Wieland, Hermann David 

Geburtsdatum/-ort: 26.02.1885;  Pforzheim
Sterbedatum/-ort: 07.05.1929;  Heidelberg
Beruf/Funktion:
  • Pharmakologe
Kurzbiografie: 1903–1908 Studium der Medizin in München (WS 1903/4, SS 1904; SS 1906; SS 1907, WS 1907/8, SS 1908), dazwischen in Straßburg
1908 XII. ärztl. Staatsexamen in München
1909 XII. 8 Approbation an der Universität Straßburg u. Promotion zum Dr. med. bei Franz Hofmeister: „Untersuchungen über die lipoiden Substanzen der Magenschleimhaut“
1910 I.–1911 X. Assistent der inneren Abteilung am Krankenhaus München-Schwabing
1911 XI.–1912 VI. Arbeit am Pharmakologischen Institut der Universität Wien
1912 VI.–1918 X. Assistent am Hygienischen Institut, ab April 1913 1. Assistent am Pharmakol. Institut der Universität Straßburg
1915 VII. 31 Habilitation: „Pharmakologische Untersuchungen am Atemzentrum“
1914 VIII.–1919 I. Militärdienst als landsturmpflichtiger Arzt; EK II, Ritterkreuz II. Kl., Orden vom Zähringer Löwen mit Schwert, Verwundetenabzeichen
1919 IV. 1 Assistent am Pharmakol. Institut der Universität Freiburg
1919 VII. 10 Umhabilitation mit der Probevorlesung über „Giftige Gase“
1921 X. 1 ordentlicher Professor für Pharmakologie an der Universität Königsberg
1925 X. 1 ordentlicher Professor für Pharmakologie an der Universität Heidelberg
1927–1928 Mitbegründer u. Mitherausgeber der Zeitschrift: „Der Schmerz. Deutsche Zeitschrift zur Erforschung des Schmerzes u. seiner Bekämpfung zugleich Zentralorgan für Narkose u. Anästhesie“, aufgegangen in: „Narkose u. Anästhesie“
1928 V. ordentliches Mitglied der Heidelberger Akademie der Wissenschaften
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1923 (Königsberg) Gertrud, geb. Polley, gesch. Kurtzahn (1893–1931), Dr. med.
Eltern: Vater: Theodor (1846–1928), Dr. phil., Chemiker, Gründer und Eigentümer d. Firma „Scheide- u. Legieranstalt“
Mutter: Elise, geb. Blum (1849–1937)
Geschwister: 2; Heinrich (1877-1957) u. Eberhard (1879–1974), Chemiker, Mit- u. später Alleininhaber d. väterlichen Firma
Kinder: 3;
Stiefsohn Fritz Kurtzahn (geboren 1920);
Peter (1925-nach 1949),
Martin (1927–1928)
GND-ID: GND/1012372448

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 509-511

Wieland, der jüngste Sohn eines bekannten Pforzheimer Industriechemikers, wuchs in einer Familie auf, die ihm die Lust zum Erforschen der Natur früh eingeprägte. Als Junge durfte er zu Hause und in der väterlichen Fabrik experimentieren. Nach dem Abitur in der Vaterstadt wählte Wieland jedoch nicht wie die beiden Brüder Chemie, sondern Medizin als Studienfach. Er studierte abwechselnd in München und Straßburg. Sein jugendliches Interesse für Chemie wurde aber durch den Straßburger Chemieprofessor Johannes Thiele (1865–1918) wie auch durch seinen Bruder Heinrich wach gehalten. So erscheint es folgerichtig, dass Wieland in der Pharmakologie das Arbeitsgebiet fand, das seinem Interesse entsprach; sein Straßburger Doktorvater war Professor für physiologische Chemie und arbeitete auch als Pharmakologe.
Die anschließende Tätigkeit als Assistent im Schwabinger Krankenhaus in München schien Wieland aber nicht zufrieden zu stellen. Schon 1911 wechselte er nach Wien zu Professor Hans Horst Meyer (1853–1939), einem der bedeutendsten experimentellen Pharmakologen seiner Zeit, wo er anderthalb Semester arbeitete, von dort im Sommer 1912 nach Straßburg, zuerst ans Hygienische Institut, und dann zum Altmeister der Pharmakologie, Oswald Schmiedeberg (1838–1918), dessen letzter Schüler er wurde.
