Güß, Egon Thomas 

Geburtsdatum/-ort: 10.03.1902;  Konstanz
Sterbedatum/-ort: 26.05.1991;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • ev. Pfarrer, Wortführer einer konsequenten Gruppe in der Badischen Bekenntnisgemeinschaft, Gründer der Theologischen Sozietät in Baden
Kurzbiografie: 1921 III. 18 Abitur an d. Oberrealschule in Konstanz
1921 SS–1924/25 zwei Semester Studium d. Philosophie in Tübingen, dann Theologie, ein Semester in Tübingen, danach je ein Semester in Berlin, Breslau u. wieder in Tübingen; SS 1924 bis WS 1924/25 in Heidelberg
1924 I. Examen u. Predigerseminar in Heidelberg
1925–1927 II. Examen u. zunächst nicht ordinierter Pfarrkandidat beim Ev. Jugend- u. Wohlfahrtsamt in Mannheim
1928–1933 Vikar in Offenburg
1933–1953 zunächst Pfarrverwalter, dann Pfarrer in Stein bei Pforzheim
1940 wiederholt als unabkömmlich vom Kriegsdienst befreit
1953–1967 Religionslehrer-Pfarrer am Kant-Gymnasium in Karlsruhe
1967–1991 Ruhestand in Karlsruhe, beerdigt in Grötzingen
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1927 (Konstanz) Laura Charlotte Selma, geb. Rundholz, Fürsorgerin (1896–1961)
Eltern: Vater: Thomas (1865–1935), Oberpostsekretär
Mutter: Rosa Friederika Emilie, geb. Berg (1876–1952)
Geschwister: 2; Friedrich (Fritz) Adalbert (1897–1915, gef. in Russland) u. Martha Rosa Emma (1900–1985)
Kinder: Ernst Friedrich, gen. Peter (geboren 1933), seit 1934 Pflegesohn, 1953 adoptiert, Dr. phil.
GND-ID: GND/1012379086

Biografie: Gerhard Schwinge (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 125-126

