug im nächsten Schritt zur weiteren Verbesserung sämtlicher Arbeitsabläufe bei. Daraufhin wurden bei der Gießerei neue trockene Lagerschuppen für die erforderlichen Roh- und Brennstoffe erstellt, wodurch die aufwändige Beifuhr per Handwagen entfiel und die Schwundmengen absanken. Daneben betrieb Reinert energisch die Elektrifizierung der Werksanlagen, weil die Wasserkräfte der Donau seit Jahren als Betriebsenergiequelle nicht mehr ausreichten. Der florierende Betrieb machte bereits 1924 die Inbetriebnahme eines weiteren Kupolofens und schließlich nach 1925 die Anschaffung neuer Formmaschinen erforderlich, um auf die Serienproduktion von Gussteilen übergehen zu können. Der zweite Investitionsplan, den Reinert verantwortete, zielte vor diesem Hintergrund auf den Gießereiausbau. So wurde 1929/30 der alte Werkskanal zwischen Magazin- und Werkstattgebäude abgedeckt, so dass die seit Jahren geplante Erweiterung des Gießereigebäudes vorgenommen werden konnte. Auch entstand 1930 eine modern ausgestattete Reparaturwerkstatt und ein neues Modellmagazin. Damit war es Reinert – trotz extremer Konjunktur – in nur 10 Jahren gelungen, die Produktion des Werks auf ein konkurrenzfähiges Niveau zu heben, die Ertragskraft deutlich zu verbessern und damit den Standort dauerhaft zu erhalten. Zudem war es ihm gelungen, für das Werk einen verlässlichen Kundenstamm in ganz Deutschland anzuwerben. Obwohl Reinert als Vorgesetzter von seinen Arbeitern ein hohes Maß an Arbeitsdisziplin und Gehorsam erwartete, fühlte er sich zugleich für deren soziale Belange verantwortlich und förderte den Ausbau der vernachlässigten betrieblichen Sozialeinrichtungen. So entstanden 1935/36 auf sein Betreiben hin Wasch- und Aufenthaltsräume sowie eine Werkskantine, 1938 wurde zudem eine neue Werkssiedlung erbaut und sogar eine Leihbibliothek eingerichtet. Die wirtschaftlichen Erfolge Reinerts als Werksleiter legitimierten diese Bemühungen, denn nach dem starken Rückgang im Gefolge der Weltwirtschaftskrise erholte sich Ludwigstal schnell: Seit 1936 war man wieder vollbeschäftigt, im Folgejahr erreichte die Werksproduktion ihren Vorkriegshöhepunkt. Danach vereitelte allerdings der Facharbeiter- und Rohstoffmangel zunehmend weitere Fortschritte. Der regelmäßige Produktionsbetrieb kam allerdings erst 1944 durch häufige Stromsperren und Luftangriffe zum Erliegen.
Als folgenreich erwies sich 1933 sein Eintritt in die SA, dem 1937 die Mitgliedschaft in der NSDAP folgte. Zwar ist über die Motive nichts weiter bekannt – seiner Wesensart widersprach jedenfalls opportunistisches Mitläufertum ebenso stark wie eine Mitgliedschaft aus Geltungsdrang oder wirtschaftlichem Kalkül. Entsprechend groß war nach Kriegsende das Misstrauen der französischen Besatzungsmacht gegenüber ihm und seiner Geschäftsführung, nachdem er im November 1945 das Werk wieder in Betrieb genommen hatte. Als ihn die zuständige Spruchkammer am 11.3.1946 schließlich als belastet einstufte und ihm die Erlaubnis einer leitenden Tätigkeit entzog, musste Reinert sich zurückziehen und wurde im Juni 1947 pensioniert. Soweit es seine wegen eines psychosomatischen Magenleidens geschwächte Gesundheit zuließ, beaufsichtigte er das Werk noch bis zum Eintreffen seines Nachfolgers Ernst Sämann im Spätherbst desselben Jahres vom Krankenbett aus.
Die Tatsache, dass Reinert zu den ganz wenigen Führungskräften der SHW gehörte, die sich offen zur NS-Bewegung bekannten und den Parteiorganisationen beitraten, aber auch die spätere Spruchkammer-Verurteilung haben seither den Blick auf seine Vita bestimmt und dabei den Blick auf sein langjähriges und verdienstvolles regional- und wirtschaftshistorisches Wirken verstellt. Seit 1921 engagierte er sich im Tuttlinger Bezirksausschuss für Denkmalschutz und Heimatpflege, dem er in der Folgezeit auch vorstand. Im Rahmen dieser ehrenamtlichen Tätigkeit verschrieb er sich u. a. dem Aufbau eines Heimatmuseums mit angeschlossenem Archiv und der Herausgabe der beliebten Tuttlinger Heimatblätter, für die er selbst zahlreiche Beiträge verfasste. Daneben entstanden die bis heute vielzitierten Lebensbilder bedeutender Hüttenfachleute aus Württemberg und nach mehrjähriger Vorarbeit 1941 sein Hauptwerk zur Geschichte der Eisenhütten in der Gegend der oberen Donau. Der besondere Reiz dieser, in gut lesbarem Stil geschriebenen Arbeiten liegt in den zugrunde liegenden, akribischen Quellenstudien. Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren aus seinem Umfeld versagte er sich konsequent publizistischem Eklektizismus und bemühte sich stattdessen um eigenständige Ergebnisse. Gerade seine Arbeiten zur Entstehung und Entwicklung der Hüttenwerke Ludwigstal, Bärental und Harras sind auch für die neuere Forschung noch relevant, weil Reinert zahlreiche Akten aus der umfangreichen Altregistratur des königlichen Bergrates auswertete, die 1944 im Bombenhagel auf Stuttgart vernichtet wurden. Über die Jahre erwarb er sich durch sein publizistisches Schaffen den Ruf eines profunden Kenners der Geschichte des württembergischen Hüttenwesens, den viele Autoren, Historiker und auch die SHW-Geschäftsführung bei werksgeschichtlichen Fragen konsultierten.
Quellen: WABW B 1009: PA 25, 213. StAS, Wü 13, Nr. 2250.
Werke: Württ. Eisenhütten in der Gegend der oberen Donau, 1941; Schwäbische Eisenhütten, 1948; Schwäbische Eisenerze, in: Jb. für Statistik und Landeskunde von Baden-Württemberg 1 (1956), 107 ff.; W. von Faber du Faur, in: SchwLB, 1941, 147 ff.; K. von Kerner, in: ebda., 1940, 303 ff.; F. Mayer, in: ebda., 1940, 358 ff.; J. F. Mayer, in: ebda., 361 ff.; J. Mayer, in: ebda., 1941, 340 ff.; A. Erhardt, in: ebda., 1941, 110 ff.; F. A. Pulvermüller, in: ebda., 1942, 451 ff.; F. Grundler, in: ebda., 1948, 32 ff.; L. Weberling, in: ebda., 1948, 368 ff.; V. Schübler, in: ebda., 1950, 247 ff. (Schriftenverzeichnis in StAS Wü 13, Nr. 2250).
Nachweis: Bildnachweise: WABW B 1009: 213.

Literatur: Gränz-Bote, 6.5.1950; U. Fliegauf, Dr. Ing. Eugen Reinert (1885–1950). Hüttenwerksleiter und Heimatforscher, in: Tuttlinger Heimatblätter (2003), 123 ff.
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