Wellmer, Martin 

Geburtsdatum/-ort: 22.10.1902; Bergkirchen, Kreis Minden
Sterbedatum/-ort: 28.05.1972;  Freiburg im Br.
Beruf/Funktion:
  • Archivar und Landeshistoriker
Kurzbiografie: 1909-1913 Volksschule
1913-1922 Gymnasium in Minden
1922-1930 Ausbildung zum Buchhändler, Tätigkeit in diesem Beruf im In- und Ausland
1930-1935 Studium in Freiburg
1936 Promotion zum Dr. phil. bei Theodor Mayer
1940 Zweites Staatsexamen, Tätigkeit im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Schuldienst
1941-1947 Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft
1947 Entnazifizierung, danach Verwendung als Dolmetscher beim Staatskommissariat für die politische Säuberung in Freiburg Leiter des neugeschaffenen Landesarchivamts in Freiburg und des Staatlichen Amts für Archivpflege und deren Nachfolgeinstitutionen, zuletzt im Rang eines Staatsarchivdirektors
1970 Médaille d'Or du Mérite des Arts, Sciences et Lettres der Republik Zaire
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1939 (Karlsruhe) Erika, geb. Brandt, Gymnasiallehrerin
Eltern: Vater: Rudolf, Dr. med., Arzt
Mutter: Agnes, geb. Freyberg
Geschwister: 6:
2 Schwestern
4 Brüder
Kinder: 2:
Hansjörg, Dr. phil.
Martin, Dr. med.
GND-ID: GND/1012371573

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 390-392

„Intelligent, klug und schöpferisch ... er hat gute Umgangsformen.“ Prägnanter als der Autor dieser dienstlichen Beurteilung von 1944 kann Wellmer kaum charakterisiert werden. 1947 nach seiner Heimkehr aus französischer Kriegsgefangenschaft konnte er diese Eigenschaften wirkungsvoll entfalten als Leiter des eben gegründeten Badischen Landesarchivamts in Freiburg. Staatsarchiv für (Süd)Baden sollte es werden, da das Generallandesarchiv in Württemberg-Baden und damit in der amerikanischen Zone lag. Die Pflege der nichtstaatlichen Archive in den Gemeinden und Adelsschlössern war Wellmers zweite Aufgabe, und diese ging er sofort mit Elan und Professionalität an: Das Schriftgut, das den Krieg überdauert hatte, zu sichten, zu ordnen, zu verzeichnen und zu sichern, lag damals den Gemeinden sehr am Herzen, weshalb sie die Sach- und Personalkosten nicht scheuten. Es gelang Wellmer, motivierte Kräfte als Archivpfleger zu gewinnen und zu schulen. Als Leitfaden dienten die Verzeichnisse des Gemeindearchivs Kappel bei Freiburg und des Stadtarchivs Markdorf im Linzgau, die Wellmer selbst erstellt hatte.
Nach Wellmers Selbstverständnis gehörte aktives Forschen zum Berufsbild des wissenschaftlichen Archivars. Er befasste sich mit Siedlungs-, Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte des Oberrheingebiets und publizierte seine Arbeiten in den Jahrbüchern des Alemannischen Instituts und des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland, im Badischen Städtebuch, dem Handbuch der Historischen Stätten von Baden-Württemberg, in Festschriften und verschiedenen Kreisbeschreibungen. Im Rahmen eines Lehrauftrags an der Universität Freiburg, später auch an der Pädagogischen Hochschule bezog er junge Menschen – neben Historikern auch Mediziner und Juristen – in seine originellen Gedankengänge ein und motivierte etliche zu eigenem Engagement für die Landesgeschichte. Hoch geschätzt war sein Rat bei jungen Wissenschaftlern und ratsuchenden Heimatforschern.
