Vöhringer, Gotthilf 

Geburtsdatum/-ort: 15.01.1881;  Ebingen, Oberamt Balingen
Sterbedatum/-ort: 01.05.1955;  Oberensingen
Beruf/Funktion:
  • evangelischer Theologe, Verbandsgeschäftsführer
Kurzbiografie: 1887-1899 Volksschule und Lateinschule Ebingen, Seminare Maulbronn und Blaubeuren
1899-1903 Theologiestudium in Tübingen als Zögling des Evangelischen Stifts, Erste theologische Dienstprüfung
1903-1907 Vikar in Neckarostheim, Stadtvikar in Schramberg
1907 Promotion zum Dr. phil. in Tübingen bei Prof. Heinrich Maier
1907-1908 Studienaufenthalt in Ghana, Kamerun und Togo
1908-1912 Stadtvikar bzw. Pfarrverweser in Stuttgart-Gaisburg, Altenstadt, Tuttlingen, Schmie, Stuttgart, Heilbronn, Ettenhausen und Tübingen
1910 Zweite theologische Dienstprüfung
1912-1914 Geschäftsführer der Württembergischen Kamerungesellschaft m.b.H. in Duala, Internierung in England
1915-1919 Stadtvikar in Stuttgart-Gablenberg und -Ostheim
1919 Kollegialhilfsarbeiter, dann Mitglied des Kollegiums der Zentralleitung für Wohltätigkeit, Stuttgart, im Range eines Regierungsrates
1925 Generalsekretär der Deutschen Liga der freien Wohlfahrtspflege, Berlin
1934 Pensionierung, Niederlassung in Zizishausen am Neckar
1937 Mitglied des Ausschusses des Landesverbandes der Inneren Mission in Württemberg
1939-1955 Vorsitzender des Verwaltungsrates der Fürsorgeheime Leonberg-Oberensingen
1944 Kommissarischer Geschäftsführer, 1945-1950 Geschäftsführer des Landesverbandes der Inneren Mission in Württemberg, Stuttgart
1945-1952 Vorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Württemberg-Baden
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Ehrenreich Vöhringer (1841-1906), Lehrer, zeitweilig Hausvater der evangelischen Erziehungsanstalt „Augustenhilfe“, Ebingen
Katharina, geb. Bauer (1847-1931)
Geschwister: 9
GND-ID: GND/1012369056

Biografie: Johannes Michael Wischnath (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 468-470

Vöhringer durchlief den üblichen Bildungsgang eines württembergischen Theologen, ging aber nach neun Jahren im unständigen Kirchendienst als Geschäftsführer einer von ihm selbst gegründeten Firma nach Kamerun, das er schon als Vikar auf einer ausgedehnten Studienreise kennengelernt hatte und wo er bis Kriegsbeginn ein modernes Sägewerk und Plantagen mit mehreren 100 Arbeitern aufbaute. Ende 1914 kehrte Vöhringer nach nur kurzer Internierung zurück. Er übernahm zwar eine Pfarrstelle in Stuttgart, entfaltete daneben jedoch eine weitgespannte kolonialpropagandistische Tätigkeit, organisierte nach Kriegsende eine „Beratungs- und Fürsorgestelle für die württembergischen Kolonialdeutschen“ und trat schließlich, als keine Aussicht mehr auf Rückkehr nach Afrika war, in die traditionsreiche „Zentralleitung für Wohltätigkeit“ in Stuttgart ein.
Mit der Wohlfahrtsarbeit, die sein eigentlicher Lebensberuf wurde, war Vöhringer schon früher vielfältig in Berührung gekommen: im Elternhaus, als Vorsitzender des studentischen Wohltätigkeitsvereins und nicht zuletzt im Pfarramt. Bei der Zentralleitung, wo ihm unter anderem die Redaktion der „Blätter der Zentralleitung ...“, die Mitwirkung bei Pflegesatzverhandlungen und seit 1921 die Wahrnehmung der staatlichen Aufsicht über die Fürsorgeerziehungsanstalten oblag, lernte er das gesamte Gebiet der Wohlfahrtspflege und besonders ihre organisatorischen und finanztechnischen Probleme gründlich kennen.