Mit dem Kriegsausbruch begann Wieland freiwillig seinen Militärdienst als landsturmpflichtiger Arzt, zunächst in einem Straßburger Lazarett. Gleichzeitig konnte er sich habilitieren: Mit Hilfe einer scharfsinnigen Methodik erforschte Wieland an Zuchttauben die Veränderung der Erregbarkeit des Atemzentrums durch narkotische bzw. stimulierende Mittel. Als Privatdozent hielt Wieland im Sommersemester 1916 Vorlesungen über Pharmakologie der Giftgase. Danach wurde er ins Feld abkommandiert. Als Bataillonsarzt in der Fußartillerie erlebte Wieland die Schlachten an der Somme, die Kämpfe vor Arras, in der Champagne und in Flandern. 1917 wurde Wieland durch einen Fliegerbombensplitter verwundet und Ende 1917 nach Berlin-Dahlem abkommandiert, wo er am Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie unter Leitung von Ferdinand Flury (1877–1947) an der Untersuchung des Dichloräthylsulfids beteiligt war, das unter den Namen Senfgas, Yperit, Lost und Gelbkreuzkampfstoff bekannt wurde.
Im Januar 1919 wurde Wieland aus dem Militärdienst entlassen und dank der Empfehlung Flurys zum stellvertretenden Direktor des Pharmakologischen Instituts der Universität Würzburg bestellt. Bald aber fand er eine feste Stelle an der Universität Freiburg als Assistent am Institut des Pharmakologen Walther Straub (1874–1944), wo er sich nach drei Monaten umhabilitieren konnte. Als Privatdozent las er „Arzneimittellehre für Zahnärzte“, „Chemische Steuerungsvorgänge im Organismus“ und „Nachweis der Gift- und Heilwirkung chemischer Stoffe durch den Tierversuch“. Die fünf Semester bei Straub waren für Wieland außerordentlich fruchtbar, insbesondere konnte er die Methode „Straubsches Froschherz“ erfinderisch für seine Forschung über die pharmakologische Wirkung von Gallensäuren anwenden. Reine Stoffe für diese Forschung erhielt er von seinem Bruder Heinrich, der langjährige „Untersuchungen über die Gallensäure“ durchführte. In Freiburg begann Wieland auch Narkoseprobleme zu erforschen und machte eine seiner bedeutendsten Entdeckungen: die narkotische Wirkung des Azetylens, was mit dazu beitrug, dass er bald darauf einen Ruf als ordentlichen Professor und Direktor des Pharmakologischen Instituts der Universität Königsberg erhielt. Neben seiner Hauptvorlesung über Pharmakologie leitete Wieland dort Praktika über experimentelle Pharmakologie und sammelte seine ersten Schüler um sich, auch seine spätere Frau gehörte in diesen Kreis. 1925 bemühten sich bereits die Universitäten Frankfurt und Heidelberg um ihn. Wohl aus familiären Gründen zog er Heidelberg vor.
Wie in Königsberg blieb Wieland ein ausgezeichneter Institutsleiter, auch in Heidelberg. Der gute Menschenkenner verstand es, ca. 50 Arbeiten seiner Schüler und Mitarbeiter innerhalb von nur siebeneinhalb Jahren zur Publikation zu bringen. Er selbst hielt Vorlesungen über „Experimentelle Pharmakologie“ und „Pharmakologie und Toxikologie“ und verbrachte viel Zeit im Labor. Gleichzeitig setzte er sich um die Gleichberechtigung seines Fachs innerhalb der Medizin ein. Herausragend war sein Engagement in der von Straub gegründeten „Deutschen Pharmakologischen Gesellschaft“; zweimal, bei der Gründung 1920 und nochmals 1927, war Wieland deren Geschäftsführer. Hinzu kommt seine langjährige beratende Tätigkeit für das pharmazeutische Unternehmen „C. H. Boehringer und Sohn“ in Nieder-Ingelheim, die ihm entscheidende technische Gegenleistungen einbrachte.
