Schmidt, Otto Theodor 

Geburtsdatum/-ort: 24.12.1894;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 09.04.1972;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: 1913 Jul. Abschluss des humanistischen Gymnasiums Karlsruhe
1913 Okt.-1919 Mai Militär- und Kriegsdienst; Eisernes Kreuz I. und II. Klasse
1919 Feb.-1921 Mär. Chemiestudium an der Technischen Hochschule Karlsruhe
1921 Mai-1924 Okt. Chemiestudium an der Universität München
1924 Nov. Promotion magna cum laude: „Synthesen von Benzopyryliumsalzen Typus der Anthocyanidine“
1925 Mär. Assistent mit Sondervertrag am Chemischen Institut der Technischen Hochschule Karlsruhe, ab April 1926 am Chemischen Institut der Universität Heidelberg
1930 Nov. Habilitation: „Über Zucker mit verzweigter Kohlenstoffkette (Konstitution und Konfiguration der Apiose)“. Probevortrag: „Chemie der blauen und roten Blütenfarbstoffe“
1936 Okt. außerordentlicher Prof.; stellvertretender Leiter der organischen Abteilung
1939 Nov. etatmäßiger außerordentlicher Prof. und Leiter der organischen Abteilung
1939 Dez.-1942 Jun. Kriegsdienst
1945 Okt. Entlassung aus dem Universitätsdienst
1947 Nov. Rehabilitierung im Dienst
1957 Jul. Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
1957 Jul. Persönlicher ordentlicher Prof. für organische Chemie
1964 Apr. Ende der Lehrtätigkeit
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1918 (Karlsruhe) Marie-Luise (Marlies), geb. Hummel (1896-1983)
Eltern: Vater: Leopold Ludwig (1853-1907), Architekt und Bauunternehmer
Mutter: Friederike Charlotte Auguste, geb. Fieg (1861-1938)
Geschwister: 7:
Leopold (1884-1915)
Hans Georg (1886-1916)
Philipp (1888-1955)
Erwin (1885-1916)
Hellmuth (1892-ca.1970)
die ältesten zwei als Kleinstkinder gestorben
Kinder: 3:
Dieter Max (1919-2002), später Schmidt-Barbo, Dr. rer. nat. der Chemie
Werner Philipp (1920-1942)
Klaus Otto Ludwig Hans (geb. 1930), später Schmidt-Koenig, Prof. der Zoologie
GND-ID: GND/1012302806

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 336-338

Schmidt wurde als jüngster der Söhne eines in Karlsruhe bekannten Architekten und Inhabers eines Baugeschäftes geboren. Nach dem Abitur trat er als Einjährig-Freiwilliger in den Heeresdienst, kam bei Kriegsausbruch direkt ins Feld und wurde zweimal verwundet, im Oktober 1915 schwer. Sein Plan, Architekt im väterlichen, später brüderlichen Geschäft zu werden, wurden zerschlagen: drei seiner Brüder waren gefallen, unter ihnen der Inhaber des Geschäfts, so dass dieses unterging. Nun dachte Schmidt über den Offiziersberuf nach. Im März 1917 wurde er aus der Reserve zu den aktiven Offizieren des badischen Artillerie-Regiments Nr. 14 übernommen und führte während der letzten anderthalb Jahre des Kriegs eine schwere Feldhaubitzbatterie an der Westfront. Als Leutnant, mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse und dem schwarzen Verwundeten-Abzeichen dekoriert, heiratete Schmidt seine Jugendfreundin Marlies, die Tochter eines Baurats. Nach dem verlorenen Krieg wurde Schmidt im Zuge der Verminderung des Heeres zuerst beurlaubt und dann im Mai 1919 entlassen.
Mit 24 Jahren begann Schmidt sein Studium an der Technischen Hochschule Karlsruhe noch ohne feste Pläne. Bald wurde er aber für die Chemie durch Vorlesungen von Paul Pfeffer gewonnen. Im Oktober 1920 bestand er das Diplom-Vorexamen „mit Auszeichnung“; zum Sommersemester 1921 siedelte er nach München über, wo der damals bedeutendste deutsche Organiker R. Willstätter lehrte. Bei ihm promovierte Schmidt mit einer sehr sorgfältig und geschickt durchgeführten synthetischen Arbeit. „Willstätter verdanke ich meine Ausbildung in den entscheidenden Doktoranden-Jahren, von ihm habe ich die Vorliebe für die Naturstoffe übernommen“, betonte Schmidt als reifer Wissenschaftler.
