Kistner, Carl Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 20.06.1875;  Renchen, Ortenaukreis
Sterbedatum/-ort: 01.10.1946;  Haslach/Freiburg
Beruf/Funktion:
  • katholischer Pfarrer, Heimatforscher, Chronist
Kurzbiografie: 1881-1886 Volksschule Renchen
1886-1889 Höhere Bürgerschule zu Achern
1889-1895 Großherzogliches Gymnasium Freiburg (Berthold-Gymnasium) als Zögling des Erzbischöflichen Knabenseminars in Freiburg, Abitur
1895-1899 Studium der Katholischen Theologie in Freiburg
1899 Jul. Priesterweihe im Freiburger Münster
1899-1903 Vikar an der Pfarrei St. Johann in Freiburg-Wiehre, zugleich seelsorgerische Betreuung der Filiale Haslach bei Freiburg
1903-1946 seelsorgerisches Wirken in der Pfarrei St. Michael in Haslach
1907-1941 Redaktor des Freiburger Katholischen Gemeindeblatts
1915 Ernennung zum Pfarrer, Erhebung der Pfarrkuratie Haslach zur selbständigen Pfarrei
1919 Ernennung zum Stadtpfarrer
1932 Ernennung zum Geistlichen Rat
Weitere Angaben zur Person: Religion: rk.
Eltern: Vater: Karl Kistner, Schreinermeister in Renchen
Mutter: Rosa Kistner geb. Behrle aus Renchen
Geschwister: 1 Bruder, 2 Schwestern: N. N., Ordensfrau in Italien; Rosa (geb. 1868)
GND-ID: GND/101239302X

Biografie: Heinrich Walle (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 4 (1996), 158-159