Bald nach dem Tod seines einjährigen Sohns und seines Vaters im Frühjahr 1928 brach Wielands Leukämie aus, wogegen es damals keinerlei Heilmittel gab. Seine Frau, selbst Ärztin, hatte Mut und Geschick, den Kranken über die Natur seines Leidens zu täuschen.
Es gibt kein Werkverzeichnis des mit 44. Jahren Verstorbenen; 31 Aufsätze von ihm konnten nachgewiesen werden, eine Zahl, die kaum seinen tatsächlichen Beitrag zur Pharmakologie erkennen lässt. Seine Arbeiten waren vielseitig und ideenreich, durch vorzügliche und originelle Methodik gekennzeichnet. Besonders fällt an seinem Werk die stetige Zusammenführung von Einzelresultaten mit großen Problemstellungen auf. Als würdiger Nachfolger seiner Lehrer wirkte Wieland bahnbrechend in der Erforschung der Beziehungen zwischen chemischer Beschaffenheit und biologischer Wirkung von Stoffen. Für seine pharmakologischen Arbeiten ist jeweils der eindeutige chemische Standpunkt charakteristisch. Wieland entwickelte nicht nur die theoretische Pharmakologie, in die er z.B. eine fruchtbare Theorie der adsorptiven Verdrängung als Mechanismus der Entgiftung, insbesondere der Herz-Kampfer-Wirkung einbrachte. Er wusste auch Pharmakologie und Klinik als Forscher und Lehrer zu verbinden. Herausragend ist seine jahrelange gründliche pharmakologische und toxikologische Erforschung der Lobelia-Alkaloide, die durch die Einführung von Lobelin als „atmungserregendes“ Heilmittel gekrönt wurde, damals ein Meilenstein in der Geschichte der Arzneimittelkunde. Zum ersten Mal wurden pflanzliche Auszüge und Extrakte von unbestimmtem Inhalt an Alkoloiden durch einen einheitlichen, exakt dosierbaren Wirkstoff ersetzt, wodurch eine breite therapeutische Verwendung möglich wurde. Das von Wieland eingeführte Lobelin hat unzählige Menschenleben gerettet.
Große praktische Bedeutung im Klinikbetrieb hatte die Entdeckung des reinen Azetylens als Anästhetikum. Obwohl die chemische Hypothese, die Wieland zu dieser Entdeckung geführt hatte, sich nicht bestätigte, wurde daraus ein starker Impetus für die Narkoseforschungen. Das reine Azetylen benutzte man dann etwa 15 Jahre lang als Narkotikum der ersten Wahl unter dem Namen „Narcylen“, bis der Feuer- und Explosionsgefahr wegen darauf verzichtet wurde. Beachtenswert waren auch Wielands Bemühungen um Fragen der Schmerzbekämpfung. In diesem Zusammenhang steht die Zeitschrift für Narkose und Anästhesie, die Wieland zusammen mit dem Würzburger Gynäkologen Carl Josef Gauß (1875–1957) und dem Hamburger Anästhesiologen Ernst von der Porten (1884–1940) gründete und herausgab, was ebenfalls dazu beitrug, ihm bleibende Bedeutung in der Medizingeschichte zu sichern.
Quellen: GLA Karlsruhe 235/2700 u. 466/19309; UA Freiburg B 24/4085; UA Heidelberg Personalakten Wieland 1247 u. 6353f., Rep. 27, Nr. 1444; H-III-120/2, Nr. 7; Auskünfte des StadtA Heidelberg vom Jan. 2006 u. des StadtA Pforzheim vom Juli 2006.
