Formis, Rudolf Karl Erich 

Geburtsdatum/-ort: 25.12.1894;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 23.01.1935; Slapy nad Vltavou (Tschechien)
Beruf/Funktion:
  • Ingenieur und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime
Kurzbiografie: 5.4.1908 Konfirmation in Nürtingen
1912 Beginn einer Lehre in einem Handelshaus für Drogen und Apothekerwaren in Hamburg
1914 Kriegsdienst als Kraftfahrer und Funker im deutsch-türkischen Expeditionskorps, als englischer Kriegsgefangener kann er aus einem Lager heraus Kontaktmit dem Königshof von Siam (Thailand) knüpfen
1919 Ingenieurstudium
1920–1921 verlobt mit Berta Weger
1923 Erhalt einer Amateursendelizenz
1924 Mitarbeiter der Süddeutschen Rundfunk-AG (Sürag)
7.3.1933 Formis begrüßt öffentlich die Besetzung des „Hauses des Rundfunks“ in Stuttgart durch die Nationalsozialisten
1933 Flucht in die Tschechoslowakei
1934 Beginn der Ausstrahlung eines Rundfunkprogramms in das Deutsche Reich
1935 gewaltsamer Tod
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Eltern: Vater: Alfred Formis (1855–1897)
Mutter: Elise Rosine Marie, geb. Leins (1857–1944)
Geschwister: Bruder Harry
GND-ID: GND/1012388786

Biografie: Andreas Morgenstern (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 67-69