Willstätters Rat folgend kehrte Schmidt nach Karlsruhe zurück, um bei K. Freudenberg, damals Direktor des Chemischen Instituts der Technischen Hochschule, zu arbeiten, und ging mit ihm auch nach Heidelberg, zuerst als Assistent in der Anorganischen Abteilung. Hier sammelte er Erfahrungen als Lehrer. „In seinem langen Militärdienst hat er Sicherheit des Auftretens gelernt, die ihm gerade im Anfängerunterricht sehr zugute kommt, wo er ohne Schroffheit eine ausgezeichnete Autorität ausübt“, schrieb Freudenberg und empfahl Schmidts Aufnahme in die Fakultät. Schmidt begann in Heidelberg selbständige Forschungen in der Zuckerchemie und konnte sich 1931 habilitieren.
Seine Lehrtätigkeit als Dozent begann Schmidt mit der Antrittsvorlesung „Das wissenschaftliche Werk Richard Willstätters“, in welcher er seinen Lehrer würdigte. Er las über „Zuckerchemie“, „Analyse und Konstitutionsvermittlung organischer Verbindungen“ und ab 1936 auch über „Die chemischen Kampfstoffe“. Sein wahrer Arbeitsplatz aber war das Laboratorium der organischen Chemie, das er ab Herbst 1936 und bis zur Emeritierung mit vollem Einsatz leitete. „O. Schmidt zeichnet sich aus durch größte Gediegenheit der Arbeiten und Gründlichkeit in der Unterweisung seiner Schüler“, schrieb Freudenberg im Mai 1935 in seinem Antrag über die planmäßige außerordentliche Professur für Schmidt. Jedoch trotz der tadellosen Biographie – Schmidt war nicht nur aktiver Kriegsteilnehmer, sondern ab 1933 auch Mitglied des NS-Kraftfahrerkorps und ab 1937 der NSDAP– genoss er das Vertrauen der Partei innerhalb der Universität nicht. Er war wohl zu wissenschaftsorientiert, ohne das geforderte Politikengagement zu demonstrieren, und unterstützte gewiss auch den Institutsdirektor Freudenberg zu aktiv. Nicht zuletzt schließlich wegen einer verleumderischen Denunziation wurde Schmidt erst im Herbst 1939 zum beamteten außerordentlichen Professor ernannt.
Nach Ausbruch des II. Weltkriegs musste der Reserveoffizier bald ins Feld einrücken und erlebte im Frühjahr 1942 den Tod seines Sohnes Werner in der Nachbardivision an der Ostfront. Nach langen Bemühungen von Freudenberg wurde Schmidt, inzwischen Major, Mitte 1942 unabkömmlich gestellt und aus dem Heeresdienst entlassen.
Nach dem Zusammenbruch wurde Schmidt noch einmal falsch angeschuldigt und daraufhin für lange Zeit suspendiert. Sein Haus wurde mitsamt den Möbeln beschlagnahmt; die Familie musste im Keller wohnen. Schmidt ertrug sein Schicksal mit großer Würde; er erholte sich beim Geigenspiel, das er seit der Schulzeit liebte.
Im Herbst 1947 wurde Schmidt wieder in die Fakultät eingegliedert. Nun begann die neue, vielleicht erfolgreichste Phase seiner Laufbahn. Neben seinen Vorlesungen über „Zuckerchemie und Stereochemie“ und „Spezielle Chemie der aliphatischen, bzw. aromatischen Verbindungen“ führte er mit zahlreichen Doktoranden – insgesamt hatte er mehr als 90 – gut geplante und sorgfältig umgesetzte Untersuchungen der Gerbstoffe durch. Er wusste, so sein Schüler W. Mayer, „eine gleichermaßen menschlich wie wissenschaftlich fruchtbare Partnerschaft zwischen Lehrer und Schüler zu entwickeln“, was viel zu seinen großen wissenschaftlichen Erfolgen beitrug. Die Wahl zum Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Titel des persönlichen Ordinarius, aber auch Einladungen zu Vortragsreisen in England (1953 und 1962), Schweden (1953), Amerika (1962) und Indien (1961-1962) künden von seinem Renommee.
Mit Ablauf des Wintersemesters 1962/63 wurde Schmidt altershalber emeritiert; als Vertreter seines eigenen Lehrstuhls setzte er seine Lehrtätigkeit aber noch zwei Semester fort und arbeitete hernach mit ein bis zwei Mitarbeitern bis zum Herbst 1969 im Chemischen Institut weiter, um seine Forschungen abzurunden.