Als Wellmer 1967 im Rang eines Staatsarchivdirektors aus dem aktiven Dienst ausschied, hatte das Amt, das er 20 Jahre zuvor als Einmannbetrieb übernommen hatte, nach unruhiger Entwicklung einen guten Ausgang genommen. Bei der Bildung des Südweststaats behielt Wellmer seine Doppelfunktion, das Staatsarchiv Freiburg, jetzt Außenstelle des Generallandesarchivs, und das staatliche Amt für Archivpflege führte er in Personalunion weiter. Der Fortbestand der Freiburger Behörde war jedoch nicht gesichert und schien höchst fraglich, als Wellmer 1959 an drei Tagen pro Woche in Karlsruhe am Generallandesarchiv Dienst zu tun hatte. Diese hinderliche Regelung bestand bis 1961, als Max Miller das Konzept „ein Staatsarchiv je Regierungsbezirk“ durchsetzen konnte. 1965 bezog Wellmer mit seinen Mitarbeitern – Archivinspektor, Sekretärin und Magazinarbeiter – das Gebäude Colombistraße 4. Die Zeit der räumlichen Provisorien – zuletzt in der vom Land 1955 erworbenen Herdervilla in der Mozartstraße 30 – hatte damit ein Ende.
Wellmers reiches Wissen und gewinnendes Wesen machten ihn auch im Alemannischen Institut und dem Breisgau-Geschichtsverein zum gesuchten Gesprächspartner und zum Multiplikator in Sachen Traditions- und Heimatpflege. Dem Breisgauverein hatte er sich schon während seiner Freiburger Studienzeit in den 1930er Jahren zugewandt, und nach dem II. Weltkrieg wirkte er maßgeblich an dessen Wiederbelebung mit. Von 1956 bis 1964 war er Vorsitzender, die Jahreshefte 70 bis 77 redigierte er als Schriftleiter. Im Alemannischen Institut, dessen fächerübergreifende Ausrichtung seiner offenen Geisteshaltung entsprach, gehörte er von 1962 bis zu seinem Tod mit dem Titel „Geschäftsführer“ den Leitungsgremien an. Auch in der Kommission für geschichtliche Landeskunde von Baden-Württemberg und im Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte, den sein Lehrer Theodor Mayer 1951 gegründet hatte, schätzte man seine Beiträge und Anregungen.
Wellmer, der unermüdlich über Land und Leute am Oberrhein forschte, nicht nur in schriftlichen Quellen, sondern auch durch Geländebegehungen, Karten- und Flurnamenstudium, war von Geburt Westfale. Als er in den unruhigen 1920er Jahren Abitur machte, musste er als siebtes Kind einer Landarztfamilie zunächst auf ein Universitätsstudium verzichten. Die acht Jahre als Buchhändler in Berlin, Heidelberg, Darmstadt, Paris und London sind jedoch nicht auf der Negativseite dieser Biographie zu verzeichnen. Im Wintersemester 1930/31 nahm er in Freiburg das Studium der Fächer Geschichte, Französisch und Deutsch auf, das er 1935 mit dem Staatsexamen abschloss. 1936 promovierte er bei Theodor Mayer, dem er lebenslang freundschaftlich verbunden blieb, mit einer vielbeachteten Arbeit über die Entstehungsgeschichte der Markgenossenschaften am Beispiel des Vierdörferwaldes bei Emmendingen: Malterdingen, Köndringen, Mundingen und Heimbach. Der Umgang mit den Quellen im Generallandesarchiv weckte den Wunsch, Archivar zu werden. Wellmer trat 1936 als Studienreferendar in den Dienst des Landes Baden, wurde im Generallandesarchiv beschäftigt und von dort zu einem Lehrgang am Institut für Archivwissenschaft nach Berlin-Dahlem abgeordnet. Danach arbeitete er halb im Generallandesarchiv und halb im Schuldienst, auch nach der II. Staatsprüfung 1940, da keine passende Stelle frei war.