Formis wurde in eine großbürgerlich geprägte Stuttgarter Familie hineingeboren. So wirkte sein Großvater Christian Friedrich von Leins als königlich württembergischer Hofbaumeister. Auch durch seinen Einsatz als Funker im Ersten Weltkrieg entwickelte sich Formis’ Interesse und Talent für die in den 1920er Jahren Bedeutung gewinnende Funktechnologie heraus. 1923 besaß er als einer der ersten Deutschen eine Sendelizenz und funkte unter den Kennzeichen „KY4“ bzw. „K4YAA“. Im Folgejahr organisierte er den ersten Deutschen Sendetag.
Bedeutung erhielt Formis aber vor allem durch seine berufliche Arbeit für die im Aufbau befindliche Süddeutsche Rundfunk-AG (Sürag). Seit 1924 als Techniker angestellt, errichtet er im nahe Stuttgart gelegenen Schloss Solitude die früheste deutsche Anlage zu Empfang und Weiterverbreitung von weit entfernten Übertragungen, deren Leiter er wird. Herausragende Sendungen waren die direkte Berichterstattung von der Amerika-Reise des Luftschiffs „Graf Zeppelin“ 1929 und 1930 die Liveübertragung des Kampfs um die Boxweltmeisterschaft zwischen Jack Sharky und Max Schmeling. Von der Solitude aus wurden die Signale an alle deutschen Reichssender und darüber hinaus an ausländische Stationen weitergeleitet. Ferne Ereignisse wurden für die Hörer erstmals zu einem unmittelbaren Erlebnis.
Unter seinen Kollegen erwarb sich Formis allerdings schnell den Ruf eines wunderlichen Einzelgängers. Im Funkhaus hatte er keine Freunde. Hierzu trug u. a. bei, dass er seine Verlobte Berta Weger fälschlich als „Exotin“ vorstellte. Am 7. März 1933 erlebt Formis die Besetzung des Stuttgarter „Hauses des Rundfunks“, des Sendegebäudes am Karlsplatz. Der Südfunk wird anschließend zu einem Instrument der Propaganda der Nationalsozialisten umgebaut. Zur Überraschung vieler Kollegen begrüßt Formis, der sich vormals politisch nicht positioniert hatte, öffentlich diese Vereinnahmung. Bei den neuen Machthabern erscheint Formis‘ Auftritt in einer Uniform und mit umgeschnallter Pistole aber als äußerst suspekt. Nachdem bekannt wird, dass Formis jüdische Vorfahren hat, wird er kurzfristig inhaftiert. Nach seiner Freilassung flieht er aus Deutschland. Sein Ziel ist die Türkei, die er aus seinem Militärdienst im Ersten Weltkrieg kennt. Doch lernt er in Prag das ehemals führende NSDAP-Mitglied Otto Strasser kennen. Strasser hatte nach einem verlorenen Machtkampf die Partei und Deutschland verlassen müssen. Ihm gegenüber erklärt er sich wahrheitswidrig zum Verantwortlichen für das „Stuttgarter Kabelattentat“ vom 15. Februar 1933. Strasser gewinnt ihn für eine Mitarbeit in der Zeitung „Deutsche Revolution“ seiner „Schwarzen Front“, um deren Vertrieb sich Formis kümmert.
Bald überzeugt Formis Strasser aber von seiner wirklichen Profession, dem Rundfunk. So gelangt er auf bis in unsere Tage ungeklärtem Weg an einen Rundfunksender, den er aus dem wenige Kilometer südlich von Prag betriebenen Hotel Zahory in Slapy nad Vltavou betreibt. Versorgt mit Informationen von Strasser, der deutschsprachigen Presse, aber auch durch das Abhören verschiedener Rundfunkstationen sendet er ab September 1934 aus dem abgelegenen Hotel regelmäßig am Abend sein Programm in das Deutsche Reich. Er bricht damit das von Joseph Goebbels aufwändig hergestellte Informationsmonopol der Nationalsozialisten. Der Sender von Formis erreicht große Teile des Deutschen Reichs im 49m-Band Kurzwelle, vor allem Süd- und Mitteldeutschland sowie Schlesien. Die eingesetzte Frequenz liegt direkt neben der des Deutschlandsenders aus Königs Wusterhausen.
Formis‘ Sendungen beginnen stets mit der Ankündigung, „Achtung, Achtung! Hier ist der Landschaftssender Berlin der Schwarzen Front“. Für die NS-Führung sind die Übertragungen ein großes Ärgernis. Das Auswärtige Amt übt aus diesem Grund diplomatischen Druck auf das tschechoslowakische Nachbarland aus, um die Abschaltung einer „Hetzzentrale der (…) sogenannten ,Schwarzen Front‘ “ zu erzwingen. Die Prager Regierung, die sich weitgehend liberal gegenüber aus Deutschland geflohenen Emigranten verhält, verweigert diesen Schritt. Der Geheimsender bleibt in Betrieb.
Der Sicherheitsdienst (SD) der NSDAP unter Reinhard Heydrich beschließt nach dem Scheitern der politischen Initiative, das Sendegerät mithilfe einer Säure und zweier Brandsätze zu zerstören und Formis nach Deutschland zu entführen. Dessen Identität war durch einen Stimmenvergleich bei seinen früheren Stuttgarter Kollegen geklärt worden, die sein ausgeprägtes schwäbisches Idiom wiedererkannten. Funkpeilungen hatten auch den ungefähren Senderstandort ermittelt. Die Ausführung des Unternehmens wird dem Agenten Alfred Naujocks übertragen. Unterstützt wird er von Werner Göttsch.
Der geplante Anschlag misslingt jedoch. Formis überrascht Naujocks bei dessen Versuch, in das Hotelzimmer einzubrechen und das Gerät zu zerstören. Der genaue Tatablauf ist nur noch ungefähr zu rekonstruieren. Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem sich wohl aus der Pistole von Formis, die dieser zum Selbstschutz von Strasser erhalten hatte, ein für Formis tödlicher Schuss löst. Werner Göttsch kann das aufgeschreckte Hotelpersonal von einer Alarmierung der Polizei abhalten, wodurch den Attentätern die Rückkehr nach Deutschland gelingt. Heydrich soll sich nach Aussage von Naujocks sehr erfreut über die Ereignisse geäußert haben, der ungeplante Tod von Formis „mache nichts“. Naujocks und Göttsch wurden befördert.
Der „Fememord“ (Pariser Tageblatt vom 28.1.1935) an Formis sorgt unter den ins Ausland geflohenen NS-Gegnern für Aufregung. Die schillernde Persönlichkeit Formis wird zu einem Symbol für den verbrecherischen Charakter des Regimes, das seine Gegner sogar jenseits der Grenzen rücksichtslos verfolgt.
Ab 1966 beschäftigt sich das Hamburger Amtsgericht mit dem Fall Formis. Während Naujocks während der Untersuchungen verstirbt, wird Werner Göttsch nicht verurteilt. In ihren Aussagen hatten beide den jeweils anderen der Tötung von Formis beschuldigt.
Der Rundfunksender von Formis galt jahrzehntelang als verloren. In Wirklichkeit konnten die SD-Agenten die Zerstörung des in einer Bettpolsterung versteckten Geräts aber nicht vollenden. Er befindet sich heute in Besitz des Technischen Nationalmuseums Prag.

Literatur: Bernd Burkhardt: Rudolf Formis. Rundfunktechniker aus Stuttgart, in: Manfred Bosch/Wolfgang Niess (Hg.): Der Widerstand im deutschen Südwesten 1933 – 1945, 1984; Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.), Anständig gehandelt. Widerstand und Volksgemeinschaft 1933 – 1945. Katalog der Ausstellung, 2012.
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