Kistner entstammte einer alteingesessenen Familie aus Renchen, mütterlicherseits war er Nachfahre des 1676 dort verstorbenen Dichters Grimmelshausen. Da der Vater als selbständiger Schreinermeister seine Familie mit vier Kindern nur mühsam ernähren konnte, vermochte Kistner nur durch Gewährung eines Stipendiums in Freiburg ein Studium der katholischen Theologie zu absolvieren. Der am 4. 7. 1899 im Freiburger Münster zum Priester Geweihte trat am 3. 8. 1899 seine erste Stelle als 2. Vikar an der Pfarrei St. Johann im Freiburger Stadtteil Adelhausen/Wiehre an. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die seelsorgerische Betreuung der Filiale Haslach.
Diese früher zur Markgrafenschaft Baden-Durlach gehörende Gemeinde war 1890 Freiburg eingemeindet worden. Aufgrund Haslachs steigender Einwohnerzahl, die auch eine Zunahme der katholischen Bürger zur Folge hatte, wurde die Pfarrvikarie Haslach am 6. 12. 1903 zur Pfarrkuratie erhoben und Kistner zum Pfarrkurat ernannt.
Haslach war eine sogenannte Arbeitersiedlung, deren Bewohner nach dem Urteil der damaligen Zeit gegenüber der Kirche wenn nicht gar ablehnend, so doch recht kritisch stehend eingeschätzt wurden. In den Nachrufen auf Kistner ist wiederholt die Rede von den vielen Sozialdemokraten und Kommunisten, die es in Haslach gegeben habe. Für den jungen Kuraten stellte sich damit eine herausfordernde seelsorgerische Aufgabe, die er mit großem Elan und Einfühlungsvermögen anging.
Als erstes betrieb Kistner den Bau einer eigenen Pfarrkirche, der heute noch das Stadtbild von Haslach beherrschenden Michaelskirche, die nach der 1907 erfolgten Grundsteinlegung 1909 konsekriert wurde. Dieses Gotteshaus wurde 1952/56 endgültig vollendet.
Kistner war ein durchaus moderner und pragmatischer Seelsorger, dem es völlig klar war, daß die Kirche zu den Gläubigen kommen müßte und daß eine Verbesserung der sozialen Verhältnisse sich auf die Ausbreitung des Glaubens nur positiv auswirken könnte. So schuf er schon frühzeitig die ersten und heute noch bestehenden Sozialeinrichtungen in Haslach, wie Krankenschwestern-Station zur ambulanten Versorgung von Kranken, deren Angehörige zur Arbeit gehen mußten, einen Kindergarten und eine Nähschule, in der Ordensschwestern Arbeiterfrauen in Haushaltsführung unterrichteten.
1923 wurde der nach ihm benannte „Carlsbau“, ein Gemeindezentrum errichtet, wozu er und seine Schwester beträchtliche Eigenmittel beigesteuert hatten.
Kistner erkannte aber auch die Bedeutung der Medien für die Glaubensverbreitung und übernahm deshalb 1907 die Redaktion des Freiburger Katholischen Gemeindeblattes, die er bis zu dessen Verbot durch die nationalsozialistischen Machthaber im Jahr 1941 innehatte. Diese Zeitung war für ihn gewissermaßen die „Kanzel für das Stadtgebiet“.
Kistners Engagement in vielen Vereinen war für ihn vornehmlich ein Mittel der Seelsorge, um mit Menschen der verschiedensten Interessen und Bildungsstufen in Verbindung zu treten. Bald nach seiner Priesterweihe 1899 wurde Kistner bei der Katholischen Deutschen Studentenverbindung im Cartell-Verband, Hercynia zu Freiburg, aktiv; badischen Theologistudenten war damals eine Mitgliedschaft in einer Verbindung erst nach ihrer Priesterweihe gestattet.
So sah Kistner in den Verbindungen des Caritasverbandes eine Möglichkeit missionarischer Einflußnahme an den Hochschulen und setzte sich tatkräftig für die Ausbreitung solcher Verbindungen ein. 1905 wurde er Mitbegründer der dritten Freiburger Caritasverband-Verbindung, Hohenstaufen, deren Namensgebung auf Kistners Initiative dem berühmten Kaisergeschlecht Heimatverbundenheit und Anspruch auf Universalität ausdrücken sollte, was durchaus als Herausforderung begriffen wurde. Im Ersten Weltkrieg hatte Kistner die Betreuung seiner im Felde stehenden Freiburger Bundes- und Cartellbrüder durch Aufrechterhaltung von Briefkontakten und Zusendung von Lesestoff an die Front in geradezu beispielhafter Weise durchgeführt. Hierfür und für seinen sozialen Einsatz in seiner Pfarrei wurde er mit dem Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet.
Kistners Volkstümlichkeit beruhte auch in seiner tiefen Verwurzelung in der Kultur seiner Heimat. Haslachs Arbeiterbevölkerung, die größtenteils aus der bäuerlichen Bevölkerung des Schwarzwaldes zugewandert war, dürfte diesen Pfarrer allein schon aufgrund seiner Heimatverbundenheit als einen der Ihren empfunden haben.
Durch die Pflege der heimatlichen Kultur mit ihrer über Jahrhunderte gewachsenen christlichen Tradition wollte er nicht nur die Menschen vor der drohenden Entwurzelung und Beziehungslosigkeit bewahren, sondern sie in Glauben und Kirche ihre innere und äußere Heimat finden helfen.
Als sich 1909 aus verschiedenen Gruppierungen der Landesverein „Badische Heimat“ konstituierte, wählte man Kistner sogleich in den Beirat, dem er dann bis zu seinem Tode angehören sollte. Der neugegründeten Ortsgruppe Freiburg stand er ebenfalls bis an sein Lebensende zur Verfügung. Von 1921 bis 1936, d. h. vom 2. bis zum 16. Band veröffentlichte Kistner im „Ekkhart“, Kalender für das Badner Land, die Chronik der katholischen Kirche in Baden, die eine Übersicht der katholischen kirchlichen Ereignisse dieser Landschaft vermittelt. Kistner stellte seine Arbeit ein, als er infolge von Machenschaften der nationalsozialistischen Zensur feststellen mußte, nicht mehr seiner Überzeugung treu bleiben zu können.
Kistner, der sich in seiner literarischen Tätigkeit seinem Vorfahren mütterlicherseits, Grimmelshausen, verpflichtet fühlte, empfand sich in erster Linie als Seelsorger, der für die ihm anvertraute Gemeinde da zu sein hatte. 43 Jahre lang führte er seine Pfarrei, die er unter großen Schwierigkeiten aufgebaut hatte. Sie war 1915 zur selbständigen Pfarrei erhoben worden. Voraussetzungen auf „attraktivere“ Stellen oder eine Pensionierung lehnte er ab. Im Alter von 71 Jahren erlag er, mitten in der seelsorgerischen Arbeit einem Schlaganfall. Seine letzte Ruhestätte fand Kistner auf dem heimatlichen Friedhof in Renchen.
Wie hoch das Ansehen dieses heimatverbundenen und sozial engagierten Seelenhirten auch bei den nichtkatholischen Christen seiner Gemeinde war, die Nachrufe und zuletzt die Chronik Haslachs aus der Feder seines evangelischen Amtsbruders Hans Carl Scherrer heben seine vielseitigen Kontakte zu evangelischen Christen und seine große Toleranz ausdrücklich hervor, zeigt der Umstand, daß der Freiburger Stadtrat am 7. 6. 1948 einstimmig die Umbenennung der Gutleutstraße in „Carl-Kistner-Straße“ beschloß. Wenig später errichtete man vor seiner Michaels-Kirche im Zentrum Haslachs zu seinen Ehren einen hölzernen Brunnen, der 1980 durch einen Sandsteinbrunnen mit Bronzeplastik ersetzt wurde.
Werke: Chronik d. kath. Kirche in Baden 1919-1934, in: Ekkhart Bd. 2 bis 16, 1921-1936.
Nachweis: Bildnachweise: Scherrer, Haslach, S. 230, Reproduktion eines Selbstporträts.

Literatur: BZ 22.11.1956 Nr. 271: Nachruf zum l0jähr. Todestag; Dr. Simon Hirt, Z. Gedächtnis d. Stadtpfarrers C. Kistner, in: Freiburger Kath. Kirchenblatt, Nr. 48, 25.11.1956; Dr. Julius Dorneich, C. Kistner, 30 Jahre Hercynengeschichte, in: Hercynenblätter, Nr. 7, NF April 1957, 26-33; Dr. Hermann Schwarzweber, C. Kistner zu s. 10. Todestag, Gedenkrede a. d. C. Kistner Gedächtniskommers, in: Ebd. 22-25; Hans Carl Scherrer, C. Kistner, in: Hans Carl Scherrer, Haslach; Chronik e. Markgräfler Dorfes bis zu s. Eingemeindung nach Freiburg, Freiburg i. Br. 1980, 230-231; Karl Rombach, C. Kistner, 1875-1946, in: Anzeiger f. d. Seelsorge 96, 1987, 266.
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