1925 wurde Vöhringer auf Vorschlag der Inneren Mission (IM) zum Generalsekretär der neugegründeten „Deutschen Liga der Wohlfahrtspflege“ nach Berlin berufen. Obwohl er als Interessenvertreter konfessionell und weltanschaulich ganz unterschiedlicher Verbände anerkanntermaßen strenge Zurückhaltung und Neutralität wahrte, vermochte er doch die Liga in den Jahren bis zum Ende der Weimarer Republik in hohem Maße zu prägen und sie zum eigentlichen Sprachrohr der Wohlfahrtspflege gegenüber der Reichsregierung und in der Öffentlichkeit zu machen. Von weiteren Aufgaben, die sie für die Verbände übernahm, seien die Abwicklung der Auslandshilfe, die Verteilung von Reichsmitteln, gemeinsame Werbemaßnahmen und der Aufbau der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (1929) genannt. Über Wohlfahrtspflege im engen Sinne hinaus zielte die von der Liga initiierte, erstmals 1931/32 reichsweit durchgeführte „Winterhilfe“, für die Vöhringer die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hatte. Als im Laufe des Jahres 1933 die Befürchtung wuchs, die NSDAP könne die gesamte freie Wohlfahrtspflege an sich reißen, erhoffte Vöhringer von einem Arrangement mit der im Aufbau begriffenen NSV den Schutz der konfessionellen Wohlfahrtsarbeit vor Übergriffen anderer Parteistellen. Er hat, seine tatsächliche Rolle wohl überschätzend, später sogar eine entscheidende Mitwirkung bei Gründung und parteiamtlicher Anerkennung (Mai 1933) der NSV für sich in Anspruch genommen. Im Juli 1933 schlossen sich NSV, IM, Caritas und Deutsches Rotes Kreuz nach Austritt, Auflösung und Gleichschaltung der kleineren Ligaverbände zur „Reichsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege“ zusammen. Vöhringer behielt die Geschäftsführung, während die NSV sich zunächst mit dem Präsidentenposten und dem propagandawirksamen Winterhilfswerk begnügte. Aber schon im Februar 1934 erzwang sie die Bildung einer „Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege Deutschlands“ anstelle der „Reichsgemeinschaft“, die der „Gestaltung der gesamten Wohlfahrtsaufgaben im Sinne des nationalsozialistischen Staates“ dienen sollte und in der von gleichberechtigter Kooperation mit den konfessionellen Verbänden keine Rede mehr war. Für Vöhringer, der schon seit längerem an Rücktritt dachte, war darin kein Platz mehr. Im Herbst 1934 wurde er unter demütigenden Begleitumständen pensioniert.
Vöhringer zog sich nach Württemberg zurück und arbeitete in den folgenden Jahren in verschiedenen Gremien der IM ehrenamtlich mit, bis er 1944 die Geschäftsführung des Landesverbandes der IM übernahm. Während seiner Amtszeit gelang es der württembergischen IM, trotz aller Hemmnisse schon 1948 wenigstens in quantitativer Hinsicht den Stand von 1933 wieder zu erreichen. Vöhringer sah keinen Anlaß zu einer grundlegenden Revision des in den zwanziger Jahren aufgebauten und bewährten Systems der Wohlfahrtspflege. Daran knüpfte auch die „Liga der freien Wohlfahrtspflege in Württemberg-Baden“ an, der er bis zur Bildung des Südweststaates vorsaß. Die Bewältigung der spezifischen Kriegsfolgeprobleme hielt er für eine nur mit staatlicher Hilfe zu lösende Aufgabe. Dies führte zwangsläufig zu Friktionen mit dem seit 1945 neben der IM aufgebauten Evangelischen Hilfswerk, das gerade kein herkömmlicher Wohlfahrtsverband sein wollte und sich ohne viel Rücksicht auf überkommene Strukturen darum bemühte, die evangelische Kirche mit ihren Gemeinden unmittelbar für die Diakonie zu mobilisieren. Vöhringer, dessen Arbeitsstil aus dieser Sicht unzeitgemäß schien, ebnete dennoch der nach der Währungsreform kirchenpolitisch unumgänglichen Zusammenfassung in einer „Arbeitsgemeinschaft der diakonischen Werke in der Evangelischen Landeskirche – Landesverband der Inneren Mission und Hilfswerk der Evangelischen Landeskirche in Württemberg“ (1950) den Weg. Er trat nun endgültig in den Ruhestand und behielt lediglich den Vorsitz im Verwaltungsrat der Fürsorgeheime Leonberg-Oberensingen bei.