Werke: Auswahl: Beiträge zur Ätiologie d. Beri-Beri. Analyt. Untersuchungen über den Phosphorgehalt von ernährungskranken Tieren, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 69, 1912, 293-306; Neuere Forschungen über die Ursache d. Beriberikrankheit, in: Münchner medizin. Wochenschr. 60, 1913, 706-708; Warum wirken aromatische Arsenverbindungen stärker auf Protozoen ein als aliphatische u. anorganische, in: Zs. für Immunitätsforschung u. experimentelle Therapie 20, 1914, 131-136; Pharmakologische Untersuchungen am Atemzentrum, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 79, 1916, 95-117; Pharmakologische Untersuchungen über Gallensäuren I, II u. III, ebd. 85, 1920, 199-213, 86, 1920, 79-91 u. 92-103; Entgiftung durch adsorptive Verdrängung. Ein Beitrag zur Kenntnis d. Ermüdung des überlebenden Froschherzens u. d. Herzwirkung des Kampfers, ebd. 89, 1921, 46-65; (mit Ferd. Flury) Die pharmakologische Wirkung des Dichloräthylsulfids, in: Zs. für die gesamte experimentelle Medizin 13, 1921, 367-483; Über die Bedeutung des Calziums für die geringe Empfindlichkeit d. Kröte gegen Herzgifte, in: Biochemische Zs. 127, 1922, 94-102; Über den Wirkungsmechanismus betäubender Gase, des Stickoxyduls u. des Azetylens, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 92, 1922, 96-152; (mit R. Mayer) Pharmakologische Untersuchungen am Atemzentrum. II. Die Beeinflussung des narkotisierten oder morphinisierten Atemzentrums durch Lobelin u. zwei weitere Lobelia-Alkoloide, ebd. 195-230; (mit R. Mayer) Der Anteil d. Kohlensäure an d. Wirkung d. Hirnkrampfgifte, ebd. 95, 1922, 5-16; (mit G. Kurtzahn) Zur Kenntnis d. Fluorwirkung, ebd. 97, 1923, 489-497; (mit R. Schoen) Die Beziehungen zwischen Pupillenweite u. Kohlensäurespannung des Bluts, ebd., 100, 1923, 190-216; (mit C. J. Gauss) Ein neues Betäubungsverfahren, in: Klinische Wochenschr. 2, 1923, 113-117 u. 158-162; (mit B. Behrens) Pharmakologische Untersuchungen am Atemzentrum. III. Die Wirkung des Lobelins bei d. Inhalationsnarkose, in: Zs. für die gesamte experimentelle Medizin 56, 1927, 454-469; (mit dems.) Antimon u. seine Verbindungen, in: Handb. d. experimentellen Pharmakologie Bd. 3, 1, 1927, 533-567; Johannes Gadamer †, in: Der Schmerz 1, 1928, 261f.; (mit B. Behrens) Zur Pharmakologie des Acedicons, in: Dt. Med. Wochenschr. 55, 1929, 303-305.
Nachweis: Bildnachweise: Schüller u. Behrens, beide 1929 (vgl. Literatur).

Literatur: Poggendorffs Biogr.-literar. Handwörterb. Bd. VI, Teil 4, 1940, 2877; J. Schüller, Hermann Wieland †, in: Dt. Medizin. Wochenschr. 55,1929, 1059 (mit Bildnachweis); H. Freundlich, Hermann Wieland †, in: Berr. d. Dt. Chemischen Ges. 62A, 1929, 82; E. Oppenheimer, Hermann Wieland †, in: Klinische Wochenschr. 8, 1929, 1286f.; B. Behrens, Hermann Wieland †, in: Der Schmerz 2, 1929, 83-85 (mit Bildnachweis); P. Ernst, Hermann Wieland †, in: Sitzungsber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss., Jahresh. 1928/1929, XXII f.; W. Heubner, Hermann Wieland †, in: Archiv für experimentelle Pathologie u. Pharmakologie 147, 1930, 14f.; W. Heubner, Wieland, in: Dt. Biogr. Jahrb. Bd. 11 Jg. 1929, 1932, 328-332; Paul Dipgen, Unvollendete. Vom Leben u. Wirken frühgestorbener Forscher u. Ärzte aus anderthalb Jahrhunderten, 1960, 99-102; Hans Killian, Im Kampf gegen Schmerz, 1979, 23-26; D. Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803–1932, 1986, 296f.
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