Während seines Studiums wurde er in Tübingen von Adolf Schlatter als Neutestamentler und in Berlin von Paul Tillich als Systematiker beeindruckt und durch ihn dem Religiösen Sozialismus näher gebracht; in Breslau lernte er die Theologie Karl Barths und seiner Freunde kennen und schätzen. In Heidelberg schließlich beschäftigte er sich mit den Schriften Sören Kierkegaards und erkannte durch sie, dass das Christentum nicht Lehre, sondern Nachfolge ist.
Früh, so in seiner Examenspredigt 1925, zeigte sich sein Streben nach Wahrhaftigkeit und eine individualistische Unbedingtheit. Anfangs fühlte er sich nicht für das Pfarramt geeignet, weswegen die Kirchenleitung die Ordination aufschob und Güß in der Jugend- u. Wohlfahrtsarbeit der Industriestadt Mannheim unterbrachte. Aufsehen und Kritik erregte Güß im Januar 1929 mit einer Missionspredigt, in der er zu fragen wagte, ob die Äußere Mission eine Berechtigung habe, solange die Nöte im Inneren noch so groß seien und das Christentum selber noch mangelhaft sei. Trotz Sympathie für die Republik und den Religiösen Sozialismus wurde er in diesen beiden Feldern nicht aktiv.
Obwohl bereits als „Roter“ bekannt, vermochten Güß und seine Frau es ab 1933 dennoch in der eher konservativen Dorfgemeinde Stein bei Pforzheim, in der Güß dann 20 Jahre lang wirkte, durch biblische Predigt und persönliche Seelsorge Vertrauen zu erwecken, was sich dann in der hartnäckigen Auseinandersetzung mit dem NS-Staat immer wieder bewährte. Als bekennende Gemeinde wehrte sich Stein gegen Eingriffe des Staats, verzichtete auf die Erhebung von Ortskirchensteuer und lebte wie eine Freikirche von ihren Kollekten. Kirchengemeinderat und Gemeinde standen ebenfalls hinter dem widerständigen Verhalten ihres Pfarrers, als sie 1938 gemeinsam die Einsetzung eines Bevollmächtigten der staatlichen Finanzabteilung beim Karlsruher Oberkirchenrat für Stein erfolgreich verhinderten. Die Kirchenältesten legten dabei sogar aus Protest vorübergehend ihre Ämter nieder.
Seiner theologischen und kirchenpolitischen Überzeugung blieb Güß im „Dritten Reich“ und danach stets treu. Die badische Kirche war für ihn keine „intakte“, sondern eine „zerstörte Landeskirche“. Er kritisierte die Anpassung der Kirchenleitung und warf auch der Badischen Bekenntnisgemeinschaft, der badischen Variante der Bekennenden Kirche, wie dem Landesbruderrat unter Pfarrer Karl Dürr zu große Kompromissbereitschaft vor. An die Bekennende Kirche Deutschlands angeschlossen forderte er schon 1934 stattdessen, den „Weg von Barmen nach Dahlem“ zu wagen, nämlich vom Bekennen zum Handeln. Ab November 1934 predigte er in abendlichen Bekenntnisgottesdiensten. Im Juni 1938 war Güß einer der Ersten, die den Eid auf den „Führer“ Adolf Hitler verweigerten. Ebenso gehörte er zu den über 400 badischen Pfarrern, die mit ihrer Unterschrift gegen die Einsetzung einer staatlichen Finanzabteilung beim Oberkirchenrat protestierten. Mit Gleichgesinnten, überwiegend Vikaren, gründete er 1939 nach württembergischem Vorbild die Theologische Sozietät in Baden. Diese forderte vergeblich die Wahl zu einer Bekenntnissynode; seit 1934 hatte es keine Landessynode mehr gegeben und die Bildung einer bekennenden Kirchenleitung. Eine von Güß verfasste Denkschrift „Zur kirchenpolitischen Lage in Baden“ vom 6. Juni 1939 wurde zwar in 100 Exemplaren vervielfältigt und verteilt, bewirkte jedoch mehr Ärger als Zustimmung.
Erst nach Kriegsende, nun aber mit großer Entschiedenheit, konnte Güß ab Oktober 1945 zusammen mit seinen Freunden in der Theologischen Sozietät den Kampf um eine Erneuerung der Kirche fortsetzen, sichtbar im Wort der Sozietät „Zur gegenwärtigen kirchlichen Lage in Baden“. Statt der allzu schnellen Wiederanknüpfung an 1932 und einer Restauration unter denselben Personen wie vor 1945 an der Spitze der Kirche, v. a. in Person des juristischen Oberkirchenrats Dr. Otto Friedrich und des Landesbischofs Julius Kühlewein, müsse ein wirklicher Neuanfang erreicht werden. Darin eingeschlossen war die Distanzierung von der sogenannten Oberländer synodalen Zusammenkunft in Freiburg am 1.August 1945 und von der Vorläufigen Landessynode Ende November 1945 in Bretten und deren Zustandekommen, auch unter Mitwirkung von Vertretern des „Freiburger Kreises“ mit Erik Wolf u.a. Friedrich war für Güß „der Exponent einer säkularisierten, nicht mehr im Ernst vom Wort [Gottes] gerichteten Kirchenpolitik“ (Brief vom Nov. 1945 an Dürr, LKA: Nachlass Dürr). Ein Beitrag der Sozietät zur Neuordnung der Landeskirche waren die von Güß unterzeichneten „Gesichtspunkte zur Gestaltung einer künftigen Pfarrwahlordnung“, welche das seit 1933 geltende „Führerprinzip“ bei der Pfarrstellenbesetzung ablösen sollten. Die Ekklesiologie von Güß und der Theologischen Sozietät ging dagegen von der Verantwortung der Einzelgemeinde aus.
Quellen: Nachlass Güß in Privatbesitz in Karlsruhe; StadtA Konstanz Nr. 277/1935, 45/1876, 287/1952, 223/1897, 275/1900, 423/1985 u. 170/1927, Personenstandsakten d. Eltern u. Geschwister u. Heiratsurkunde Güß’; UA Tübingen 258/6109, Studentenakte, 5/35 fol. 942, Univ. Matrikel, 5/46 S. 156 Einschreibebuch; Humboldt-Univ. Berlin Matrikel Nr. 982/113; UA Heidelberg StA Güß (mit Bildnachweis), Studentenakte; LKA Karlsruhe PA 6700/6701, Personalakte Güß; PfarrA Stein; H. Rückleben, H. Erbacher, G. Schwinge (Hgg.), Die Ev. Landeskirche in Baden im Dritten Reich, ELBDR. Quellen zu ihrer Geschichte, Bde. I–VI, 1991–2005, hier: Bd. VI, 408 (mit Biogramm u. Register zu den Quellentexten); Auskünfte d. UA Tübingen, Berlin u. Heidelberg vom Nov. 2012 (s.o.).
Werke: Rosenberg: „Mythos des 20. Jahrhunderts“ [1930] im Lichte der Bibel. Referat, gehalten auf der Pfarrkonferenz in Durlach am 11. Juni [1934], MS, in: Nachlass Güß; Zur kirchenpolitischen Lage in Baden, Denkschrift (Anlage: Entwurf einer Wahlordnung für eine bad. Bekenntnissynode), 1939, vervielf., in: LKA Karlsruhe GA 2733, abgedr. (ohne Wahlordnung) in: G. Schwinge (Hg.), ELBDR Bd. IV, 2003, 310-316.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg u. LKA Karlsruhe PAG (vgl. Quellen).

Literatur: G. Gerner-Wolfhard, Egon Thomas Güß. Ein ev. Dorfpfarrer, in: M. Bosch u. W. Niess (Hgg.), Der Widerstand im dt. Südwesten 1933–1945, 1984, 83-93; ders., Vom Bekennen zum Handeln. Eine bad. Landgemeinde auf dem Weg von Barmen nach Dahlem, in: entwurf – Religionspädagog. Mitteilungen, 1984, Nr. 1/2, 79-82; S. Höpfinger, Egon Thomas Güß. Ein religiöser Sozialist u. NS-Gegner, in: R.-U. Kunze (Hg.), Bad. Theologen im Widerstand, 2004, 25-44; G. Gerner-Wolfhard, „An der Lüge kann ein Kirchenwesen zugrunde gehen“. Pfarrer Egon Thomas Güß in Stein u. die Stimme d. Theol. Sozietät in Baden in den Jahren 1945 u. 1946, in: U. Wennemuth (Hg.), Unterdrückung – Anpassung – Bekenntnis. Die ev. Kirche in Baden im Dritten Reich u. in d. Nachkriegszeit, VVKG Baden 63, 2009, 415-434.
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