1941 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, diente zunächst im Inland bei einem Landesschützen-Ersatzbataillon in Lahr, ab Januar 1944 im Rang eines Unteroffiziers in Frankreich. Im Herbst 1944 geriet er in französische Kriegsgefangenschaft, die er vorwiegend in einem Lager bei Tulle in der Corrèze verbrachte. Dank seiner Sprachkenntnisse wurde er dort zum Dolmetscher bestellt, ein glücklicher Umstand, der ihm erlaubte, am französischen Geistesleben teilzunehmen, was sich aus seiner Korrespondenz mit einem Professor der Sorbonne schließen lässt. Als Wellmer im Mai 1947 zu Frau und Sohn nach Freiburg heimkehrte, wartete ein kurzes Entnazifizierungsverfahren auf ihn, worin seine Zugehörigkeit zur NSDAP von 1940 bis 1941 behandelt und mit „Rückstufung um eine Zulage“ abgeschlossen wurde. Gleich im Anschluss wurde er beim Staatskommissariat für die politische Säuberung in Freiburg als Dolmetscher angestellt. Ein halbes Jahr später realisierte sich, was er sich seit der Promotion gewünscht hatte: das Berufsleben als Archivar, wenn auch zunächst unter kargen Bedingungen.
Wellmers wissenschaftliche Leistung, aber auch seine menschlichen Qualitäten sicherten ihm Jahrzehnte über seinen Tod hinaus ein lebendiges Andenken. Der Nachdruck seiner Dissertation im Jahr 2003, angeregt vom Arbeitskreis für Heimatkunde in Emmendingen, belegt dies. Die Auszeichnung durch den Staat Zaire, die er gegen Ende seines Lebens für Hilfestellungen bei kulturellen Projekten erhalten hat, zeigen, wie weit Wellmers Blick über das Oberrheingebiet hinausreichte.
Quellen: StAF G 480/1 P 31, Personalakte Wellmer, D 180/2 Nr. 169.513, C 48/1 Nr. 510, U 203/1, Nachlass Wellmer; schriftliche Auskünfte von Dr. Hansjörg Wellmer.
Werke: Zur Entstehungsgeschichte d. Markgenossenschaften. Der Vierdörferwald bei Emmendingen. Veröffentlichungen des Oberrh. Instituts für gesch. Landeskunde Freiburg im Br. 4, 1938; Die Urkunden des Stadtarchivs Markdorf in Regesten, 1950; Inventare bad. Gemeindearchive, Bd. Urkunden (Markdorf), 1950; Inventare bad. Gemeindearchive. Die Akten, Bücher, Pläne u. Sammlungen des Stadtarchivs Markdorf, 1950; Bauern u. Tagelöhner streiten um den Wald im Kappler Tal (1819-1841), in: Schauinsland 72, 1954, 147-166; Ihringen am Kaiserstuhl. Gemeindechronik, Teil 1 zur Tausendjahrfeier, 1962; Ihringen 962-1962, 1964; Leonard Leopold Maldoner. Ein Geschichtsschreiber des Breisgaus, in: Schauinsland 84/85, 1966/67, 207-235; (Schriftleitung) FS für Prof. Dr. Dr. Wolfgang Müller zum 65. Geburtstag, Alemann. Jb. 1970, 1971. – Weitere Publikationen in Schauinsland 100, 1981 (Registerband).
Nachweis: Bildnachweise: Schauinsland 90, 1972 (vgl. Lit.).

Literatur: Peter Volk u. Ingrid Holschen, Paläopathologische Untersuchungen als Beitrag zur Lösung historischer Fragen. Zur Ausdehnung des Burgundischen Reiches von Worms im frühen 5. Jh., in: Folia Historica 30-32, 1969, 1-11; ders., Zur Identifizierung der The(o)doricopolis des Anonymus von Ravenna, in: Archäol. Korrespondenzbl. 1, 1971, 123-128; Franz Götz, Die Archivpflege in Südbaden von 1945 bis 1971. Rückblick auf die Tätigkeit des Bad. Landesarchivamtes bzw. des Staatl. Amtes für Archivpflege in Freiburg im Br., in: Schauinsland 90, 1972 (= FS Wellmer), 9-22; Helmut Maurer, M. Wellmer 1902-1972; Nachruf, in: ZGO 120, 81 NF, 1972, 497-499; Friedrich Facius, Martin Wellmer †, in: Der Archivar Jg. 26, H. 2, 1973, 354 f.
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