Schmidts wissenschaftliches Werk fand in 100 Aufsätzen Niederschlag, alle der Chemie von Naturstoffen gewidmet. Die Forschungen hatten mit den Blütenfarbstoffen begonnen und wurden, zusammen mit Freudenberg, mit einer Arbeit über Catechin erweitert, indem Schmidt einen neuen Zusammenhang zwischen Catechin und dem Farbstoff der Rose entdeckt hatte. Auf dieser Grundlage betrat Schmidt das Gebiet der Zuckerchemie, wo er sich dann besonders mit den seltenen verzweigten Zuckern beschäftigte. Er konnte die Konstitution und Konfiguration einer Reihe dieser Stoffe aufklären, einschließlich die der viel umstrittenen Digitalose, einem Bestandteil der Digitalispflanze (Fingerhut), deren Blätter als Herzmedikament dienen.
Etwa die andere Hälfte seiner Publikationen behandeln Forschungen über eine große Anzahl von zuckerhaltigen Pflanzengerbstoffen. Schmidt konnte als erster mit seinen Schülern durch sehr konsequentes akribisches Arbeiten eine ganze Reihe komplizierter Gerbstoffe und Gerbstoffbausteine in reiner Form isolieren und aufklären. Dabei gelang es, einen deutlichen genetischen Zusammenhang zwischen diesen zahlreichen Substanzen zu erkennen und Vorstellungen zu entwickeln, wie diese Substanzen in der Pflanze entstehen. Schmidt hat ein neues Kapitel der Naturstoffchemie geschrieben, „ein geschlossenes Stück, in dem jedes Glied seinen Platz erhalten hat, in dem biochemische Zusammenhänge sichtbar werden“ (K. Freudenberg), die dem bedeutenden Naturstoffchemiker in der Geschichte der organischen Chemie seinen Platz sicherten.
Quellen: UA München Studentenkartei O. Schmidt u. OC-I-51p, O. Schmidt; UB München 0001/U 24-8307: Diss. (Masch); UA Heidelberg Verhandlungen d. Naturwiss. Fakultät 1930/31, Nr. 63, Personalakte 5688, 5689 u. 2975, Rep. 14, Nr. 58, 541, 583 u. 613; Auskünfte d. StadtA Karlsruhe u. Heidelberg u. von Prof. Klaus Schmidt-Koenig.
Werke: (mit R. Willstätter), Synthese neuer Anthocyanidine, in: Berr. d. dt. Chem. Ges. 57, 1924, 1945-1950; (mit H. Zeiser), Zur Konfiguration d. Digitalose, ebd. 67, 1934, 2127-2131; (mit A. Simon), Über den Gültigkeitsbereich optischer Drehungsregeln in d. Zuckergruppe, in: Journal für prakt. Chemie 152, 1939, 190-204; (mit E. Wernicke), Die Synthese d. Digitalose, in: Liebigs Ann. d. Chemie 558, 1947, 70-80; (mit W. Nieswandt), Chebulagsäure, ein kristallisierter Ellagen-Gerbstoff aus Myrobalanen, ebd. 568, 1950, 165-173; Zucker u. ihre Abkömmlinge, in: Naturforschung u. Medizin in Deutschland 1939-1946 (FIAT Review), Bd. 37: Präparative organische Chemie, Teil II, 1953, 53-107; Natürliche Gerbstoffe, in: K. Paech, M. V. Tracey (Hgg.), Moderne Methoden d. Pflanzenanalyse Bd. 3, 1955, 517-548; Gallotannine u. Ellagen-Gerbstoffe, in: L. Zechmeister (Hg.), Fortschritte d. Chemie organ. Naturstoffe Bd. 13, 1956, 70-136; Hydrolisierbare Gerbstoffe, in: Angewandte Chemie 68, 1956, 103-110; Antrittsrede, in: Jb. d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften 1957/58, 27-29; (mit H. Schmadel), Zur Umwandlung des α-Glucogallins in 2-Galloylglucose (Acylwanderung), in: Liebigs Ann. d. Chemie 649, 1961, 157-167; (mit J. Schulz u. H. Fiesser), Die Gerbstoffe d. Myrobalanen, ebd. 706, 1967, 187-197; (mit J. C. Jochims u. G. Taigel), Protonenresonanz-Spektren u. Konformationsbestimmung einiger Gerbstoffe, ebd. 717, 1968, 169-185.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg, Mayer, 1973 (vgl. Quellen u. Lit.).

Literatur: Poggendorff J. C., Biogr.-literar. Handwörterb. Bd. VI, 1940, 2342, Bd. VIIa, T. 4, 1961, 168 f., Bd. VIII, T. 3, 2004, 2143 (mit Bibliographie); K. Freudenberg/W. Mayer, O. Th. Schmidt, in: Jb. d. Heidelberger Akad. d. Wissenschaften 1973, 79-83; W. Mayer, O. Th. Schmidt, in: Liebigs Ann. d. Chemie 1973, 1758-1776 (mit Bild u. Verzeichnis d. Werke); H. Grünwald, O. Th. Schmidt, in: Semper Apertus Bd. II, 1985, 359 f.
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