Vöhringer war, so die Worte eines Verhandlungspartners, „eine ausgesprochene Persönlichkeit“, ein Mann, „der genau weiß, was er will und unbeirrbar seinem Ziel entgegengeht, dabei suaviter in modo, etwas langsam wie alle Schwaben, aber klug und vorsichtig“. Stets wurden seine unerschöpfliche Arbeitskraft, sein Organisationstalent und Verhandlungsgeschick sowie sein nüchterner Blick für das Mögliche gerühmt. Dabei war er anspruchslos und von gänzlich unprätentiösem Auftreten. Im persönlichen Umgang schloß sich der wortkarge Mann nur schwer auf, was für Predigt und Seelsorge eine Erschwernis bedeutet haben muß. Es muß offen bleiben, ob diese nach einigen Amtsjahren scheinbar überwundenen Hemmnisse oder die Notwendigkeit, seine Familie in einer finanziellen Notlage zu unterstützen, für das Verlassen des scheinbar vorgezeichneten Berufsweges als Pfarrer den Ausschlag gab. Vöhringer, seiner Fähigkeiten wohl bewußt und nicht ohne Ehrgeiz, strebte wohl schon früh danach, über den engen Rahmen eines Pfarramtes hinaus in größeren Zusammenhängen zu wirken. Er, der die pietistische Frömmigkeit des Elternhauses nie verleugnet hat, blieb dabei gleichwohl zeitlebens Theologe und sah am Ende seiner Laufbahn auch die Tätigkeit in Zentralleitung und Liga als Arbeit im Interesse der evangelischen Kirche. Die Tübinger evangelisch-theologische Fakultät ehrte ihn am 70. Geburtstag mit der Ehrendoktorwürde, das Dr.-Vöhringer-Heim in Nürtingen-Oberensingen und andere diakonische Einrichtungen in Württemberg tragen seinen Namen.
Quellen: LKAS: Altregistratur des evangelischen Oberkirchenrates 532 a II, 148 I a und Personalakten V/19; StAL: Zentralleitung für Wohltätigkeit E 191 Nr. 4529, 4915, 4971, 6771, 6845; UA Tübingen: Akademisches Rektoramt 40/23 Nr. 48, Evangelisch-Theologische Fakultät 162/241, Philosophische Fakultät 131/56 b Nr. 35
Werke: Die ethischen Prinzipien der Erziehungslehre Schleiermachers, in: Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik, Bd. 40/1908 (zugleich Diss. phil. Tübingen 1907); Meine Erlebnisse während des Krieges in Kamerun und in englischer Kriegsgefangenschaft, 1915. – Zahlreiche Aufsätze in Fachzeitschriften (Nachweise in: „D. Dr. Gotthilf Vöhringer“, siehe unten); Zur Geschichte der Deutschen Liga der freien Wohlfahrtspflege, unveröffentlichtes Manuskript, um 1944 (Auszüge in: „D. Dr. Gotthilf Vöhringer“ und „Die NSV“).
Nachweis: Bildnachweise: in: „D. Dr. Gotthilf Vöhringer“ (siehe oben)

Literatur: Antonie Kraut, D. Dr. Gotthilf Vöhringer. Ein Leben für die Wohlfahrtspflege, 1977; Herwart Vorländer, Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, 1987 (Schriften des Bundesarchivs 35); Jochen-Christoph Kaiser, Sozialer Protestantismus im 20. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Inneren Mission 1914-1945, 1989; Eckhard Hansen, Wohlfahrtspolitik im NS-Staat. Motivationen, Konflikte und Machtstrukturen im „Sozialismus der Tat“ des Dritten Reiches, 1991 (Beiträge zur Sozialpolitik Forschung 6)
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